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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Zur neueren Wortkunst

möglichst viel Anschauungsstoff in kurzen Strichen wiederzugeben. Seine An-
schauungskraft muß eine starke, eine lebendige sein, in stetem Flusse, um die
Fülle des Geschauten auf eine möglichst knappe und doch inhaltreiche, anschau¬
liche, ausdrucksvolle Form zu bringen, ihren Inhalt in möglichst kleinem Rahmen
zu fassen. Diese Anschauungsweise bedingt einerseits scharfes Erkennen des
einzelnen Gegenstandes und seiner Stellung im ganzen, seiner Bedeutung für
das Gesamtkunstwerk; dann aber auch rasches Vergleichen, Abwägen und Ver¬
binden der Einzelgegenstände im geschlossenen Ganzen. In diesem sich rasch
abspielenden Kreislauf des Betrachtens und Erkennens -- vom Gesamteindruck
durch die Betrachtung des Einzeldinges zum Ganzen zurück -- besteht das Wesen
des Impressionismus.

Die Aufgabe, die sich der impressionistisch schildernde Dichter stellt, ist keine
geringe. Seinem Ringen nach Wiedergabe seiner Anschauungen und Empfin¬
dungen, seinem Suchen nach einer passenden, gleichwertigen Form für das Ge¬
schaute und Gefühlte nutz er in anschaulicher Weise sprachlichen Ausdruck ver¬
leihen können. Die Eindrücke aber, die er wiedergeben will, sind oft keine
einfachen, einheitlichen, eindeutig bestimmbaren. Vielmehr muß er dem Wesen
seiner Anschauungsart nach verschiedene, inhaltlich oft ganz auseinanderliegende
Eindrücke und Dinge schildern, Gegensätzliches aneinanderreihen und zu verbinden
suchen. Der Forderung, all diesen Verschiedenheiten in möglichster Kürze sprach¬
lichen Ausdruck zu verleihen, - könnte er nicht nachkommen, wenn ihm nicht die
Sprache selbst mit ihrer schier endlos möglichen Dehnbarkeit und Ausdrucks¬
fähigkeit das beste Mittel dazu an die Hand gäbe in der Wortzusammensetzung.
In ihr, in der Möglichkeit, weitabliegende, ja gegensätzliche Begriffe in kürzester
Form miteinander zu verbinden, besteht eines der ausdrucksvollsten sprachlichen
Hilfsmittel Liliencrons. Nicht alle die so entstandenen Sprachschöpfungen sind
als gelungen anzusprechen und als bleibende Neubildungen von wirklichem
Werte für unsere Sprache geworden -- ein gut Teil von ihnen verdankt seine
Entstehung nur dem Augenblick und wird als Eintagsfliege nur dem Sprach¬
forscher einiges Interesse bieten -- für die Stellung der Frage überhaupt ver¬
schlägt dies jedoch nichts, hat doch selbst Goethe in seiner späteren Weimarer
Zeit sich in sprachschöpferischem Drange auf Abwege begeben und gelegentlich
Formen und Ausdrücke und Wortzusammensetzungen geprägt, die einer gerechten
Kritik verfielen.

Was Dehmel im Vorwort zur Gesamtausgäbe seiner Werke (1906) schrieb:
"Daß aber die Dichtungen meiner Erstlingszeit in ganz besonderem Matze die
Vervollkommnung nötig hatten, erklärt sich unschwer aus dem überraschenden
Aufstieg, den die neuere deutsche Wortkunst*) seit eben jener Zeit gemacht
hat und den ich mit herbeiführen half." paßt genau auch auf Liliencron. Von
diesem stammt auch das Schlagwort, das dieser ganzen Richtung den Namen



") Von mir gesperrt.
Zur neueren Wortkunst

möglichst viel Anschauungsstoff in kurzen Strichen wiederzugeben. Seine An-
schauungskraft muß eine starke, eine lebendige sein, in stetem Flusse, um die
Fülle des Geschauten auf eine möglichst knappe und doch inhaltreiche, anschau¬
liche, ausdrucksvolle Form zu bringen, ihren Inhalt in möglichst kleinem Rahmen
zu fassen. Diese Anschauungsweise bedingt einerseits scharfes Erkennen des
einzelnen Gegenstandes und seiner Stellung im ganzen, seiner Bedeutung für
das Gesamtkunstwerk; dann aber auch rasches Vergleichen, Abwägen und Ver¬
binden der Einzelgegenstände im geschlossenen Ganzen. In diesem sich rasch
abspielenden Kreislauf des Betrachtens und Erkennens — vom Gesamteindruck
durch die Betrachtung des Einzeldinges zum Ganzen zurück — besteht das Wesen
des Impressionismus.

Die Aufgabe, die sich der impressionistisch schildernde Dichter stellt, ist keine
geringe. Seinem Ringen nach Wiedergabe seiner Anschauungen und Empfin¬
dungen, seinem Suchen nach einer passenden, gleichwertigen Form für das Ge¬
schaute und Gefühlte nutz er in anschaulicher Weise sprachlichen Ausdruck ver¬
leihen können. Die Eindrücke aber, die er wiedergeben will, sind oft keine
einfachen, einheitlichen, eindeutig bestimmbaren. Vielmehr muß er dem Wesen
seiner Anschauungsart nach verschiedene, inhaltlich oft ganz auseinanderliegende
Eindrücke und Dinge schildern, Gegensätzliches aneinanderreihen und zu verbinden
suchen. Der Forderung, all diesen Verschiedenheiten in möglichster Kürze sprach¬
lichen Ausdruck zu verleihen, - könnte er nicht nachkommen, wenn ihm nicht die
Sprache selbst mit ihrer schier endlos möglichen Dehnbarkeit und Ausdrucks¬
fähigkeit das beste Mittel dazu an die Hand gäbe in der Wortzusammensetzung.
In ihr, in der Möglichkeit, weitabliegende, ja gegensätzliche Begriffe in kürzester
Form miteinander zu verbinden, besteht eines der ausdrucksvollsten sprachlichen
Hilfsmittel Liliencrons. Nicht alle die so entstandenen Sprachschöpfungen sind
als gelungen anzusprechen und als bleibende Neubildungen von wirklichem
Werte für unsere Sprache geworden — ein gut Teil von ihnen verdankt seine
Entstehung nur dem Augenblick und wird als Eintagsfliege nur dem Sprach¬
forscher einiges Interesse bieten — für die Stellung der Frage überhaupt ver¬
schlägt dies jedoch nichts, hat doch selbst Goethe in seiner späteren Weimarer
Zeit sich in sprachschöpferischem Drange auf Abwege begeben und gelegentlich
Formen und Ausdrücke und Wortzusammensetzungen geprägt, die einer gerechten
Kritik verfielen.

Was Dehmel im Vorwort zur Gesamtausgäbe seiner Werke (1906) schrieb:
„Daß aber die Dichtungen meiner Erstlingszeit in ganz besonderem Matze die
Vervollkommnung nötig hatten, erklärt sich unschwer aus dem überraschenden
Aufstieg, den die neuere deutsche Wortkunst*) seit eben jener Zeit gemacht
hat und den ich mit herbeiführen half." paßt genau auch auf Liliencron. Von
diesem stammt auch das Schlagwort, das dieser ganzen Richtung den Namen



") Von mir gesperrt.
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[0310] Zur neueren Wortkunst möglichst viel Anschauungsstoff in kurzen Strichen wiederzugeben. Seine An- schauungskraft muß eine starke, eine lebendige sein, in stetem Flusse, um die Fülle des Geschauten auf eine möglichst knappe und doch inhaltreiche, anschau¬ liche, ausdrucksvolle Form zu bringen, ihren Inhalt in möglichst kleinem Rahmen zu fassen. Diese Anschauungsweise bedingt einerseits scharfes Erkennen des einzelnen Gegenstandes und seiner Stellung im ganzen, seiner Bedeutung für das Gesamtkunstwerk; dann aber auch rasches Vergleichen, Abwägen und Ver¬ binden der Einzelgegenstände im geschlossenen Ganzen. In diesem sich rasch abspielenden Kreislauf des Betrachtens und Erkennens — vom Gesamteindruck durch die Betrachtung des Einzeldinges zum Ganzen zurück — besteht das Wesen des Impressionismus. Die Aufgabe, die sich der impressionistisch schildernde Dichter stellt, ist keine geringe. Seinem Ringen nach Wiedergabe seiner Anschauungen und Empfin¬ dungen, seinem Suchen nach einer passenden, gleichwertigen Form für das Ge¬ schaute und Gefühlte nutz er in anschaulicher Weise sprachlichen Ausdruck ver¬ leihen können. Die Eindrücke aber, die er wiedergeben will, sind oft keine einfachen, einheitlichen, eindeutig bestimmbaren. Vielmehr muß er dem Wesen seiner Anschauungsart nach verschiedene, inhaltlich oft ganz auseinanderliegende Eindrücke und Dinge schildern, Gegensätzliches aneinanderreihen und zu verbinden suchen. Der Forderung, all diesen Verschiedenheiten in möglichster Kürze sprach¬ lichen Ausdruck zu verleihen, - könnte er nicht nachkommen, wenn ihm nicht die Sprache selbst mit ihrer schier endlos möglichen Dehnbarkeit und Ausdrucks¬ fähigkeit das beste Mittel dazu an die Hand gäbe in der Wortzusammensetzung. In ihr, in der Möglichkeit, weitabliegende, ja gegensätzliche Begriffe in kürzester Form miteinander zu verbinden, besteht eines der ausdrucksvollsten sprachlichen Hilfsmittel Liliencrons. Nicht alle die so entstandenen Sprachschöpfungen sind als gelungen anzusprechen und als bleibende Neubildungen von wirklichem Werte für unsere Sprache geworden — ein gut Teil von ihnen verdankt seine Entstehung nur dem Augenblick und wird als Eintagsfliege nur dem Sprach¬ forscher einiges Interesse bieten — für die Stellung der Frage überhaupt ver¬ schlägt dies jedoch nichts, hat doch selbst Goethe in seiner späteren Weimarer Zeit sich in sprachschöpferischem Drange auf Abwege begeben und gelegentlich Formen und Ausdrücke und Wortzusammensetzungen geprägt, die einer gerechten Kritik verfielen. Was Dehmel im Vorwort zur Gesamtausgäbe seiner Werke (1906) schrieb: „Daß aber die Dichtungen meiner Erstlingszeit in ganz besonderem Matze die Vervollkommnung nötig hatten, erklärt sich unschwer aus dem überraschenden Aufstieg, den die neuere deutsche Wortkunst*) seit eben jener Zeit gemacht hat und den ich mit herbeiführen half." paßt genau auch auf Liliencron. Von diesem stammt auch das Schlagwort, das dieser ganzen Richtung den Namen ") Von mir gesperrt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/310>, abgerufen am 20.10.2024.