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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

auch die Mädels. Es sind geübte Samariterinnen!" rief Herr von Wenkendorff
dem Reiter nach.

Jetzt schleppten die Soldaten einen gefallenen Feind heran. Sie hatten ihn,
schwer ächzend, unter seinem Pferd, einem Schimmel, hervorgezogen und lehnten
ihn ins Stroh.

"Der rote Reiter!" riefen die Junker aus einem Mund. Neugierig traten
sie herzu und sahen ihm ins totenbleiche Gesicht.

"Wo mag er her sein? Er saß famos zu Pferde!"

Ein anderer meinte: "Der Kerl hat Mut gehabt! Schade um den hübschen
Burschen!"

Doktor Schlosser riß ihm die Weste auf und untersuchte ihn: "Eine
Quetschung des Brustkorbs!" Vorsichtig machte er einige Atemübungen mit
ihm. Da richtete sich der Mann halb in die Höhe und ein Blutstrom quoll
ihm aus dem Munde. Seine Augen öffneten sich starr und blickten suchend in
die Finsternis. Dabei ließ er sich mit ersterbender Stimme vernehmen:

"Mu Jsamaa, mu armas isamaa!"

Dann drehte er sich wie unter einem Krampf zur Seite und verschied.

Erschüttert standen die Junker im Kreise und folgten unwillkürlich dem Bei¬
spiel der Soldaten, die nach russischer Sitte ihre Mütze abgenommen hatten.

Der rote Reiter blieb der einzige Feind, den man fand, obwohl sicher mehr
als einer gefallen war. Sie mußten ihre Verwundeten und Toten mit auf die
Flucht genommen haben.

Der Zug setzte sich in Bewegung und marschierte auf Sternburg zu, nicht
ohne unterwegs nach weiteren Verwundeten zu forschen.

"Ich habe derweil bei der alten Tio gesessen!" erzählte Doktor Schlosser.
..Die Rosenhofer Gärtnersfrau liegt noch immer im schlimmen Fieber. Aber
jetzt ist sie, glaube ich, über den Berg."

"Das ist gut!" Herr von Wenkendorff seufzte erleichtert auf. "Wir hätten
den Posten sonst noch oft auf der Rechnung gefunden!"

Nach einer Weile sagte er: "Ich begreife Sandberg nicht, daß er so lange
auf sich warten läßt. Er müßte uns längst entgegengekommen sein!"

Der Morgen dämmerte bereits im Osten, als sich die kleine Schar der
Krieger Sternburg näherte. Auf dem Hofe herrschte das rege Treiben des
beginnenden Alltags. Aber heute tuschelten die Mägde und Knechte eifrig mit¬
einander, und als der Gutsherr bei ihnen vorüberritt, grüßten ihn bestürzte
Mienen und verstörte Gesichter.

Das Herrenhaus lag wie verlassen.

"Wo sind die Mädels -- wo ist Sandberg?"

Da ließ sich endlich Edda sehen und trat zum Vater. So leise ihre Worte
waren -- Evi hatte sie trotzdem verstanden:

"Sandberg?!" schrie sie ans und stürzte in des Vaters Zimmer.


Sturm

auch die Mädels. Es sind geübte Samariterinnen!" rief Herr von Wenkendorff
dem Reiter nach.

Jetzt schleppten die Soldaten einen gefallenen Feind heran. Sie hatten ihn,
schwer ächzend, unter seinem Pferd, einem Schimmel, hervorgezogen und lehnten
ihn ins Stroh.

„Der rote Reiter!" riefen die Junker aus einem Mund. Neugierig traten
sie herzu und sahen ihm ins totenbleiche Gesicht.

„Wo mag er her sein? Er saß famos zu Pferde!"

Ein anderer meinte: „Der Kerl hat Mut gehabt! Schade um den hübschen
Burschen!"

Doktor Schlosser riß ihm die Weste auf und untersuchte ihn: „Eine
Quetschung des Brustkorbs!" Vorsichtig machte er einige Atemübungen mit
ihm. Da richtete sich der Mann halb in die Höhe und ein Blutstrom quoll
ihm aus dem Munde. Seine Augen öffneten sich starr und blickten suchend in
die Finsternis. Dabei ließ er sich mit ersterbender Stimme vernehmen:

„Mu Jsamaa, mu armas isamaa!"

Dann drehte er sich wie unter einem Krampf zur Seite und verschied.

Erschüttert standen die Junker im Kreise und folgten unwillkürlich dem Bei¬
spiel der Soldaten, die nach russischer Sitte ihre Mütze abgenommen hatten.

Der rote Reiter blieb der einzige Feind, den man fand, obwohl sicher mehr
als einer gefallen war. Sie mußten ihre Verwundeten und Toten mit auf die
Flucht genommen haben.

Der Zug setzte sich in Bewegung und marschierte auf Sternburg zu, nicht
ohne unterwegs nach weiteren Verwundeten zu forschen.

„Ich habe derweil bei der alten Tio gesessen!" erzählte Doktor Schlosser.
..Die Rosenhofer Gärtnersfrau liegt noch immer im schlimmen Fieber. Aber
jetzt ist sie, glaube ich, über den Berg."

„Das ist gut!" Herr von Wenkendorff seufzte erleichtert auf. „Wir hätten
den Posten sonst noch oft auf der Rechnung gefunden!"

Nach einer Weile sagte er: „Ich begreife Sandberg nicht, daß er so lange
auf sich warten läßt. Er müßte uns längst entgegengekommen sein!"

Der Morgen dämmerte bereits im Osten, als sich die kleine Schar der
Krieger Sternburg näherte. Auf dem Hofe herrschte das rege Treiben des
beginnenden Alltags. Aber heute tuschelten die Mägde und Knechte eifrig mit¬
einander, und als der Gutsherr bei ihnen vorüberritt, grüßten ihn bestürzte
Mienen und verstörte Gesichter.

Das Herrenhaus lag wie verlassen.

„Wo sind die Mädels — wo ist Sandberg?"

Da ließ sich endlich Edda sehen und trat zum Vater. So leise ihre Worte
waren — Evi hatte sie trotzdem verstanden:

„Sandberg?!" schrie sie ans und stürzte in des Vaters Zimmer.


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[0331] Sturm auch die Mädels. Es sind geübte Samariterinnen!" rief Herr von Wenkendorff dem Reiter nach. Jetzt schleppten die Soldaten einen gefallenen Feind heran. Sie hatten ihn, schwer ächzend, unter seinem Pferd, einem Schimmel, hervorgezogen und lehnten ihn ins Stroh. „Der rote Reiter!" riefen die Junker aus einem Mund. Neugierig traten sie herzu und sahen ihm ins totenbleiche Gesicht. „Wo mag er her sein? Er saß famos zu Pferde!" Ein anderer meinte: „Der Kerl hat Mut gehabt! Schade um den hübschen Burschen!" Doktor Schlosser riß ihm die Weste auf und untersuchte ihn: „Eine Quetschung des Brustkorbs!" Vorsichtig machte er einige Atemübungen mit ihm. Da richtete sich der Mann halb in die Höhe und ein Blutstrom quoll ihm aus dem Munde. Seine Augen öffneten sich starr und blickten suchend in die Finsternis. Dabei ließ er sich mit ersterbender Stimme vernehmen: „Mu Jsamaa, mu armas isamaa!" Dann drehte er sich wie unter einem Krampf zur Seite und verschied. Erschüttert standen die Junker im Kreise und folgten unwillkürlich dem Bei¬ spiel der Soldaten, die nach russischer Sitte ihre Mütze abgenommen hatten. Der rote Reiter blieb der einzige Feind, den man fand, obwohl sicher mehr als einer gefallen war. Sie mußten ihre Verwundeten und Toten mit auf die Flucht genommen haben. Der Zug setzte sich in Bewegung und marschierte auf Sternburg zu, nicht ohne unterwegs nach weiteren Verwundeten zu forschen. „Ich habe derweil bei der alten Tio gesessen!" erzählte Doktor Schlosser. ..Die Rosenhofer Gärtnersfrau liegt noch immer im schlimmen Fieber. Aber jetzt ist sie, glaube ich, über den Berg." „Das ist gut!" Herr von Wenkendorff seufzte erleichtert auf. „Wir hätten den Posten sonst noch oft auf der Rechnung gefunden!" Nach einer Weile sagte er: „Ich begreife Sandberg nicht, daß er so lange auf sich warten läßt. Er müßte uns längst entgegengekommen sein!" Der Morgen dämmerte bereits im Osten, als sich die kleine Schar der Krieger Sternburg näherte. Auf dem Hofe herrschte das rege Treiben des beginnenden Alltags. Aber heute tuschelten die Mägde und Knechte eifrig mit¬ einander, und als der Gutsherr bei ihnen vorüberritt, grüßten ihn bestürzte Mienen und verstörte Gesichter. Das Herrenhaus lag wie verlassen. „Wo sind die Mädels — wo ist Sandberg?" Da ließ sich endlich Edda sehen und trat zum Vater. So leise ihre Worte waren — Evi hatte sie trotzdem verstanden: „Sandberg?!" schrie sie ans und stürzte in des Vaters Zimmer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/331>, abgerufen am 28.12.2024.