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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Dänische Leute und dänisches Land im Spiegel des Romans

Individualität kennen lernen möchte, zur Einführung dienlicher ist, als zehn
Baedeker. Dieser Kenner des alten Kopenhagens ist natürlich Bauditz selbst,
Berner mag nur eine gutgewählte Maske sein. Aber das gerade ist ja das
Vorrecht des Dichters, daß er seine Lungen, wenn sie nur an sich lebensfrisch
sind, durch die Gestalten seiner Phantasie atmen lassen darf. Und das tun sie
in diesem bescheidenen Privatmenschen Berner, der nie aus seinem Lande heraus¬
gekommen ist. Wie fern hält sich sein wie aus einer Watteschachtel heraus¬
genommener liebevoller Konservativismus von allem politischen Haß, mit welcher
Anerkennung äußert er sich etwa über die Berliner Siegesallee. Nicht etwa
vom künstlerischen Standpunkte -- Gott bewahre! denn ihm ist eins der
größten Lebensgeheimnisse aufgegangen: nämlich daß das Leben unendlich mehr
ist als alle Kunst -- nein, vom geschichtsphilosophischen Standpunkte aus, mit
dem unbestechlichen Feingefühl eines deutschen Gelehrten, der in den wechselnden
Erscheinungen den ruhenden Pol sucht. So überträgt er, wie etwas Selbst¬
verständliches, sein Verständnis für die Größe, die jede politische Entwicklung
hat. auf die siegreiche Zukunft eines blutsverwandten Volkes, mit jener gewisser¬
maßen unter der Schwelle hindurch fühlenden Intelligenz, die das Lebensfluidum
der kommenden Zeit wittert. So wird ihm also die Siegesallee eine Art Sym¬
bol: er liebt sie. Dieser Sinn für geschichtliche Entwicklung überwiegt sein
Interesse an den großen sozialen Fragen und Schäden. Darum findet man bei
Bauditz niemals die Jbsensche apodiktische Schärfe, auf ein Schlagwort gestellte
Probleme. Und man findet, um bei den Norwegern zu bleiben, in ihm aller¬
dings auch nicht das raunend Poetische der Björnsonschen Bauerngeschichten.
Stürmische Wogen schlagen nicht in Bauditz, er ist ein ruhiger Fluß, der
durch das Flachland fließt. Die unruhig flammenden Gestirne unserer heutigen
Übergangszeit spiegeln sich nicht in seinen Werken, wohl aber die leisen und
nicht minder echten individueller Menschlichkeit. Er ist Humorist wie Raabe
und Allihn. Damit ist schon gesagt, daß er es zum Ruhm eines Modedichters
niemals bringen wird -- er wird es sich wohl auch kaum wünschen.

Noch in anderer Weise unterscheidet sich Bauditz von der literarischen
Moderne. Das ist seine fast elementare Bodenständigkeit. Seine Bücher haben
das, was man mit einem überdrüssig gewordenen Schlagwort so vielfach preist
und so selten findet: Erdgeruch. Echten, süßen, heimatlichen Erdgeruch, wie
ihn nur ein solcher Dichter seinen Werken einzuhauchen vermag, der die Erde,
die ihn geboren hat, wirklich liebt. Ein Norddeutscher, der Bauditz liest, fühlt
es: dieser Mann hat eine Heimat, die auch die deine ist: die See, den Strand,
den Buchenholm, die Heide -- ob sie südlich oder nördlich von der Königsau
liegen, ist ja gleichgültig. Wieder verschwindet hier das Trennende der Sprache,
und aufs neue ist es, als lasen wir einen deutschen Dichter. Er ist ein Dichter,
der die Jagd liebt -- nicht wie etwa ein Italiener, der alles wegknallt, was
da fleucht und kreucht, vom Hasen bis zum Zaunkönig, nein, ein Jäger, der
das Jagdwild zu seinem besonderen Studium macht, zu einem Stück Seelen-


Dänische Leute und dänisches Land im Spiegel des Romans

Individualität kennen lernen möchte, zur Einführung dienlicher ist, als zehn
Baedeker. Dieser Kenner des alten Kopenhagens ist natürlich Bauditz selbst,
Berner mag nur eine gutgewählte Maske sein. Aber das gerade ist ja das
Vorrecht des Dichters, daß er seine Lungen, wenn sie nur an sich lebensfrisch
sind, durch die Gestalten seiner Phantasie atmen lassen darf. Und das tun sie
in diesem bescheidenen Privatmenschen Berner, der nie aus seinem Lande heraus¬
gekommen ist. Wie fern hält sich sein wie aus einer Watteschachtel heraus¬
genommener liebevoller Konservativismus von allem politischen Haß, mit welcher
Anerkennung äußert er sich etwa über die Berliner Siegesallee. Nicht etwa
vom künstlerischen Standpunkte — Gott bewahre! denn ihm ist eins der
größten Lebensgeheimnisse aufgegangen: nämlich daß das Leben unendlich mehr
ist als alle Kunst — nein, vom geschichtsphilosophischen Standpunkte aus, mit
dem unbestechlichen Feingefühl eines deutschen Gelehrten, der in den wechselnden
Erscheinungen den ruhenden Pol sucht. So überträgt er, wie etwas Selbst¬
verständliches, sein Verständnis für die Größe, die jede politische Entwicklung
hat. auf die siegreiche Zukunft eines blutsverwandten Volkes, mit jener gewisser¬
maßen unter der Schwelle hindurch fühlenden Intelligenz, die das Lebensfluidum
der kommenden Zeit wittert. So wird ihm also die Siegesallee eine Art Sym¬
bol: er liebt sie. Dieser Sinn für geschichtliche Entwicklung überwiegt sein
Interesse an den großen sozialen Fragen und Schäden. Darum findet man bei
Bauditz niemals die Jbsensche apodiktische Schärfe, auf ein Schlagwort gestellte
Probleme. Und man findet, um bei den Norwegern zu bleiben, in ihm aller¬
dings auch nicht das raunend Poetische der Björnsonschen Bauerngeschichten.
Stürmische Wogen schlagen nicht in Bauditz, er ist ein ruhiger Fluß, der
durch das Flachland fließt. Die unruhig flammenden Gestirne unserer heutigen
Übergangszeit spiegeln sich nicht in seinen Werken, wohl aber die leisen und
nicht minder echten individueller Menschlichkeit. Er ist Humorist wie Raabe
und Allihn. Damit ist schon gesagt, daß er es zum Ruhm eines Modedichters
niemals bringen wird — er wird es sich wohl auch kaum wünschen.

Noch in anderer Weise unterscheidet sich Bauditz von der literarischen
Moderne. Das ist seine fast elementare Bodenständigkeit. Seine Bücher haben
das, was man mit einem überdrüssig gewordenen Schlagwort so vielfach preist
und so selten findet: Erdgeruch. Echten, süßen, heimatlichen Erdgeruch, wie
ihn nur ein solcher Dichter seinen Werken einzuhauchen vermag, der die Erde,
die ihn geboren hat, wirklich liebt. Ein Norddeutscher, der Bauditz liest, fühlt
es: dieser Mann hat eine Heimat, die auch die deine ist: die See, den Strand,
den Buchenholm, die Heide — ob sie südlich oder nördlich von der Königsau
liegen, ist ja gleichgültig. Wieder verschwindet hier das Trennende der Sprache,
und aufs neue ist es, als lasen wir einen deutschen Dichter. Er ist ein Dichter,
der die Jagd liebt — nicht wie etwa ein Italiener, der alles wegknallt, was
da fleucht und kreucht, vom Hasen bis zum Zaunkönig, nein, ein Jäger, der
das Jagdwild zu seinem besonderen Studium macht, zu einem Stück Seelen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/290>, abgerufen am 28.12.2024.