Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die deutschen Studenten und der deutsch-französische Krieg

Gefahren, gegen fremde Unterjochung und Despotenzwang zu schützen." In
dieser Gesinnung blieb die Studentenschaft einig, mochte sie sonst auch noch so
vielgestaltig werden.

So war nichts anderes zu erwarten, als daß die Nachricht vom Kriege
gegen Frankreich im Juli 1870 einen wahren Sturm der Begeisterung unter
der deutschen studierenden Jugend entfesselte.

Charakteristische Stimmungsbilder liegen uns von fast allen Hochschulen vor.

In Bonn brachte am späten Abend des 15. Juli ein Student die Nachricht
von der Kriegserklärung in das größte, von vielen Kommilitonen besuchte Lokal
der Stadt. Eine Zeitlang trat lautlose Stille ein. Dann bestieg ein anderer
Student die Tribüne, um das Lied "Es braust ein Ruf wie Donnerhall" an¬
zustimmen. "Deutschland, Deutschland über alles" schloß sich an. Hierauf eilte
alles auf den Markt. Alle Gegensätze und Parteiungen waren vergessen. Der
eine faßte den anderen, gleichgültig ob Korpsstudent oder Burschenschafter oder
Wilder in den Arm. und man zog unter dem Gesänge der vaterländischen
Lieder vor die Wohnungen des Rektors Professor Heimsoeth, der Professoren
Sohel und Busch und des Obersten von Loe, holte sie zum Teil aus dem Bett
und veranlaßte sie zu patriotischen Ansprachen an die begeisterte Schar. Am
18. Juli berichtete die Akademische Zeitschrift aus Bonn: "Vierhundert Studenten
wollen sofort in die Armee eintreten. Die Universität ist so gut wie geschlossen."

In Halle richtete eine vom Wingolf einberufene Studentenversammlung am
18. Juli an die Militärbehörde folgende Petition: 1. Die gesamte Studenten¬
schaft wünscht bei den Aushebungen möglichst bald und möglichst vollständig
berücksichtigt zu werden. 2. Die Theologen verzichten aus freien Stücken auf
die ihnen bisher gewährte Bevorzugung. 3. Alle zum aktiven Dienst Untaug¬
lichen bieten sich zu anderer Verwendung bereitwilligst an. In prächtigem Zuge
marschierte die stattliche Schar der Kriegsfreiwilligen direkt zum Kommandeur
des Jnfanteriebataillons und ließ sich in das Ersatzbataillon einreihen.

Ebenso faßte in Göttingen sofort nach Eintreffen der Kriegsnachricht eine
große Studentenversammlung unter stürmischem Jubel den Beschluß, sofort die
Universität zu schließen und ohne Ausnahme in das Heer einzutreten.

Auch die Kieler Zeitung kann am 16. Juli berichten: "Sämtliche Stu¬
dierende der hiesigen Universität haben sich sofort nach Bekanntwerden der
Kriegserklärung zur Einstellung in das Heer gemeldet."

In Breslau hatte bis dahin Zwietracht zwischen Korps und Burschen¬
schafter geherrscht, und die konfessionellen Gegensätze hatten noch zwei Monate
vorher zu einem bedauerlichen Konflikte geführt. Die Kriegsnachricht ließ alle
Streitigkeiten vergessen. Am 17. Juli fand ein Umzug von mehr als fünfhundert
Studenten zu den Statuen Friedrichs des Großen und Friedrich Wilhelms des
Dritten und vor die Wohnungen des Oberpräsidenten Grafen Stolberg und des
Stadtkommandanten Generals von Tümpling statt. Der Abend des 21. Juli
vereinigte, was in Breslau lange nicht dagewesen war. die ganze Studentenschaft


32'
Die deutschen Studenten und der deutsch-französische Krieg

Gefahren, gegen fremde Unterjochung und Despotenzwang zu schützen." In
dieser Gesinnung blieb die Studentenschaft einig, mochte sie sonst auch noch so
vielgestaltig werden.

So war nichts anderes zu erwarten, als daß die Nachricht vom Kriege
gegen Frankreich im Juli 1870 einen wahren Sturm der Begeisterung unter
der deutschen studierenden Jugend entfesselte.

Charakteristische Stimmungsbilder liegen uns von fast allen Hochschulen vor.

In Bonn brachte am späten Abend des 15. Juli ein Student die Nachricht
von der Kriegserklärung in das größte, von vielen Kommilitonen besuchte Lokal
der Stadt. Eine Zeitlang trat lautlose Stille ein. Dann bestieg ein anderer
Student die Tribüne, um das Lied „Es braust ein Ruf wie Donnerhall" an¬
zustimmen. „Deutschland, Deutschland über alles" schloß sich an. Hierauf eilte
alles auf den Markt. Alle Gegensätze und Parteiungen waren vergessen. Der
eine faßte den anderen, gleichgültig ob Korpsstudent oder Burschenschafter oder
Wilder in den Arm. und man zog unter dem Gesänge der vaterländischen
Lieder vor die Wohnungen des Rektors Professor Heimsoeth, der Professoren
Sohel und Busch und des Obersten von Loe, holte sie zum Teil aus dem Bett
und veranlaßte sie zu patriotischen Ansprachen an die begeisterte Schar. Am
18. Juli berichtete die Akademische Zeitschrift aus Bonn: „Vierhundert Studenten
wollen sofort in die Armee eintreten. Die Universität ist so gut wie geschlossen."

In Halle richtete eine vom Wingolf einberufene Studentenversammlung am
18. Juli an die Militärbehörde folgende Petition: 1. Die gesamte Studenten¬
schaft wünscht bei den Aushebungen möglichst bald und möglichst vollständig
berücksichtigt zu werden. 2. Die Theologen verzichten aus freien Stücken auf
die ihnen bisher gewährte Bevorzugung. 3. Alle zum aktiven Dienst Untaug¬
lichen bieten sich zu anderer Verwendung bereitwilligst an. In prächtigem Zuge
marschierte die stattliche Schar der Kriegsfreiwilligen direkt zum Kommandeur
des Jnfanteriebataillons und ließ sich in das Ersatzbataillon einreihen.

Ebenso faßte in Göttingen sofort nach Eintreffen der Kriegsnachricht eine
große Studentenversammlung unter stürmischem Jubel den Beschluß, sofort die
Universität zu schließen und ohne Ausnahme in das Heer einzutreten.

Auch die Kieler Zeitung kann am 16. Juli berichten: „Sämtliche Stu¬
dierende der hiesigen Universität haben sich sofort nach Bekanntwerden der
Kriegserklärung zur Einstellung in das Heer gemeldet."

In Breslau hatte bis dahin Zwietracht zwischen Korps und Burschen¬
schafter geherrscht, und die konfessionellen Gegensätze hatten noch zwei Monate
vorher zu einem bedauerlichen Konflikte geführt. Die Kriegsnachricht ließ alle
Streitigkeiten vergessen. Am 17. Juli fand ein Umzug von mehr als fünfhundert
Studenten zu den Statuen Friedrichs des Großen und Friedrich Wilhelms des
Dritten und vor die Wohnungen des Oberpräsidenten Grafen Stolberg und des
Stadtkommandanten Generals von Tümpling statt. Der Abend des 21. Juli
vereinigte, was in Breslau lange nicht dagewesen war. die ganze Studentenschaft


32'
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0511" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326681"/>
          <fw type="header" place="top"> Die deutschen Studenten und der deutsch-französische Krieg</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2471" prev="#ID_2470"> Gefahren, gegen fremde Unterjochung und Despotenzwang zu schützen." In<lb/>
dieser Gesinnung blieb die Studentenschaft einig, mochte sie sonst auch noch so<lb/>
vielgestaltig werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2472"> So war nichts anderes zu erwarten, als daß die Nachricht vom Kriege<lb/>
gegen Frankreich im Juli 1870 einen wahren Sturm der Begeisterung unter<lb/>
der deutschen studierenden Jugend entfesselte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2473"> Charakteristische Stimmungsbilder liegen uns von fast allen Hochschulen vor.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2474"> In Bonn brachte am späten Abend des 15. Juli ein Student die Nachricht<lb/>
von der Kriegserklärung in das größte, von vielen Kommilitonen besuchte Lokal<lb/>
der Stadt. Eine Zeitlang trat lautlose Stille ein. Dann bestieg ein anderer<lb/>
Student die Tribüne, um das Lied &#x201E;Es braust ein Ruf wie Donnerhall" an¬<lb/>
zustimmen. &#x201E;Deutschland, Deutschland über alles" schloß sich an. Hierauf eilte<lb/>
alles auf den Markt. Alle Gegensätze und Parteiungen waren vergessen. Der<lb/>
eine faßte den anderen, gleichgültig ob Korpsstudent oder Burschenschafter oder<lb/>
Wilder in den Arm. und man zog unter dem Gesänge der vaterländischen<lb/>
Lieder vor die Wohnungen des Rektors Professor Heimsoeth, der Professoren<lb/>
Sohel und Busch und des Obersten von Loe, holte sie zum Teil aus dem Bett<lb/>
und veranlaßte sie zu patriotischen Ansprachen an die begeisterte Schar. Am<lb/>
18. Juli berichtete die Akademische Zeitschrift aus Bonn: &#x201E;Vierhundert Studenten<lb/>
wollen sofort in die Armee eintreten. Die Universität ist so gut wie geschlossen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2475"> In Halle richtete eine vom Wingolf einberufene Studentenversammlung am<lb/>
18. Juli an die Militärbehörde folgende Petition: 1. Die gesamte Studenten¬<lb/>
schaft wünscht bei den Aushebungen möglichst bald und möglichst vollständig<lb/>
berücksichtigt zu werden. 2. Die Theologen verzichten aus freien Stücken auf<lb/>
die ihnen bisher gewährte Bevorzugung. 3. Alle zum aktiven Dienst Untaug¬<lb/>
lichen bieten sich zu anderer Verwendung bereitwilligst an. In prächtigem Zuge<lb/>
marschierte die stattliche Schar der Kriegsfreiwilligen direkt zum Kommandeur<lb/>
des Jnfanteriebataillons und ließ sich in das Ersatzbataillon einreihen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2476"> Ebenso faßte in Göttingen sofort nach Eintreffen der Kriegsnachricht eine<lb/>
große Studentenversammlung unter stürmischem Jubel den Beschluß, sofort die<lb/>
Universität zu schließen und ohne Ausnahme in das Heer einzutreten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2477"> Auch die Kieler Zeitung kann am 16. Juli berichten: &#x201E;Sämtliche Stu¬<lb/>
dierende der hiesigen Universität haben sich sofort nach Bekanntwerden der<lb/>
Kriegserklärung zur Einstellung in das Heer gemeldet."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2478" next="#ID_2479"> In Breslau hatte bis dahin Zwietracht zwischen Korps und Burschen¬<lb/>
schafter geherrscht, und die konfessionellen Gegensätze hatten noch zwei Monate<lb/>
vorher zu einem bedauerlichen Konflikte geführt. Die Kriegsnachricht ließ alle<lb/>
Streitigkeiten vergessen. Am 17. Juli fand ein Umzug von mehr als fünfhundert<lb/>
Studenten zu den Statuen Friedrichs des Großen und Friedrich Wilhelms des<lb/>
Dritten und vor die Wohnungen des Oberpräsidenten Grafen Stolberg und des<lb/>
Stadtkommandanten Generals von Tümpling statt. Der Abend des 21. Juli<lb/>
vereinigte, was in Breslau lange nicht dagewesen war. die ganze Studentenschaft</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 32'</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0511] Die deutschen Studenten und der deutsch-französische Krieg Gefahren, gegen fremde Unterjochung und Despotenzwang zu schützen." In dieser Gesinnung blieb die Studentenschaft einig, mochte sie sonst auch noch so vielgestaltig werden. So war nichts anderes zu erwarten, als daß die Nachricht vom Kriege gegen Frankreich im Juli 1870 einen wahren Sturm der Begeisterung unter der deutschen studierenden Jugend entfesselte. Charakteristische Stimmungsbilder liegen uns von fast allen Hochschulen vor. In Bonn brachte am späten Abend des 15. Juli ein Student die Nachricht von der Kriegserklärung in das größte, von vielen Kommilitonen besuchte Lokal der Stadt. Eine Zeitlang trat lautlose Stille ein. Dann bestieg ein anderer Student die Tribüne, um das Lied „Es braust ein Ruf wie Donnerhall" an¬ zustimmen. „Deutschland, Deutschland über alles" schloß sich an. Hierauf eilte alles auf den Markt. Alle Gegensätze und Parteiungen waren vergessen. Der eine faßte den anderen, gleichgültig ob Korpsstudent oder Burschenschafter oder Wilder in den Arm. und man zog unter dem Gesänge der vaterländischen Lieder vor die Wohnungen des Rektors Professor Heimsoeth, der Professoren Sohel und Busch und des Obersten von Loe, holte sie zum Teil aus dem Bett und veranlaßte sie zu patriotischen Ansprachen an die begeisterte Schar. Am 18. Juli berichtete die Akademische Zeitschrift aus Bonn: „Vierhundert Studenten wollen sofort in die Armee eintreten. Die Universität ist so gut wie geschlossen." In Halle richtete eine vom Wingolf einberufene Studentenversammlung am 18. Juli an die Militärbehörde folgende Petition: 1. Die gesamte Studenten¬ schaft wünscht bei den Aushebungen möglichst bald und möglichst vollständig berücksichtigt zu werden. 2. Die Theologen verzichten aus freien Stücken auf die ihnen bisher gewährte Bevorzugung. 3. Alle zum aktiven Dienst Untaug¬ lichen bieten sich zu anderer Verwendung bereitwilligst an. In prächtigem Zuge marschierte die stattliche Schar der Kriegsfreiwilligen direkt zum Kommandeur des Jnfanteriebataillons und ließ sich in das Ersatzbataillon einreihen. Ebenso faßte in Göttingen sofort nach Eintreffen der Kriegsnachricht eine große Studentenversammlung unter stürmischem Jubel den Beschluß, sofort die Universität zu schließen und ohne Ausnahme in das Heer einzutreten. Auch die Kieler Zeitung kann am 16. Juli berichten: „Sämtliche Stu¬ dierende der hiesigen Universität haben sich sofort nach Bekanntwerden der Kriegserklärung zur Einstellung in das Heer gemeldet." In Breslau hatte bis dahin Zwietracht zwischen Korps und Burschen¬ schafter geherrscht, und die konfessionellen Gegensätze hatten noch zwei Monate vorher zu einem bedauerlichen Konflikte geführt. Die Kriegsnachricht ließ alle Streitigkeiten vergessen. Am 17. Juli fand ein Umzug von mehr als fünfhundert Studenten zu den Statuen Friedrichs des Großen und Friedrich Wilhelms des Dritten und vor die Wohnungen des Oberpräsidenten Grafen Stolberg und des Stadtkommandanten Generals von Tümpling statt. Der Abend des 21. Juli vereinigte, was in Breslau lange nicht dagewesen war. die ganze Studentenschaft 32'

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/511
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/511>, abgerufen am 19.10.2024.