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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Kaiser sich mit dem Prinzen von Wales über
die Möglichkeit eines englisch-französischen
Krieges unterhalten habe. Es sind aber noch
andere Sachen vorgekommen. Einmal hat
Kiderlen sich in Gegenwart der Kaiserin die
Erzählung eines Scherzes erlaubt, der Herrn
von Mirbach zur Raserei gebracht hat. Das
ist ja ziemlich harmlos. Jedenfalls hat mir
Holstein selbst angedeutet, daß wegen dieser
Sache eine Verstimmung gegen Kiderlen
herrsche. Er fügte hinzu: "Dann hat Kiderlen
noch verschiedene Dummheiten gemacht. Er
raucht nämlich zuviel, und das umnebelt
ihn manchmal förmlich. ..."

Ich würde über diese Briefe kein Wort
verlieren, wenn es nicht das offizielle Organ
einer sich staatserhaltend nennenden Partei
wäre, das die Briefe ihren Lesern als historisch
einwandfreie Dokumente vorzusetzen sich er¬
laubt.

Nur die von der Post gefolgerte Wirkung
der Kiderlenschen Zeitungsausschnitte möchte
ich beleuchten.

Die dem Kaiser vorgelegten Zeitungsaus¬
schnitte umfaßten und umfassen noch alle
wichtigen Fragen der äußeren und inneren
Politik. Im Sommer 1893 beschäftigten sie
sich ganz besonders eingehend mit der
Militärvorlage und mit dem Kampf um
die zweijährige Dienstzeit. Daß Herbert
Bismarck die zweijährige Dienstzeit bekämpfte
und dagegen öffentlich agitierte, ist bekannt
(siehe seine Rede im Reichstag vom 14. Juli
1893), und wenn Caprivi sich auch dieses
seines Gegners zu erwehren suchte, so war
das nicht nur sein Recht, sondern seine Pflicht.
Das Thema Bismarck als solches ist --
soweit ich das zu übersehen vermag -- aus
der privaten Korrespondenz der amtlichen
Personen, wie Kiderlen, Holstein, Fürst
Hohenlohe und anderer, untereinander wäh¬
rend des ganzen Sommers 1893, um den
es sich hier doch handelt, verbannt, während
sonst von allen möglichen Personen und
Dingen sehr freimütig gesprochen wurde.
Wenn Kiderlen wirklich ein so trauriges
Handwerk getrieben hätte, wie die Post es
ihm vorwirft, so würden sich Anzeichen
auch in der mir zugänglich gewordenen
Korrespondenz finden; in ihr wird nichts be¬
schönigt oder umgangen. DieAnrempeleien der

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sogenannten Bismarckpresse, hinter der sich
damals alle Gegner des Grafen Caprivi
versteckten, werden auch nicht mit einem Wort
als bismarckische Inspirationen erwähnt, son¬
dern ganz zutreffend als solche der Fronde
von rechts: der Blut- und Eisenmänner, der
Staatsstreichfreunde und Gegner jeder Sozial¬
politik, die sich im Schatten des großen Bis¬
marck verkrochen, während Caprivi und seine Ge¬
folgschaft in allerOffentlichteit kämpften. Erstim
September finden sich auch Anzeichen, daß die
hier in Frage kommenden Kreise sich lebhafter
mit dem Altreichskanzler persönlich beschäftigen.
Es geschieht dies aus Anlaß seiner Erkran¬
kung. In welchem Sinne aber eine "Ein¬
wirkung" auf den Kaiser stattfindet, das er¬
gibt sich aus nachstehendem Telegramm, das
der Kaiser am 19. September 1893 an den
Fürsten Bismarck in Kissingen richtete:

An Fürst Bismarck, Kissingen. Ich habe
zu Meinem Bedauern jetzt erst erfahren, daß
Eure Durchlaucht eine nicht unerhebliche
Erkrankung durchgemacht haben. Da Mir
zugleich, Gott sei Dank, Nachrichten über
die stetig fortschreitende Besserung zuge¬
gangen sind, spreche Ich Meine wärmste
Freude hierüber aus. In dem Wunsch,
Ihre Genesung zu einer recht vollständigen
zu gestalten, bitte Ich Eure Durchlaucht
bei der klimatisch wenig günstigen Lage von
Varzin und Friedrichsruh für die Winter¬
zeiten in einem Meiner in Mitteldeutsch¬
land gelegenen Schlösser Ihr Quartier auf¬
zuschlagen. Ich werde nach Rücksprache mit
Meinem Hofmarschall das geeignetste Schloß
Eurer Durchlaucht namhaft machen. Wilhelm.

Man halte fest: diese Einladung erfolgte kurz
nach den Kämpfen um die zweijährige Dienst¬
zeit, in denen Herbert Bismarck an der Spitze
ihrer Gegner gestanden hatte! Sache und
Person wurden also von feiten des Kaisers
und Caprivis streng auseinandergehalten.
Hieraus darf Wohl auch gefolgert werden, daß
Kiderlen im Sommer 1893 den Kaiser nicht
mit Zeitungsausschnitten aus der Bismarck¬
presse behelligt haben wird, die die Kluft zu
erweitern bestimmt waren.

Ist es aber zu anderer Zeit geschehen, so
mögen diejenigen, die derartiges behaupten,
den Mut haben, ihre Behauptungen mit ihrem

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Kaiser sich mit dem Prinzen von Wales über
die Möglichkeit eines englisch-französischen
Krieges unterhalten habe. Es sind aber noch
andere Sachen vorgekommen. Einmal hat
Kiderlen sich in Gegenwart der Kaiserin die
Erzählung eines Scherzes erlaubt, der Herrn
von Mirbach zur Raserei gebracht hat. Das
ist ja ziemlich harmlos. Jedenfalls hat mir
Holstein selbst angedeutet, daß wegen dieser
Sache eine Verstimmung gegen Kiderlen
herrsche. Er fügte hinzu: „Dann hat Kiderlen
noch verschiedene Dummheiten gemacht. Er
raucht nämlich zuviel, und das umnebelt
ihn manchmal förmlich. ..."

Ich würde über diese Briefe kein Wort
verlieren, wenn es nicht das offizielle Organ
einer sich staatserhaltend nennenden Partei
wäre, das die Briefe ihren Lesern als historisch
einwandfreie Dokumente vorzusetzen sich er¬
laubt.

Nur die von der Post gefolgerte Wirkung
der Kiderlenschen Zeitungsausschnitte möchte
ich beleuchten.

Die dem Kaiser vorgelegten Zeitungsaus¬
schnitte umfaßten und umfassen noch alle
wichtigen Fragen der äußeren und inneren
Politik. Im Sommer 1893 beschäftigten sie
sich ganz besonders eingehend mit der
Militärvorlage und mit dem Kampf um
die zweijährige Dienstzeit. Daß Herbert
Bismarck die zweijährige Dienstzeit bekämpfte
und dagegen öffentlich agitierte, ist bekannt
(siehe seine Rede im Reichstag vom 14. Juli
1893), und wenn Caprivi sich auch dieses
seines Gegners zu erwehren suchte, so war
das nicht nur sein Recht, sondern seine Pflicht.
Das Thema Bismarck als solches ist —
soweit ich das zu übersehen vermag — aus
der privaten Korrespondenz der amtlichen
Personen, wie Kiderlen, Holstein, Fürst
Hohenlohe und anderer, untereinander wäh¬
rend des ganzen Sommers 1893, um den
es sich hier doch handelt, verbannt, während
sonst von allen möglichen Personen und
Dingen sehr freimütig gesprochen wurde.
Wenn Kiderlen wirklich ein so trauriges
Handwerk getrieben hätte, wie die Post es
ihm vorwirft, so würden sich Anzeichen
auch in der mir zugänglich gewordenen
Korrespondenz finden; in ihr wird nichts be¬
schönigt oder umgangen. DieAnrempeleien der

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sogenannten Bismarckpresse, hinter der sich
damals alle Gegner des Grafen Caprivi
versteckten, werden auch nicht mit einem Wort
als bismarckische Inspirationen erwähnt, son¬
dern ganz zutreffend als solche der Fronde
von rechts: der Blut- und Eisenmänner, der
Staatsstreichfreunde und Gegner jeder Sozial¬
politik, die sich im Schatten des großen Bis¬
marck verkrochen, während Caprivi und seine Ge¬
folgschaft in allerOffentlichteit kämpften. Erstim
September finden sich auch Anzeichen, daß die
hier in Frage kommenden Kreise sich lebhafter
mit dem Altreichskanzler persönlich beschäftigen.
Es geschieht dies aus Anlaß seiner Erkran¬
kung. In welchem Sinne aber eine „Ein¬
wirkung" auf den Kaiser stattfindet, das er¬
gibt sich aus nachstehendem Telegramm, das
der Kaiser am 19. September 1893 an den
Fürsten Bismarck in Kissingen richtete:

An Fürst Bismarck, Kissingen. Ich habe
zu Meinem Bedauern jetzt erst erfahren, daß
Eure Durchlaucht eine nicht unerhebliche
Erkrankung durchgemacht haben. Da Mir
zugleich, Gott sei Dank, Nachrichten über
die stetig fortschreitende Besserung zuge¬
gangen sind, spreche Ich Meine wärmste
Freude hierüber aus. In dem Wunsch,
Ihre Genesung zu einer recht vollständigen
zu gestalten, bitte Ich Eure Durchlaucht
bei der klimatisch wenig günstigen Lage von
Varzin und Friedrichsruh für die Winter¬
zeiten in einem Meiner in Mitteldeutsch¬
land gelegenen Schlösser Ihr Quartier auf¬
zuschlagen. Ich werde nach Rücksprache mit
Meinem Hofmarschall das geeignetste Schloß
Eurer Durchlaucht namhaft machen. Wilhelm.

Man halte fest: diese Einladung erfolgte kurz
nach den Kämpfen um die zweijährige Dienst¬
zeit, in denen Herbert Bismarck an der Spitze
ihrer Gegner gestanden hatte! Sache und
Person wurden also von feiten des Kaisers
und Caprivis streng auseinandergehalten.
Hieraus darf Wohl auch gefolgert werden, daß
Kiderlen im Sommer 1893 den Kaiser nicht
mit Zeitungsausschnitten aus der Bismarck¬
presse behelligt haben wird, die die Kluft zu
erweitern bestimmt waren.

Ist es aber zu anderer Zeit geschehen, so
mögen diejenigen, die derartiges behaupten,
den Mut haben, ihre Behauptungen mit ihrem

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[0392] Maßgebliches und Unmaßgebliches Kaiser sich mit dem Prinzen von Wales über die Möglichkeit eines englisch-französischen Krieges unterhalten habe. Es sind aber noch andere Sachen vorgekommen. Einmal hat Kiderlen sich in Gegenwart der Kaiserin die Erzählung eines Scherzes erlaubt, der Herrn von Mirbach zur Raserei gebracht hat. Das ist ja ziemlich harmlos. Jedenfalls hat mir Holstein selbst angedeutet, daß wegen dieser Sache eine Verstimmung gegen Kiderlen herrsche. Er fügte hinzu: „Dann hat Kiderlen noch verschiedene Dummheiten gemacht. Er raucht nämlich zuviel, und das umnebelt ihn manchmal förmlich. ..." Ich würde über diese Briefe kein Wort verlieren, wenn es nicht das offizielle Organ einer sich staatserhaltend nennenden Partei wäre, das die Briefe ihren Lesern als historisch einwandfreie Dokumente vorzusetzen sich er¬ laubt. Nur die von der Post gefolgerte Wirkung der Kiderlenschen Zeitungsausschnitte möchte ich beleuchten. Die dem Kaiser vorgelegten Zeitungsaus¬ schnitte umfaßten und umfassen noch alle wichtigen Fragen der äußeren und inneren Politik. Im Sommer 1893 beschäftigten sie sich ganz besonders eingehend mit der Militärvorlage und mit dem Kampf um die zweijährige Dienstzeit. Daß Herbert Bismarck die zweijährige Dienstzeit bekämpfte und dagegen öffentlich agitierte, ist bekannt (siehe seine Rede im Reichstag vom 14. Juli 1893), und wenn Caprivi sich auch dieses seines Gegners zu erwehren suchte, so war das nicht nur sein Recht, sondern seine Pflicht. Das Thema Bismarck als solches ist — soweit ich das zu übersehen vermag — aus der privaten Korrespondenz der amtlichen Personen, wie Kiderlen, Holstein, Fürst Hohenlohe und anderer, untereinander wäh¬ rend des ganzen Sommers 1893, um den es sich hier doch handelt, verbannt, während sonst von allen möglichen Personen und Dingen sehr freimütig gesprochen wurde. Wenn Kiderlen wirklich ein so trauriges Handwerk getrieben hätte, wie die Post es ihm vorwirft, so würden sich Anzeichen auch in der mir zugänglich gewordenen Korrespondenz finden; in ihr wird nichts be¬ schönigt oder umgangen. DieAnrempeleien der sogenannten Bismarckpresse, hinter der sich damals alle Gegner des Grafen Caprivi versteckten, werden auch nicht mit einem Wort als bismarckische Inspirationen erwähnt, son¬ dern ganz zutreffend als solche der Fronde von rechts: der Blut- und Eisenmänner, der Staatsstreichfreunde und Gegner jeder Sozial¬ politik, die sich im Schatten des großen Bis¬ marck verkrochen, während Caprivi und seine Ge¬ folgschaft in allerOffentlichteit kämpften. Erstim September finden sich auch Anzeichen, daß die hier in Frage kommenden Kreise sich lebhafter mit dem Altreichskanzler persönlich beschäftigen. Es geschieht dies aus Anlaß seiner Erkran¬ kung. In welchem Sinne aber eine „Ein¬ wirkung" auf den Kaiser stattfindet, das er¬ gibt sich aus nachstehendem Telegramm, das der Kaiser am 19. September 1893 an den Fürsten Bismarck in Kissingen richtete: An Fürst Bismarck, Kissingen. Ich habe zu Meinem Bedauern jetzt erst erfahren, daß Eure Durchlaucht eine nicht unerhebliche Erkrankung durchgemacht haben. Da Mir zugleich, Gott sei Dank, Nachrichten über die stetig fortschreitende Besserung zuge¬ gangen sind, spreche Ich Meine wärmste Freude hierüber aus. In dem Wunsch, Ihre Genesung zu einer recht vollständigen zu gestalten, bitte Ich Eure Durchlaucht bei der klimatisch wenig günstigen Lage von Varzin und Friedrichsruh für die Winter¬ zeiten in einem Meiner in Mitteldeutsch¬ land gelegenen Schlösser Ihr Quartier auf¬ zuschlagen. Ich werde nach Rücksprache mit Meinem Hofmarschall das geeignetste Schloß Eurer Durchlaucht namhaft machen. Wilhelm. Man halte fest: diese Einladung erfolgte kurz nach den Kämpfen um die zweijährige Dienst¬ zeit, in denen Herbert Bismarck an der Spitze ihrer Gegner gestanden hatte! Sache und Person wurden also von feiten des Kaisers und Caprivis streng auseinandergehalten. Hieraus darf Wohl auch gefolgert werden, daß Kiderlen im Sommer 1893 den Kaiser nicht mit Zeitungsausschnitten aus der Bismarck¬ presse behelligt haben wird, die die Kluft zu erweitern bestimmt waren. Ist es aber zu anderer Zeit geschehen, so mögen diejenigen, die derartiges behaupten, den Mut haben, ihre Behauptungen mit ihrem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/392>, abgerufen am 19.10.2024.