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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Internationales Recht und internationale Rechtsgemeinschaft

ist umgekehrt auch das Vorhandensein eigener, zur Äußerung des Gemeinschafts-
ivillens und insbesondere zur Geltendmachung des Willensinhalts des objektiven
Rechts in der Gemeinschaft dienender Organe möglich. Dabei kann die Orga¬
nisation der Gemeinschaften in folgender Weise auseinandergehen. Die Ge¬
meinschaftsorgane können nur die Sammelstellen für die summenweise zu¬
sammengefaßten Einzelwillen der Gemeinschaftsglieder sein. Oder der durch die
Gemeinschaftsorgane zum Ausdruck gebrachte Gemeinschaftswille kann auch in
rechtlicher Selbständigkeit und Einheitlichkeit den Einzelwillen der Gemeinschafts-
glieder -- auch bei summenweiser Zusammenfassung derselben -- gegenüber¬
treten. Im letzteren Falle ist die organisierte Gemeinschaft ein Gemeinwesen
(Jelliney und selbst Rechtsträger. Sie besitzt eigene Persönlichkeit gegenüber
den Rechtspersonen der einzelnen Gemeinschastsglieder.

Unter den organisierten Gemeinschaften mit dem Charakter eines Gemein¬
wesens steht für die rechtliche Betrachtung an erster Stelle der Staat. Sein
wesentlichstes Charakterzeichen ist die Ausstattung des Gemeinschaftswillens mit
der Staatsgewalt, d. h. mit der eigenständigen Fähigkeit, den vom Gemeinschafts¬
willen ausgehenden Geboten gegen Widerstrebende mit Zwang Nachachtung zu
verschaffen. Nicht daß alle vom Gemeinschaftswillen ausgehenden Gebote oder
Akte etwa mit dem Zwangscharakter versehen sein müssen, erfordert die Natur
des Staates. Ein Staatswesen ist ein Gemeinwesen, wo nur immer eigen-
stündig die Fähigkeit vorhanden sein muß, den Gemeinschaftswillen zwangsweise
durchzusetzen. Durch den Besitz der Staatsgewalt, die sich ihrem Wesen nach
also als eine eigenständige Befehlsmacht (Herrschaft) darstellt, unterscheidet sich
das staatliche Gemeinwesen von anderen Gemeinwesen und Gemeinschaften.
Dieselben können Gliederungen innerhalb des staatlichen Gemeinwesens sein,
aber auch unter Umständen den Kreis eines staatlichen Gemeinwesens über¬
schreiten und teilweise über dessen Grenzen hinaus sich ausdehnen. Immer
aber, wenn in nichtstaatlichen Gemeinwesen und Gemeinschaften Zwang gegen
widerstrebende Glieder geübt werden soll, kann solches nur in Entlehnung von
dem zustündigen staatlichen Gemeinwesen geschehen. Der Staat ist der Brenn¬
punkt alles sozialen Zwanges.

Vermöge des Besitzes der Staatsgewalt ist das staatliche Gemeinwesen
allen seinem Machtbereiche eingegliederten menschlichen Willensträgern überlegen.
Aber nach oben hin braucht die Staatsgewalt nicht schlechthin unabhängig oder
mit einem hierfür eingebürgerten Kunstausdruck "souverän" zu sein. Es gibt
souveräne und nichtsouverüne Staatsgewalten. Die nichtsouveräne Staatsgewalt
ist das Attribut des Gemeinschaftswillens in einem staatlichen Gemeinwesen,
welches selbst einen? andern staatlichen Gemeinwesen mit einer überlegenen Staats¬
gewalt durch den entscheidenden Willen der letzteren eingegliedert ist und von
derselben im Ungehorsamsfall auch zur Nachachtung der erteilten Gebote gezwungen
werden kann. Dagegen kommt die Eigenschaft der Souveränetät jeder Staats¬
gewalt zu. welche nach oben hin einer derartigen staatlichen Beherrschung nicht


Internationales Recht und internationale Rechtsgemeinschaft

ist umgekehrt auch das Vorhandensein eigener, zur Äußerung des Gemeinschafts-
ivillens und insbesondere zur Geltendmachung des Willensinhalts des objektiven
Rechts in der Gemeinschaft dienender Organe möglich. Dabei kann die Orga¬
nisation der Gemeinschaften in folgender Weise auseinandergehen. Die Ge¬
meinschaftsorgane können nur die Sammelstellen für die summenweise zu¬
sammengefaßten Einzelwillen der Gemeinschaftsglieder sein. Oder der durch die
Gemeinschaftsorgane zum Ausdruck gebrachte Gemeinschaftswille kann auch in
rechtlicher Selbständigkeit und Einheitlichkeit den Einzelwillen der Gemeinschafts-
glieder — auch bei summenweiser Zusammenfassung derselben — gegenüber¬
treten. Im letzteren Falle ist die organisierte Gemeinschaft ein Gemeinwesen
(Jelliney und selbst Rechtsträger. Sie besitzt eigene Persönlichkeit gegenüber
den Rechtspersonen der einzelnen Gemeinschastsglieder.

Unter den organisierten Gemeinschaften mit dem Charakter eines Gemein¬
wesens steht für die rechtliche Betrachtung an erster Stelle der Staat. Sein
wesentlichstes Charakterzeichen ist die Ausstattung des Gemeinschaftswillens mit
der Staatsgewalt, d. h. mit der eigenständigen Fähigkeit, den vom Gemeinschafts¬
willen ausgehenden Geboten gegen Widerstrebende mit Zwang Nachachtung zu
verschaffen. Nicht daß alle vom Gemeinschaftswillen ausgehenden Gebote oder
Akte etwa mit dem Zwangscharakter versehen sein müssen, erfordert die Natur
des Staates. Ein Staatswesen ist ein Gemeinwesen, wo nur immer eigen-
stündig die Fähigkeit vorhanden sein muß, den Gemeinschaftswillen zwangsweise
durchzusetzen. Durch den Besitz der Staatsgewalt, die sich ihrem Wesen nach
also als eine eigenständige Befehlsmacht (Herrschaft) darstellt, unterscheidet sich
das staatliche Gemeinwesen von anderen Gemeinwesen und Gemeinschaften.
Dieselben können Gliederungen innerhalb des staatlichen Gemeinwesens sein,
aber auch unter Umständen den Kreis eines staatlichen Gemeinwesens über¬
schreiten und teilweise über dessen Grenzen hinaus sich ausdehnen. Immer
aber, wenn in nichtstaatlichen Gemeinwesen und Gemeinschaften Zwang gegen
widerstrebende Glieder geübt werden soll, kann solches nur in Entlehnung von
dem zustündigen staatlichen Gemeinwesen geschehen. Der Staat ist der Brenn¬
punkt alles sozialen Zwanges.

Vermöge des Besitzes der Staatsgewalt ist das staatliche Gemeinwesen
allen seinem Machtbereiche eingegliederten menschlichen Willensträgern überlegen.
Aber nach oben hin braucht die Staatsgewalt nicht schlechthin unabhängig oder
mit einem hierfür eingebürgerten Kunstausdruck „souverän" zu sein. Es gibt
souveräne und nichtsouverüne Staatsgewalten. Die nichtsouveräne Staatsgewalt
ist das Attribut des Gemeinschaftswillens in einem staatlichen Gemeinwesen,
welches selbst einen? andern staatlichen Gemeinwesen mit einer überlegenen Staats¬
gewalt durch den entscheidenden Willen der letzteren eingegliedert ist und von
derselben im Ungehorsamsfall auch zur Nachachtung der erteilten Gebote gezwungen
werden kann. Dagegen kommt die Eigenschaft der Souveränetät jeder Staats¬
gewalt zu. welche nach oben hin einer derartigen staatlichen Beherrschung nicht


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[0545] Internationales Recht und internationale Rechtsgemeinschaft ist umgekehrt auch das Vorhandensein eigener, zur Äußerung des Gemeinschafts- ivillens und insbesondere zur Geltendmachung des Willensinhalts des objektiven Rechts in der Gemeinschaft dienender Organe möglich. Dabei kann die Orga¬ nisation der Gemeinschaften in folgender Weise auseinandergehen. Die Ge¬ meinschaftsorgane können nur die Sammelstellen für die summenweise zu¬ sammengefaßten Einzelwillen der Gemeinschaftsglieder sein. Oder der durch die Gemeinschaftsorgane zum Ausdruck gebrachte Gemeinschaftswille kann auch in rechtlicher Selbständigkeit und Einheitlichkeit den Einzelwillen der Gemeinschafts- glieder — auch bei summenweiser Zusammenfassung derselben — gegenüber¬ treten. Im letzteren Falle ist die organisierte Gemeinschaft ein Gemeinwesen (Jelliney und selbst Rechtsträger. Sie besitzt eigene Persönlichkeit gegenüber den Rechtspersonen der einzelnen Gemeinschastsglieder. Unter den organisierten Gemeinschaften mit dem Charakter eines Gemein¬ wesens steht für die rechtliche Betrachtung an erster Stelle der Staat. Sein wesentlichstes Charakterzeichen ist die Ausstattung des Gemeinschaftswillens mit der Staatsgewalt, d. h. mit der eigenständigen Fähigkeit, den vom Gemeinschafts¬ willen ausgehenden Geboten gegen Widerstrebende mit Zwang Nachachtung zu verschaffen. Nicht daß alle vom Gemeinschaftswillen ausgehenden Gebote oder Akte etwa mit dem Zwangscharakter versehen sein müssen, erfordert die Natur des Staates. Ein Staatswesen ist ein Gemeinwesen, wo nur immer eigen- stündig die Fähigkeit vorhanden sein muß, den Gemeinschaftswillen zwangsweise durchzusetzen. Durch den Besitz der Staatsgewalt, die sich ihrem Wesen nach also als eine eigenständige Befehlsmacht (Herrschaft) darstellt, unterscheidet sich das staatliche Gemeinwesen von anderen Gemeinwesen und Gemeinschaften. Dieselben können Gliederungen innerhalb des staatlichen Gemeinwesens sein, aber auch unter Umständen den Kreis eines staatlichen Gemeinwesens über¬ schreiten und teilweise über dessen Grenzen hinaus sich ausdehnen. Immer aber, wenn in nichtstaatlichen Gemeinwesen und Gemeinschaften Zwang gegen widerstrebende Glieder geübt werden soll, kann solches nur in Entlehnung von dem zustündigen staatlichen Gemeinwesen geschehen. Der Staat ist der Brenn¬ punkt alles sozialen Zwanges. Vermöge des Besitzes der Staatsgewalt ist das staatliche Gemeinwesen allen seinem Machtbereiche eingegliederten menschlichen Willensträgern überlegen. Aber nach oben hin braucht die Staatsgewalt nicht schlechthin unabhängig oder mit einem hierfür eingebürgerten Kunstausdruck „souverän" zu sein. Es gibt souveräne und nichtsouverüne Staatsgewalten. Die nichtsouveräne Staatsgewalt ist das Attribut des Gemeinschaftswillens in einem staatlichen Gemeinwesen, welches selbst einen? andern staatlichen Gemeinwesen mit einer überlegenen Staats¬ gewalt durch den entscheidenden Willen der letzteren eingegliedert ist und von derselben im Ungehorsamsfall auch zur Nachachtung der erteilten Gebote gezwungen werden kann. Dagegen kommt die Eigenschaft der Souveränetät jeder Staats¬ gewalt zu. welche nach oben hin einer derartigen staatlichen Beherrschung nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/545>, abgerufen am 20.10.2024.