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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

eines plötzlichen Todes. Und wenige Tage, nachdem der junge Baron endlich
sein Erbe angetreten hatte, machte das unerbittliche Schicksal einen Strich durch
alle seine Pläne.

Linda wurde in vorzeitiger Geburt von einem Knaben entbunden und verschied
in den Armen der alten Tio, zu der sie in ihrer Angst und Schande geflüchtet war.

Mit keiner Silbe hatte das unglückliche Weib den Vater ihres Kindes ver¬
raten, aber die Alte wurde hinter der verschlossenen Tür der Krankenstube
Zeugin eines Schmerzausbruchs von verräterischer Wildheit. So schluchzt ein
Gutsherr nicht um eine simple Schulmeisterstochter, mochte er zehnmal ihres
Vaters Freund gewesen sein.

Die alte Tio hielt wohlweislich den Mund. Von jenen Tagen an datierte
die Vertrauensstellung, die ihr der Gutsherr einräumte. Die erste Pflege des
verwaisten Kindes wurde ihr übertragen und gut bezahlt, und auch in der Folge,
als der Knabe längst in der Familie des Försters untergebracht war, erhielt sie
ihre regelmäßige Unterstützung.

Wie sern lag das alles dem zurückschauenden Auge, und doch, wie lebendig
war es noch in dem Herzen des alten Mannes.

Es folgten zwei stille Jahre, in denen er das Gefühl der Öde um sich her
nur durch eiserne Arbeit bekämpfte. Dann tauchte eine neue Gestalt im Bilde
seines Lebens auf: Eva von Manteuffel, eine arme Verwandte der Schledehausens
auf Tarjomaa.

Von ihr sagte man, sie gliche in Gestalt und Wesen der früh verstorbenen
Baronin Wenkendorff. Tatsächlich fühlte sich der Gutsherr von Sternburg von
Anfang an in seltsamer Sympathie zu dem jungen Mädchen hingezogen. Ihre
gütige Art tat ihm wohl in seiner Verlassenheit. Als er sie um ihre Hand
bat, geschah es nicht aus leidenschaftlicher Liebe, wohl aber aus der Über¬
zeugung, daß ihm an ihrer Seite ein ruhiges Glück beschieden sein würde.
Fünfzehn Jahre dauerte diese Ehe. Sie gingen hin wie ein einziger windstiller
blauer Sommertag.

Seltsam, um wieviel lebendiger ihm jener kurze Traum vor Augen stand.
Die stete Nähe seines Sohnes hatte dazu beigetragen, daß keine der Erinnerungen
an dessen Mutter verlöschte. Hatte er doch dasselbe weißblonde Haar und den
gleichen Gesichtsschnitt wie Linda Sandberg. Seinen Eigensinn freilich hatte er
von den Wenkendorffs. Aber die leidenschaftliche Liebe sür das Volk war ein
Erbe der Mutter und des Großvaters.

Vor zwei Tagen stand Sandberg erst hier und brach eine Lanze für seine
Stammesgenossen. Und heute -- der Schmerz übermannte den Alten von
neuem -- heute galt es, die Sargschrift für ihn auszuwählen.

(Schluß folgt)




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Sturm

eines plötzlichen Todes. Und wenige Tage, nachdem der junge Baron endlich
sein Erbe angetreten hatte, machte das unerbittliche Schicksal einen Strich durch
alle seine Pläne.

Linda wurde in vorzeitiger Geburt von einem Knaben entbunden und verschied
in den Armen der alten Tio, zu der sie in ihrer Angst und Schande geflüchtet war.

Mit keiner Silbe hatte das unglückliche Weib den Vater ihres Kindes ver¬
raten, aber die Alte wurde hinter der verschlossenen Tür der Krankenstube
Zeugin eines Schmerzausbruchs von verräterischer Wildheit. So schluchzt ein
Gutsherr nicht um eine simple Schulmeisterstochter, mochte er zehnmal ihres
Vaters Freund gewesen sein.

Die alte Tio hielt wohlweislich den Mund. Von jenen Tagen an datierte
die Vertrauensstellung, die ihr der Gutsherr einräumte. Die erste Pflege des
verwaisten Kindes wurde ihr übertragen und gut bezahlt, und auch in der Folge,
als der Knabe längst in der Familie des Försters untergebracht war, erhielt sie
ihre regelmäßige Unterstützung.

Wie sern lag das alles dem zurückschauenden Auge, und doch, wie lebendig
war es noch in dem Herzen des alten Mannes.

Es folgten zwei stille Jahre, in denen er das Gefühl der Öde um sich her
nur durch eiserne Arbeit bekämpfte. Dann tauchte eine neue Gestalt im Bilde
seines Lebens auf: Eva von Manteuffel, eine arme Verwandte der Schledehausens
auf Tarjomaa.

Von ihr sagte man, sie gliche in Gestalt und Wesen der früh verstorbenen
Baronin Wenkendorff. Tatsächlich fühlte sich der Gutsherr von Sternburg von
Anfang an in seltsamer Sympathie zu dem jungen Mädchen hingezogen. Ihre
gütige Art tat ihm wohl in seiner Verlassenheit. Als er sie um ihre Hand
bat, geschah es nicht aus leidenschaftlicher Liebe, wohl aber aus der Über¬
zeugung, daß ihm an ihrer Seite ein ruhiges Glück beschieden sein würde.
Fünfzehn Jahre dauerte diese Ehe. Sie gingen hin wie ein einziger windstiller
blauer Sommertag.

Seltsam, um wieviel lebendiger ihm jener kurze Traum vor Augen stand.
Die stete Nähe seines Sohnes hatte dazu beigetragen, daß keine der Erinnerungen
an dessen Mutter verlöschte. Hatte er doch dasselbe weißblonde Haar und den
gleichen Gesichtsschnitt wie Linda Sandberg. Seinen Eigensinn freilich hatte er
von den Wenkendorffs. Aber die leidenschaftliche Liebe sür das Volk war ein
Erbe der Mutter und des Großvaters.

Vor zwei Tagen stand Sandberg erst hier und brach eine Lanze für seine
Stammesgenossen. Und heute — der Schmerz übermannte den Alten von
neuem — heute galt es, die Sargschrift für ihn auszuwählen.

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[0527] Sturm eines plötzlichen Todes. Und wenige Tage, nachdem der junge Baron endlich sein Erbe angetreten hatte, machte das unerbittliche Schicksal einen Strich durch alle seine Pläne. Linda wurde in vorzeitiger Geburt von einem Knaben entbunden und verschied in den Armen der alten Tio, zu der sie in ihrer Angst und Schande geflüchtet war. Mit keiner Silbe hatte das unglückliche Weib den Vater ihres Kindes ver¬ raten, aber die Alte wurde hinter der verschlossenen Tür der Krankenstube Zeugin eines Schmerzausbruchs von verräterischer Wildheit. So schluchzt ein Gutsherr nicht um eine simple Schulmeisterstochter, mochte er zehnmal ihres Vaters Freund gewesen sein. Die alte Tio hielt wohlweislich den Mund. Von jenen Tagen an datierte die Vertrauensstellung, die ihr der Gutsherr einräumte. Die erste Pflege des verwaisten Kindes wurde ihr übertragen und gut bezahlt, und auch in der Folge, als der Knabe längst in der Familie des Försters untergebracht war, erhielt sie ihre regelmäßige Unterstützung. Wie sern lag das alles dem zurückschauenden Auge, und doch, wie lebendig war es noch in dem Herzen des alten Mannes. Es folgten zwei stille Jahre, in denen er das Gefühl der Öde um sich her nur durch eiserne Arbeit bekämpfte. Dann tauchte eine neue Gestalt im Bilde seines Lebens auf: Eva von Manteuffel, eine arme Verwandte der Schledehausens auf Tarjomaa. Von ihr sagte man, sie gliche in Gestalt und Wesen der früh verstorbenen Baronin Wenkendorff. Tatsächlich fühlte sich der Gutsherr von Sternburg von Anfang an in seltsamer Sympathie zu dem jungen Mädchen hingezogen. Ihre gütige Art tat ihm wohl in seiner Verlassenheit. Als er sie um ihre Hand bat, geschah es nicht aus leidenschaftlicher Liebe, wohl aber aus der Über¬ zeugung, daß ihm an ihrer Seite ein ruhiges Glück beschieden sein würde. Fünfzehn Jahre dauerte diese Ehe. Sie gingen hin wie ein einziger windstiller blauer Sommertag. Seltsam, um wieviel lebendiger ihm jener kurze Traum vor Augen stand. Die stete Nähe seines Sohnes hatte dazu beigetragen, daß keine der Erinnerungen an dessen Mutter verlöschte. Hatte er doch dasselbe weißblonde Haar und den gleichen Gesichtsschnitt wie Linda Sandberg. Seinen Eigensinn freilich hatte er von den Wenkendorffs. Aber die leidenschaftliche Liebe sür das Volk war ein Erbe der Mutter und des Großvaters. Vor zwei Tagen stand Sandberg erst hier und brach eine Lanze für seine Stammesgenossen. Und heute — der Schmerz übermannte den Alten von neuem — heute galt es, die Sargschrift für ihn auszuwählen. (Schluß folgt) 33«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/527>, abgerufen am 21.10.2024.