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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Die gelbe Gefahr in Kalifornien

Liliencrons dichterischer Werdegang ist ein unabhängiges Ringen mit Form
und Sprache. Die Kraft des Wortes war ihm in hohem Maße eigen. Oft
fand sich ungesucht der passende, den Kern des Geschauten völlig wiedergebende
Ausdruck, oft mußte er erst der Sprache abgerungen werden. Immer aber ist
er anschaulich und kraftvoll, und darin liegt die Hauptstärke der Sprache des
Dichters. Wahr wollte er dichten, wahr, dem Leben abgelauscht soll auch die
sprachliche Form sein.

Die Gruppe der realistisch schildernden Dichter erweiterte das Stoffgebiet
der Poesie, indem sie mehr als dies früher geschehen war die sozialen Ver¬
hältnisse ihrer Zeit zum Vorwurf ihres Schaffens nahm. Die Steigerung dieses
Strebens nach unmittelbar der Wirklichkeit entsprechender Ausdrucksform des
Geschauten ist das Streben nach Vervollkommnung ihrer Darstellungsmittel.

Von diesem Standpunkte aus betrachtet, hat die "neuere Wortkunst" ihre
Berechtigung. Allerdings birgt sie in sich eine Gefahr für die Weiterentwicklung
unserer Muttersprache. Diese besteht nicht so sehr in der erstrebten Straffheit
des sprachlichen Ausdrucks, als in der zuweit getriebenen Verkettung gedanklich
unvereinbarer Begriffe und in der übertriebenen Sucht nach sprachlicher Wieder¬
gabe feiner und feinster Bedeutungsschattierungen. Ein solcher der Sprache
auferlegter Zwang erscheint leicht unnatürlich, und in der Tat treten die Aus¬
wüchse dieser "neueren Wortkunst" auch bei Liliencron mehr als einmal offen
zutage.




Die gelbe Gefahr in Aalifornien
von Dr. Friedrich A. lvynekcn
Instructor in Qermsn, I^eisna Ltankorcl Junior Umversit^ in palo ^ito, Lalikornia

le Vorgeschichte der "Amel-Allen Bill", die von der gesetz¬
gebenden Körperschaft von Kalifornien in abgeänderter Form an¬
genommen wurde, dürfte auch für deutsche Leser von Interesse
sein. Das Gesetz verbietet Nichtbürgern der Vereinigten Staaten
in Kalifornien Land zu kaufen und gesteht solchen Individuen nur
ein dreijähriges Pachtungsrecht zu. Es richtet sich gegen die Chinesen und
namentlich gegen die Japaner und hat unter den letzteren einen Sturm von
Entrüstung hervorgerufen; denn ihnen wird das amerikanische Bürgerrecht und
somit der Erwerb von Land in Kalifornien versagt. -- Die folgenden Aus-
führungen sollen zur Erklärung der Ursachen dienen, die zu der Annahme
des Gesetzes führten.


Die gelbe Gefahr in Kalifornien

Liliencrons dichterischer Werdegang ist ein unabhängiges Ringen mit Form
und Sprache. Die Kraft des Wortes war ihm in hohem Maße eigen. Oft
fand sich ungesucht der passende, den Kern des Geschauten völlig wiedergebende
Ausdruck, oft mußte er erst der Sprache abgerungen werden. Immer aber ist
er anschaulich und kraftvoll, und darin liegt die Hauptstärke der Sprache des
Dichters. Wahr wollte er dichten, wahr, dem Leben abgelauscht soll auch die
sprachliche Form sein.

Die Gruppe der realistisch schildernden Dichter erweiterte das Stoffgebiet
der Poesie, indem sie mehr als dies früher geschehen war die sozialen Ver¬
hältnisse ihrer Zeit zum Vorwurf ihres Schaffens nahm. Die Steigerung dieses
Strebens nach unmittelbar der Wirklichkeit entsprechender Ausdrucksform des
Geschauten ist das Streben nach Vervollkommnung ihrer Darstellungsmittel.

Von diesem Standpunkte aus betrachtet, hat die „neuere Wortkunst" ihre
Berechtigung. Allerdings birgt sie in sich eine Gefahr für die Weiterentwicklung
unserer Muttersprache. Diese besteht nicht so sehr in der erstrebten Straffheit
des sprachlichen Ausdrucks, als in der zuweit getriebenen Verkettung gedanklich
unvereinbarer Begriffe und in der übertriebenen Sucht nach sprachlicher Wieder¬
gabe feiner und feinster Bedeutungsschattierungen. Ein solcher der Sprache
auferlegter Zwang erscheint leicht unnatürlich, und in der Tat treten die Aus¬
wüchse dieser „neueren Wortkunst" auch bei Liliencron mehr als einmal offen
zutage.




Die gelbe Gefahr in Aalifornien
von Dr. Friedrich A. lvynekcn
Instructor in Qermsn, I^eisna Ltankorcl Junior Umversit^ in palo ^ito, Lalikornia

le Vorgeschichte der „Amel-Allen Bill", die von der gesetz¬
gebenden Körperschaft von Kalifornien in abgeänderter Form an¬
genommen wurde, dürfte auch für deutsche Leser von Interesse
sein. Das Gesetz verbietet Nichtbürgern der Vereinigten Staaten
in Kalifornien Land zu kaufen und gesteht solchen Individuen nur
ein dreijähriges Pachtungsrecht zu. Es richtet sich gegen die Chinesen und
namentlich gegen die Japaner und hat unter den letzteren einen Sturm von
Entrüstung hervorgerufen; denn ihnen wird das amerikanische Bürgerrecht und
somit der Erwerb von Land in Kalifornien versagt. — Die folgenden Aus-
führungen sollen zur Erklärung der Ursachen dienen, die zu der Annahme
des Gesetzes führten.


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[0321] Die gelbe Gefahr in Kalifornien Liliencrons dichterischer Werdegang ist ein unabhängiges Ringen mit Form und Sprache. Die Kraft des Wortes war ihm in hohem Maße eigen. Oft fand sich ungesucht der passende, den Kern des Geschauten völlig wiedergebende Ausdruck, oft mußte er erst der Sprache abgerungen werden. Immer aber ist er anschaulich und kraftvoll, und darin liegt die Hauptstärke der Sprache des Dichters. Wahr wollte er dichten, wahr, dem Leben abgelauscht soll auch die sprachliche Form sein. Die Gruppe der realistisch schildernden Dichter erweiterte das Stoffgebiet der Poesie, indem sie mehr als dies früher geschehen war die sozialen Ver¬ hältnisse ihrer Zeit zum Vorwurf ihres Schaffens nahm. Die Steigerung dieses Strebens nach unmittelbar der Wirklichkeit entsprechender Ausdrucksform des Geschauten ist das Streben nach Vervollkommnung ihrer Darstellungsmittel. Von diesem Standpunkte aus betrachtet, hat die „neuere Wortkunst" ihre Berechtigung. Allerdings birgt sie in sich eine Gefahr für die Weiterentwicklung unserer Muttersprache. Diese besteht nicht so sehr in der erstrebten Straffheit des sprachlichen Ausdrucks, als in der zuweit getriebenen Verkettung gedanklich unvereinbarer Begriffe und in der übertriebenen Sucht nach sprachlicher Wieder¬ gabe feiner und feinster Bedeutungsschattierungen. Ein solcher der Sprache auferlegter Zwang erscheint leicht unnatürlich, und in der Tat treten die Aus¬ wüchse dieser „neueren Wortkunst" auch bei Liliencron mehr als einmal offen zutage. Die gelbe Gefahr in Aalifornien von Dr. Friedrich A. lvynekcn Instructor in Qermsn, I^eisna Ltankorcl Junior Umversit^ in palo ^ito, Lalikornia le Vorgeschichte der „Amel-Allen Bill", die von der gesetz¬ gebenden Körperschaft von Kalifornien in abgeänderter Form an¬ genommen wurde, dürfte auch für deutsche Leser von Interesse sein. Das Gesetz verbietet Nichtbürgern der Vereinigten Staaten in Kalifornien Land zu kaufen und gesteht solchen Individuen nur ein dreijähriges Pachtungsrecht zu. Es richtet sich gegen die Chinesen und namentlich gegen die Japaner und hat unter den letzteren einen Sturm von Entrüstung hervorgerufen; denn ihnen wird das amerikanische Bürgerrecht und somit der Erwerb von Land in Kalifornien versagt. — Die folgenden Aus- führungen sollen zur Erklärung der Ursachen dienen, die zu der Annahme des Gesetzes führten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/321>, abgerufen am 19.10.2024.