Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die volkswirtschaftliche Entwicklung Bulgariens

Gesamtwert der Webstätten und Fabriken der Textilindustrie Bulgariens beträgt
etwa 10 Millionen Franken. Im ganzen existieren etwa 26 Fabriken, die etwa
3000 Arbeiter beschäftigen. Der jährliche Export beträgt 3 Millionen Franken,
der Absatz im Heimatlande etwa 10 Millionen Franken. In neuerer Zeit hat
Bulgarien der heimischen Textilindustrie durch Einführung eines hohen Schutz¬
zolles eine weitere Zukunft gesichert.

Diese günstige Entwicklung setzte erst mit dem Jahre 1894 ein; besonders
bedeutungsvoll wirkte das "Gesetz zur Anspornung der Industrie", das den
Großunternehmungen außerordentliche Vergünstigungen gewährte, so die Be¬
freiung von einzelnen Steuern, die Zollfreiheit für eingeführte Maschinen,
Tarifermäßigung auf bulgarischen Eisenbahnen und schließlich Bevorzugung bei
Submissionen. Zehn Jahre später existierten bereits 207 Fabriken, die an¬
nähernd 5000 Arbeiter beschäftigen. Die jährliche Produktion betrug im ganzen
41503 520 Franken. Durchschnittlich beschäftigte jedes Unternehmen 37 Arbeiter
mit 560 Franken Arbeitslohn.

In letzter Zeit wurden noch einige Unternehmungen gegründet, so zwei
Tabakfabriken mit einem Kapital von 4 resp. 3 Millionen Franken und drei
Zuckerfabriken. Der größte Nachteil für diese Fabriken ist der Mangel an
geschulten Arbeitern, deshalb findet man auch in den meisten Betrieben
ausländische, speziell deutsche Werkmeister. Die Arbeiter haben meist eine längere
Arbeitszeit wie bei uns, denn in vielen Gewerben arbeitet man von Sonnenauf-
bis Sonnenuntergang. Die meisten Fabriken (58 Prozent) beschäftigen 5 bis
30 Arbeiter, 10 Fabriken haben mehr als 100 Arbeiter, davon eine mehr als
1000. Die bei den meisten Fabriken angewandte motorische Kraft ist Wasser,
jedoch bricht sich die Elektrizität immer mehr Bahn.

Vom sozialen Standpunkt ist es bedauerlich, daß mehr als die Hälfte aller
Arbeiter Frauen sind. Vor einer Ausbeutung des Arbeiterstandes schützt auch
hier eine Arbeitergesetzgebung, welche die sozialen Ideen zum Ausdruck bringt.

Zum Schluß sei noch ein Blick auf den Handel Bulgariens geworfen.

Nachstehende Zahlen mögen den Außenhandel Bulgariens skizzieren:

Wert in Franken des
Imports Exports
Handelsbilanz
Jahr
188664 285 30950 404 318- 13 380 995
189034 630 49771 051123-- 13 479 374
189499 229 19372 850 675-- 26 373 513
190046 342 10053 982 629-j- 7 640 529
1904129 689 577157 618 914-- 27 929 337
1906108 474 373114 573 356-i- 6 093 983
1908130 150 642112 356 997-- 17 793 645
1909160 429 624111 433 633-- 48 995 941
1910177 356 723129 052 205-- 48 304 513

Nach der Befreiung Bulgariens hatten in erster Linie zwei Mächte auf
den Handel des Landes Einfluß: Österreich und England. Nach dem Berliner


Die volkswirtschaftliche Entwicklung Bulgariens

Gesamtwert der Webstätten und Fabriken der Textilindustrie Bulgariens beträgt
etwa 10 Millionen Franken. Im ganzen existieren etwa 26 Fabriken, die etwa
3000 Arbeiter beschäftigen. Der jährliche Export beträgt 3 Millionen Franken,
der Absatz im Heimatlande etwa 10 Millionen Franken. In neuerer Zeit hat
Bulgarien der heimischen Textilindustrie durch Einführung eines hohen Schutz¬
zolles eine weitere Zukunft gesichert.

Diese günstige Entwicklung setzte erst mit dem Jahre 1894 ein; besonders
bedeutungsvoll wirkte das „Gesetz zur Anspornung der Industrie", das den
Großunternehmungen außerordentliche Vergünstigungen gewährte, so die Be¬
freiung von einzelnen Steuern, die Zollfreiheit für eingeführte Maschinen,
Tarifermäßigung auf bulgarischen Eisenbahnen und schließlich Bevorzugung bei
Submissionen. Zehn Jahre später existierten bereits 207 Fabriken, die an¬
nähernd 5000 Arbeiter beschäftigen. Die jährliche Produktion betrug im ganzen
41503 520 Franken. Durchschnittlich beschäftigte jedes Unternehmen 37 Arbeiter
mit 560 Franken Arbeitslohn.

In letzter Zeit wurden noch einige Unternehmungen gegründet, so zwei
Tabakfabriken mit einem Kapital von 4 resp. 3 Millionen Franken und drei
Zuckerfabriken. Der größte Nachteil für diese Fabriken ist der Mangel an
geschulten Arbeitern, deshalb findet man auch in den meisten Betrieben
ausländische, speziell deutsche Werkmeister. Die Arbeiter haben meist eine längere
Arbeitszeit wie bei uns, denn in vielen Gewerben arbeitet man von Sonnenauf-
bis Sonnenuntergang. Die meisten Fabriken (58 Prozent) beschäftigen 5 bis
30 Arbeiter, 10 Fabriken haben mehr als 100 Arbeiter, davon eine mehr als
1000. Die bei den meisten Fabriken angewandte motorische Kraft ist Wasser,
jedoch bricht sich die Elektrizität immer mehr Bahn.

Vom sozialen Standpunkt ist es bedauerlich, daß mehr als die Hälfte aller
Arbeiter Frauen sind. Vor einer Ausbeutung des Arbeiterstandes schützt auch
hier eine Arbeitergesetzgebung, welche die sozialen Ideen zum Ausdruck bringt.

Zum Schluß sei noch ein Blick auf den Handel Bulgariens geworfen.

Nachstehende Zahlen mögen den Außenhandel Bulgariens skizzieren:

Wert in Franken des
Imports Exports
Handelsbilanz
Jahr
188664 285 30950 404 318- 13 380 995
189034 630 49771 051123— 13 479 374
189499 229 19372 850 675— 26 373 513
190046 342 10053 982 629-j- 7 640 529
1904129 689 577157 618 914-- 27 929 337
1906108 474 373114 573 356-i- 6 093 983
1908130 150 642112 356 997— 17 793 645
1909160 429 624111 433 633— 48 995 941
1910177 356 723129 052 205— 48 304 513

Nach der Befreiung Bulgariens hatten in erster Linie zwei Mächte auf
den Handel des Landes Einfluß: Österreich und England. Nach dem Berliner


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0571" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326741"/>
          <fw type="header" place="top"> Die volkswirtschaftliche Entwicklung Bulgariens</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2742" prev="#ID_2741"> Gesamtwert der Webstätten und Fabriken der Textilindustrie Bulgariens beträgt<lb/>
etwa 10 Millionen Franken. Im ganzen existieren etwa 26 Fabriken, die etwa<lb/>
3000 Arbeiter beschäftigen. Der jährliche Export beträgt 3 Millionen Franken,<lb/>
der Absatz im Heimatlande etwa 10 Millionen Franken. In neuerer Zeit hat<lb/>
Bulgarien der heimischen Textilindustrie durch Einführung eines hohen Schutz¬<lb/>
zolles eine weitere Zukunft gesichert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2743"> Diese günstige Entwicklung setzte erst mit dem Jahre 1894 ein; besonders<lb/>
bedeutungsvoll wirkte das &#x201E;Gesetz zur Anspornung der Industrie", das den<lb/>
Großunternehmungen außerordentliche Vergünstigungen gewährte, so die Be¬<lb/>
freiung von einzelnen Steuern, die Zollfreiheit für eingeführte Maschinen,<lb/>
Tarifermäßigung auf bulgarischen Eisenbahnen und schließlich Bevorzugung bei<lb/>
Submissionen. Zehn Jahre später existierten bereits 207 Fabriken, die an¬<lb/>
nähernd 5000 Arbeiter beschäftigen. Die jährliche Produktion betrug im ganzen<lb/>
41503 520 Franken. Durchschnittlich beschäftigte jedes Unternehmen 37 Arbeiter<lb/>
mit 560 Franken Arbeitslohn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2744"> In letzter Zeit wurden noch einige Unternehmungen gegründet, so zwei<lb/>
Tabakfabriken mit einem Kapital von 4 resp. 3 Millionen Franken und drei<lb/>
Zuckerfabriken. Der größte Nachteil für diese Fabriken ist der Mangel an<lb/>
geschulten Arbeitern, deshalb findet man auch in den meisten Betrieben<lb/>
ausländische, speziell deutsche Werkmeister. Die Arbeiter haben meist eine längere<lb/>
Arbeitszeit wie bei uns, denn in vielen Gewerben arbeitet man von Sonnenauf-<lb/>
bis Sonnenuntergang. Die meisten Fabriken (58 Prozent) beschäftigen 5 bis<lb/>
30 Arbeiter, 10 Fabriken haben mehr als 100 Arbeiter, davon eine mehr als<lb/>
1000. Die bei den meisten Fabriken angewandte motorische Kraft ist Wasser,<lb/>
jedoch bricht sich die Elektrizität immer mehr Bahn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2745"> Vom sozialen Standpunkt ist es bedauerlich, daß mehr als die Hälfte aller<lb/>
Arbeiter Frauen sind. Vor einer Ausbeutung des Arbeiterstandes schützt auch<lb/>
hier eine Arbeitergesetzgebung, welche die sozialen Ideen zum Ausdruck bringt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2746"> Zum Schluß sei noch ein Blick auf den Handel Bulgariens geworfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2747"> Nachstehende Zahlen mögen den Außenhandel Bulgariens skizzieren:</p><lb/>
          <list>
            <item> Wert in Franken des<lb/>
Imports Exports</item>
            <item> Handelsbilanz</item>
            <item> Jahr</item>
            <item> 188664 285 30950 404 318- 13 380 995</item>
            <item> 189034 630 49771 051123&#x2014; 13 479 374</item>
            <item> 189499 229 19372 850 675&#x2014; 26 373 513</item>
            <item> 190046 342 10053 982 629-j-  7 640 529</item>
            <item> 1904129 689 577157 618 914-- 27 929 337</item>
            <item> 1906108 474 373114 573 356-i-  6 093 983</item>
            <item> 1908130 150 642112 356 997&#x2014; 17 793 645</item>
            <item> 1909160 429 624111 433 633&#x2014; 48 995 941</item>
            <item> 1910177 356 723129 052 205&#x2014; 48 304 513</item>
          </list><lb/>
          <p xml:id="ID_2748" next="#ID_2749"> Nach der Befreiung Bulgariens hatten in erster Linie zwei Mächte auf<lb/>
den Handel des Landes Einfluß: Österreich und England. Nach dem Berliner</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0571] Die volkswirtschaftliche Entwicklung Bulgariens Gesamtwert der Webstätten und Fabriken der Textilindustrie Bulgariens beträgt etwa 10 Millionen Franken. Im ganzen existieren etwa 26 Fabriken, die etwa 3000 Arbeiter beschäftigen. Der jährliche Export beträgt 3 Millionen Franken, der Absatz im Heimatlande etwa 10 Millionen Franken. In neuerer Zeit hat Bulgarien der heimischen Textilindustrie durch Einführung eines hohen Schutz¬ zolles eine weitere Zukunft gesichert. Diese günstige Entwicklung setzte erst mit dem Jahre 1894 ein; besonders bedeutungsvoll wirkte das „Gesetz zur Anspornung der Industrie", das den Großunternehmungen außerordentliche Vergünstigungen gewährte, so die Be¬ freiung von einzelnen Steuern, die Zollfreiheit für eingeführte Maschinen, Tarifermäßigung auf bulgarischen Eisenbahnen und schließlich Bevorzugung bei Submissionen. Zehn Jahre später existierten bereits 207 Fabriken, die an¬ nähernd 5000 Arbeiter beschäftigen. Die jährliche Produktion betrug im ganzen 41503 520 Franken. Durchschnittlich beschäftigte jedes Unternehmen 37 Arbeiter mit 560 Franken Arbeitslohn. In letzter Zeit wurden noch einige Unternehmungen gegründet, so zwei Tabakfabriken mit einem Kapital von 4 resp. 3 Millionen Franken und drei Zuckerfabriken. Der größte Nachteil für diese Fabriken ist der Mangel an geschulten Arbeitern, deshalb findet man auch in den meisten Betrieben ausländische, speziell deutsche Werkmeister. Die Arbeiter haben meist eine längere Arbeitszeit wie bei uns, denn in vielen Gewerben arbeitet man von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Die meisten Fabriken (58 Prozent) beschäftigen 5 bis 30 Arbeiter, 10 Fabriken haben mehr als 100 Arbeiter, davon eine mehr als 1000. Die bei den meisten Fabriken angewandte motorische Kraft ist Wasser, jedoch bricht sich die Elektrizität immer mehr Bahn. Vom sozialen Standpunkt ist es bedauerlich, daß mehr als die Hälfte aller Arbeiter Frauen sind. Vor einer Ausbeutung des Arbeiterstandes schützt auch hier eine Arbeitergesetzgebung, welche die sozialen Ideen zum Ausdruck bringt. Zum Schluß sei noch ein Blick auf den Handel Bulgariens geworfen. Nachstehende Zahlen mögen den Außenhandel Bulgariens skizzieren: Wert in Franken des Imports Exports Handelsbilanz Jahr 188664 285 30950 404 318- 13 380 995 189034 630 49771 051123— 13 479 374 189499 229 19372 850 675— 26 373 513 190046 342 10053 982 629-j- 7 640 529 1904129 689 577157 618 914-- 27 929 337 1906108 474 373114 573 356-i- 6 093 983 1908130 150 642112 356 997— 17 793 645 1909160 429 624111 433 633— 48 995 941 1910177 356 723129 052 205— 48 304 513 Nach der Befreiung Bulgariens hatten in erster Linie zwei Mächte auf den Handel des Landes Einfluß: Österreich und England. Nach dem Berliner

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/571
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/571>, abgerufen am 20.10.2024.