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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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I>as neue Uunsthaus in Stuttgart

manches andere Bild der Ausstellung Zeugnis. Und auch das ernste Mühen
um eine neue monumentale Einfachheit im Figurenbild kommt da und dort zum
Ausdruck. Aber sonderlich viel Liebe hat man für derlei künstlerische Absichten
offenbar nicht gehabt. Denn sie werden, wenn man aufs Ganze sieht, schlie߬
lich doch erdrückt von der Menge des Althergebrachten und Schulgerechtem, der
Akademie- und Atelierkunst.

Mit denselben Bildern hätte man^ wenigstens die einzelnen Richtungen
geschlossener zur Geltung bringen, die einzelnen Persönlichkeiten und Gruppen
klarer abgrenzen und einander gegenüberstellen können. In der Gesamtverteilung
ist jedoch auf eine solche Zusammenordnung des innerlich Verwandten nicht
genügend Rücksicht genommen worden. Freilich, was von Münchenern und
Stuttgartern dargeboten wird, dürfte durch eine solche Vereinigung kaum gewinnen.

Man kann darum in der Stuttgarter Ausstellung sich kaum einen zu¬
reichenden Begriff bilden von den Werten, die das eigentlich Lebenskräftige und
Zukunftsreiche der deutschen Kunst der Gegenwart bedeuten. Der künstlerische
Mittelstand älteren Schlages herrscht vor. Aber der Mittelstand des kunst¬
kaufenden Publikums will ihn augenscheinlich und ist ihm dankbar. Die Zahl
der Verkäufe lehrt das deutlich genug, und es würde sich lohnen, einmal zu¬
sammenzustellen, welche Arten von Darstellungen am häufigsten und am sichersten
ihre Abnehmer finden. In Stuttgart hat man zudem noch ein paar Ankäufe aus
staatlichen Mitteln vollzogen, über die man nur den Kopf schütteln kann. Würde
doch einmal auf mindestens zehn Jahre ein Ausstellungsoerbot ausgesprochen
über Darstellungen der Kreuzigung oder Grablegung, sofern sie über vier Quadrat¬
meter Malfläche beanspruchen! Und wollte man sich entschließen, Figurenbilder
nicht allein darum schon für galeriefähig zu halten, weil sie für ihr Ausmaß
sonst nirgends ausreichende Wände finden!

Recht viel Gutes enthält die nicht eben umfangreiche plastische Abteilung.
Franzosen und Belgier wie Robim, Bourdelle und Minne geben Proben von
feinnerviger Wiedergabe lebcnerfüllter Körperoberfläche. Kolbe und Hoetger
machen ihre Gestalten einem verinnerlichten Bedürfnis nach einheitlich aus¬
drucksvoller Bewegung dienstbar, und die wuchtigen Gebilde von Engelmann
oder Metzner streben nach einer Monumentalität, die der seelischen Macht der
dargestellten Affekte auch durch die Größe der Formen volle Eindrucksgewalt
sichern will.

Das Beste der deutschen Kunst der Gegenwart will die Stuttgarter Aus¬
stellung darbieten; aber die Wahl ist nicht weitherzig genug getroffen, und die
Anordnung arbeitet die einzelnen Werte nicht zu voller Anschaulichkeit heraus.
So wird man ein wirklich umfassendes Bild des Kunstschaffens unserer Tage dies
Jahr anderswo eher gewinnen, und der Anregung, die man am Ort selbst hat
gewähren wollen, Muß es an Fülle und bewegender Kraft fehlen.

Nun hat man aber, als sollten diese Mängel noch besonders deutlich fühlbar
werden, in Stuttgart einen Saal ausschließlich französischen Meistern eingeräumt.


I>as neue Uunsthaus in Stuttgart

manches andere Bild der Ausstellung Zeugnis. Und auch das ernste Mühen
um eine neue monumentale Einfachheit im Figurenbild kommt da und dort zum
Ausdruck. Aber sonderlich viel Liebe hat man für derlei künstlerische Absichten
offenbar nicht gehabt. Denn sie werden, wenn man aufs Ganze sieht, schlie߬
lich doch erdrückt von der Menge des Althergebrachten und Schulgerechtem, der
Akademie- und Atelierkunst.

Mit denselben Bildern hätte man^ wenigstens die einzelnen Richtungen
geschlossener zur Geltung bringen, die einzelnen Persönlichkeiten und Gruppen
klarer abgrenzen und einander gegenüberstellen können. In der Gesamtverteilung
ist jedoch auf eine solche Zusammenordnung des innerlich Verwandten nicht
genügend Rücksicht genommen worden. Freilich, was von Münchenern und
Stuttgartern dargeboten wird, dürfte durch eine solche Vereinigung kaum gewinnen.

Man kann darum in der Stuttgarter Ausstellung sich kaum einen zu¬
reichenden Begriff bilden von den Werten, die das eigentlich Lebenskräftige und
Zukunftsreiche der deutschen Kunst der Gegenwart bedeuten. Der künstlerische
Mittelstand älteren Schlages herrscht vor. Aber der Mittelstand des kunst¬
kaufenden Publikums will ihn augenscheinlich und ist ihm dankbar. Die Zahl
der Verkäufe lehrt das deutlich genug, und es würde sich lohnen, einmal zu¬
sammenzustellen, welche Arten von Darstellungen am häufigsten und am sichersten
ihre Abnehmer finden. In Stuttgart hat man zudem noch ein paar Ankäufe aus
staatlichen Mitteln vollzogen, über die man nur den Kopf schütteln kann. Würde
doch einmal auf mindestens zehn Jahre ein Ausstellungsoerbot ausgesprochen
über Darstellungen der Kreuzigung oder Grablegung, sofern sie über vier Quadrat¬
meter Malfläche beanspruchen! Und wollte man sich entschließen, Figurenbilder
nicht allein darum schon für galeriefähig zu halten, weil sie für ihr Ausmaß
sonst nirgends ausreichende Wände finden!

Recht viel Gutes enthält die nicht eben umfangreiche plastische Abteilung.
Franzosen und Belgier wie Robim, Bourdelle und Minne geben Proben von
feinnerviger Wiedergabe lebcnerfüllter Körperoberfläche. Kolbe und Hoetger
machen ihre Gestalten einem verinnerlichten Bedürfnis nach einheitlich aus¬
drucksvoller Bewegung dienstbar, und die wuchtigen Gebilde von Engelmann
oder Metzner streben nach einer Monumentalität, die der seelischen Macht der
dargestellten Affekte auch durch die Größe der Formen volle Eindrucksgewalt
sichern will.

Das Beste der deutschen Kunst der Gegenwart will die Stuttgarter Aus¬
stellung darbieten; aber die Wahl ist nicht weitherzig genug getroffen, und die
Anordnung arbeitet die einzelnen Werte nicht zu voller Anschaulichkeit heraus.
So wird man ein wirklich umfassendes Bild des Kunstschaffens unserer Tage dies
Jahr anderswo eher gewinnen, und der Anregung, die man am Ort selbst hat
gewähren wollen, Muß es an Fülle und bewegender Kraft fehlen.

Nun hat man aber, als sollten diese Mängel noch besonders deutlich fühlbar
werden, in Stuttgart einen Saal ausschließlich französischen Meistern eingeräumt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/488>, abgerufen am 28.12.2024.