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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

ausgehoben. Dort stellten sich jetzt die Leidtragenden auf, soweit sie Platz
fanden.

Pastor Tannebaum sprach schlicht und warm von dem getreuen Knecht, der
hier zur letzten Ruhe gebettet wurde. Nur, daß er das Gleichnis zu wörtlich
nahm, in einem Sinne, der des Barons Absichten nicht durchschaute. Denn
nicht seinen Diener Sandberg wollte er verherrlicht hören, sondern den Diener
Gottes, als des Inbegriffs höchster Treue und Rechtschaffenheit.

Als die Trauergäste an die Grube herantraten, um von dem Toten mit
einer Handvoll Erde Abschied zu nehmen, kämpfte Herr von Wenkendorff mit
der Versuchung, seinen Empfindungen Ausdruck zu geben. Aber die Tränen
erstickten ihm die Worte im Munde.

In diesem schmerzlichen Augenblick wurde die Aufmerksamkeit der Ver¬
sammlung durch die Klänge eines Liedes abgelenkt, die aus dem Walde
heranwogten. Unbekümmert darum, betete Pastor Tannebaum das Vaterunser.
Aber als er den Segen gesprochen hatte, sah auch er in die Richtung des
Stimmenbransens.

Wie eine rote Flut wälzte es sich aus den grünen Tannen hervor: rote
Banner wehten im Winde, von Männern getragen, die ihre Schultern mit roten
Schärpen geschmückt hatten. In ungeordnetem Zuge folgten ganze Trupps
ebensolcher Gestalten. Sie kamen geraden Weges auf den Friedhof zu und um¬
stellten die kleine Totenhalle, in der der Sarg des roten Reiters stand. Dann
setzte sich der Zug wieder in Bewegung und man sah von dem Hügel aus, wie
der Sarg über den Köpfen der Träger dahinschwankte.

Wieder brauste das Lied auf -- es war dieselbe Weise, die den Junkern
in jener Schreckensnacht ins Ohr geklungen war, nur daß sich der revolutionäre
Schwung jetzt zu gemessener Feierlichkeit gewandelt hatte.

Da kam ein Funken vom Geiste Martin Luthers über den kleinen Mann
im schwarzen Talar, der dort oben vor den verwitterten Grabsteinen der
Wenkendorffs stand. Er preßte seine Bibel fester an sich und ging in ruhigem
Schritte den Hügel hinab. Ganz allein ging er, und die Bauern, die die
Wege anfüllten, traten ehrerbietig zurück. Sein geistliches Gewand flatterte
leicht im Winde.

So gelangte er an den Platz, der für das Grab des fremden Reiters
bestimmt war, fast im gleichen Augenblick, wie der rote Heerbann mit dem
Sarge des Toten.

Er stellte sich auf den ausgeworfenen Erdhaufen neben der Gruft und
begann mit lauter Stimme sein Gebet zu sprechen. Aber die Klänge des
Freiheitsliedes drohten die heiligen Worte zu verschlingen.

Herr von Wenkendorff war es, der die Situation rettete. Er gab den
Junkern ein Zeichen und stimmte mit tiefem Baß das alte Lutherlied an:


Sturm

ausgehoben. Dort stellten sich jetzt die Leidtragenden auf, soweit sie Platz
fanden.

Pastor Tannebaum sprach schlicht und warm von dem getreuen Knecht, der
hier zur letzten Ruhe gebettet wurde. Nur, daß er das Gleichnis zu wörtlich
nahm, in einem Sinne, der des Barons Absichten nicht durchschaute. Denn
nicht seinen Diener Sandberg wollte er verherrlicht hören, sondern den Diener
Gottes, als des Inbegriffs höchster Treue und Rechtschaffenheit.

Als die Trauergäste an die Grube herantraten, um von dem Toten mit
einer Handvoll Erde Abschied zu nehmen, kämpfte Herr von Wenkendorff mit
der Versuchung, seinen Empfindungen Ausdruck zu geben. Aber die Tränen
erstickten ihm die Worte im Munde.

In diesem schmerzlichen Augenblick wurde die Aufmerksamkeit der Ver¬
sammlung durch die Klänge eines Liedes abgelenkt, die aus dem Walde
heranwogten. Unbekümmert darum, betete Pastor Tannebaum das Vaterunser.
Aber als er den Segen gesprochen hatte, sah auch er in die Richtung des
Stimmenbransens.

Wie eine rote Flut wälzte es sich aus den grünen Tannen hervor: rote
Banner wehten im Winde, von Männern getragen, die ihre Schultern mit roten
Schärpen geschmückt hatten. In ungeordnetem Zuge folgten ganze Trupps
ebensolcher Gestalten. Sie kamen geraden Weges auf den Friedhof zu und um¬
stellten die kleine Totenhalle, in der der Sarg des roten Reiters stand. Dann
setzte sich der Zug wieder in Bewegung und man sah von dem Hügel aus, wie
der Sarg über den Köpfen der Träger dahinschwankte.

Wieder brauste das Lied auf — es war dieselbe Weise, die den Junkern
in jener Schreckensnacht ins Ohr geklungen war, nur daß sich der revolutionäre
Schwung jetzt zu gemessener Feierlichkeit gewandelt hatte.

Da kam ein Funken vom Geiste Martin Luthers über den kleinen Mann
im schwarzen Talar, der dort oben vor den verwitterten Grabsteinen der
Wenkendorffs stand. Er preßte seine Bibel fester an sich und ging in ruhigem
Schritte den Hügel hinab. Ganz allein ging er, und die Bauern, die die
Wege anfüllten, traten ehrerbietig zurück. Sein geistliches Gewand flatterte
leicht im Winde.

So gelangte er an den Platz, der für das Grab des fremden Reiters
bestimmt war, fast im gleichen Augenblick, wie der rote Heerbann mit dem
Sarge des Toten.

Er stellte sich auf den ausgeworfenen Erdhaufen neben der Gruft und
begann mit lauter Stimme sein Gebet zu sprechen. Aber die Klänge des
Freiheitsliedes drohten die heiligen Worte zu verschlingen.

Herr von Wenkendorff war es, der die Situation rettete. Er gab den
Junkern ein Zeichen und stimmte mit tiefem Baß das alte Lutherlied an:


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[0578] Sturm ausgehoben. Dort stellten sich jetzt die Leidtragenden auf, soweit sie Platz fanden. Pastor Tannebaum sprach schlicht und warm von dem getreuen Knecht, der hier zur letzten Ruhe gebettet wurde. Nur, daß er das Gleichnis zu wörtlich nahm, in einem Sinne, der des Barons Absichten nicht durchschaute. Denn nicht seinen Diener Sandberg wollte er verherrlicht hören, sondern den Diener Gottes, als des Inbegriffs höchster Treue und Rechtschaffenheit. Als die Trauergäste an die Grube herantraten, um von dem Toten mit einer Handvoll Erde Abschied zu nehmen, kämpfte Herr von Wenkendorff mit der Versuchung, seinen Empfindungen Ausdruck zu geben. Aber die Tränen erstickten ihm die Worte im Munde. In diesem schmerzlichen Augenblick wurde die Aufmerksamkeit der Ver¬ sammlung durch die Klänge eines Liedes abgelenkt, die aus dem Walde heranwogten. Unbekümmert darum, betete Pastor Tannebaum das Vaterunser. Aber als er den Segen gesprochen hatte, sah auch er in die Richtung des Stimmenbransens. Wie eine rote Flut wälzte es sich aus den grünen Tannen hervor: rote Banner wehten im Winde, von Männern getragen, die ihre Schultern mit roten Schärpen geschmückt hatten. In ungeordnetem Zuge folgten ganze Trupps ebensolcher Gestalten. Sie kamen geraden Weges auf den Friedhof zu und um¬ stellten die kleine Totenhalle, in der der Sarg des roten Reiters stand. Dann setzte sich der Zug wieder in Bewegung und man sah von dem Hügel aus, wie der Sarg über den Köpfen der Träger dahinschwankte. Wieder brauste das Lied auf — es war dieselbe Weise, die den Junkern in jener Schreckensnacht ins Ohr geklungen war, nur daß sich der revolutionäre Schwung jetzt zu gemessener Feierlichkeit gewandelt hatte. Da kam ein Funken vom Geiste Martin Luthers über den kleinen Mann im schwarzen Talar, der dort oben vor den verwitterten Grabsteinen der Wenkendorffs stand. Er preßte seine Bibel fester an sich und ging in ruhigem Schritte den Hügel hinab. Ganz allein ging er, und die Bauern, die die Wege anfüllten, traten ehrerbietig zurück. Sein geistliches Gewand flatterte leicht im Winde. So gelangte er an den Platz, der für das Grab des fremden Reiters bestimmt war, fast im gleichen Augenblick, wie der rote Heerbann mit dem Sarge des Toten. Er stellte sich auf den ausgeworfenen Erdhaufen neben der Gruft und begann mit lauter Stimme sein Gebet zu sprechen. Aber die Klänge des Freiheitsliedes drohten die heiligen Worte zu verschlingen. Herr von Wenkendorff war es, der die Situation rettete. Er gab den Junkern ein Zeichen und stimmte mit tiefem Baß das alte Lutherlied an:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/578>, abgerufen am 19.10.2024.