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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung

Die Gründung des auf dem Boden der sozialistischen Weltanschauung
stehenden "Schweizerischen Gewerkschaftsbundes" geht bis in die Anfänge der
achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zurück, wo er angeblich zuerst mit
einem Mitgliederbestand von 2000 unter dem Namen "Allgemeiner Gewerkschafts¬
bund" an die Öffentlichkeit trat. Vor dieser Zeit beherrschte der im Jahre 1838
gegründete und anfänglich auf nationalem Boden stehende "Grütliverein" die
Schweizer Arbeiterbewegung.

Die älteste der bestehenden Arbeiterorganisationen der Schweiz ist der im
Jahre 1858 gegründete "Schweizerische Typographenbund" mit 1906: 2666
und 1911: 3669 Mitgliedern. Die bedeutendste der der Zentralisation an¬
geschlossenen Vereinigungen ist der "Schweizerische Metallarbeiterverband" mit
1898: 4629 und 1911: 13425 Mitgliedern. Von der Verschiedenartigkeit
der Elemente, mit denen die schweizerische Arbeiterbewegung rechnen muß,
gibt eine Aufstellung, welche die 17824 Mitglieder des Metallarbeiterverbandes
im Jahre 1908 ihrer Nationalität nach zergliederte, Kenntnis. Danach waren
12925 Schweizer, 2692 Deutsche, 265 Franzosen, 651 Österreicher und Ungarn,
865 Italiener und 426 aus anderen Ländern, in der Mehrzahl Dänen und
Polen. Unter den Schweizern selbst befanden sich 1100, welche nur französisch
sprachen.

Größere Organisationen sind hier ferner die der Uhrenarbeiter mit 1907:
13824 und 1911: 11200 Mitgliedern, der Holzarbeiter mit 1907: 7863 und
1911: 7016 Mitgliedern, der Maurer mit 1907: 6086 und 1911: 1316 Mit¬
gliedern usw. Der hier in den Zahlenbeispielen mehr oder weniger zutage
tretende Mitgliederrückgang der schweizerischen Gewerkschaften ist wohl neben
den Einflüssen der wirtschaftlichen Depression der Jahre 1908 und 1909 haupt¬
sächlich in den fortwährenden Streitigkeiten der Sozialisten und Anarchisten in
der Schweizer Arbeiterbewegung zu suchen.

Auch die auf Veranlassung des reformistischen italienischen Metallarbeiter¬
verbandes im Jahre 1906 zu Bologna gegründete auf sozialistischer Basis
stehende "Lonkocisrazilone Mnerale äst I^poro" hat seit ihrem Entstehen
unter den stetigen Kämpfen der Sozialisten und Anarchisten um die gewerk¬
schaftliche Taktik und Organisationsform zu leiden gehabt. Hierzu kommt noch,
daß die fortwährenden Schwenkungen der Arbeiterorganisationen vom Anarchismus
und zum Sozialismus und umgekehrt dadurch bestärkt wurden, daß ein großer
Teil der Arbeiter, ja wenn nicht der größte Prozentsatz überhaupt, des Lesens
und Schreibens vollständig unkundig und somit nur auf das gesprochene Wort
allein angewiesen war. Größere Vereinigungen sind hier die "ZinöaLaw
kerrovisri Itali-mi" (Eisenbahner) mit 1900: 20000 und 1911: 25000 Mit¬
gliedern und die "k^eäLl^loue Italiens ctsZIi Oper-u NotallurZici" (Metall¬
arbeiter) mit 1904: 13313 und 1911: 8000 Mitgliedern.

Auf dem im April des Jahres 1898 zu VerviSrs abgehaltenen sozialistischen
Kongreß wurde in Belgien die Zentrale "Lommi8Sion L^ncliLale an peril


Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung

Die Gründung des auf dem Boden der sozialistischen Weltanschauung
stehenden „Schweizerischen Gewerkschaftsbundes" geht bis in die Anfänge der
achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zurück, wo er angeblich zuerst mit
einem Mitgliederbestand von 2000 unter dem Namen „Allgemeiner Gewerkschafts¬
bund" an die Öffentlichkeit trat. Vor dieser Zeit beherrschte der im Jahre 1838
gegründete und anfänglich auf nationalem Boden stehende „Grütliverein" die
Schweizer Arbeiterbewegung.

Die älteste der bestehenden Arbeiterorganisationen der Schweiz ist der im
Jahre 1858 gegründete „Schweizerische Typographenbund" mit 1906: 2666
und 1911: 3669 Mitgliedern. Die bedeutendste der der Zentralisation an¬
geschlossenen Vereinigungen ist der „Schweizerische Metallarbeiterverband" mit
1898: 4629 und 1911: 13425 Mitgliedern. Von der Verschiedenartigkeit
der Elemente, mit denen die schweizerische Arbeiterbewegung rechnen muß,
gibt eine Aufstellung, welche die 17824 Mitglieder des Metallarbeiterverbandes
im Jahre 1908 ihrer Nationalität nach zergliederte, Kenntnis. Danach waren
12925 Schweizer, 2692 Deutsche, 265 Franzosen, 651 Österreicher und Ungarn,
865 Italiener und 426 aus anderen Ländern, in der Mehrzahl Dänen und
Polen. Unter den Schweizern selbst befanden sich 1100, welche nur französisch
sprachen.

Größere Organisationen sind hier ferner die der Uhrenarbeiter mit 1907:
13824 und 1911: 11200 Mitgliedern, der Holzarbeiter mit 1907: 7863 und
1911: 7016 Mitgliedern, der Maurer mit 1907: 6086 und 1911: 1316 Mit¬
gliedern usw. Der hier in den Zahlenbeispielen mehr oder weniger zutage
tretende Mitgliederrückgang der schweizerischen Gewerkschaften ist wohl neben
den Einflüssen der wirtschaftlichen Depression der Jahre 1908 und 1909 haupt¬
sächlich in den fortwährenden Streitigkeiten der Sozialisten und Anarchisten in
der Schweizer Arbeiterbewegung zu suchen.

Auch die auf Veranlassung des reformistischen italienischen Metallarbeiter¬
verbandes im Jahre 1906 zu Bologna gegründete auf sozialistischer Basis
stehende „Lonkocisrazilone Mnerale äst I^poro" hat seit ihrem Entstehen
unter den stetigen Kämpfen der Sozialisten und Anarchisten um die gewerk¬
schaftliche Taktik und Organisationsform zu leiden gehabt. Hierzu kommt noch,
daß die fortwährenden Schwenkungen der Arbeiterorganisationen vom Anarchismus
und zum Sozialismus und umgekehrt dadurch bestärkt wurden, daß ein großer
Teil der Arbeiter, ja wenn nicht der größte Prozentsatz überhaupt, des Lesens
und Schreibens vollständig unkundig und somit nur auf das gesprochene Wort
allein angewiesen war. Größere Vereinigungen sind hier die „ZinöaLaw
kerrovisri Itali-mi" (Eisenbahner) mit 1900: 20000 und 1911: 25000 Mit¬
gliedern und die „k^eäLl^loue Italiens ctsZIi Oper-u NotallurZici" (Metall¬
arbeiter) mit 1904: 13313 und 1911: 8000 Mitgliedern.

Auf dem im April des Jahres 1898 zu VerviSrs abgehaltenen sozialistischen
Kongreß wurde in Belgien die Zentrale „Lommi8Sion L^ncliLale an peril


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[0036] Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung Die Gründung des auf dem Boden der sozialistischen Weltanschauung stehenden „Schweizerischen Gewerkschaftsbundes" geht bis in die Anfänge der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zurück, wo er angeblich zuerst mit einem Mitgliederbestand von 2000 unter dem Namen „Allgemeiner Gewerkschafts¬ bund" an die Öffentlichkeit trat. Vor dieser Zeit beherrschte der im Jahre 1838 gegründete und anfänglich auf nationalem Boden stehende „Grütliverein" die Schweizer Arbeiterbewegung. Die älteste der bestehenden Arbeiterorganisationen der Schweiz ist der im Jahre 1858 gegründete „Schweizerische Typographenbund" mit 1906: 2666 und 1911: 3669 Mitgliedern. Die bedeutendste der der Zentralisation an¬ geschlossenen Vereinigungen ist der „Schweizerische Metallarbeiterverband" mit 1898: 4629 und 1911: 13425 Mitgliedern. Von der Verschiedenartigkeit der Elemente, mit denen die schweizerische Arbeiterbewegung rechnen muß, gibt eine Aufstellung, welche die 17824 Mitglieder des Metallarbeiterverbandes im Jahre 1908 ihrer Nationalität nach zergliederte, Kenntnis. Danach waren 12925 Schweizer, 2692 Deutsche, 265 Franzosen, 651 Österreicher und Ungarn, 865 Italiener und 426 aus anderen Ländern, in der Mehrzahl Dänen und Polen. Unter den Schweizern selbst befanden sich 1100, welche nur französisch sprachen. Größere Organisationen sind hier ferner die der Uhrenarbeiter mit 1907: 13824 und 1911: 11200 Mitgliedern, der Holzarbeiter mit 1907: 7863 und 1911: 7016 Mitgliedern, der Maurer mit 1907: 6086 und 1911: 1316 Mit¬ gliedern usw. Der hier in den Zahlenbeispielen mehr oder weniger zutage tretende Mitgliederrückgang der schweizerischen Gewerkschaften ist wohl neben den Einflüssen der wirtschaftlichen Depression der Jahre 1908 und 1909 haupt¬ sächlich in den fortwährenden Streitigkeiten der Sozialisten und Anarchisten in der Schweizer Arbeiterbewegung zu suchen. Auch die auf Veranlassung des reformistischen italienischen Metallarbeiter¬ verbandes im Jahre 1906 zu Bologna gegründete auf sozialistischer Basis stehende „Lonkocisrazilone Mnerale äst I^poro" hat seit ihrem Entstehen unter den stetigen Kämpfen der Sozialisten und Anarchisten um die gewerk¬ schaftliche Taktik und Organisationsform zu leiden gehabt. Hierzu kommt noch, daß die fortwährenden Schwenkungen der Arbeiterorganisationen vom Anarchismus und zum Sozialismus und umgekehrt dadurch bestärkt wurden, daß ein großer Teil der Arbeiter, ja wenn nicht der größte Prozentsatz überhaupt, des Lesens und Schreibens vollständig unkundig und somit nur auf das gesprochene Wort allein angewiesen war. Größere Vereinigungen sind hier die „ZinöaLaw kerrovisri Itali-mi" (Eisenbahner) mit 1900: 20000 und 1911: 25000 Mit¬ gliedern und die „k^eäLl^loue Italiens ctsZIi Oper-u NotallurZici" (Metall¬ arbeiter) mit 1904: 13313 und 1911: 8000 Mitgliedern. Auf dem im April des Jahres 1898 zu VerviSrs abgehaltenen sozialistischen Kongreß wurde in Belgien die Zentrale „Lommi8Sion L^ncliLale an peril

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/36>, abgerufen am 19.10.2024.