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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Feind seiner eigenen Henne gewesen zu sein,
von uns.

Was Bebel für seine Partei bedeutet hat,
lehrt die Geschichte der deutschen Sozialdemo¬
kratie. Was sein Tod für die Partei be¬
deutet, muß eine nahe Zukunft lehren. Ich
verspreche mir gutes, da Bebel es vor allen
Dingen gewesen ist, der eine eiserne Disziplin
in der Partei aufrecht erhielt, die jegliche
Entwicklung über die Dogmen hinaus ver¬
G. Li. hinderte.

Biographie und Briefwechsel

Kiderlen, Bismarck und der Kaiser. Meine
letzten Veröffentlichungen aus den Briefen des
verstorbenen Staatssekretärs von Kiderlen-
Waechter haben so vielfache Beachtung in der
Presse gefunden, daß ich hier in den Grenz¬
boten darauf zurückkommen muß. Zumeist
hat die Presse Sinn und Zweck der Ver¬
öffentlichung richtig verstanden: Bekanntgabe
von Materialien für die spätere eingehende
Lebensbeschreibung. Nur einige wenige haben
sich blind gestellt und speziell gegen meine Ver¬
öffentlichungen in der Vossischen Zeitung Pro¬
testiert. Natürlich sind es die alten Freunde
Äiderlens, die schon zu Lebzeiten kein gutes
Haar an ihm ließen.

Am lehrreichsten und am bezeichnendsten für
die Art und Weise, wie die Gegner des Verstor¬
benen auch jetzt noch gegen ihn arbeiten, sind
die Argumente der Post gegen die Veröffent¬
lichungen. Sie verrät ihre Motive mit dem ihr
eigenen Zynismus, indem sie am 16. Juli
schreibt: "Ein Mann, der sich mit Eifer
dem unseligen Handwerk gewidmet
hat, den Gegensatz zwischen Wilhelm
dem Zweiten und Bismarck mit den
unlautersten Mitteln zu verschärfen,
muß darauf verzichten, als ein Held
des deutschen Volkes mit Verehrung
und Dankbarkeit genannt zu werden!"

Also, weil die Gefahr besteht, daß ein
toter politischer Gegner sich Sympathien er¬
werben könnte, deswegen müssen Veröffent¬
lichungen über ihn unterbleiben I?

Nun sollte man glauben, daß, wenn das
offizielle Organ einer konservativen Partei
gegen einen Staatsmann Beschuldigungen,
wie die nutgeteilten, erhebt, die Beweise dafür
klar auf der Hand liegen. Statt dessen werden

[Spaltenumbruch]

drei jämmerliche Briefe eines Anonymus zitiert,
die zuerst in einem kaum beachteten Blättchen
erschienen sind. Hier sind die "Dokumente"
des freikonservativen Parteiorgans:

"19. Dezember 1892.

. . . Der Freiherr von hat mir da
vor ein paar Tagen bei Borchardt eine son¬
derbare Geschichte erzählt. Caprivi hat ihm
gewissermaßen sein Leid geklagt. Es sei ja
alles ganz schön, aber zuweilen käme er sich
in seiner Position als Reichskanzler doch sehr
bemitleidenswert vor. Oft fühle er sich wie
der Schnljunge des Geheimrath Kiderlen, an
dem der Kaiser einen förmlichen Narren ge¬
fressen zu haben scheine. Kiderlen sei das
willenlose Werkzeug Holsteins und suggeriere
dem Kaiser die Ausführung aller Holsteinschen
Wünsche. Wenn er, Caprivi, dem Kaiser eine
Sache vortrage, so antworte der ihm in der
Regel wörtlich dieselben Sachen, die Caprivi
vorher schon gelegentlich von Kiderlen gehört
habe. Wenn Kiderlen sich in einer Unter¬
haltung mit dem Reichskanzler bei Gelegen¬
heit und auf Befragen allersubmissest abfällig
über eine Sache geäußert habe, habe er,
Caprivi, schon vorher gewußt, daß der Kaiser
auch ablehnend gesonnen sei. Und dann habe
er oft die Sache dem Kaiser gar nicht erst
vorgetragen. Stets sei der Kaiser, wenn der
Reichskanzler eine Sache vorbringe, entweder
brieflich aus München durch Eulenburg oder
mündlich durch Kiderlen Präpariert. . .

6. Juli 1893.

. . . Kein Tag vergeht, ohne daß Kiderlen
irgendeinen Zeitungsausschnitt zum Kaiser
bringt, den angeblich die Bismarckclique gegen
den Kaiser lanciert hat. Rößler (1893 vor
Kiderlen Preßdezernent im Auswärtigen Amt.
Die Sieb.) hat sich ein Paarmal verplappert.
Meistens haben Holstein und Kiderlen die
Angriffe selbst lanciert. ...

27. November 1893.

... Es wird allerhand laut von einen,
Krach oben mit Kiderlen - Waechter. Allem
Anschein nach ist er "unten durch". Er soll
sich im August auf der Englandreise mit
S. M. sehr ungeschickt benommen haben.
Ganz bestimmt ist, daß er einmal dem Kaiser
nach dem Genuß von zwanzig Importen und
einigen Bouteillen auf dem Schiff laute Bor¬
haltungen darüber gemacht hat, daß der

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Feind seiner eigenen Henne gewesen zu sein,
von uns.

Was Bebel für seine Partei bedeutet hat,
lehrt die Geschichte der deutschen Sozialdemo¬
kratie. Was sein Tod für die Partei be¬
deutet, muß eine nahe Zukunft lehren. Ich
verspreche mir gutes, da Bebel es vor allen
Dingen gewesen ist, der eine eiserne Disziplin
in der Partei aufrecht erhielt, die jegliche
Entwicklung über die Dogmen hinaus ver¬
G. Li. hinderte.

Biographie und Briefwechsel

Kiderlen, Bismarck und der Kaiser. Meine
letzten Veröffentlichungen aus den Briefen des
verstorbenen Staatssekretärs von Kiderlen-
Waechter haben so vielfache Beachtung in der
Presse gefunden, daß ich hier in den Grenz¬
boten darauf zurückkommen muß. Zumeist
hat die Presse Sinn und Zweck der Ver¬
öffentlichung richtig verstanden: Bekanntgabe
von Materialien für die spätere eingehende
Lebensbeschreibung. Nur einige wenige haben
sich blind gestellt und speziell gegen meine Ver¬
öffentlichungen in der Vossischen Zeitung Pro¬
testiert. Natürlich sind es die alten Freunde
Äiderlens, die schon zu Lebzeiten kein gutes
Haar an ihm ließen.

Am lehrreichsten und am bezeichnendsten für
die Art und Weise, wie die Gegner des Verstor¬
benen auch jetzt noch gegen ihn arbeiten, sind
die Argumente der Post gegen die Veröffent¬
lichungen. Sie verrät ihre Motive mit dem ihr
eigenen Zynismus, indem sie am 16. Juli
schreibt: „Ein Mann, der sich mit Eifer
dem unseligen Handwerk gewidmet
hat, den Gegensatz zwischen Wilhelm
dem Zweiten und Bismarck mit den
unlautersten Mitteln zu verschärfen,
muß darauf verzichten, als ein Held
des deutschen Volkes mit Verehrung
und Dankbarkeit genannt zu werden!"

Also, weil die Gefahr besteht, daß ein
toter politischer Gegner sich Sympathien er¬
werben könnte, deswegen müssen Veröffent¬
lichungen über ihn unterbleiben I?

Nun sollte man glauben, daß, wenn das
offizielle Organ einer konservativen Partei
gegen einen Staatsmann Beschuldigungen,
wie die nutgeteilten, erhebt, die Beweise dafür
klar auf der Hand liegen. Statt dessen werden

[Spaltenumbruch]

drei jämmerliche Briefe eines Anonymus zitiert,
die zuerst in einem kaum beachteten Blättchen
erschienen sind. Hier sind die „Dokumente"
des freikonservativen Parteiorgans:

„19. Dezember 1892.

. . . Der Freiherr von hat mir da
vor ein paar Tagen bei Borchardt eine son¬
derbare Geschichte erzählt. Caprivi hat ihm
gewissermaßen sein Leid geklagt. Es sei ja
alles ganz schön, aber zuweilen käme er sich
in seiner Position als Reichskanzler doch sehr
bemitleidenswert vor. Oft fühle er sich wie
der Schnljunge des Geheimrath Kiderlen, an
dem der Kaiser einen förmlichen Narren ge¬
fressen zu haben scheine. Kiderlen sei das
willenlose Werkzeug Holsteins und suggeriere
dem Kaiser die Ausführung aller Holsteinschen
Wünsche. Wenn er, Caprivi, dem Kaiser eine
Sache vortrage, so antworte der ihm in der
Regel wörtlich dieselben Sachen, die Caprivi
vorher schon gelegentlich von Kiderlen gehört
habe. Wenn Kiderlen sich in einer Unter¬
haltung mit dem Reichskanzler bei Gelegen¬
heit und auf Befragen allersubmissest abfällig
über eine Sache geäußert habe, habe er,
Caprivi, schon vorher gewußt, daß der Kaiser
auch ablehnend gesonnen sei. Und dann habe
er oft die Sache dem Kaiser gar nicht erst
vorgetragen. Stets sei der Kaiser, wenn der
Reichskanzler eine Sache vorbringe, entweder
brieflich aus München durch Eulenburg oder
mündlich durch Kiderlen Präpariert. . .

6. Juli 1893.

. . . Kein Tag vergeht, ohne daß Kiderlen
irgendeinen Zeitungsausschnitt zum Kaiser
bringt, den angeblich die Bismarckclique gegen
den Kaiser lanciert hat. Rößler (1893 vor
Kiderlen Preßdezernent im Auswärtigen Amt.
Die Sieb.) hat sich ein Paarmal verplappert.
Meistens haben Holstein und Kiderlen die
Angriffe selbst lanciert. ...

27. November 1893.

... Es wird allerhand laut von einen,
Krach oben mit Kiderlen - Waechter. Allem
Anschein nach ist er „unten durch". Er soll
sich im August auf der Englandreise mit
S. M. sehr ungeschickt benommen haben.
Ganz bestimmt ist, daß er einmal dem Kaiser
nach dem Genuß von zwanzig Importen und
einigen Bouteillen auf dem Schiff laute Bor¬
haltungen darüber gemacht hat, daß der

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[0391] Maßgebliches und Unmaßgebliches Feind seiner eigenen Henne gewesen zu sein, von uns. Was Bebel für seine Partei bedeutet hat, lehrt die Geschichte der deutschen Sozialdemo¬ kratie. Was sein Tod für die Partei be¬ deutet, muß eine nahe Zukunft lehren. Ich verspreche mir gutes, da Bebel es vor allen Dingen gewesen ist, der eine eiserne Disziplin in der Partei aufrecht erhielt, die jegliche Entwicklung über die Dogmen hinaus ver¬ G. Li. hinderte. Biographie und Briefwechsel Kiderlen, Bismarck und der Kaiser. Meine letzten Veröffentlichungen aus den Briefen des verstorbenen Staatssekretärs von Kiderlen- Waechter haben so vielfache Beachtung in der Presse gefunden, daß ich hier in den Grenz¬ boten darauf zurückkommen muß. Zumeist hat die Presse Sinn und Zweck der Ver¬ öffentlichung richtig verstanden: Bekanntgabe von Materialien für die spätere eingehende Lebensbeschreibung. Nur einige wenige haben sich blind gestellt und speziell gegen meine Ver¬ öffentlichungen in der Vossischen Zeitung Pro¬ testiert. Natürlich sind es die alten Freunde Äiderlens, die schon zu Lebzeiten kein gutes Haar an ihm ließen. Am lehrreichsten und am bezeichnendsten für die Art und Weise, wie die Gegner des Verstor¬ benen auch jetzt noch gegen ihn arbeiten, sind die Argumente der Post gegen die Veröffent¬ lichungen. Sie verrät ihre Motive mit dem ihr eigenen Zynismus, indem sie am 16. Juli schreibt: „Ein Mann, der sich mit Eifer dem unseligen Handwerk gewidmet hat, den Gegensatz zwischen Wilhelm dem Zweiten und Bismarck mit den unlautersten Mitteln zu verschärfen, muß darauf verzichten, als ein Held des deutschen Volkes mit Verehrung und Dankbarkeit genannt zu werden!" Also, weil die Gefahr besteht, daß ein toter politischer Gegner sich Sympathien er¬ werben könnte, deswegen müssen Veröffent¬ lichungen über ihn unterbleiben I? Nun sollte man glauben, daß, wenn das offizielle Organ einer konservativen Partei gegen einen Staatsmann Beschuldigungen, wie die nutgeteilten, erhebt, die Beweise dafür klar auf der Hand liegen. Statt dessen werden drei jämmerliche Briefe eines Anonymus zitiert, die zuerst in einem kaum beachteten Blättchen erschienen sind. Hier sind die „Dokumente" des freikonservativen Parteiorgans: „19. Dezember 1892. . . . Der Freiherr von hat mir da vor ein paar Tagen bei Borchardt eine son¬ derbare Geschichte erzählt. Caprivi hat ihm gewissermaßen sein Leid geklagt. Es sei ja alles ganz schön, aber zuweilen käme er sich in seiner Position als Reichskanzler doch sehr bemitleidenswert vor. Oft fühle er sich wie der Schnljunge des Geheimrath Kiderlen, an dem der Kaiser einen förmlichen Narren ge¬ fressen zu haben scheine. Kiderlen sei das willenlose Werkzeug Holsteins und suggeriere dem Kaiser die Ausführung aller Holsteinschen Wünsche. Wenn er, Caprivi, dem Kaiser eine Sache vortrage, so antworte der ihm in der Regel wörtlich dieselben Sachen, die Caprivi vorher schon gelegentlich von Kiderlen gehört habe. Wenn Kiderlen sich in einer Unter¬ haltung mit dem Reichskanzler bei Gelegen¬ heit und auf Befragen allersubmissest abfällig über eine Sache geäußert habe, habe er, Caprivi, schon vorher gewußt, daß der Kaiser auch ablehnend gesonnen sei. Und dann habe er oft die Sache dem Kaiser gar nicht erst vorgetragen. Stets sei der Kaiser, wenn der Reichskanzler eine Sache vorbringe, entweder brieflich aus München durch Eulenburg oder mündlich durch Kiderlen Präpariert. . . 6. Juli 1893. . . . Kein Tag vergeht, ohne daß Kiderlen irgendeinen Zeitungsausschnitt zum Kaiser bringt, den angeblich die Bismarckclique gegen den Kaiser lanciert hat. Rößler (1893 vor Kiderlen Preßdezernent im Auswärtigen Amt. Die Sieb.) hat sich ein Paarmal verplappert. Meistens haben Holstein und Kiderlen die Angriffe selbst lanciert. ... 27. November 1893. ... Es wird allerhand laut von einen, Krach oben mit Kiderlen - Waechter. Allem Anschein nach ist er „unten durch". Er soll sich im August auf der Englandreise mit S. M. sehr ungeschickt benommen haben. Ganz bestimmt ist, daß er einmal dem Kaiser nach dem Genuß von zwanzig Importen und einigen Bouteillen auf dem Schiff laute Bor¬ haltungen darüber gemacht hat, daß der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/391>, abgerufen am 19.10.2024.