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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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dieses gewissermaßen "Ästhetische" war es auch, was den Vater an den harm¬
losen Lustspielen des Sohnes anzog.

In seinen ernsten Dramen schreitet Körner dahin auf dem hohen Kothurn
der tragischen Muse und verleugnet nirgends die tiefgehende Einwirkung, die er,
wie fast die gesamte deutsche Jugend damals, von Schiller erfahren hatte. In
einzelnen Worten und Phrasen wie in der Wahl des Ausdrucks überhaupt,
im Aufbau der Akte wie der ganzen Dramen zeigt er sich als gelehrigen
Schüler des väterlichen Freundes. Doch rührt dies nur zum kleinsten Teile
von bewußter Nachahmung her, wie bei den anderen Epigonen. Viel¬
mehr war Körner in der Lebhaftigkeit seiner Phantasie wie in der ganzen
Richtung seines Gefühlslebens Schiller verwandt; die ihm ererbte und
vom Vater gewissenhaft und eifrig gepflegte Grundstimmung der sittlichen
Verpflichtung, der Zug zum Idealen war ihm. wenn auch in schwächerer Prägung,
mit Schiller gemeinsam. Elternhaus und Erziehung hatten hier viel getan, um
seine Gedankenwelt ganz in Schiller heimisch werden zu lassen. Doch blieb dem
glücklichen und begabten Erben, der mit Freudigkeit sein Pfund wuchern lassen
wollte, der ernste Lebenskampf versagt, der erst vertiefte Innerlichkeit hervor¬
zubringen imstande ist. Daher rührt es, daß seine Charaktere schablonenhaft
erscheinen und über einen Leisten geschlagen sind; besonders die Frauengestalten
gelingen ihm nicht (wie einst den: jungen Schiller). Hier fehlt ihm die Erfahrung,
die allein den psychologischen Blick zu schärfen vermag.

Dabei ragt er aber immer noch turmhoch empor über die Schar der zahl¬
reichen Schiller-Epigonen, die das neunzehnte Jahrhundert hindurch die deutsche
Bühne mit ihren Figuren bevölkerten oder die Lesewelt mit ihren Jambendramen
langweilten. Körner war verliehen, was den meisten fehlte: Phantasie, dichterische
Empfindung und begeisterter Glaube an sich selbst, der sich die höchsten Aus¬
gaben stellte. In seinen Stücken steckt ein solcher Reichtum an dramatischen
Situationen, daß ein anderer Dramatiker sein Leben lang davon gezehrt hätte;
die Frische und der Schwung seiner Sprache hilft hinweg über die mitunter
mangelhafte Motivierung; die geschickte Führung der Handlung läßt die fehlende
scharfe Charakterisierungskunst übersehen. Nicht mit Unrecht hat man ihn eine
"Nebensonne Grillparzers" genannt.




Wäre Theodor Körner ein Dichter geworden? Die Frage ist müßig, das
war er schon! Aber wie hätte er sich weitergebildet, wenn er sein Leben in
ruhigen Bahnen geendet hätte? Ein begabterer Kotzebue -- oder ein schwächerer
Grillparzer? Ich glaube, daß man dabei ein Moment nicht vergessen darf,
das nie recht in Anschlag gebracht worden ist: Körners Vater. Dieser durch
und durch ästhetisch gebildete Mann, der einem Schiller warnende und beratende
Fingerzeige geben dürfte, dessen Urteil an den großen Weimaranern geschult
war, hätte wohl seinem Sohn wie bisher treulich als kritisches Gewissen zur


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dieses gewissermaßen „Ästhetische" war es auch, was den Vater an den harm¬
losen Lustspielen des Sohnes anzog.

In seinen ernsten Dramen schreitet Körner dahin auf dem hohen Kothurn
der tragischen Muse und verleugnet nirgends die tiefgehende Einwirkung, die er,
wie fast die gesamte deutsche Jugend damals, von Schiller erfahren hatte. In
einzelnen Worten und Phrasen wie in der Wahl des Ausdrucks überhaupt,
im Aufbau der Akte wie der ganzen Dramen zeigt er sich als gelehrigen
Schüler des väterlichen Freundes. Doch rührt dies nur zum kleinsten Teile
von bewußter Nachahmung her, wie bei den anderen Epigonen. Viel¬
mehr war Körner in der Lebhaftigkeit seiner Phantasie wie in der ganzen
Richtung seines Gefühlslebens Schiller verwandt; die ihm ererbte und
vom Vater gewissenhaft und eifrig gepflegte Grundstimmung der sittlichen
Verpflichtung, der Zug zum Idealen war ihm. wenn auch in schwächerer Prägung,
mit Schiller gemeinsam. Elternhaus und Erziehung hatten hier viel getan, um
seine Gedankenwelt ganz in Schiller heimisch werden zu lassen. Doch blieb dem
glücklichen und begabten Erben, der mit Freudigkeit sein Pfund wuchern lassen
wollte, der ernste Lebenskampf versagt, der erst vertiefte Innerlichkeit hervor¬
zubringen imstande ist. Daher rührt es, daß seine Charaktere schablonenhaft
erscheinen und über einen Leisten geschlagen sind; besonders die Frauengestalten
gelingen ihm nicht (wie einst den: jungen Schiller). Hier fehlt ihm die Erfahrung,
die allein den psychologischen Blick zu schärfen vermag.

Dabei ragt er aber immer noch turmhoch empor über die Schar der zahl¬
reichen Schiller-Epigonen, die das neunzehnte Jahrhundert hindurch die deutsche
Bühne mit ihren Figuren bevölkerten oder die Lesewelt mit ihren Jambendramen
langweilten. Körner war verliehen, was den meisten fehlte: Phantasie, dichterische
Empfindung und begeisterter Glaube an sich selbst, der sich die höchsten Aus¬
gaben stellte. In seinen Stücken steckt ein solcher Reichtum an dramatischen
Situationen, daß ein anderer Dramatiker sein Leben lang davon gezehrt hätte;
die Frische und der Schwung seiner Sprache hilft hinweg über die mitunter
mangelhafte Motivierung; die geschickte Führung der Handlung läßt die fehlende
scharfe Charakterisierungskunst übersehen. Nicht mit Unrecht hat man ihn eine
„Nebensonne Grillparzers" genannt.




Wäre Theodor Körner ein Dichter geworden? Die Frage ist müßig, das
war er schon! Aber wie hätte er sich weitergebildet, wenn er sein Leben in
ruhigen Bahnen geendet hätte? Ein begabterer Kotzebue — oder ein schwächerer
Grillparzer? Ich glaube, daß man dabei ein Moment nicht vergessen darf,
das nie recht in Anschlag gebracht worden ist: Körners Vater. Dieser durch
und durch ästhetisch gebildete Mann, der einem Schiller warnende und beratende
Fingerzeige geben dürfte, dessen Urteil an den großen Weimaranern geschult
war, hätte wohl seinem Sohn wie bisher treulich als kritisches Gewissen zur


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[0389] Theodor Aörncr dieses gewissermaßen „Ästhetische" war es auch, was den Vater an den harm¬ losen Lustspielen des Sohnes anzog. In seinen ernsten Dramen schreitet Körner dahin auf dem hohen Kothurn der tragischen Muse und verleugnet nirgends die tiefgehende Einwirkung, die er, wie fast die gesamte deutsche Jugend damals, von Schiller erfahren hatte. In einzelnen Worten und Phrasen wie in der Wahl des Ausdrucks überhaupt, im Aufbau der Akte wie der ganzen Dramen zeigt er sich als gelehrigen Schüler des väterlichen Freundes. Doch rührt dies nur zum kleinsten Teile von bewußter Nachahmung her, wie bei den anderen Epigonen. Viel¬ mehr war Körner in der Lebhaftigkeit seiner Phantasie wie in der ganzen Richtung seines Gefühlslebens Schiller verwandt; die ihm ererbte und vom Vater gewissenhaft und eifrig gepflegte Grundstimmung der sittlichen Verpflichtung, der Zug zum Idealen war ihm. wenn auch in schwächerer Prägung, mit Schiller gemeinsam. Elternhaus und Erziehung hatten hier viel getan, um seine Gedankenwelt ganz in Schiller heimisch werden zu lassen. Doch blieb dem glücklichen und begabten Erben, der mit Freudigkeit sein Pfund wuchern lassen wollte, der ernste Lebenskampf versagt, der erst vertiefte Innerlichkeit hervor¬ zubringen imstande ist. Daher rührt es, daß seine Charaktere schablonenhaft erscheinen und über einen Leisten geschlagen sind; besonders die Frauengestalten gelingen ihm nicht (wie einst den: jungen Schiller). Hier fehlt ihm die Erfahrung, die allein den psychologischen Blick zu schärfen vermag. Dabei ragt er aber immer noch turmhoch empor über die Schar der zahl¬ reichen Schiller-Epigonen, die das neunzehnte Jahrhundert hindurch die deutsche Bühne mit ihren Figuren bevölkerten oder die Lesewelt mit ihren Jambendramen langweilten. Körner war verliehen, was den meisten fehlte: Phantasie, dichterische Empfindung und begeisterter Glaube an sich selbst, der sich die höchsten Aus¬ gaben stellte. In seinen Stücken steckt ein solcher Reichtum an dramatischen Situationen, daß ein anderer Dramatiker sein Leben lang davon gezehrt hätte; die Frische und der Schwung seiner Sprache hilft hinweg über die mitunter mangelhafte Motivierung; die geschickte Führung der Handlung läßt die fehlende scharfe Charakterisierungskunst übersehen. Nicht mit Unrecht hat man ihn eine „Nebensonne Grillparzers" genannt. Wäre Theodor Körner ein Dichter geworden? Die Frage ist müßig, das war er schon! Aber wie hätte er sich weitergebildet, wenn er sein Leben in ruhigen Bahnen geendet hätte? Ein begabterer Kotzebue — oder ein schwächerer Grillparzer? Ich glaube, daß man dabei ein Moment nicht vergessen darf, das nie recht in Anschlag gebracht worden ist: Körners Vater. Dieser durch und durch ästhetisch gebildete Mann, der einem Schiller warnende und beratende Fingerzeige geben dürfte, dessen Urteil an den großen Weimaranern geschult war, hätte wohl seinem Sohn wie bisher treulich als kritisches Gewissen zur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/389>, abgerufen am 20.10.2024.