Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die deutschen Studenten und der deutsch-französische Krieg

war unser heiliger Ernst, sofort in das Regiment einzutreten, und wir sahen
uns schon nachmittags in Weimar in des Königs Rock stramm stehen. Was
kümmerte damals das junge Blut alles andere? In leichtem Anzug, wie wir
waren, vom Morgenkaffee weggeeilt, ohne ein Wort unseren Hauswirten zu
sagen, ohne unsere paar nötigen Angelegenheiten zu ordnen und unseren be¬
kümmerten Eltern zu Hause Nachricht zu geben, zogen wir fort." Allerdings
schickte der Bezirksdirektor die Studenten mit freundlichem Lobe nach Hause,
damit sie erst die nötigen Förmlichkeiten erledigten.

Nicht minder groß war die Begeisterung an den süddeutschen Hochschulen.
In Heidelberg lehrte damals Treitschke, der stets ein Herold der deutschen
Einheit unter Preußens Führung gewesen war und schon in Leipzig, Freiburg
und Kiel die akademische Jugend für ein großes deutsches Vaterland begeistert
hatte. Als er am 15. Juli in dem dichtgefüllten Auditorium den Lehrstuhl
bestieg, fand er einen Zettel vor mit der Bitte: Abschiedswort vor dem Aus¬
marsch nach Frankreich. Mit der ihm eigenen hinreißenden Beredsamkeit kam
er der Aufforderung nach und schloß mit dem Losungswort, das einst im
Jahre 1813 Fichte an seine Zuhörer gerichtet hatte: "Nicht siegen oder sterben,
sondern siegen schlechtweg!"

Überhaupt benutzten die Historiker die Gelegenheit, in ihren Vorlesungen
auf die politische Lage einzugehen, und auch die anderen Dozenten wiesen
wenigstens mit einigen Worten auf den Krieg hin. So schloß der Berliner
Polikliniker Meyer seine Vorlesung mit dem Rufe: "Es lebe Deutschland". Und
der gefeierte Du Bois-Neumond begann ein Kolleg mit den Worten: "Meine
Herren, entschuldigen Sie meinen französischen Namen." Ein Breslauer Pro¬
fessor machte folgenden Anschlag: "Da die Herren Studierenden jetzt etwas
Besseres zu tun haben, als ins Kolleg zu laufen, erkläre ich meine Vorlesungen
für geschlossen."

Die Münchener Studenten beschlossen am 22. Juli, als Freiwillige auf
Kriegsdauer in die Armee einzutreten und wandten sich an den Kriegsminister
um Genehmigung. Sie stellten aber die Bedingung, daß sie ein selbständiges
Korps bilden dürften. Der Kriegsminister genehmigte die Bildung eines Frei¬
korps, wenn sich fünfhundert bis sechshundert Studenten beteiligen würden. Die
Ausrüstung übernahm das Kriegsministerium. Die Offiziere und vorläufig auch
die Unteroffiziere sollten der regulären Armee entnommen werden. Das Frei¬
willigenkorps sollte sich unter die allgemeinen Kriegsgesetze und Disziplinar-
ordnungen stellen und sich wie jeder andere Truppenteil verwenden lassen. Da
jedoch viele Studenten schon zur Armee einberufen oder als Ärzte, Felddiakone
und Krankenpfleger eingetreten waren, so konnte man die geforderte Zahl nicht
mehr erreichen, und es mußte von der Bildung eines Studentenkorps Abstand
genommen werden.

Der damalige Rektor von Pettenkofer widmete den ins Feld ziehenden
Kommilitonen folgenden Anschlag: "In welcher Form sich auch immer die


Die deutschen Studenten und der deutsch-französische Krieg

war unser heiliger Ernst, sofort in das Regiment einzutreten, und wir sahen
uns schon nachmittags in Weimar in des Königs Rock stramm stehen. Was
kümmerte damals das junge Blut alles andere? In leichtem Anzug, wie wir
waren, vom Morgenkaffee weggeeilt, ohne ein Wort unseren Hauswirten zu
sagen, ohne unsere paar nötigen Angelegenheiten zu ordnen und unseren be¬
kümmerten Eltern zu Hause Nachricht zu geben, zogen wir fort." Allerdings
schickte der Bezirksdirektor die Studenten mit freundlichem Lobe nach Hause,
damit sie erst die nötigen Förmlichkeiten erledigten.

Nicht minder groß war die Begeisterung an den süddeutschen Hochschulen.
In Heidelberg lehrte damals Treitschke, der stets ein Herold der deutschen
Einheit unter Preußens Führung gewesen war und schon in Leipzig, Freiburg
und Kiel die akademische Jugend für ein großes deutsches Vaterland begeistert
hatte. Als er am 15. Juli in dem dichtgefüllten Auditorium den Lehrstuhl
bestieg, fand er einen Zettel vor mit der Bitte: Abschiedswort vor dem Aus¬
marsch nach Frankreich. Mit der ihm eigenen hinreißenden Beredsamkeit kam
er der Aufforderung nach und schloß mit dem Losungswort, das einst im
Jahre 1813 Fichte an seine Zuhörer gerichtet hatte: „Nicht siegen oder sterben,
sondern siegen schlechtweg!"

Überhaupt benutzten die Historiker die Gelegenheit, in ihren Vorlesungen
auf die politische Lage einzugehen, und auch die anderen Dozenten wiesen
wenigstens mit einigen Worten auf den Krieg hin. So schloß der Berliner
Polikliniker Meyer seine Vorlesung mit dem Rufe: „Es lebe Deutschland". Und
der gefeierte Du Bois-Neumond begann ein Kolleg mit den Worten: „Meine
Herren, entschuldigen Sie meinen französischen Namen." Ein Breslauer Pro¬
fessor machte folgenden Anschlag: „Da die Herren Studierenden jetzt etwas
Besseres zu tun haben, als ins Kolleg zu laufen, erkläre ich meine Vorlesungen
für geschlossen."

Die Münchener Studenten beschlossen am 22. Juli, als Freiwillige auf
Kriegsdauer in die Armee einzutreten und wandten sich an den Kriegsminister
um Genehmigung. Sie stellten aber die Bedingung, daß sie ein selbständiges
Korps bilden dürften. Der Kriegsminister genehmigte die Bildung eines Frei¬
korps, wenn sich fünfhundert bis sechshundert Studenten beteiligen würden. Die
Ausrüstung übernahm das Kriegsministerium. Die Offiziere und vorläufig auch
die Unteroffiziere sollten der regulären Armee entnommen werden. Das Frei¬
willigenkorps sollte sich unter die allgemeinen Kriegsgesetze und Disziplinar-
ordnungen stellen und sich wie jeder andere Truppenteil verwenden lassen. Da
jedoch viele Studenten schon zur Armee einberufen oder als Ärzte, Felddiakone
und Krankenpfleger eingetreten waren, so konnte man die geforderte Zahl nicht
mehr erreichen, und es mußte von der Bildung eines Studentenkorps Abstand
genommen werden.

Der damalige Rektor von Pettenkofer widmete den ins Feld ziehenden
Kommilitonen folgenden Anschlag: „In welcher Form sich auch immer die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0515" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326685"/>
          <fw type="header" place="top"> Die deutschen Studenten und der deutsch-französische Krieg</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2489" prev="#ID_2488"> war unser heiliger Ernst, sofort in das Regiment einzutreten, und wir sahen<lb/>
uns schon nachmittags in Weimar in des Königs Rock stramm stehen. Was<lb/>
kümmerte damals das junge Blut alles andere? In leichtem Anzug, wie wir<lb/>
waren, vom Morgenkaffee weggeeilt, ohne ein Wort unseren Hauswirten zu<lb/>
sagen, ohne unsere paar nötigen Angelegenheiten zu ordnen und unseren be¬<lb/>
kümmerten Eltern zu Hause Nachricht zu geben, zogen wir fort." Allerdings<lb/>
schickte der Bezirksdirektor die Studenten mit freundlichem Lobe nach Hause,<lb/>
damit sie erst die nötigen Förmlichkeiten erledigten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2490"> Nicht minder groß war die Begeisterung an den süddeutschen Hochschulen.<lb/>
In Heidelberg lehrte damals Treitschke, der stets ein Herold der deutschen<lb/>
Einheit unter Preußens Führung gewesen war und schon in Leipzig, Freiburg<lb/>
und Kiel die akademische Jugend für ein großes deutsches Vaterland begeistert<lb/>
hatte. Als er am 15. Juli in dem dichtgefüllten Auditorium den Lehrstuhl<lb/>
bestieg, fand er einen Zettel vor mit der Bitte: Abschiedswort vor dem Aus¬<lb/>
marsch nach Frankreich. Mit der ihm eigenen hinreißenden Beredsamkeit kam<lb/>
er der Aufforderung nach und schloß mit dem Losungswort, das einst im<lb/>
Jahre 1813 Fichte an seine Zuhörer gerichtet hatte: &#x201E;Nicht siegen oder sterben,<lb/>
sondern siegen schlechtweg!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2491"> Überhaupt benutzten die Historiker die Gelegenheit, in ihren Vorlesungen<lb/>
auf die politische Lage einzugehen, und auch die anderen Dozenten wiesen<lb/>
wenigstens mit einigen Worten auf den Krieg hin. So schloß der Berliner<lb/>
Polikliniker Meyer seine Vorlesung mit dem Rufe: &#x201E;Es lebe Deutschland". Und<lb/>
der gefeierte Du Bois-Neumond begann ein Kolleg mit den Worten: &#x201E;Meine<lb/>
Herren, entschuldigen Sie meinen französischen Namen." Ein Breslauer Pro¬<lb/>
fessor machte folgenden Anschlag: &#x201E;Da die Herren Studierenden jetzt etwas<lb/>
Besseres zu tun haben, als ins Kolleg zu laufen, erkläre ich meine Vorlesungen<lb/>
für geschlossen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2492"> Die Münchener Studenten beschlossen am 22. Juli, als Freiwillige auf<lb/>
Kriegsdauer in die Armee einzutreten und wandten sich an den Kriegsminister<lb/>
um Genehmigung. Sie stellten aber die Bedingung, daß sie ein selbständiges<lb/>
Korps bilden dürften. Der Kriegsminister genehmigte die Bildung eines Frei¬<lb/>
korps, wenn sich fünfhundert bis sechshundert Studenten beteiligen würden. Die<lb/>
Ausrüstung übernahm das Kriegsministerium. Die Offiziere und vorläufig auch<lb/>
die Unteroffiziere sollten der regulären Armee entnommen werden. Das Frei¬<lb/>
willigenkorps sollte sich unter die allgemeinen Kriegsgesetze und Disziplinar-<lb/>
ordnungen stellen und sich wie jeder andere Truppenteil verwenden lassen. Da<lb/>
jedoch viele Studenten schon zur Armee einberufen oder als Ärzte, Felddiakone<lb/>
und Krankenpfleger eingetreten waren, so konnte man die geforderte Zahl nicht<lb/>
mehr erreichen, und es mußte von der Bildung eines Studentenkorps Abstand<lb/>
genommen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2493" next="#ID_2494"> Der damalige Rektor von Pettenkofer widmete den ins Feld ziehenden<lb/>
Kommilitonen folgenden Anschlag: &#x201E;In welcher Form sich auch immer die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0515] Die deutschen Studenten und der deutsch-französische Krieg war unser heiliger Ernst, sofort in das Regiment einzutreten, und wir sahen uns schon nachmittags in Weimar in des Königs Rock stramm stehen. Was kümmerte damals das junge Blut alles andere? In leichtem Anzug, wie wir waren, vom Morgenkaffee weggeeilt, ohne ein Wort unseren Hauswirten zu sagen, ohne unsere paar nötigen Angelegenheiten zu ordnen und unseren be¬ kümmerten Eltern zu Hause Nachricht zu geben, zogen wir fort." Allerdings schickte der Bezirksdirektor die Studenten mit freundlichem Lobe nach Hause, damit sie erst die nötigen Förmlichkeiten erledigten. Nicht minder groß war die Begeisterung an den süddeutschen Hochschulen. In Heidelberg lehrte damals Treitschke, der stets ein Herold der deutschen Einheit unter Preußens Führung gewesen war und schon in Leipzig, Freiburg und Kiel die akademische Jugend für ein großes deutsches Vaterland begeistert hatte. Als er am 15. Juli in dem dichtgefüllten Auditorium den Lehrstuhl bestieg, fand er einen Zettel vor mit der Bitte: Abschiedswort vor dem Aus¬ marsch nach Frankreich. Mit der ihm eigenen hinreißenden Beredsamkeit kam er der Aufforderung nach und schloß mit dem Losungswort, das einst im Jahre 1813 Fichte an seine Zuhörer gerichtet hatte: „Nicht siegen oder sterben, sondern siegen schlechtweg!" Überhaupt benutzten die Historiker die Gelegenheit, in ihren Vorlesungen auf die politische Lage einzugehen, und auch die anderen Dozenten wiesen wenigstens mit einigen Worten auf den Krieg hin. So schloß der Berliner Polikliniker Meyer seine Vorlesung mit dem Rufe: „Es lebe Deutschland". Und der gefeierte Du Bois-Neumond begann ein Kolleg mit den Worten: „Meine Herren, entschuldigen Sie meinen französischen Namen." Ein Breslauer Pro¬ fessor machte folgenden Anschlag: „Da die Herren Studierenden jetzt etwas Besseres zu tun haben, als ins Kolleg zu laufen, erkläre ich meine Vorlesungen für geschlossen." Die Münchener Studenten beschlossen am 22. Juli, als Freiwillige auf Kriegsdauer in die Armee einzutreten und wandten sich an den Kriegsminister um Genehmigung. Sie stellten aber die Bedingung, daß sie ein selbständiges Korps bilden dürften. Der Kriegsminister genehmigte die Bildung eines Frei¬ korps, wenn sich fünfhundert bis sechshundert Studenten beteiligen würden. Die Ausrüstung übernahm das Kriegsministerium. Die Offiziere und vorläufig auch die Unteroffiziere sollten der regulären Armee entnommen werden. Das Frei¬ willigenkorps sollte sich unter die allgemeinen Kriegsgesetze und Disziplinar- ordnungen stellen und sich wie jeder andere Truppenteil verwenden lassen. Da jedoch viele Studenten schon zur Armee einberufen oder als Ärzte, Felddiakone und Krankenpfleger eingetreten waren, so konnte man die geforderte Zahl nicht mehr erreichen, und es mußte von der Bildung eines Studentenkorps Abstand genommen werden. Der damalige Rektor von Pettenkofer widmete den ins Feld ziehenden Kommilitonen folgenden Anschlag: „In welcher Form sich auch immer die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/515
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/515>, abgerufen am 20.10.2024.