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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Internationales Recht und internationale Rechtsgemeinschaft

es gebe kein Recht ohne einen "Rechtsherrn", der als Träger der gesetz¬
geberischen, richterlichen und exekutiven Gewalt auftrete. Auf derartige aprio-
ristische Konstruktionen hat man aber bereits früher durchschlagend geantwortet,
daß das Recht, welches in einem Siaatenverbande nach Bekkerschem Muster
gelten würde, nicht mehr Völkerrecht, sondern Staatsrecht sei, daß der Staaten¬
verband im ganzen selbst ein den Gliedern übergeordneter, souveräner Gesamt¬
staat sein würde, also fundamental verschieden von der durch die Reichsgesetz¬
gebung notorisch vorausgesetzten Völkerrechtsgemeinschaft.

Wie beantwortet nun aber die deutsche Rechtstheorie in ihrer herrschenden
Richtung im einzelnen die Frage nach dem Vorhandensein des Völkerrechts und
einer internationalen Rechtsgemeinschaft?

Das objektive Recht ist an sich ein Inbegriff von unbedingt verpflichtenden
Normen für die äußeren freien Handlungen der Glieder einer bestimmten
menschlichen Gemeinschaft. (Ubi 8vListas, ibi ju8 est!) Die Rechtsnormen
grenzen die wechselseitigen Willenssphären der anerkannten Willensträger ab und
stellen darum die für Sein und Bestehenbleiben der fraglichen menschlichen Ge¬
meinschaft notwendige Ordnung dar. Sie wurzeln in dem der Menschennatur
ohne weiteres mitgegebenen Ordnungs- und Gerechtigkeitstrieb und sind,
gegründet auf die die Gemeinschaft gemeinhin durchziehende Überzeugung von ihrer
unbedingten Befolgsamkeit, letzten Endes das Produkt des die Gemeinschaft zu¬
sammenhaltenden und belebenden Gemeinschaftswillens (vgl. Gierke, Deutsches
Privatrecht I S. 113 ff.).

Die menschliche Gemeinschaft, innerhalb deren die Geltung von objektivem
Recht möglich ist, kann auf doppelte Art zur Entstehung gelangen. Ihre
Bildung kann einmal auf dem Willen der Gemeinschafter beruhen: sei es dem
von vornherein darauf gerichteten, ursprünglichen Gründungswillen derselben,
sei es dem ihre Einigung nachträglich gutheißenden Willen jener. Anderseits
kann aber auch die Entstehung einer solchen menschlichen Gemeinschaft die erst
allmählich zum Bewußtsein gediehene Folge von irgendwie sich einstellenden
wirtschaftlichen und geistigen Zusammenhängen zwischen den Gemeinschafts¬
gliedern sein. Auch in einer derartigen Gemeinschaft kann das gegenseitige Ver¬
halten der Gemeinschaftsglieder unter dem Banne von Rechtsnormen mit dem
anerkannten Charakter unbedingter Befolgsamkeit verlaufen. Freilich stellt die
Geltung des objektiven Rechts, welches in einer menschlichen Gemeinschaft die
wechselseitigen Willenssphären der anerkannten Willensträger bindend abstecken
soll, an die fragliche Gemeinschaft notwendig die Anforderung der Dauer. Aber
das Vorhandensein besonderer zur Äußerung des Gemeinschaftswillens be¬
stimmter Organe ist nicht durch die Herrschaft des objektiven Rechts in der Ge¬
meinschaft unter allen Umständen bedingt. Der abgesehen von wirtschaftlichen
und kulturellen Zusammenhängen die Gemeinschaft zusammenhaltende Gemein¬
schaftswille kann lediglich in dem Willensinhalt der objektiven Rechtsnormen
selbst, welche in der Gemeinschaft in Geltung gekommen sind, bestehen. Doch


Internationales Recht und internationale Rechtsgemeinschaft

es gebe kein Recht ohne einen „Rechtsherrn", der als Träger der gesetz¬
geberischen, richterlichen und exekutiven Gewalt auftrete. Auf derartige aprio-
ristische Konstruktionen hat man aber bereits früher durchschlagend geantwortet,
daß das Recht, welches in einem Siaatenverbande nach Bekkerschem Muster
gelten würde, nicht mehr Völkerrecht, sondern Staatsrecht sei, daß der Staaten¬
verband im ganzen selbst ein den Gliedern übergeordneter, souveräner Gesamt¬
staat sein würde, also fundamental verschieden von der durch die Reichsgesetz¬
gebung notorisch vorausgesetzten Völkerrechtsgemeinschaft.

Wie beantwortet nun aber die deutsche Rechtstheorie in ihrer herrschenden
Richtung im einzelnen die Frage nach dem Vorhandensein des Völkerrechts und
einer internationalen Rechtsgemeinschaft?

Das objektive Recht ist an sich ein Inbegriff von unbedingt verpflichtenden
Normen für die äußeren freien Handlungen der Glieder einer bestimmten
menschlichen Gemeinschaft. (Ubi 8vListas, ibi ju8 est!) Die Rechtsnormen
grenzen die wechselseitigen Willenssphären der anerkannten Willensträger ab und
stellen darum die für Sein und Bestehenbleiben der fraglichen menschlichen Ge¬
meinschaft notwendige Ordnung dar. Sie wurzeln in dem der Menschennatur
ohne weiteres mitgegebenen Ordnungs- und Gerechtigkeitstrieb und sind,
gegründet auf die die Gemeinschaft gemeinhin durchziehende Überzeugung von ihrer
unbedingten Befolgsamkeit, letzten Endes das Produkt des die Gemeinschaft zu¬
sammenhaltenden und belebenden Gemeinschaftswillens (vgl. Gierke, Deutsches
Privatrecht I S. 113 ff.).

Die menschliche Gemeinschaft, innerhalb deren die Geltung von objektivem
Recht möglich ist, kann auf doppelte Art zur Entstehung gelangen. Ihre
Bildung kann einmal auf dem Willen der Gemeinschafter beruhen: sei es dem
von vornherein darauf gerichteten, ursprünglichen Gründungswillen derselben,
sei es dem ihre Einigung nachträglich gutheißenden Willen jener. Anderseits
kann aber auch die Entstehung einer solchen menschlichen Gemeinschaft die erst
allmählich zum Bewußtsein gediehene Folge von irgendwie sich einstellenden
wirtschaftlichen und geistigen Zusammenhängen zwischen den Gemeinschafts¬
gliedern sein. Auch in einer derartigen Gemeinschaft kann das gegenseitige Ver¬
halten der Gemeinschaftsglieder unter dem Banne von Rechtsnormen mit dem
anerkannten Charakter unbedingter Befolgsamkeit verlaufen. Freilich stellt die
Geltung des objektiven Rechts, welches in einer menschlichen Gemeinschaft die
wechselseitigen Willenssphären der anerkannten Willensträger bindend abstecken
soll, an die fragliche Gemeinschaft notwendig die Anforderung der Dauer. Aber
das Vorhandensein besonderer zur Äußerung des Gemeinschaftswillens be¬
stimmter Organe ist nicht durch die Herrschaft des objektiven Rechts in der Ge¬
meinschaft unter allen Umständen bedingt. Der abgesehen von wirtschaftlichen
und kulturellen Zusammenhängen die Gemeinschaft zusammenhaltende Gemein¬
schaftswille kann lediglich in dem Willensinhalt der objektiven Rechtsnormen
selbst, welche in der Gemeinschaft in Geltung gekommen sind, bestehen. Doch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/544>, abgerufen am 21.10.2024.