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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Die deutschen Studenten und der deutsch-französische Krieg

etwas schwülstige Worte: "Wer im Sommer des Jahres 1870 auf der Berliner
Hochschule studierte, wird die vom edelsten Patriotismus durchglühte Begeisterung
nie vergessen, welche die Herzen der akademischen Jugend entflammte, als die
Kriegserklärung Frankreichs in Berlin bekannt wurde. Jene Stunden und
Tage bildeten den Prüfstein der Gesinnungen, welche dem Boden klassischer
Erziehung entsprossen und an den Brüsten der ,aime mater' genährt, nunmehr
durch den Impuls zum tatkräftigen Handeln ihre Echtheit und Wahrhaftigkeit
erweisen sollten. Und dieser Beweis ist erbracht. Alle Schlachtfelder in Frank¬
reich sind die stummen und doch so beredten Zeugen der opferfreudigsten Hin¬
gebung, mit welcher sich die Zöglinge der ersten Universität Deutschlands unter
die Reihen der Vaterlandsverteidiger scharten, von dem Wunsche getrieben, sich
als würdige Nachkommen jener Helden aus Deutschlands Vorzeit zu erweisen,
denen der römische Geschichtsschreiber Tacitus in seiner .Germania' ein Denkmal
gesetzt hat, aere perenniu8."

Am lebhaftesten ging es in Leipzig her. Die Verbindungen stellten ihren
Betrieb ein und gingen auseinander. Der Wingolf, von dessen einundvierzig
Mitgliedern nur sechs zurückblieben, trennte sich mit der Zuversicht: "Mag der
Herr Deutschland schnell den Sieg verleihen oder mag er es erst durch Züchti¬
gungen hindurchziehen lassen wollen, er wird unser Banner nicht sinken lassen,
und die Aufrüttelung des deutschen Volkes aus seinem Schlafe wird auch für
den Wingolf nicht ohne gute Folgen bleiben."

Bald fand die erregte Stimmung der Leipziger Studentenschaft Gelegenheit
zu stürmischen Auftritten. Denn die deutsche und die preußenfeindliche Ge¬
sinnung stießen in Leipzig heftig zusammen. Die Sächsische Zeitung, redigiert
von Dr. Obermüller, predigte fanatischen Haß gegen Preußen und erörterte in
gehässigen Artikeln die Frage, ob sich auch die Sachsen für den König von
Preußen totschießen lassen müßten. Am Nachmittage des 15. Juli zogen
deshalb mehrere hundert Studenten in geschlossenem Zuge durch die Straßen,
holten aus den Lokalen die Sächsische Zeitung, steckten sie auf Stangen und
verbrannten sie auf den öffentlichen Plätzen der Stadt. Dann zogen sie vor
die Wohnung des Professors Biedermann, des Redakteurs der Deutschen All¬
gemeinen Zeitung, um ihm für seine patriotische Haltung zu danken. Als am
Abend wieder ein beleidigender Artikel in der Sächsischen Zeitung erschien,
demonstrierten die Studenten von neuem und warfen in der Nacht dem Redakteur
die Fenster ein. Gegen diese, allerdings durch die berechtigte Entrüstung ent¬
schuldbaren Ausschreitungen richtete sich ein Anschlag des Rektors, Prof. Zarncke,
vom 16. Juli, in dem er die Studenten ermahnte, ein Benehmen zu zeigen,
"das dem gewaltigen Ernste der Situation entspricht, in die unser teures Vater¬
land so plötzlich versenkt worden ist." Am 18. Juli, abends 7 Uhr, fand in
der Aula eine allgemeine Studentenversammlung statt. Sie war von über
achthundert Mann besucht und beschloß einstimmig eine Adresse an den König von
Preußen, in der sie ihre volle Zustimmung zum Kriege gegen den Erbfeind aus-


Die deutschen Studenten und der deutsch-französische Krieg

etwas schwülstige Worte: „Wer im Sommer des Jahres 1870 auf der Berliner
Hochschule studierte, wird die vom edelsten Patriotismus durchglühte Begeisterung
nie vergessen, welche die Herzen der akademischen Jugend entflammte, als die
Kriegserklärung Frankreichs in Berlin bekannt wurde. Jene Stunden und
Tage bildeten den Prüfstein der Gesinnungen, welche dem Boden klassischer
Erziehung entsprossen und an den Brüsten der ,aime mater' genährt, nunmehr
durch den Impuls zum tatkräftigen Handeln ihre Echtheit und Wahrhaftigkeit
erweisen sollten. Und dieser Beweis ist erbracht. Alle Schlachtfelder in Frank¬
reich sind die stummen und doch so beredten Zeugen der opferfreudigsten Hin¬
gebung, mit welcher sich die Zöglinge der ersten Universität Deutschlands unter
die Reihen der Vaterlandsverteidiger scharten, von dem Wunsche getrieben, sich
als würdige Nachkommen jener Helden aus Deutschlands Vorzeit zu erweisen,
denen der römische Geschichtsschreiber Tacitus in seiner .Germania' ein Denkmal
gesetzt hat, aere perenniu8."

Am lebhaftesten ging es in Leipzig her. Die Verbindungen stellten ihren
Betrieb ein und gingen auseinander. Der Wingolf, von dessen einundvierzig
Mitgliedern nur sechs zurückblieben, trennte sich mit der Zuversicht: „Mag der
Herr Deutschland schnell den Sieg verleihen oder mag er es erst durch Züchti¬
gungen hindurchziehen lassen wollen, er wird unser Banner nicht sinken lassen,
und die Aufrüttelung des deutschen Volkes aus seinem Schlafe wird auch für
den Wingolf nicht ohne gute Folgen bleiben."

Bald fand die erregte Stimmung der Leipziger Studentenschaft Gelegenheit
zu stürmischen Auftritten. Denn die deutsche und die preußenfeindliche Ge¬
sinnung stießen in Leipzig heftig zusammen. Die Sächsische Zeitung, redigiert
von Dr. Obermüller, predigte fanatischen Haß gegen Preußen und erörterte in
gehässigen Artikeln die Frage, ob sich auch die Sachsen für den König von
Preußen totschießen lassen müßten. Am Nachmittage des 15. Juli zogen
deshalb mehrere hundert Studenten in geschlossenem Zuge durch die Straßen,
holten aus den Lokalen die Sächsische Zeitung, steckten sie auf Stangen und
verbrannten sie auf den öffentlichen Plätzen der Stadt. Dann zogen sie vor
die Wohnung des Professors Biedermann, des Redakteurs der Deutschen All¬
gemeinen Zeitung, um ihm für seine patriotische Haltung zu danken. Als am
Abend wieder ein beleidigender Artikel in der Sächsischen Zeitung erschien,
demonstrierten die Studenten von neuem und warfen in der Nacht dem Redakteur
die Fenster ein. Gegen diese, allerdings durch die berechtigte Entrüstung ent¬
schuldbaren Ausschreitungen richtete sich ein Anschlag des Rektors, Prof. Zarncke,
vom 16. Juli, in dem er die Studenten ermahnte, ein Benehmen zu zeigen,
»das dem gewaltigen Ernste der Situation entspricht, in die unser teures Vater¬
land so plötzlich versenkt worden ist." Am 18. Juli, abends 7 Uhr, fand in
der Aula eine allgemeine Studentenversammlung statt. Sie war von über
achthundert Mann besucht und beschloß einstimmig eine Adresse an den König von
Preußen, in der sie ihre volle Zustimmung zum Kriege gegen den Erbfeind aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/513>, abgerufen am 29.12.2024.