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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

"Das hat leinen Zweck nich, gnädiges Fräulein. Gehn Se lieber ins
Haus. Werd schon fertig werden!"

Madelung schickte sich an, eine neue Rede zu halten, aber Mara ergriff
resolut seinen Arm und zog ihn mit sich.

"Das Volk ist noch zu dumm. Dem muß man mit anderen Gründen kommen!"

Hinter ihnen her schallten höhnische Worte, deren eines Mara das Blut
in die Wangen trieb. Sie sah den Maler von der Seite an und gestand sich,
beinahe erstaunt, daß der von den Leuten ausgesprochene Verdacht ihr keines¬
wegs unangenehm war.

Wieder hatte ihr die Ruhe Madelungs imponiert, und das Gefühl der
Geborgenheit, das sie seit seiner Anwesenheit im Schloß empfand, hatte sich
angesichts der drohenden Haltung der Arbeiter noch verstärkt.

Anderseits hatte sich ihr adliges Blut empört, als sie den Maler die tra¬
ditionelle Distance zwischen Volk und Herrschaft in dieser schmeichlerischen Form
ausschalten sah. Aber es war nur eine flüchtige Empfindung. Beherrschend
blieb die Bewunderung der Konsequenz in dem Charakter dieses plötzlich in ihr
nichtiges und haltloses Leben hineingeschneiten fremden Mannes.

"Er ist wohl ihr Geliebter?" hatte der freche Bursche unten im Hof
gerufen. Gut, daß Madelung das chemische Wort nicht verstanden hatte. Aber
warum schlug dann ihr Herz so heftig dabei? Warum lachte sie nicht darüber?
Ja -- warum regte sich nicht der leiseste Stolz in ihr, bei dem Gedanken, daß
irgend jemand sie, die Freiin von der Borke, in so intime Beziehung zu diesem
namenlosen Künstler brachte?

Ein paar Tage waren erst vergangen, seitdem sie Madelung hinter seiner
Staffelei entdeckt hatte. Und doch schien es ihr, als wären sie seit Jahren
bekannt und vertraut miteinander. Sie hatte in ihm den ersten Menschen
gefunden, mit dem sie über ihre mannigfachen Interessen ernsthaft reden konnte.
Alle anderen hatten entweder ein mitleidiges Lächeln dafür oder vollkommene
Ablehnung.

Mara besaß Menschenkenntnis genug, um zu merken, wie man in ihrem
Kreise über sie dachte. Für einen verschrobenen Blaustrumpf hielt man sie,
dem nur eine Heirat noch Heilung bringen konnte.

Sie hatte gar nichts gegen die Ehe. Aber sie wollte nur den Mann
nehmen, den sie liebte. Zum mindesten wollte sie sicher sein, daß sie nicht aus
Berechnung um ihres Erbes willen gewählt wurde.

In diesem Punkte konnte sie zwar beim Grafen Woldemar beruhigt sein.
Aber Wolly, dieser Kretin, kam für ein intelligentes Mädchen doch wirklich nicht
in Betracht, mochte sich seine Mutter auch zehnmal in den Träumen wiegen,
daß die beharrliche Werbung ihres Sohnes bei Mara schließlich doch Gehör
finden würde. Auch Tante Emerenzia protegierte diese Verbindung des leicht¬
sinnigen Borküller Blutes mit dem frommen des Grafen Hahn. Aber Mara
hatte nur ihre Belustigung an den fruchtlosen Bemühungen der beiden Damen.


Sturm

„Das hat leinen Zweck nich, gnädiges Fräulein. Gehn Se lieber ins
Haus. Werd schon fertig werden!"

Madelung schickte sich an, eine neue Rede zu halten, aber Mara ergriff
resolut seinen Arm und zog ihn mit sich.

„Das Volk ist noch zu dumm. Dem muß man mit anderen Gründen kommen!"

Hinter ihnen her schallten höhnische Worte, deren eines Mara das Blut
in die Wangen trieb. Sie sah den Maler von der Seite an und gestand sich,
beinahe erstaunt, daß der von den Leuten ausgesprochene Verdacht ihr keines¬
wegs unangenehm war.

Wieder hatte ihr die Ruhe Madelungs imponiert, und das Gefühl der
Geborgenheit, das sie seit seiner Anwesenheit im Schloß empfand, hatte sich
angesichts der drohenden Haltung der Arbeiter noch verstärkt.

Anderseits hatte sich ihr adliges Blut empört, als sie den Maler die tra¬
ditionelle Distance zwischen Volk und Herrschaft in dieser schmeichlerischen Form
ausschalten sah. Aber es war nur eine flüchtige Empfindung. Beherrschend
blieb die Bewunderung der Konsequenz in dem Charakter dieses plötzlich in ihr
nichtiges und haltloses Leben hineingeschneiten fremden Mannes.

„Er ist wohl ihr Geliebter?" hatte der freche Bursche unten im Hof
gerufen. Gut, daß Madelung das chemische Wort nicht verstanden hatte. Aber
warum schlug dann ihr Herz so heftig dabei? Warum lachte sie nicht darüber?
Ja — warum regte sich nicht der leiseste Stolz in ihr, bei dem Gedanken, daß
irgend jemand sie, die Freiin von der Borke, in so intime Beziehung zu diesem
namenlosen Künstler brachte?

Ein paar Tage waren erst vergangen, seitdem sie Madelung hinter seiner
Staffelei entdeckt hatte. Und doch schien es ihr, als wären sie seit Jahren
bekannt und vertraut miteinander. Sie hatte in ihm den ersten Menschen
gefunden, mit dem sie über ihre mannigfachen Interessen ernsthaft reden konnte.
Alle anderen hatten entweder ein mitleidiges Lächeln dafür oder vollkommene
Ablehnung.

Mara besaß Menschenkenntnis genug, um zu merken, wie man in ihrem
Kreise über sie dachte. Für einen verschrobenen Blaustrumpf hielt man sie,
dem nur eine Heirat noch Heilung bringen konnte.

Sie hatte gar nichts gegen die Ehe. Aber sie wollte nur den Mann
nehmen, den sie liebte. Zum mindesten wollte sie sicher sein, daß sie nicht aus
Berechnung um ihres Erbes willen gewählt wurde.

In diesem Punkte konnte sie zwar beim Grafen Woldemar beruhigt sein.
Aber Wolly, dieser Kretin, kam für ein intelligentes Mädchen doch wirklich nicht
in Betracht, mochte sich seine Mutter auch zehnmal in den Träumen wiegen,
daß die beharrliche Werbung ihres Sohnes bei Mara schließlich doch Gehör
finden würde. Auch Tante Emerenzia protegierte diese Verbindung des leicht¬
sinnigen Borküller Blutes mit dem frommen des Grafen Hahn. Aber Mara
hatte nur ihre Belustigung an den fruchtlosen Bemühungen der beiden Damen.


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[0052] Sturm „Das hat leinen Zweck nich, gnädiges Fräulein. Gehn Se lieber ins Haus. Werd schon fertig werden!" Madelung schickte sich an, eine neue Rede zu halten, aber Mara ergriff resolut seinen Arm und zog ihn mit sich. „Das Volk ist noch zu dumm. Dem muß man mit anderen Gründen kommen!" Hinter ihnen her schallten höhnische Worte, deren eines Mara das Blut in die Wangen trieb. Sie sah den Maler von der Seite an und gestand sich, beinahe erstaunt, daß der von den Leuten ausgesprochene Verdacht ihr keines¬ wegs unangenehm war. Wieder hatte ihr die Ruhe Madelungs imponiert, und das Gefühl der Geborgenheit, das sie seit seiner Anwesenheit im Schloß empfand, hatte sich angesichts der drohenden Haltung der Arbeiter noch verstärkt. Anderseits hatte sich ihr adliges Blut empört, als sie den Maler die tra¬ ditionelle Distance zwischen Volk und Herrschaft in dieser schmeichlerischen Form ausschalten sah. Aber es war nur eine flüchtige Empfindung. Beherrschend blieb die Bewunderung der Konsequenz in dem Charakter dieses plötzlich in ihr nichtiges und haltloses Leben hineingeschneiten fremden Mannes. „Er ist wohl ihr Geliebter?" hatte der freche Bursche unten im Hof gerufen. Gut, daß Madelung das chemische Wort nicht verstanden hatte. Aber warum schlug dann ihr Herz so heftig dabei? Warum lachte sie nicht darüber? Ja — warum regte sich nicht der leiseste Stolz in ihr, bei dem Gedanken, daß irgend jemand sie, die Freiin von der Borke, in so intime Beziehung zu diesem namenlosen Künstler brachte? Ein paar Tage waren erst vergangen, seitdem sie Madelung hinter seiner Staffelei entdeckt hatte. Und doch schien es ihr, als wären sie seit Jahren bekannt und vertraut miteinander. Sie hatte in ihm den ersten Menschen gefunden, mit dem sie über ihre mannigfachen Interessen ernsthaft reden konnte. Alle anderen hatten entweder ein mitleidiges Lächeln dafür oder vollkommene Ablehnung. Mara besaß Menschenkenntnis genug, um zu merken, wie man in ihrem Kreise über sie dachte. Für einen verschrobenen Blaustrumpf hielt man sie, dem nur eine Heirat noch Heilung bringen konnte. Sie hatte gar nichts gegen die Ehe. Aber sie wollte nur den Mann nehmen, den sie liebte. Zum mindesten wollte sie sicher sein, daß sie nicht aus Berechnung um ihres Erbes willen gewählt wurde. In diesem Punkte konnte sie zwar beim Grafen Woldemar beruhigt sein. Aber Wolly, dieser Kretin, kam für ein intelligentes Mädchen doch wirklich nicht in Betracht, mochte sich seine Mutter auch zehnmal in den Träumen wiegen, daß die beharrliche Werbung ihres Sohnes bei Mara schließlich doch Gehör finden würde. Auch Tante Emerenzia protegierte diese Verbindung des leicht¬ sinnigen Borküller Blutes mit dem frommen des Grafen Hahn. Aber Mara hatte nur ihre Belustigung an den fruchtlosen Bemühungen der beiden Damen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/52>, abgerufen am 19.10.2024.