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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Richard ZVagner und die Philosophie des deutschen Idealismus

spricht sich auch Wagner voller Bitternis aus darüber, daß das Publikum gar
nicht mehr die Autoren selbst liest, daß an das Publikum gar nicht heranzu¬
kommen ist. "Da werden zehn Auflagen einer Schandschrift über denjenigen?
verschlungen, dessen eigene Schrift man gar nicht erst zur Hand nimmt." Die
Macht des Journalismus ist zu Wagners Zeit nur noch viel drückender als
zu Beginn des Jahrhunderts (X. 68). Es würde zu weit führen, die zahlreichen
Äußerungen Wagners über den verhängnisvollen Einfluß der Presse, der Presse¬
freiheit auch nur andeuten zu wollen. Nur darauf möchte ich noch hinweisen,,
daß er sogar eine Rückwirkung des Journalismus auf die Kunst, speziell das
Theater, bemerkt. Von den Literaturdramatikern "ward die journalistische
Harangue für politische Tagesinteressen und sogenannte Zeittendenzen aus dem
Zeitungsartikel auf das Theater gebracht, aus dem Munde des beliebten Schau¬
spielers das politische Schlagwort des Kammerredners dem Publikum zum un¬
fehlbaren Applaus zugeworfen". Daß in diese ganze Weltlage hinein das
Große, das Echte, das tief Geheimnisvolle und unfaßbar Innerliche nicht gehört,
ist wohl nach alledem klar. "Hiergegen ist unsere Welt aber religionslos.
Wie sollte ein Höchstes in uns leben, wenn wir das Große nicht mehr zu ehren,
ja nur zu erkennen fähig sind? Vielmehr sollten wir es erkennen, so sind wir
durch unsere barbarische Zivilisation angeleitet, es zu hassen und zu verfolgen,,
etwa weil es dem allgemeinen Fortschritt entgegensteht. Was nun gar soll diese
Welt aber mit dem Höchsten zu schaffen haben?"

Die typischen Repräsentanten dieses Zeitalters sind für Wagner die Juden.
Die Schrift "Das Judentum in der Musik" ist eine beißende Charakteristik der
ganzen unproduktiven, stabilen, unechten, ideenlosen Gegenwart. Daß dabei
nicht nur äußerlich an Angehörige der semitischen Nasse gedacht wird, daß es
vielmehr auch jüdische Nassedeutsche gibt, ist auch für Wagner klar; wie hätten
denn die Juden den ihnen von Wagner zugeschriebenen Einfluß erlangen können,,
wenn nicht die ganze Zeit "jüdisch" gewesen wäre? Wir werden unten sehen,
daß auch für diese Fassung der Wagnerschen Polemik Fichte den Anstoß gegeben,
haben mag.

Dies muß genügen, die Identität der Auffassung Wagners und Fichtes
vom Geiste ihrer Zeit zu beweisen. Bei der großen Zahl der polemischen
Schriften des ersteren hätten die Ausführungen noch viel weiter ausgedehnt
werden können; doch kann es hier nicht darauf ankommen, ein System seiner
Gedanken zu entwerfen. Nur ziemlich willkürlich gesammelte Einzelheiten habe
ich zusammengetragen; aus ihnen allen aber ergab sich deutlich, daß die negative
Seite der Weltanschauung Richard Wagners mit dem, was auch Fichte mit aller
Kraft seiner Persönlichkeit ablehnt, durchaus übereinstimmt. Beide sind ge¬
schworene Feinde der Aufklärung im weitesten Sinne des Wortes, wie sie das
achtzehnte Jahrhundert zur Blüte gebracht hat, und die im neunzehnten Jahr¬
hundert noch immer die weitesten Kreise Deutschlands, ja der ganzen Welt
beherrschte. Doch nicht nur in der Ablehnung find sie einig.


Richard ZVagner und die Philosophie des deutschen Idealismus

spricht sich auch Wagner voller Bitternis aus darüber, daß das Publikum gar
nicht mehr die Autoren selbst liest, daß an das Publikum gar nicht heranzu¬
kommen ist. „Da werden zehn Auflagen einer Schandschrift über denjenigen?
verschlungen, dessen eigene Schrift man gar nicht erst zur Hand nimmt." Die
Macht des Journalismus ist zu Wagners Zeit nur noch viel drückender als
zu Beginn des Jahrhunderts (X. 68). Es würde zu weit führen, die zahlreichen
Äußerungen Wagners über den verhängnisvollen Einfluß der Presse, der Presse¬
freiheit auch nur andeuten zu wollen. Nur darauf möchte ich noch hinweisen,,
daß er sogar eine Rückwirkung des Journalismus auf die Kunst, speziell das
Theater, bemerkt. Von den Literaturdramatikern „ward die journalistische
Harangue für politische Tagesinteressen und sogenannte Zeittendenzen aus dem
Zeitungsartikel auf das Theater gebracht, aus dem Munde des beliebten Schau¬
spielers das politische Schlagwort des Kammerredners dem Publikum zum un¬
fehlbaren Applaus zugeworfen". Daß in diese ganze Weltlage hinein das
Große, das Echte, das tief Geheimnisvolle und unfaßbar Innerliche nicht gehört,
ist wohl nach alledem klar. „Hiergegen ist unsere Welt aber religionslos.
Wie sollte ein Höchstes in uns leben, wenn wir das Große nicht mehr zu ehren,
ja nur zu erkennen fähig sind? Vielmehr sollten wir es erkennen, so sind wir
durch unsere barbarische Zivilisation angeleitet, es zu hassen und zu verfolgen,,
etwa weil es dem allgemeinen Fortschritt entgegensteht. Was nun gar soll diese
Welt aber mit dem Höchsten zu schaffen haben?"

Die typischen Repräsentanten dieses Zeitalters sind für Wagner die Juden.
Die Schrift „Das Judentum in der Musik" ist eine beißende Charakteristik der
ganzen unproduktiven, stabilen, unechten, ideenlosen Gegenwart. Daß dabei
nicht nur äußerlich an Angehörige der semitischen Nasse gedacht wird, daß es
vielmehr auch jüdische Nassedeutsche gibt, ist auch für Wagner klar; wie hätten
denn die Juden den ihnen von Wagner zugeschriebenen Einfluß erlangen können,,
wenn nicht die ganze Zeit „jüdisch" gewesen wäre? Wir werden unten sehen,
daß auch für diese Fassung der Wagnerschen Polemik Fichte den Anstoß gegeben,
haben mag.

Dies muß genügen, die Identität der Auffassung Wagners und Fichtes
vom Geiste ihrer Zeit zu beweisen. Bei der großen Zahl der polemischen
Schriften des ersteren hätten die Ausführungen noch viel weiter ausgedehnt
werden können; doch kann es hier nicht darauf ankommen, ein System seiner
Gedanken zu entwerfen. Nur ziemlich willkürlich gesammelte Einzelheiten habe
ich zusammengetragen; aus ihnen allen aber ergab sich deutlich, daß die negative
Seite der Weltanschauung Richard Wagners mit dem, was auch Fichte mit aller
Kraft seiner Persönlichkeit ablehnt, durchaus übereinstimmt. Beide sind ge¬
schworene Feinde der Aufklärung im weitesten Sinne des Wortes, wie sie das
achtzehnte Jahrhundert zur Blüte gebracht hat, und die im neunzehnten Jahr¬
hundert noch immer die weitesten Kreise Deutschlands, ja der ganzen Welt
beherrschte. Doch nicht nur in der Ablehnung find sie einig.


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[0264] Richard ZVagner und die Philosophie des deutschen Idealismus spricht sich auch Wagner voller Bitternis aus darüber, daß das Publikum gar nicht mehr die Autoren selbst liest, daß an das Publikum gar nicht heranzu¬ kommen ist. „Da werden zehn Auflagen einer Schandschrift über denjenigen? verschlungen, dessen eigene Schrift man gar nicht erst zur Hand nimmt." Die Macht des Journalismus ist zu Wagners Zeit nur noch viel drückender als zu Beginn des Jahrhunderts (X. 68). Es würde zu weit führen, die zahlreichen Äußerungen Wagners über den verhängnisvollen Einfluß der Presse, der Presse¬ freiheit auch nur andeuten zu wollen. Nur darauf möchte ich noch hinweisen,, daß er sogar eine Rückwirkung des Journalismus auf die Kunst, speziell das Theater, bemerkt. Von den Literaturdramatikern „ward die journalistische Harangue für politische Tagesinteressen und sogenannte Zeittendenzen aus dem Zeitungsartikel auf das Theater gebracht, aus dem Munde des beliebten Schau¬ spielers das politische Schlagwort des Kammerredners dem Publikum zum un¬ fehlbaren Applaus zugeworfen". Daß in diese ganze Weltlage hinein das Große, das Echte, das tief Geheimnisvolle und unfaßbar Innerliche nicht gehört, ist wohl nach alledem klar. „Hiergegen ist unsere Welt aber religionslos. Wie sollte ein Höchstes in uns leben, wenn wir das Große nicht mehr zu ehren, ja nur zu erkennen fähig sind? Vielmehr sollten wir es erkennen, so sind wir durch unsere barbarische Zivilisation angeleitet, es zu hassen und zu verfolgen,, etwa weil es dem allgemeinen Fortschritt entgegensteht. Was nun gar soll diese Welt aber mit dem Höchsten zu schaffen haben?" Die typischen Repräsentanten dieses Zeitalters sind für Wagner die Juden. Die Schrift „Das Judentum in der Musik" ist eine beißende Charakteristik der ganzen unproduktiven, stabilen, unechten, ideenlosen Gegenwart. Daß dabei nicht nur äußerlich an Angehörige der semitischen Nasse gedacht wird, daß es vielmehr auch jüdische Nassedeutsche gibt, ist auch für Wagner klar; wie hätten denn die Juden den ihnen von Wagner zugeschriebenen Einfluß erlangen können,, wenn nicht die ganze Zeit „jüdisch" gewesen wäre? Wir werden unten sehen, daß auch für diese Fassung der Wagnerschen Polemik Fichte den Anstoß gegeben, haben mag. Dies muß genügen, die Identität der Auffassung Wagners und Fichtes vom Geiste ihrer Zeit zu beweisen. Bei der großen Zahl der polemischen Schriften des ersteren hätten die Ausführungen noch viel weiter ausgedehnt werden können; doch kann es hier nicht darauf ankommen, ein System seiner Gedanken zu entwerfen. Nur ziemlich willkürlich gesammelte Einzelheiten habe ich zusammengetragen; aus ihnen allen aber ergab sich deutlich, daß die negative Seite der Weltanschauung Richard Wagners mit dem, was auch Fichte mit aller Kraft seiner Persönlichkeit ablehnt, durchaus übereinstimmt. Beide sind ge¬ schworene Feinde der Aufklärung im weitesten Sinne des Wortes, wie sie das achtzehnte Jahrhundert zur Blüte gebracht hat, und die im neunzehnten Jahr¬ hundert noch immer die weitesten Kreise Deutschlands, ja der ganzen Welt beherrschte. Doch nicht nur in der Ablehnung find sie einig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/264>, abgerufen am 19.10.2024.