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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Zur Sprachkritik

und Raritätenkabinette dieses wunderlichen Baues der Wissenschaft aufschließen
zu lassen von einem Führer, der sich, wie selten einer, in ihren verwinkelten
Gängen zurechtfindet. Wir hören auch noch geduldig zu, wenn er uns von
Geistern erzählt, die in den leeren Kammern umgehen, und uns mit der aus-
bündigen Ammenmoral entläßt, alles Schlösserbauen lieber sein zu lassen. Aber
sobald wir aus der suggestiven Atmosphäre einer unheimlich gegenwärtigen
Vergangenheit in das freie Leben hinaustreten, verfliegt der Spuk und wir
sehen, daß die skeptische Folgerung unserers Führers ein Taschenspielerkunststück
war. Das Absolute, so feierlich als substantivischer Scheinbegriff zum Haupt¬
portal hinausgeworfen, wurde zur Hintertür wieder hereingeholt, um als Im¬
perativ Sumer armen Milchschwester Relation die Lust am Wirtschaften im Hause
der Wissenschaft zu vergällen. Weil das Absolute, als Erkenntnis und Wert,
in keine Realität eingeht, weil also unser ganzes Denken und Handeln sich in
einem ständigen Auf und Ab von Relationen bewegt, darum soll alles Philo¬
sophieren Spielerei sein wie die Strandburgen müßiger Ferienkinder? Zunächst
logisch vermag ich mit Relation keinerlei Sinn zu verbinden, wenn ich ihr
Korrelat als "Scheinbegriff" ablehne. Praktisch weiß ich noch weniger damit
anzufangen. Wenn das Sprachdenken "nur" eine anthropozentrische Welt¬
anschauung gestattet, so ist bescheidentlich daran zu erinnern, daß diese Resig¬
nation eine Arabeske ist wie alle Werturteile. Die Sprache ist eben nicht nur
zwischen Menschen, was Mauthner immer betont, sondern auch nur zwischen
Menschen. Das Denken verendet im Absoluten, der Fisch im Trocknen. Ich
vermag daraus keinem einen Vorwurf zu machen. Wenn uns anderseits einer
diese gottgewollte Abhängigkeit in eine konsequente Stärke der Organisation
umdeutet, so werden wir auch diese Ansicht ohne absonderliche Begeisterung zu
den Akten nehmen. Um das Absolute, das zu denken wir nicht aufhören können,
für die Wirklichkeit zu retten, gilt es, ihm eine nur regulative Stellung zu ihr
anzuweisen. Darum ist das von Kant inaugurierte Als-ob-motiv die Signatur
der Philosophie von morgen. Das hat Mauthner sehr richtig erkannt. Wir
sollen denken, als ob es Wahrheiten, und leben, als ob es Werte gäbe. Wir
sollen uns bewußt bleiben, daß wir damit nur "Scheinbegriffe" geprägt haben,
Großgeld ohne Metallwert, aber notwendig zu einer geregelten Wirtschaft. Nun
erinnern wir uns, daß auch Teufel, Wunder und Zubehör in derselben Kategorie
der Scheinbegriffe stehen sollen. El, gibt das nicht eine Gelegenheit, auch
diesen würdig alten Hausrat wieder einzuschmuggeln? Wir sollen nichts Böses
tun, "als ob" der Teufel hinter unserer armen Seele her wäre? Dann hätten
wir die Feder wieder einmal überdreht und könnten von vorne anfangen. In
der Tat weist Mauthners Buch an manchen Stellen Symptome dieser wissen¬
schaftlichen Anarchie auf, auf die wir nicht zeitig genug hinweisen können.
("Mystik" als Artikel eines Wörterbuches der Philosophie!)

Aber Mauthner ist Realist genug, mit diesen Konsequenzen nur zu spielen.
Rechtzeitig besinnt er sich, daß es eine Voraussetzung seiner Kritik war, in der


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und Raritätenkabinette dieses wunderlichen Baues der Wissenschaft aufschließen
zu lassen von einem Führer, der sich, wie selten einer, in ihren verwinkelten
Gängen zurechtfindet. Wir hören auch noch geduldig zu, wenn er uns von
Geistern erzählt, die in den leeren Kammern umgehen, und uns mit der aus-
bündigen Ammenmoral entläßt, alles Schlösserbauen lieber sein zu lassen. Aber
sobald wir aus der suggestiven Atmosphäre einer unheimlich gegenwärtigen
Vergangenheit in das freie Leben hinaustreten, verfliegt der Spuk und wir
sehen, daß die skeptische Folgerung unserers Führers ein Taschenspielerkunststück
war. Das Absolute, so feierlich als substantivischer Scheinbegriff zum Haupt¬
portal hinausgeworfen, wurde zur Hintertür wieder hereingeholt, um als Im¬
perativ Sumer armen Milchschwester Relation die Lust am Wirtschaften im Hause
der Wissenschaft zu vergällen. Weil das Absolute, als Erkenntnis und Wert,
in keine Realität eingeht, weil also unser ganzes Denken und Handeln sich in
einem ständigen Auf und Ab von Relationen bewegt, darum soll alles Philo¬
sophieren Spielerei sein wie die Strandburgen müßiger Ferienkinder? Zunächst
logisch vermag ich mit Relation keinerlei Sinn zu verbinden, wenn ich ihr
Korrelat als „Scheinbegriff" ablehne. Praktisch weiß ich noch weniger damit
anzufangen. Wenn das Sprachdenken „nur" eine anthropozentrische Welt¬
anschauung gestattet, so ist bescheidentlich daran zu erinnern, daß diese Resig¬
nation eine Arabeske ist wie alle Werturteile. Die Sprache ist eben nicht nur
zwischen Menschen, was Mauthner immer betont, sondern auch nur zwischen
Menschen. Das Denken verendet im Absoluten, der Fisch im Trocknen. Ich
vermag daraus keinem einen Vorwurf zu machen. Wenn uns anderseits einer
diese gottgewollte Abhängigkeit in eine konsequente Stärke der Organisation
umdeutet, so werden wir auch diese Ansicht ohne absonderliche Begeisterung zu
den Akten nehmen. Um das Absolute, das zu denken wir nicht aufhören können,
für die Wirklichkeit zu retten, gilt es, ihm eine nur regulative Stellung zu ihr
anzuweisen. Darum ist das von Kant inaugurierte Als-ob-motiv die Signatur
der Philosophie von morgen. Das hat Mauthner sehr richtig erkannt. Wir
sollen denken, als ob es Wahrheiten, und leben, als ob es Werte gäbe. Wir
sollen uns bewußt bleiben, daß wir damit nur „Scheinbegriffe" geprägt haben,
Großgeld ohne Metallwert, aber notwendig zu einer geregelten Wirtschaft. Nun
erinnern wir uns, daß auch Teufel, Wunder und Zubehör in derselben Kategorie
der Scheinbegriffe stehen sollen. El, gibt das nicht eine Gelegenheit, auch
diesen würdig alten Hausrat wieder einzuschmuggeln? Wir sollen nichts Böses
tun, „als ob" der Teufel hinter unserer armen Seele her wäre? Dann hätten
wir die Feder wieder einmal überdreht und könnten von vorne anfangen. In
der Tat weist Mauthners Buch an manchen Stellen Symptome dieser wissen¬
schaftlichen Anarchie auf, auf die wir nicht zeitig genug hinweisen können.
(„Mystik" als Artikel eines Wörterbuches der Philosophie!)

Aber Mauthner ist Realist genug, mit diesen Konsequenzen nur zu spielen.
Rechtzeitig besinnt er sich, daß es eine Voraussetzung seiner Kritik war, in der


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[0046] Zur Sprachkritik und Raritätenkabinette dieses wunderlichen Baues der Wissenschaft aufschließen zu lassen von einem Führer, der sich, wie selten einer, in ihren verwinkelten Gängen zurechtfindet. Wir hören auch noch geduldig zu, wenn er uns von Geistern erzählt, die in den leeren Kammern umgehen, und uns mit der aus- bündigen Ammenmoral entläßt, alles Schlösserbauen lieber sein zu lassen. Aber sobald wir aus der suggestiven Atmosphäre einer unheimlich gegenwärtigen Vergangenheit in das freie Leben hinaustreten, verfliegt der Spuk und wir sehen, daß die skeptische Folgerung unserers Führers ein Taschenspielerkunststück war. Das Absolute, so feierlich als substantivischer Scheinbegriff zum Haupt¬ portal hinausgeworfen, wurde zur Hintertür wieder hereingeholt, um als Im¬ perativ Sumer armen Milchschwester Relation die Lust am Wirtschaften im Hause der Wissenschaft zu vergällen. Weil das Absolute, als Erkenntnis und Wert, in keine Realität eingeht, weil also unser ganzes Denken und Handeln sich in einem ständigen Auf und Ab von Relationen bewegt, darum soll alles Philo¬ sophieren Spielerei sein wie die Strandburgen müßiger Ferienkinder? Zunächst logisch vermag ich mit Relation keinerlei Sinn zu verbinden, wenn ich ihr Korrelat als „Scheinbegriff" ablehne. Praktisch weiß ich noch weniger damit anzufangen. Wenn das Sprachdenken „nur" eine anthropozentrische Welt¬ anschauung gestattet, so ist bescheidentlich daran zu erinnern, daß diese Resig¬ nation eine Arabeske ist wie alle Werturteile. Die Sprache ist eben nicht nur zwischen Menschen, was Mauthner immer betont, sondern auch nur zwischen Menschen. Das Denken verendet im Absoluten, der Fisch im Trocknen. Ich vermag daraus keinem einen Vorwurf zu machen. Wenn uns anderseits einer diese gottgewollte Abhängigkeit in eine konsequente Stärke der Organisation umdeutet, so werden wir auch diese Ansicht ohne absonderliche Begeisterung zu den Akten nehmen. Um das Absolute, das zu denken wir nicht aufhören können, für die Wirklichkeit zu retten, gilt es, ihm eine nur regulative Stellung zu ihr anzuweisen. Darum ist das von Kant inaugurierte Als-ob-motiv die Signatur der Philosophie von morgen. Das hat Mauthner sehr richtig erkannt. Wir sollen denken, als ob es Wahrheiten, und leben, als ob es Werte gäbe. Wir sollen uns bewußt bleiben, daß wir damit nur „Scheinbegriffe" geprägt haben, Großgeld ohne Metallwert, aber notwendig zu einer geregelten Wirtschaft. Nun erinnern wir uns, daß auch Teufel, Wunder und Zubehör in derselben Kategorie der Scheinbegriffe stehen sollen. El, gibt das nicht eine Gelegenheit, auch diesen würdig alten Hausrat wieder einzuschmuggeln? Wir sollen nichts Böses tun, „als ob" der Teufel hinter unserer armen Seele her wäre? Dann hätten wir die Feder wieder einmal überdreht und könnten von vorne anfangen. In der Tat weist Mauthners Buch an manchen Stellen Symptome dieser wissen¬ schaftlichen Anarchie auf, auf die wir nicht zeitig genug hinweisen können. („Mystik" als Artikel eines Wörterbuches der Philosophie!) Aber Mauthner ist Realist genug, mit diesen Konsequenzen nur zu spielen. Rechtzeitig besinnt er sich, daß es eine Voraussetzung seiner Kritik war, in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/46>, abgerufen am 19.10.2024.