Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.Ans dem Werdegang der Mathematik Doch man verließ das "Bergwerk" nicht. Es fanden sich vielmehr neue Die nächste und letzte Periode setzt mit dem letzten Drittel des neunzehnten Wie nun in jedem größeren geschäftlichen Betriebe von Zeit zu Zeit eine Eine Zeitlang war die Anwendung der Mathematik so gut wie nicht beachtet Ans dem Werdegang der Mathematik Doch man verließ das „Bergwerk" nicht. Es fanden sich vielmehr neue Die nächste und letzte Periode setzt mit dem letzten Drittel des neunzehnten Wie nun in jedem größeren geschäftlichen Betriebe von Zeit zu Zeit eine Eine Zeitlang war die Anwendung der Mathematik so gut wie nicht beachtet <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0242" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326412"/> <fw type="header" place="top"> Ans dem Werdegang der Mathematik</fw><lb/> <p xml:id="ID_1157"> Doch man verließ das „Bergwerk" nicht. Es fanden sich vielmehr neue<lb/> Arbeiter, welche sich der Festigung und Sicherung des ganzen Baues in ernster<lb/> Arbeit widmeten. Gauß, Abel und Cauchy gehören zu den eifrigsten und frucht¬<lb/> barsten. Neben den bisherigen Wegen wandelten sie ganz neue und bereicherten<lb/> die Theorie um manche neue Vorstellung, z. B. durch die Betrachtung der kom¬<lb/> plexen Veränderlichen. Ihre Einführung hatte eine wesentliche Verbesserung und<lb/> Umgestaltung der gesamten Analnsis zur Folge. Andere Mathematiker, z. B.<lb/> Poncelet, Steiner, Lobatschewski), von Stande, förderten die Geometrie in ihren<lb/> verschiedenen Teilgebieten; Gauß schrieb seine drei grundlegenden Abhandlungen<lb/> über Differentialgeometrie.</p><lb/> <p xml:id="ID_1158"> Die nächste und letzte Periode setzt mit dem letzten Drittel des neunzehnten<lb/> Jahrhunderts ein und steht ganz im Zeichen der „reinen" Mathematik. Der<lb/> geschlossene Charakter, den sich die Mathematik bis dahin noch ziemlich bewahrt<lb/> hatte, ging mehr und mehr verloren. Sie zerteilte sich in zahlreiche Sonder¬<lb/> bereiche, die getrennt weiter ausgebaut wurden, wobei die einzelnen Mathema-<lb/> tiker, jeder in seinem Gebiete, bestrebt waren, das Höchste zu leisten. Die<lb/> Fortschritte der reinen Mathematik folgten so schnell aufeinander, daß eine all¬<lb/> gemeine Charakteristik nicht gegeben werden kann, und die Erörterung der<lb/> Einzelheiten ist ohne Anwendung der mathematischen Ausdrucksweise und Zeichen¬<lb/> sprache nicht möglich. Hier, wo nur ein Schnitt durch den Entwicklungsgang<lb/> der Mathematik gelegt werden konnte, käme das jetzt auf eine lexikalische Auf¬<lb/> zählung von Titeln hinaus. Der kritische Verstand der Mathematiker hat nicht<lb/> nur die Grundlagen des Gebäudes ernster Prüfung unterzogen, sondern noch<lb/> viele neue Steine dazugefügt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1159"> Wie nun in jedem größeren geschäftlichen Betriebe von Zeit zu Zeit eine<lb/> Inventaraufnahme wünschenswert und nötig ist, so auch auf wissenschaftlichem<lb/> Gebiete. Für die Mathematik haben wir seit ungefähr fünfzehn Jahren ein<lb/> solches Unternehmen in der bei B. G. Teubner erscheinenden „Enzyklopädie der<lb/> mathematischen Wissenschaften", auf die wir mit Recht stolz sein können. Das<lb/> ganze Werk ist auf sieben Bände berechnet, von denen der erste vollständig,<lb/> der zweite beinahe vollständig vorliegt. Von den übrigen sind schon zahlreiche<lb/> Hefte erschienen. Es handelt sich um eine Gesamtdarstellung der mathematischen<lb/> Wissenschaften nach ihrem gegenwärtigen Inhalt, die sich nicht auf die reine<lb/> Mathematik beschränkt, sondern auch alle Anwendungsgebiete berücksichtigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1160" next="#ID_1161"> Eine Zeitlang war die Anwendung der Mathematik so gut wie nicht beachtet<lb/> worden, nämlich in jener Periode des neunzehnten Jahrhunderts, welche durch<lb/> die Spezialisierung der Mathematik und den schnellen Fortschritt der Einzel¬<lb/> gebiete gekennzeichnet ist. Sie spielte damals die Rolle der uneigennützigen<lb/> Wissenschaft. Sie galt mehr als große Zierde. Bald aber zeigte sie sich, um mit<lb/> Montaigne zu reden, als ein Instrument von wunderbarer Nützlichkeit. Heute<lb/> ist die Anwendung der Mathematik fast unbegrenzt. Ihr Wirkungskreis erweitert<lb/> sich zusehends. Wenn wir heute von einem Zeitalter der Naturwissenschaften</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0242]
Ans dem Werdegang der Mathematik
Doch man verließ das „Bergwerk" nicht. Es fanden sich vielmehr neue
Arbeiter, welche sich der Festigung und Sicherung des ganzen Baues in ernster
Arbeit widmeten. Gauß, Abel und Cauchy gehören zu den eifrigsten und frucht¬
barsten. Neben den bisherigen Wegen wandelten sie ganz neue und bereicherten
die Theorie um manche neue Vorstellung, z. B. durch die Betrachtung der kom¬
plexen Veränderlichen. Ihre Einführung hatte eine wesentliche Verbesserung und
Umgestaltung der gesamten Analnsis zur Folge. Andere Mathematiker, z. B.
Poncelet, Steiner, Lobatschewski), von Stande, förderten die Geometrie in ihren
verschiedenen Teilgebieten; Gauß schrieb seine drei grundlegenden Abhandlungen
über Differentialgeometrie.
Die nächste und letzte Periode setzt mit dem letzten Drittel des neunzehnten
Jahrhunderts ein und steht ganz im Zeichen der „reinen" Mathematik. Der
geschlossene Charakter, den sich die Mathematik bis dahin noch ziemlich bewahrt
hatte, ging mehr und mehr verloren. Sie zerteilte sich in zahlreiche Sonder¬
bereiche, die getrennt weiter ausgebaut wurden, wobei die einzelnen Mathema-
tiker, jeder in seinem Gebiete, bestrebt waren, das Höchste zu leisten. Die
Fortschritte der reinen Mathematik folgten so schnell aufeinander, daß eine all¬
gemeine Charakteristik nicht gegeben werden kann, und die Erörterung der
Einzelheiten ist ohne Anwendung der mathematischen Ausdrucksweise und Zeichen¬
sprache nicht möglich. Hier, wo nur ein Schnitt durch den Entwicklungsgang
der Mathematik gelegt werden konnte, käme das jetzt auf eine lexikalische Auf¬
zählung von Titeln hinaus. Der kritische Verstand der Mathematiker hat nicht
nur die Grundlagen des Gebäudes ernster Prüfung unterzogen, sondern noch
viele neue Steine dazugefügt.
Wie nun in jedem größeren geschäftlichen Betriebe von Zeit zu Zeit eine
Inventaraufnahme wünschenswert und nötig ist, so auch auf wissenschaftlichem
Gebiete. Für die Mathematik haben wir seit ungefähr fünfzehn Jahren ein
solches Unternehmen in der bei B. G. Teubner erscheinenden „Enzyklopädie der
mathematischen Wissenschaften", auf die wir mit Recht stolz sein können. Das
ganze Werk ist auf sieben Bände berechnet, von denen der erste vollständig,
der zweite beinahe vollständig vorliegt. Von den übrigen sind schon zahlreiche
Hefte erschienen. Es handelt sich um eine Gesamtdarstellung der mathematischen
Wissenschaften nach ihrem gegenwärtigen Inhalt, die sich nicht auf die reine
Mathematik beschränkt, sondern auch alle Anwendungsgebiete berücksichtigt.
Eine Zeitlang war die Anwendung der Mathematik so gut wie nicht beachtet
worden, nämlich in jener Periode des neunzehnten Jahrhunderts, welche durch
die Spezialisierung der Mathematik und den schnellen Fortschritt der Einzel¬
gebiete gekennzeichnet ist. Sie spielte damals die Rolle der uneigennützigen
Wissenschaft. Sie galt mehr als große Zierde. Bald aber zeigte sie sich, um mit
Montaigne zu reden, als ein Instrument von wunderbarer Nützlichkeit. Heute
ist die Anwendung der Mathematik fast unbegrenzt. Ihr Wirkungskreis erweitert
sich zusehends. Wenn wir heute von einem Zeitalter der Naturwissenschaften
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