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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Dänische Leute und dänisches Land im Spiegel des Romans

Bauditzschen Büchern. Das widerspricht dem Gesagten keineswegs: dadurch, daß
sie so dänisch sind und zugleich so deutsch anmuten, erkennt man eben das
Wurzelhaste, das Verbindende, die ursprüngliche Blutzusammengehörigkeit beider
Völker, genauer: der Nordgermanen und Norddeutschen, die sich ja auch durch
die gemeinsame konsonantische Lautstufe von Urelterzeiten näher stehen als Nord-
uud Süddeutsche. Das gilt natürlich auch von dem Seitenzweige der Eng¬
länder: aber hier haben Blutmischung und Geschichte in die Verwandtschaft
stärkere Keile eingetrieben. Immerhin, wer für Blutmagnetismus aus der Ur¬
zeit her ein feineres Gefühl hat, kann hier beispielsweise zwischen Dickens und
Reuter, zwischen Burns und Klaus Groth starke Strömungen spüren.

Um auf Bauditz zurückzukommen: für dies gemeinsame Unterquellnetz bietet
eine seiner feinsten Charakterfiguren einen Anhaltspunkt. Das ist der treuherzig¬
hinterlistige Oberlehrer Jochumsen aus der "Chronik eines Garnisonstädtchens",
diese gute vollblutdänische Neugierschwalbe und Klatschbase eines südjütländischen
Krähwinkels mit seinen Goethekenntnissen und sprachdeutschm Neigungen.
Einmal kommt dieser etwas possenhafte Lebensjongleur, der sonst die Fassung
nicht so leicht verliert, vor Ärger fast aus dem Häuschen -- aber beileibe nicht
vor Furcht! -- als er wegen Spionage erschossen werden soll und kurz zuvor
vom Kriegsauditeur gefragt wird, ob er deutsch könne. Im selben Roman tritt ein
ähnlicher Zug bei einer gleich plastischen Figur hervor, dem militärisch vorzüg¬
lichen aber menschlich etwas ramponierten Rittmeister Navnhjelm. Als der
64er Krieg vor der Tür steht und die Wogen hoch gehen, erwidert er einem
flachköpfigen dänischen Chauvinisten:

"Darf ich mir die Frage erlauben, was Sie unter Erbfeind verstehen?
Wer Seiner Majestät dem König Krieg erklärt, sei es wer es sei, der ist
unser Feind, das ist ganz klar; aber ich möchte mir doch die Bemerkung
erlauben, daß ich für meine Person weit lieber auf die Engländer loshauen
würde als auf die Deutschen. . . Wenn von politischer Gemeinheit unter
den Nationen die Rede sein soll, so gehen die Engländer mit dem Sieg
davon."

Aber das sind schließlich nur Funken des Dialogs. Das Deutsche in diesen
Bauditzschen Büchern steckt tiefer. Es liegt in der ganzen Perspektive des Dichters,
in seinem Erfassen und Darstellen der Charaktere, die, so Bauditzisch sie sind,
den Leser ansprechen, als seien sie aus einem Freytagschen oder Andersschen
Roman herübergenommen. Aber von bewußter Anlehnung kann bei Bauditz
gar keine Rede sein, dazu steht er viel zu sehr auf eigenen Beinen. Der Grund
Muß wohl in der Blutsgemeinschaft liegen. Hierfür ist besonders die
vornehmste Charakterfigur des Privatgelehrten Berner in "Absalons Brunnen"
beweisend. Dies Buch ist ein dänisch-patriotischer Hymnus auf Kopenhagen
und damit auf Dänemark selbst, eine mit stiller Resignation gefärbte geschicht-
liche Rekonstruktion seines alten Glanzes und ehemaligen politischen Bedeutung,
ein Roman, der jedem, der Kopenhagen wirklich, d. h. seine städtisch-völkische


Dänische Leute und dänisches Land im Spiegel des Romans

Bauditzschen Büchern. Das widerspricht dem Gesagten keineswegs: dadurch, daß
sie so dänisch sind und zugleich so deutsch anmuten, erkennt man eben das
Wurzelhaste, das Verbindende, die ursprüngliche Blutzusammengehörigkeit beider
Völker, genauer: der Nordgermanen und Norddeutschen, die sich ja auch durch
die gemeinsame konsonantische Lautstufe von Urelterzeiten näher stehen als Nord-
uud Süddeutsche. Das gilt natürlich auch von dem Seitenzweige der Eng¬
länder: aber hier haben Blutmischung und Geschichte in die Verwandtschaft
stärkere Keile eingetrieben. Immerhin, wer für Blutmagnetismus aus der Ur¬
zeit her ein feineres Gefühl hat, kann hier beispielsweise zwischen Dickens und
Reuter, zwischen Burns und Klaus Groth starke Strömungen spüren.

Um auf Bauditz zurückzukommen: für dies gemeinsame Unterquellnetz bietet
eine seiner feinsten Charakterfiguren einen Anhaltspunkt. Das ist der treuherzig¬
hinterlistige Oberlehrer Jochumsen aus der „Chronik eines Garnisonstädtchens",
diese gute vollblutdänische Neugierschwalbe und Klatschbase eines südjütländischen
Krähwinkels mit seinen Goethekenntnissen und sprachdeutschm Neigungen.
Einmal kommt dieser etwas possenhafte Lebensjongleur, der sonst die Fassung
nicht so leicht verliert, vor Ärger fast aus dem Häuschen — aber beileibe nicht
vor Furcht! — als er wegen Spionage erschossen werden soll und kurz zuvor
vom Kriegsauditeur gefragt wird, ob er deutsch könne. Im selben Roman tritt ein
ähnlicher Zug bei einer gleich plastischen Figur hervor, dem militärisch vorzüg¬
lichen aber menschlich etwas ramponierten Rittmeister Navnhjelm. Als der
64er Krieg vor der Tür steht und die Wogen hoch gehen, erwidert er einem
flachköpfigen dänischen Chauvinisten:

„Darf ich mir die Frage erlauben, was Sie unter Erbfeind verstehen?
Wer Seiner Majestät dem König Krieg erklärt, sei es wer es sei, der ist
unser Feind, das ist ganz klar; aber ich möchte mir doch die Bemerkung
erlauben, daß ich für meine Person weit lieber auf die Engländer loshauen
würde als auf die Deutschen. . . Wenn von politischer Gemeinheit unter
den Nationen die Rede sein soll, so gehen die Engländer mit dem Sieg
davon."

Aber das sind schließlich nur Funken des Dialogs. Das Deutsche in diesen
Bauditzschen Büchern steckt tiefer. Es liegt in der ganzen Perspektive des Dichters,
in seinem Erfassen und Darstellen der Charaktere, die, so Bauditzisch sie sind,
den Leser ansprechen, als seien sie aus einem Freytagschen oder Andersschen
Roman herübergenommen. Aber von bewußter Anlehnung kann bei Bauditz
gar keine Rede sein, dazu steht er viel zu sehr auf eigenen Beinen. Der Grund
Muß wohl in der Blutsgemeinschaft liegen. Hierfür ist besonders die
vornehmste Charakterfigur des Privatgelehrten Berner in „Absalons Brunnen"
beweisend. Dies Buch ist ein dänisch-patriotischer Hymnus auf Kopenhagen
und damit auf Dänemark selbst, eine mit stiller Resignation gefärbte geschicht-
liche Rekonstruktion seines alten Glanzes und ehemaligen politischen Bedeutung,
ein Roman, der jedem, der Kopenhagen wirklich, d. h. seine städtisch-völkische


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[0289] Dänische Leute und dänisches Land im Spiegel des Romans Bauditzschen Büchern. Das widerspricht dem Gesagten keineswegs: dadurch, daß sie so dänisch sind und zugleich so deutsch anmuten, erkennt man eben das Wurzelhaste, das Verbindende, die ursprüngliche Blutzusammengehörigkeit beider Völker, genauer: der Nordgermanen und Norddeutschen, die sich ja auch durch die gemeinsame konsonantische Lautstufe von Urelterzeiten näher stehen als Nord- uud Süddeutsche. Das gilt natürlich auch von dem Seitenzweige der Eng¬ länder: aber hier haben Blutmischung und Geschichte in die Verwandtschaft stärkere Keile eingetrieben. Immerhin, wer für Blutmagnetismus aus der Ur¬ zeit her ein feineres Gefühl hat, kann hier beispielsweise zwischen Dickens und Reuter, zwischen Burns und Klaus Groth starke Strömungen spüren. Um auf Bauditz zurückzukommen: für dies gemeinsame Unterquellnetz bietet eine seiner feinsten Charakterfiguren einen Anhaltspunkt. Das ist der treuherzig¬ hinterlistige Oberlehrer Jochumsen aus der „Chronik eines Garnisonstädtchens", diese gute vollblutdänische Neugierschwalbe und Klatschbase eines südjütländischen Krähwinkels mit seinen Goethekenntnissen und sprachdeutschm Neigungen. Einmal kommt dieser etwas possenhafte Lebensjongleur, der sonst die Fassung nicht so leicht verliert, vor Ärger fast aus dem Häuschen — aber beileibe nicht vor Furcht! — als er wegen Spionage erschossen werden soll und kurz zuvor vom Kriegsauditeur gefragt wird, ob er deutsch könne. Im selben Roman tritt ein ähnlicher Zug bei einer gleich plastischen Figur hervor, dem militärisch vorzüg¬ lichen aber menschlich etwas ramponierten Rittmeister Navnhjelm. Als der 64er Krieg vor der Tür steht und die Wogen hoch gehen, erwidert er einem flachköpfigen dänischen Chauvinisten: „Darf ich mir die Frage erlauben, was Sie unter Erbfeind verstehen? Wer Seiner Majestät dem König Krieg erklärt, sei es wer es sei, der ist unser Feind, das ist ganz klar; aber ich möchte mir doch die Bemerkung erlauben, daß ich für meine Person weit lieber auf die Engländer loshauen würde als auf die Deutschen. . . Wenn von politischer Gemeinheit unter den Nationen die Rede sein soll, so gehen die Engländer mit dem Sieg davon." Aber das sind schließlich nur Funken des Dialogs. Das Deutsche in diesen Bauditzschen Büchern steckt tiefer. Es liegt in der ganzen Perspektive des Dichters, in seinem Erfassen und Darstellen der Charaktere, die, so Bauditzisch sie sind, den Leser ansprechen, als seien sie aus einem Freytagschen oder Andersschen Roman herübergenommen. Aber von bewußter Anlehnung kann bei Bauditz gar keine Rede sein, dazu steht er viel zu sehr auf eigenen Beinen. Der Grund Muß wohl in der Blutsgemeinschaft liegen. Hierfür ist besonders die vornehmste Charakterfigur des Privatgelehrten Berner in „Absalons Brunnen" beweisend. Dies Buch ist ein dänisch-patriotischer Hymnus auf Kopenhagen und damit auf Dänemark selbst, eine mit stiller Resignation gefärbte geschicht- liche Rekonstruktion seines alten Glanzes und ehemaligen politischen Bedeutung, ein Roman, der jedem, der Kopenhagen wirklich, d. h. seine städtisch-völkische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/289>, abgerufen am 27.12.2024.