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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

Schneidigkeit wenig übrig habe. Ich kann mir doch noch eine bessere Lösung
dieses Konfliktes vorstellen. Glaubst du zum Beispiel, daß Burkhard sich nicht
anders benommen hätte?"

"Es gibt Menschen, die überhaupt niemals in solche Lage kommen. Und
dazu gehört Herr von Burkhard. Alles Laute und Unruhige geht diesen
Naturen von selbst aus dem Weg.

"Siehst du. und die find mir sympathisch, zu ihnen passe ich. Ich komme
immer mehr zu der Überzeugung, daß auch wirkliche Liebe irreführen kann."

"Na, und ist es jetzt ganz verloschen, das Irrlicht?" fragte Edles lächelnd.

Edda seufzte: "Ich gehe ihm nicht nach, wenn es sich wieder einmal
sehen läßt."

"Wenns aber nun brennt, wie die Kandelaber im Aktienklub, ruhig und
klar und rot? Ist es dann das Richtige?"

"Du Glückliche! Wenn du nicht meine Edles wärst, würde ich dich um
Paul beneiden. . ."

"Und wenn es keinen Burkhard gäbe!" setzte die Schwester hinzu.

"Aber Edles! Wenn ich so etwas ganz im allgemeinen sage!" Edda
wandte sich hastig um. Sie war rot geworden bis unter die Haarwurzeln.

Zur rechten Zeit kam Evi ins Zimmer.




Während der Wagen im Schritt hinter dem Sarg dahinfuhr, machte Alexander
von der Borke den Versuch, den schweigsamen Sternburger Gutsherrn aufzuheitern.

"Hätte vor vier Tagen nicht geglaubt, daß ich jemals noch mit dir eine
Wagenfahrt machen würde. Ist doch nicht so ohne -- das Leben!"

"Ja --," Wenkendorff sprach mehr zu sich selbst, "er hätte noch viel davon
haben können, der Junge!" Und in plötzlichem Ausbruch wandte er sich an
seinen Begleiter: "Du ahnst ja nicht, wen ich da zu Grabe trage, Alex!"

"Wissen wir längst, lieber alter Knabe. Die Schmerzen sind die größten,
von denen man nicht reden darf! Siehst du -- du hattest deinen Jungen
neben dir, den du liebtest, und durftest dich doch nicht zu ihm bekennen. Mir
gings ähnlich. Ich mußte jahrzehntelang Liebe heucheln, wo ich keine fühlte.
Fragt sich, was schlimmer ist. Wie sehr du dich auch zurückhalten mußtest --
du konntest deine Gefühle in Handlungen umsetzen, in gemeinsame Arbeit, gemein¬
same Sorge, konntest dich mit ihm an Erfolgen freuen. Clementine und
mir aber fehlte jede Basis des Verstehens. Das ganze Leben war mir ver¬
ekelt, und ich tat mein Teil dazu, es meinen Mitmenschen gleichfalls zu verekeln.
Da rettete mich dieser gesegnete Lungenkatarrh. Im Süden bin ich wieder zu
mir selbst gekommen . . . Was sind wir doch für Esel, daß wir unsere Lebens¬
gefährten nach allen möglichen anderen Gesichtspunkten aussuchen, nur nicht
danach, ob wir zueinander passen. Übrigens rede ich selbstverständlich nur von
mir. Du hast ja nach Linda Sandberg auch wieder eine gute Wahl getroffen!"


Sturm

Schneidigkeit wenig übrig habe. Ich kann mir doch noch eine bessere Lösung
dieses Konfliktes vorstellen. Glaubst du zum Beispiel, daß Burkhard sich nicht
anders benommen hätte?"

„Es gibt Menschen, die überhaupt niemals in solche Lage kommen. Und
dazu gehört Herr von Burkhard. Alles Laute und Unruhige geht diesen
Naturen von selbst aus dem Weg.

„Siehst du. und die find mir sympathisch, zu ihnen passe ich. Ich komme
immer mehr zu der Überzeugung, daß auch wirkliche Liebe irreführen kann."

„Na, und ist es jetzt ganz verloschen, das Irrlicht?" fragte Edles lächelnd.

Edda seufzte: „Ich gehe ihm nicht nach, wenn es sich wieder einmal
sehen läßt."

„Wenns aber nun brennt, wie die Kandelaber im Aktienklub, ruhig und
klar und rot? Ist es dann das Richtige?"

„Du Glückliche! Wenn du nicht meine Edles wärst, würde ich dich um
Paul beneiden. . ."

„Und wenn es keinen Burkhard gäbe!" setzte die Schwester hinzu.

„Aber Edles! Wenn ich so etwas ganz im allgemeinen sage!" Edda
wandte sich hastig um. Sie war rot geworden bis unter die Haarwurzeln.

Zur rechten Zeit kam Evi ins Zimmer.




Während der Wagen im Schritt hinter dem Sarg dahinfuhr, machte Alexander
von der Borke den Versuch, den schweigsamen Sternburger Gutsherrn aufzuheitern.

„Hätte vor vier Tagen nicht geglaubt, daß ich jemals noch mit dir eine
Wagenfahrt machen würde. Ist doch nicht so ohne — das Leben!"

„Ja —," Wenkendorff sprach mehr zu sich selbst, „er hätte noch viel davon
haben können, der Junge!" Und in plötzlichem Ausbruch wandte er sich an
seinen Begleiter: „Du ahnst ja nicht, wen ich da zu Grabe trage, Alex!"

„Wissen wir längst, lieber alter Knabe. Die Schmerzen sind die größten,
von denen man nicht reden darf! Siehst du — du hattest deinen Jungen
neben dir, den du liebtest, und durftest dich doch nicht zu ihm bekennen. Mir
gings ähnlich. Ich mußte jahrzehntelang Liebe heucheln, wo ich keine fühlte.
Fragt sich, was schlimmer ist. Wie sehr du dich auch zurückhalten mußtest —
du konntest deine Gefühle in Handlungen umsetzen, in gemeinsame Arbeit, gemein¬
same Sorge, konntest dich mit ihm an Erfolgen freuen. Clementine und
mir aber fehlte jede Basis des Verstehens. Das ganze Leben war mir ver¬
ekelt, und ich tat mein Teil dazu, es meinen Mitmenschen gleichfalls zu verekeln.
Da rettete mich dieser gesegnete Lungenkatarrh. Im Süden bin ich wieder zu
mir selbst gekommen . . . Was sind wir doch für Esel, daß wir unsere Lebens¬
gefährten nach allen möglichen anderen Gesichtspunkten aussuchen, nur nicht
danach, ob wir zueinander passen. Übrigens rede ich selbstverständlich nur von
mir. Du hast ja nach Linda Sandberg auch wieder eine gute Wahl getroffen!"


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[0576] Sturm Schneidigkeit wenig übrig habe. Ich kann mir doch noch eine bessere Lösung dieses Konfliktes vorstellen. Glaubst du zum Beispiel, daß Burkhard sich nicht anders benommen hätte?" „Es gibt Menschen, die überhaupt niemals in solche Lage kommen. Und dazu gehört Herr von Burkhard. Alles Laute und Unruhige geht diesen Naturen von selbst aus dem Weg. „Siehst du. und die find mir sympathisch, zu ihnen passe ich. Ich komme immer mehr zu der Überzeugung, daß auch wirkliche Liebe irreführen kann." „Na, und ist es jetzt ganz verloschen, das Irrlicht?" fragte Edles lächelnd. Edda seufzte: „Ich gehe ihm nicht nach, wenn es sich wieder einmal sehen läßt." „Wenns aber nun brennt, wie die Kandelaber im Aktienklub, ruhig und klar und rot? Ist es dann das Richtige?" „Du Glückliche! Wenn du nicht meine Edles wärst, würde ich dich um Paul beneiden. . ." „Und wenn es keinen Burkhard gäbe!" setzte die Schwester hinzu. „Aber Edles! Wenn ich so etwas ganz im allgemeinen sage!" Edda wandte sich hastig um. Sie war rot geworden bis unter die Haarwurzeln. Zur rechten Zeit kam Evi ins Zimmer. Während der Wagen im Schritt hinter dem Sarg dahinfuhr, machte Alexander von der Borke den Versuch, den schweigsamen Sternburger Gutsherrn aufzuheitern. „Hätte vor vier Tagen nicht geglaubt, daß ich jemals noch mit dir eine Wagenfahrt machen würde. Ist doch nicht so ohne — das Leben!" „Ja —," Wenkendorff sprach mehr zu sich selbst, „er hätte noch viel davon haben können, der Junge!" Und in plötzlichem Ausbruch wandte er sich an seinen Begleiter: „Du ahnst ja nicht, wen ich da zu Grabe trage, Alex!" „Wissen wir längst, lieber alter Knabe. Die Schmerzen sind die größten, von denen man nicht reden darf! Siehst du — du hattest deinen Jungen neben dir, den du liebtest, und durftest dich doch nicht zu ihm bekennen. Mir gings ähnlich. Ich mußte jahrzehntelang Liebe heucheln, wo ich keine fühlte. Fragt sich, was schlimmer ist. Wie sehr du dich auch zurückhalten mußtest — du konntest deine Gefühle in Handlungen umsetzen, in gemeinsame Arbeit, gemein¬ same Sorge, konntest dich mit ihm an Erfolgen freuen. Clementine und mir aber fehlte jede Basis des Verstehens. Das ganze Leben war mir ver¬ ekelt, und ich tat mein Teil dazu, es meinen Mitmenschen gleichfalls zu verekeln. Da rettete mich dieser gesegnete Lungenkatarrh. Im Süden bin ich wieder zu mir selbst gekommen . . . Was sind wir doch für Esel, daß wir unsere Lebens¬ gefährten nach allen möglichen anderen Gesichtspunkten aussuchen, nur nicht danach, ob wir zueinander passen. Übrigens rede ich selbstverständlich nur von mir. Du hast ja nach Linda Sandberg auch wieder eine gute Wahl getroffen!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/576>, abgerufen am 20.10.2024.