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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Richard Wagner und die Philosophie des deutschen Idealismus

Franken, in den Ursitzen verblieben seien, als "Heimische" wahrten sie das von
ihren Vätern Ererbte, insbesondere rein und unverfälscht ihre Urmuttersprache.
".Deutsche' Völker heißen diejenigen germanischen Stämme, welche auf heimischem
Boden ihre Sprache und Sitten sich bewahrten" (X. 44). So ist das deutsche
Volk auch das einzige, welches noch sprachschöpferisch zu wirken vermag. Das hat
Wagner schon 1850 den Juden gegenüber ausgeführt; seine Ansicht stimmt aber
derart mit den Äußerungen Fichtes über "echte" Sprache überein, daß ich sie
anführen zu müssen glaube: "Der Jude spricht die Sprache der Nation, unter
welcher er von Geschlecht zu Geschlecht lebt, aber er spricht sie immer als Aus¬
länder." "Eine Sprache, ihr Ausdruck und ihre Fortbildung, ist nicht das
Werk einzelner, sondern einer geschichtlichen Gemeinsamkeit: nur wer unbewußt
in dieser Gemeinsamkeit aufgewachsen ist, nimmr auch an ihren Schöpfungen
teil." "In dieser Sprache, dieser Kunst, kann der Jude nur nachsprechen, nach¬
künsteln, nicht wirklich redend dichten oder Kunstwerke schaffen." Die Sprache
also hat auch für den Geist höchsten Wert (siehe auch X. 129). Mit seiner
originellen Sprache hat sich der Deutsche auch originellen, ursprünglichen Geist
bewahrt. Nicht leicht und virtuos handhabt er das Wort, denn es ist ihm nicht
Sache für sich, sondern identischer Ausdruck eines Wesens. "Denn dieses ist der
Unterschied des deutschen Geistes von dem jedes anderen Kulturvolkes, daß die
für ihn Zeugenden und in ihm Wirkender zu allernächst noch etwas Unaus¬
gesprochenes ersahen, ehe sie daran gingen, überhaupt zu schreiben, welches
für sie nur eine Nötigung infolge der vorangegangenen Eingebung war." "Daß
wir unter solchen Nöten nur wirklich originale Geister unter uns als produktiv
haben erstehen sehen, möge uns über uns selbst belehren, und jedenfalls zu der
Erkenntnis bringen, daß es mit uns Deutschen eine besondere Bewandtnis hat"
(X. 66/67). Das deutsche Volkistsonach gewissermaßen das Genie unter denVölkern.
Dieser genialeGeist schlummerte zu Zeiten, dochim achtzehnten Jahrhundert erwachte
er zu herrlichstem Leben (X. Seite 45 ff.). Er erwachte in dem "musikalischen
Wundermanne Sebastian Bach". Wenn wir an Bach begreifen, "was der
deutsche Geist in Wahrheit ist, wo er weilte, und wie er restlos sich neu
gestaltete, während er gänzlich aus der Welt entschwunden schien," dann
erklärt sich uns leicht "die überraschende Wiedergeburt des deutschen Geistes
auch auf dem Felde der poetischen und philosophischen Literatur" (vgl. auch
VIII 51).

Dieser originale, echte deutsche Geist kam nun nach Wagner wie nach Fichte
zur Entfaltung eigentlich dadurch, daß er sich an früherer, echter Geistestat
entzündete, frühere Geistesschöpfung erst wirklich selbst begriff und zum Ver¬
ständnis brachte. Wagner sagt ausdrücklich, "daß es dem deutschen Geiste
bestimmt war, das Fremde, ursprünglich ihm Fernliegende, in höchster objektiver
Reinheit der Anschauung zu erfassen und sich anzueignen. Man kann ohne
Übertreibung behaupten, daß die Antike nach ihrer jetzt allgemeinen Weltbedeutung
unbekannt geblieben sein würde, wenn der deutsche Geist sie nicht erkannt und


Richard Wagner und die Philosophie des deutschen Idealismus

Franken, in den Ursitzen verblieben seien, als „Heimische" wahrten sie das von
ihren Vätern Ererbte, insbesondere rein und unverfälscht ihre Urmuttersprache.
„.Deutsche' Völker heißen diejenigen germanischen Stämme, welche auf heimischem
Boden ihre Sprache und Sitten sich bewahrten" (X. 44). So ist das deutsche
Volk auch das einzige, welches noch sprachschöpferisch zu wirken vermag. Das hat
Wagner schon 1850 den Juden gegenüber ausgeführt; seine Ansicht stimmt aber
derart mit den Äußerungen Fichtes über „echte" Sprache überein, daß ich sie
anführen zu müssen glaube: „Der Jude spricht die Sprache der Nation, unter
welcher er von Geschlecht zu Geschlecht lebt, aber er spricht sie immer als Aus¬
länder." „Eine Sprache, ihr Ausdruck und ihre Fortbildung, ist nicht das
Werk einzelner, sondern einer geschichtlichen Gemeinsamkeit: nur wer unbewußt
in dieser Gemeinsamkeit aufgewachsen ist, nimmr auch an ihren Schöpfungen
teil." „In dieser Sprache, dieser Kunst, kann der Jude nur nachsprechen, nach¬
künsteln, nicht wirklich redend dichten oder Kunstwerke schaffen." Die Sprache
also hat auch für den Geist höchsten Wert (siehe auch X. 129). Mit seiner
originellen Sprache hat sich der Deutsche auch originellen, ursprünglichen Geist
bewahrt. Nicht leicht und virtuos handhabt er das Wort, denn es ist ihm nicht
Sache für sich, sondern identischer Ausdruck eines Wesens. „Denn dieses ist der
Unterschied des deutschen Geistes von dem jedes anderen Kulturvolkes, daß die
für ihn Zeugenden und in ihm Wirkender zu allernächst noch etwas Unaus¬
gesprochenes ersahen, ehe sie daran gingen, überhaupt zu schreiben, welches
für sie nur eine Nötigung infolge der vorangegangenen Eingebung war." „Daß
wir unter solchen Nöten nur wirklich originale Geister unter uns als produktiv
haben erstehen sehen, möge uns über uns selbst belehren, und jedenfalls zu der
Erkenntnis bringen, daß es mit uns Deutschen eine besondere Bewandtnis hat"
(X. 66/67). Das deutsche Volkistsonach gewissermaßen das Genie unter denVölkern.
Dieser genialeGeist schlummerte zu Zeiten, dochim achtzehnten Jahrhundert erwachte
er zu herrlichstem Leben (X. Seite 45 ff.). Er erwachte in dem „musikalischen
Wundermanne Sebastian Bach". Wenn wir an Bach begreifen, „was der
deutsche Geist in Wahrheit ist, wo er weilte, und wie er restlos sich neu
gestaltete, während er gänzlich aus der Welt entschwunden schien," dann
erklärt sich uns leicht „die überraschende Wiedergeburt des deutschen Geistes
auch auf dem Felde der poetischen und philosophischen Literatur" (vgl. auch
VIII 51).

Dieser originale, echte deutsche Geist kam nun nach Wagner wie nach Fichte
zur Entfaltung eigentlich dadurch, daß er sich an früherer, echter Geistestat
entzündete, frühere Geistesschöpfung erst wirklich selbst begriff und zum Ver¬
ständnis brachte. Wagner sagt ausdrücklich, „daß es dem deutschen Geiste
bestimmt war, das Fremde, ursprünglich ihm Fernliegende, in höchster objektiver
Reinheit der Anschauung zu erfassen und sich anzueignen. Man kann ohne
Übertreibung behaupten, daß die Antike nach ihrer jetzt allgemeinen Weltbedeutung
unbekannt geblieben sein würde, wenn der deutsche Geist sie nicht erkannt und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/266>, abgerufen am 19.10.2024.