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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Das neue Amisthaus in Stuttgart

Es steht fast so aus, als hätte man damit eine Auswahl abschreckender Bei¬
spiele zusammenstellen wollen. Zum mindesten war es die Absicht, der Unter¬
schätzung des heimischen Schaffens durch eine solche Gegenüberstellung zu begegnen.
Was aber dem unbefangenen Blick tatsächlich sich darstellt, ist ein Raum, der
alles hat, was den anderen abgeht, klaren Zusammenhang der einzelnen Werke,
eine volle, ruhige Harmonie ihres Wesens und ihrer Wirkung. Und dieser
Eindruck gewinnt nun vollends an Macht und Tiefe durch die meisterliche Herr¬
lichkeit, in der sich hier eine wahrhaft reife und große Kunst bezwingend offen¬
bart. Hier sind künstlerische Eroberer am Werk: sie haben mit freier Schöpfer¬
kraft ungeahnte Bereiche neuer Schönheit erschlossen und die Darstellung längst
geläufiger Dinge der sichtbaren Welt mit persönlichem Erleben neu durchglüht.
Von Courbet her kann man hier die Entwicklung einer Malerei verfolgen, die
in der Natur immer neue Wunder entdeckte und sich in kühner Freiheit die
Mittel schuf, um den tausendgestaltigen Erscheinungen des freien Lichts und der
schillernden Atmospäre wahrhaftigen, lebensreichen Ausdruck zu geben. Da er¬
stehen Landschaften von köstlichster Feinheit und Wärme des Tones, da weben
Wasserdunst, Rauch und Dampf über eilenden Flüssen ihre schimmernden Spiele,
Abend und Morgen durchwirken Erde und Himmel mit sprühenden Feuern, und
schließlich steigt in van Goghs Bildern ein Erdgrund empor, großschollig und
schwer, überquellend von fruchtbarer Kraft, und über ihm glänzt ein heißer,
starker Mittag. Stilleben prangen daneben, von Cözanne und Gauguin, all¬
tägliche Dinge ohne viel Absicht zusammengeordnet, aber so jauchzend in ihrer
gesättigten Farbenglut, daß aus dem Altgewohnten wieder ein festlich neues
Wunder wird.

Die französischen Bilder sind zum Teil Kostbarkeiten aus der Stiftung, die
man in München, Tschudi zum Gedächtnis, der neuen Pinakothek übergeben
hat. Andere sind aus französischem und schweizerischem Privatbesitz zusammen¬
gebracht. Von Ankäufen ist in dem Saale, der sie vereint, nichts zu merken.
Aber es müßte wunderlich zugehen, wenn nicht gerade von diesen Werken wider
allen höheren Willen schließlich doch eine wahrhaft lebendige Wirkung ausginge.
Denn im Bereiche der ganzen Ausstellung reden sie am eindringlichsten die
Sprache einer Schöpferkraft, die Gebilde voll dauernden Lebens zeugt.




Das neue Amisthaus in Stuttgart

Es steht fast so aus, als hätte man damit eine Auswahl abschreckender Bei¬
spiele zusammenstellen wollen. Zum mindesten war es die Absicht, der Unter¬
schätzung des heimischen Schaffens durch eine solche Gegenüberstellung zu begegnen.
Was aber dem unbefangenen Blick tatsächlich sich darstellt, ist ein Raum, der
alles hat, was den anderen abgeht, klaren Zusammenhang der einzelnen Werke,
eine volle, ruhige Harmonie ihres Wesens und ihrer Wirkung. Und dieser
Eindruck gewinnt nun vollends an Macht und Tiefe durch die meisterliche Herr¬
lichkeit, in der sich hier eine wahrhaft reife und große Kunst bezwingend offen¬
bart. Hier sind künstlerische Eroberer am Werk: sie haben mit freier Schöpfer¬
kraft ungeahnte Bereiche neuer Schönheit erschlossen und die Darstellung längst
geläufiger Dinge der sichtbaren Welt mit persönlichem Erleben neu durchglüht.
Von Courbet her kann man hier die Entwicklung einer Malerei verfolgen, die
in der Natur immer neue Wunder entdeckte und sich in kühner Freiheit die
Mittel schuf, um den tausendgestaltigen Erscheinungen des freien Lichts und der
schillernden Atmospäre wahrhaftigen, lebensreichen Ausdruck zu geben. Da er¬
stehen Landschaften von köstlichster Feinheit und Wärme des Tones, da weben
Wasserdunst, Rauch und Dampf über eilenden Flüssen ihre schimmernden Spiele,
Abend und Morgen durchwirken Erde und Himmel mit sprühenden Feuern, und
schließlich steigt in van Goghs Bildern ein Erdgrund empor, großschollig und
schwer, überquellend von fruchtbarer Kraft, und über ihm glänzt ein heißer,
starker Mittag. Stilleben prangen daneben, von Cözanne und Gauguin, all¬
tägliche Dinge ohne viel Absicht zusammengeordnet, aber so jauchzend in ihrer
gesättigten Farbenglut, daß aus dem Altgewohnten wieder ein festlich neues
Wunder wird.

Die französischen Bilder sind zum Teil Kostbarkeiten aus der Stiftung, die
man in München, Tschudi zum Gedächtnis, der neuen Pinakothek übergeben
hat. Andere sind aus französischem und schweizerischem Privatbesitz zusammen¬
gebracht. Von Ankäufen ist in dem Saale, der sie vereint, nichts zu merken.
Aber es müßte wunderlich zugehen, wenn nicht gerade von diesen Werken wider
allen höheren Willen schließlich doch eine wahrhaft lebendige Wirkung ausginge.
Denn im Bereiche der ganzen Ausstellung reden sie am eindringlichsten die
Sprache einer Schöpferkraft, die Gebilde voll dauernden Lebens zeugt.




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[0489] Das neue Amisthaus in Stuttgart Es steht fast so aus, als hätte man damit eine Auswahl abschreckender Bei¬ spiele zusammenstellen wollen. Zum mindesten war es die Absicht, der Unter¬ schätzung des heimischen Schaffens durch eine solche Gegenüberstellung zu begegnen. Was aber dem unbefangenen Blick tatsächlich sich darstellt, ist ein Raum, der alles hat, was den anderen abgeht, klaren Zusammenhang der einzelnen Werke, eine volle, ruhige Harmonie ihres Wesens und ihrer Wirkung. Und dieser Eindruck gewinnt nun vollends an Macht und Tiefe durch die meisterliche Herr¬ lichkeit, in der sich hier eine wahrhaft reife und große Kunst bezwingend offen¬ bart. Hier sind künstlerische Eroberer am Werk: sie haben mit freier Schöpfer¬ kraft ungeahnte Bereiche neuer Schönheit erschlossen und die Darstellung längst geläufiger Dinge der sichtbaren Welt mit persönlichem Erleben neu durchglüht. Von Courbet her kann man hier die Entwicklung einer Malerei verfolgen, die in der Natur immer neue Wunder entdeckte und sich in kühner Freiheit die Mittel schuf, um den tausendgestaltigen Erscheinungen des freien Lichts und der schillernden Atmospäre wahrhaftigen, lebensreichen Ausdruck zu geben. Da er¬ stehen Landschaften von köstlichster Feinheit und Wärme des Tones, da weben Wasserdunst, Rauch und Dampf über eilenden Flüssen ihre schimmernden Spiele, Abend und Morgen durchwirken Erde und Himmel mit sprühenden Feuern, und schließlich steigt in van Goghs Bildern ein Erdgrund empor, großschollig und schwer, überquellend von fruchtbarer Kraft, und über ihm glänzt ein heißer, starker Mittag. Stilleben prangen daneben, von Cözanne und Gauguin, all¬ tägliche Dinge ohne viel Absicht zusammengeordnet, aber so jauchzend in ihrer gesättigten Farbenglut, daß aus dem Altgewohnten wieder ein festlich neues Wunder wird. Die französischen Bilder sind zum Teil Kostbarkeiten aus der Stiftung, die man in München, Tschudi zum Gedächtnis, der neuen Pinakothek übergeben hat. Andere sind aus französischem und schweizerischem Privatbesitz zusammen¬ gebracht. Von Ankäufen ist in dem Saale, der sie vereint, nichts zu merken. Aber es müßte wunderlich zugehen, wenn nicht gerade von diesen Werken wider allen höheren Willen schließlich doch eine wahrhaft lebendige Wirkung ausginge. Denn im Bereiche der ganzen Ausstellung reden sie am eindringlichsten die Sprache einer Schöpferkraft, die Gebilde voll dauernden Lebens zeugt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/489>, abgerufen am 19.10.2024.