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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

Kaum graute der nächste Morgen, da ließ sich schon die Stimme der
jüngsten Wenkendorff aus ihrem Zimmer vernehmen:

"So mach doch Licht, Edles! Ich muß noch Gewehre putzen mit Sand¬
berg. Und die alten Hellebarden sind noch ganz dreckig von Staub und Rost!"

Edles lachte hell auf: "Hellebarden? Denkst wohl wir sind im dreißig¬
jährigen Krieg, und der alte Graf Matthias Thurn in der Revaler Domkirche
sei auferstanden und führe uns gegen die Schweden. Die Bauern von heute
haben ihren Browning so gut wie wir!"

"Aber wenn Sternburg gestürmt wird?"

"Um Gottes Willen -- Kind -- red nicht solchen Unsinn!" rief Edda
dazwischen. Sie wahr jetzt die erste, die aufstand, denn ihrer harrte heute
besonders viel Arbeit.

Für mehr als zwanzig Gäste galt es, Quartier zu schaffen. Es war wie
früher zu den großen Jagden im Winter, als der Vater noch Freude am Weid¬
werk hatte. Anfälle von Gicht verboten ihm in den letzten Jahren solche
Strapazen.

Fröhlich ging Edda an ihr Tagewerk, als sollte ein Fest gefeiert und nicht
das ernste Werk der Abwehr eines grausamen heimtückischen Feindes vor¬
bereitet werden.

Überall war das Mädchen: auf dem Boden, in den Fremdenzimmern, in
Küche und Keller. Sie überwachte die Mägde, die die Betten aus den riesigen
Kästen holten, sie gab den Gaststuben jenen Hauch von Traulichkeit und Wärme,
den nur eine Frauenhand zu schaffen weiß, sie beriet mit der Köchin die Reihen-
folge der Gerichte, prüfte selbst die Güte des Fleisches in der Vorratskammer
und gab den Saucen und Majonaisen die letzte pikante Würze.

Bei all ihrer hundertfältiger Geschäftigkeit lauschte sie mit Ohr und Herz
auf jedes Geräusch im Hause: ob sie auch nicht die Glocke des Telephons in
des Vaters Zimmer überhörte? Doch als endlich der ersehnte Klang das Haus
durchschrillte, blieb sie wie gelähmt stehen, und alles Blut wich ihr vom Herzen.

Deutlich war der kräftige Baß des Vaters zu vernehmen: "Was ist mit
dem verdammten Telephon los? Ich höre dich schon, aber eine andere Stimme
spricht immer dazwischen. Was? Dragoner? Wir brauchen vor der Hand
keine militärische Hilfe. Danke sehr! Ach du bist es, Wolff Joachim! Es ist
zum Verrücktwerden. Einen Augenblick . . . ."

"Edles, Edda!" unterbrach Herr von Wenkendorff laut rufend das Ge¬
spräch. "Komm doch rasch eins her. Ich kann aus dem Wirrwarr nicht klug
werden!"

Edda flog die Treppe hinab.

"Aber Kind, du hebst ja am ganzen Leibe! Als ob du zum ersten Male
am Telephon ständest!" wetterte der Vater, der das zweite Hörrohr genommen
hatte. Da gelang es dem jungen Mädchen, sich zu beherrschen und hell klang
ihre Stimme in die Ferne:


Grenzboton III 1913 12
Sturm

Kaum graute der nächste Morgen, da ließ sich schon die Stimme der
jüngsten Wenkendorff aus ihrem Zimmer vernehmen:

„So mach doch Licht, Edles! Ich muß noch Gewehre putzen mit Sand¬
berg. Und die alten Hellebarden sind noch ganz dreckig von Staub und Rost!"

Edles lachte hell auf: „Hellebarden? Denkst wohl wir sind im dreißig¬
jährigen Krieg, und der alte Graf Matthias Thurn in der Revaler Domkirche
sei auferstanden und führe uns gegen die Schweden. Die Bauern von heute
haben ihren Browning so gut wie wir!"

„Aber wenn Sternburg gestürmt wird?"

„Um Gottes Willen — Kind — red nicht solchen Unsinn!" rief Edda
dazwischen. Sie wahr jetzt die erste, die aufstand, denn ihrer harrte heute
besonders viel Arbeit.

Für mehr als zwanzig Gäste galt es, Quartier zu schaffen. Es war wie
früher zu den großen Jagden im Winter, als der Vater noch Freude am Weid¬
werk hatte. Anfälle von Gicht verboten ihm in den letzten Jahren solche
Strapazen.

Fröhlich ging Edda an ihr Tagewerk, als sollte ein Fest gefeiert und nicht
das ernste Werk der Abwehr eines grausamen heimtückischen Feindes vor¬
bereitet werden.

Überall war das Mädchen: auf dem Boden, in den Fremdenzimmern, in
Küche und Keller. Sie überwachte die Mägde, die die Betten aus den riesigen
Kästen holten, sie gab den Gaststuben jenen Hauch von Traulichkeit und Wärme,
den nur eine Frauenhand zu schaffen weiß, sie beriet mit der Köchin die Reihen-
folge der Gerichte, prüfte selbst die Güte des Fleisches in der Vorratskammer
und gab den Saucen und Majonaisen die letzte pikante Würze.

Bei all ihrer hundertfältiger Geschäftigkeit lauschte sie mit Ohr und Herz
auf jedes Geräusch im Hause: ob sie auch nicht die Glocke des Telephons in
des Vaters Zimmer überhörte? Doch als endlich der ersehnte Klang das Haus
durchschrillte, blieb sie wie gelähmt stehen, und alles Blut wich ihr vom Herzen.

Deutlich war der kräftige Baß des Vaters zu vernehmen: „Was ist mit
dem verdammten Telephon los? Ich höre dich schon, aber eine andere Stimme
spricht immer dazwischen. Was? Dragoner? Wir brauchen vor der Hand
keine militärische Hilfe. Danke sehr! Ach du bist es, Wolff Joachim! Es ist
zum Verrücktwerden. Einen Augenblick . . . ."

„Edles, Edda!" unterbrach Herr von Wenkendorff laut rufend das Ge¬
spräch. „Komm doch rasch eins her. Ich kann aus dem Wirrwarr nicht klug
werden!"

Edda flog die Treppe hinab.

„Aber Kind, du hebst ja am ganzen Leibe! Als ob du zum ersten Male
am Telephon ständest!" wetterte der Vater, der das zweite Hörrohr genommen
hatte. Da gelang es dem jungen Mädchen, sich zu beherrschen und hell klang
ihre Stimme in die Ferne:


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[0189] Sturm Kaum graute der nächste Morgen, da ließ sich schon die Stimme der jüngsten Wenkendorff aus ihrem Zimmer vernehmen: „So mach doch Licht, Edles! Ich muß noch Gewehre putzen mit Sand¬ berg. Und die alten Hellebarden sind noch ganz dreckig von Staub und Rost!" Edles lachte hell auf: „Hellebarden? Denkst wohl wir sind im dreißig¬ jährigen Krieg, und der alte Graf Matthias Thurn in der Revaler Domkirche sei auferstanden und führe uns gegen die Schweden. Die Bauern von heute haben ihren Browning so gut wie wir!" „Aber wenn Sternburg gestürmt wird?" „Um Gottes Willen — Kind — red nicht solchen Unsinn!" rief Edda dazwischen. Sie wahr jetzt die erste, die aufstand, denn ihrer harrte heute besonders viel Arbeit. Für mehr als zwanzig Gäste galt es, Quartier zu schaffen. Es war wie früher zu den großen Jagden im Winter, als der Vater noch Freude am Weid¬ werk hatte. Anfälle von Gicht verboten ihm in den letzten Jahren solche Strapazen. Fröhlich ging Edda an ihr Tagewerk, als sollte ein Fest gefeiert und nicht das ernste Werk der Abwehr eines grausamen heimtückischen Feindes vor¬ bereitet werden. Überall war das Mädchen: auf dem Boden, in den Fremdenzimmern, in Küche und Keller. Sie überwachte die Mägde, die die Betten aus den riesigen Kästen holten, sie gab den Gaststuben jenen Hauch von Traulichkeit und Wärme, den nur eine Frauenhand zu schaffen weiß, sie beriet mit der Köchin die Reihen- folge der Gerichte, prüfte selbst die Güte des Fleisches in der Vorratskammer und gab den Saucen und Majonaisen die letzte pikante Würze. Bei all ihrer hundertfältiger Geschäftigkeit lauschte sie mit Ohr und Herz auf jedes Geräusch im Hause: ob sie auch nicht die Glocke des Telephons in des Vaters Zimmer überhörte? Doch als endlich der ersehnte Klang das Haus durchschrillte, blieb sie wie gelähmt stehen, und alles Blut wich ihr vom Herzen. Deutlich war der kräftige Baß des Vaters zu vernehmen: „Was ist mit dem verdammten Telephon los? Ich höre dich schon, aber eine andere Stimme spricht immer dazwischen. Was? Dragoner? Wir brauchen vor der Hand keine militärische Hilfe. Danke sehr! Ach du bist es, Wolff Joachim! Es ist zum Verrücktwerden. Einen Augenblick . . . ." „Edles, Edda!" unterbrach Herr von Wenkendorff laut rufend das Ge¬ spräch. „Komm doch rasch eins her. Ich kann aus dem Wirrwarr nicht klug werden!" Edda flog die Treppe hinab. „Aber Kind, du hebst ja am ganzen Leibe! Als ob du zum ersten Male am Telephon ständest!" wetterte der Vater, der das zweite Hörrohr genommen hatte. Da gelang es dem jungen Mädchen, sich zu beherrschen und hell klang ihre Stimme in die Ferne: Grenzboton III 1913 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/189>, abgerufen am 19.10.2024.