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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Mit und ohne Waffen

mußte für die künftige Stellung Bulgariens auf dem Balkan schwer ins Gewicht
fallen; sie war ebenso vielversprechend für Bulgarien, wie bedenklich für Ru߬
land. Letzteres hat sich daher nach dem Abschluß des Balkankrieges kluger¬
weise an dem zeitweiligen Iai88e? aller des europäischen Konzertes ruhig be¬
teiligt. Daß Griechenland und Serbien Verlangen trugen, die Lorbeeren des
allzu mächtig werdenden Waffenbruders zum eigenen Schmucke zu verwenden,
schien wenig Gefahr in sich zu bergen, weil für die voraussichtliche zukünftige
Behinderung dieser beiden durch das Kuckucksei Albanien vorgesorgt worden war.

Daß aber den Siegern des Balkankrieges ermöglicht wurde, nach dem
Niederringen der Türkei übereinander herzufallen, hat Rußland den großen
Vorteil eingetragen, daß in der Heimat vorläufig Ruhe eintrat: der allzu
rührige Panslawismus hatte nun Zeit, sich angesichts des drohenden Bruder¬
krieges, ebenso von seinem Hurrarufen wie von seiner Hetzarbeit zu erholen.

Jetzt, wo Rußland nach außen wie nach innen annähernd die Verhältnisse
zur Verfügung hatte, deren es zur Durchführung seiner eigenen Absichten be¬
dürfte, war es die höchste Zeit, für Ruhe zu sorgen. Das tat Rußland in
der eindringlichsten Tonart in der Form eines Zarischen Telegrammes. Ru߬
land ging noch weiter: der Zar schlug ein Schiedsgericht vor und erbot sich, das
Amt des Schiedsrichters zwischen den Streitenden zu übernehmen, bevor man
es zum äußersten kommen ließ. Eine ernste und letzte Warnung!

Dieser Schritt ist um so bedeutungsvoller, als er eine selbständige Handlung
Rußlands gegenüber dem europäischen Konzert darstellt; daß er getan werden
konnte, ist aber darum ein diplomatischer Erfolg, weil England, das seit
Menschengedenken mit Sorgfalt alle Schritte Rußlands überwacht und nach
Maßgabe des eigenen Bedarfs hemmt, ungefragt blieb.

Überhaupt hat Nußland es durch rechtzeitiges beharrliches Schweigen zu¬
stande gebracht, mit seinen Ententegenossen im Einvernehmen zu bleiben. Frank¬
reich speziell hat das russische Verhalten freilich von Anfang bis zu Ende nicht
begriffen.

Aus dem Schiedsgericht wurde nichts. Der zweite Balkankrieg brach
aus. Es kam zum äußersten: Bulgarien wurde dem bis dahin neutralen aber
schon längst mit allen Kompetenzen ausgerüsteten und sprungbereiten Rumänien
ausgeliefert. Und damit war der Schlußakt des Balkandramas eröffnet.

Hiermit sind wir an dem Punkte angelangt, der uns für die diplomatische
Tätigkeit Rußlands erst den Eck- und Schlußstein liefert: alle diese bisher auf¬
gezählten diplomatischen Leistungen wurden ohne den Rückhalt an einer eigenen
militärischen Macht durchgeführt.




Und nun zur Motivierung der Tatsache, daß Nußland zurzeit außerstande
ist. Krieg zu führen! Beginnen wir mit den Gesichtspunkten, die jedermann
bekannt sind und aus denen ein Hehl zu machen, Rußland selbst weder imstande


Mit und ohne Waffen

mußte für die künftige Stellung Bulgariens auf dem Balkan schwer ins Gewicht
fallen; sie war ebenso vielversprechend für Bulgarien, wie bedenklich für Ru߬
land. Letzteres hat sich daher nach dem Abschluß des Balkankrieges kluger¬
weise an dem zeitweiligen Iai88e? aller des europäischen Konzertes ruhig be¬
teiligt. Daß Griechenland und Serbien Verlangen trugen, die Lorbeeren des
allzu mächtig werdenden Waffenbruders zum eigenen Schmucke zu verwenden,
schien wenig Gefahr in sich zu bergen, weil für die voraussichtliche zukünftige
Behinderung dieser beiden durch das Kuckucksei Albanien vorgesorgt worden war.

Daß aber den Siegern des Balkankrieges ermöglicht wurde, nach dem
Niederringen der Türkei übereinander herzufallen, hat Rußland den großen
Vorteil eingetragen, daß in der Heimat vorläufig Ruhe eintrat: der allzu
rührige Panslawismus hatte nun Zeit, sich angesichts des drohenden Bruder¬
krieges, ebenso von seinem Hurrarufen wie von seiner Hetzarbeit zu erholen.

Jetzt, wo Rußland nach außen wie nach innen annähernd die Verhältnisse
zur Verfügung hatte, deren es zur Durchführung seiner eigenen Absichten be¬
dürfte, war es die höchste Zeit, für Ruhe zu sorgen. Das tat Rußland in
der eindringlichsten Tonart in der Form eines Zarischen Telegrammes. Ru߬
land ging noch weiter: der Zar schlug ein Schiedsgericht vor und erbot sich, das
Amt des Schiedsrichters zwischen den Streitenden zu übernehmen, bevor man
es zum äußersten kommen ließ. Eine ernste und letzte Warnung!

Dieser Schritt ist um so bedeutungsvoller, als er eine selbständige Handlung
Rußlands gegenüber dem europäischen Konzert darstellt; daß er getan werden
konnte, ist aber darum ein diplomatischer Erfolg, weil England, das seit
Menschengedenken mit Sorgfalt alle Schritte Rußlands überwacht und nach
Maßgabe des eigenen Bedarfs hemmt, ungefragt blieb.

Überhaupt hat Nußland es durch rechtzeitiges beharrliches Schweigen zu¬
stande gebracht, mit seinen Ententegenossen im Einvernehmen zu bleiben. Frank¬
reich speziell hat das russische Verhalten freilich von Anfang bis zu Ende nicht
begriffen.

Aus dem Schiedsgericht wurde nichts. Der zweite Balkankrieg brach
aus. Es kam zum äußersten: Bulgarien wurde dem bis dahin neutralen aber
schon längst mit allen Kompetenzen ausgerüsteten und sprungbereiten Rumänien
ausgeliefert. Und damit war der Schlußakt des Balkandramas eröffnet.

Hiermit sind wir an dem Punkte angelangt, der uns für die diplomatische
Tätigkeit Rußlands erst den Eck- und Schlußstein liefert: alle diese bisher auf¬
gezählten diplomatischen Leistungen wurden ohne den Rückhalt an einer eigenen
militärischen Macht durchgeführt.




Und nun zur Motivierung der Tatsache, daß Nußland zurzeit außerstande
ist. Krieg zu führen! Beginnen wir mit den Gesichtspunkten, die jedermann
bekannt sind und aus denen ein Hehl zu machen, Rußland selbst weder imstande


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[0457] Mit und ohne Waffen mußte für die künftige Stellung Bulgariens auf dem Balkan schwer ins Gewicht fallen; sie war ebenso vielversprechend für Bulgarien, wie bedenklich für Ru߬ land. Letzteres hat sich daher nach dem Abschluß des Balkankrieges kluger¬ weise an dem zeitweiligen Iai88e? aller des europäischen Konzertes ruhig be¬ teiligt. Daß Griechenland und Serbien Verlangen trugen, die Lorbeeren des allzu mächtig werdenden Waffenbruders zum eigenen Schmucke zu verwenden, schien wenig Gefahr in sich zu bergen, weil für die voraussichtliche zukünftige Behinderung dieser beiden durch das Kuckucksei Albanien vorgesorgt worden war. Daß aber den Siegern des Balkankrieges ermöglicht wurde, nach dem Niederringen der Türkei übereinander herzufallen, hat Rußland den großen Vorteil eingetragen, daß in der Heimat vorläufig Ruhe eintrat: der allzu rührige Panslawismus hatte nun Zeit, sich angesichts des drohenden Bruder¬ krieges, ebenso von seinem Hurrarufen wie von seiner Hetzarbeit zu erholen. Jetzt, wo Rußland nach außen wie nach innen annähernd die Verhältnisse zur Verfügung hatte, deren es zur Durchführung seiner eigenen Absichten be¬ dürfte, war es die höchste Zeit, für Ruhe zu sorgen. Das tat Rußland in der eindringlichsten Tonart in der Form eines Zarischen Telegrammes. Ru߬ land ging noch weiter: der Zar schlug ein Schiedsgericht vor und erbot sich, das Amt des Schiedsrichters zwischen den Streitenden zu übernehmen, bevor man es zum äußersten kommen ließ. Eine ernste und letzte Warnung! Dieser Schritt ist um so bedeutungsvoller, als er eine selbständige Handlung Rußlands gegenüber dem europäischen Konzert darstellt; daß er getan werden konnte, ist aber darum ein diplomatischer Erfolg, weil England, das seit Menschengedenken mit Sorgfalt alle Schritte Rußlands überwacht und nach Maßgabe des eigenen Bedarfs hemmt, ungefragt blieb. Überhaupt hat Nußland es durch rechtzeitiges beharrliches Schweigen zu¬ stande gebracht, mit seinen Ententegenossen im Einvernehmen zu bleiben. Frank¬ reich speziell hat das russische Verhalten freilich von Anfang bis zu Ende nicht begriffen. Aus dem Schiedsgericht wurde nichts. Der zweite Balkankrieg brach aus. Es kam zum äußersten: Bulgarien wurde dem bis dahin neutralen aber schon längst mit allen Kompetenzen ausgerüsteten und sprungbereiten Rumänien ausgeliefert. Und damit war der Schlußakt des Balkandramas eröffnet. Hiermit sind wir an dem Punkte angelangt, der uns für die diplomatische Tätigkeit Rußlands erst den Eck- und Schlußstein liefert: alle diese bisher auf¬ gezählten diplomatischen Leistungen wurden ohne den Rückhalt an einer eigenen militärischen Macht durchgeführt. Und nun zur Motivierung der Tatsache, daß Nußland zurzeit außerstande ist. Krieg zu führen! Beginnen wir mit den Gesichtspunkten, die jedermann bekannt sind und aus denen ein Hehl zu machen, Rußland selbst weder imstande

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/457>, abgerufen am 21.10.2024.