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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Die armenisch-kurdische Frage

kommen sein, und zumal seit der Zeit der griechischen Freiheitskriege wurden die
Armenier von der Regierung wegen ihrer Loyalität und politischen Gefahr¬
losigkeit als ein wichtiges staatserhaltendes Element geschätzt. Im türkischen
Volke freilich wuchs die Erbitterung gegen sie vielleicht weniger aus
Neid über ihren zunehmenden Wohlstand als über die Art, wie sie dazu kamen.
Habgier ist eine bekannte Eigenschaft von allen orientalischen Völkern, aber bei
keinem so ausgeprägt wie bei den Armeniern, die mit ihrer überlegenen In¬
telligenz eine schamlose Rücksichtslosigkeit verbinden. Zumal die Ausbeutung
der unwissenden Landbevölkerung wurde von ihnen mit einer Hart¬
herzigkeit und Schamlosigkeit betrieben, wie sie in keinem zivilisierten Lande
erlaubt wäre. Kein Wunder, daß sich auch unter der toleranten und friedlichen
türkischen Landbevölkerung allmählich ein Zündstoff sammelte, der einmal ge¬
fährlich explodieren mußte. Immerhin hätte die Lage des armenischen Volkes
im ganzen eine relativ gute, jedenfalls erträgliche bleiben oder werden können,
wären nicht drei Umstände eingetreten, die das Verhältnis schnell trübten: das
Drängen der europäischen Mächte auf Reformen, (die aber anderen Völkern mehr
nottaten,) das Einsetzen der nationalistischen Propaganda und die dadurch
verursachte Verschlimmerung des Verhältnisses zu den Kurden.

Über dieses so vielgenannte, im Grunde aber noch immer recht wenig be¬
kannte Volk mögen hier einige Mitteilungen folgen.

Die Kurden sind ihrer Sprache nach der Überrest eines nordpersischen
Stammes, mit dem die Armenier schon im Altertum: in langen Kriegen gelegen
haben. Bei ihrem Auftreten in der Geschichte erscheinen sie auf das Hoch-
gebirgsland des heutigen Bostan nördlich von Mosul beschränkt. Obwohl sie
dort dank der Abgeschlossenheit ihrer Lage und ihrer eigenen Tapferkeit sich
zeitweise längere Zeit unabhängig behaupten konnten, so haben sie es doch nie
zu einem staatlichen Zusammenschluß gebracht. Dagegen ist es ihnen gelungen,
wahrscheinlich schon im frühen Mittelalter, sich nach Südosten (das eigentliche
Persien), wie nach Westen und Norden über die armenischen Länder aus¬
zubreiten, eine Expansion, die auch gegenwärtig noch nicht zum Stillstand
gekommen zu sein scheint. Während der Kreuzzüge sind sie wahrscheinlich unter
Saladin, der selbst Kurde war, auch bis nach Syrien gekommen; wenigstens
deutet der Name des Qöbel el akracl "Kurdengebirge" darauf. Freilich in
Berührung mit den Arabern haben sie hier wie in Nordmesopotamien ihre
Nationalität bald eingebüßt. Heute haben sie in Syrien nur noch eine geschlossene
Kolonie in Damaskus, wahrscheinlich seit Saladins Zeit. In Kleinasien
reichen sie nach Westen etwa bis zu einer Linie von Trapezunt bis Adana
(mit Ausnahme des unmittelbaren Hinterlandes von Trapezunt), in Mesopo¬
tamien bis an den Nordrand der großen Hochebene. Eine sehr starke Kolonie
befindet sich seit der türkischen Zeit in Konstantinopel.

Schon früh im Mittelalter, etwa im achten Jahrhundert, sind die Kurden
zum Islam übergetreten, und damit ist zu dem nationalen Gegensatz zu


Die armenisch-kurdische Frage

kommen sein, und zumal seit der Zeit der griechischen Freiheitskriege wurden die
Armenier von der Regierung wegen ihrer Loyalität und politischen Gefahr¬
losigkeit als ein wichtiges staatserhaltendes Element geschätzt. Im türkischen
Volke freilich wuchs die Erbitterung gegen sie vielleicht weniger aus
Neid über ihren zunehmenden Wohlstand als über die Art, wie sie dazu kamen.
Habgier ist eine bekannte Eigenschaft von allen orientalischen Völkern, aber bei
keinem so ausgeprägt wie bei den Armeniern, die mit ihrer überlegenen In¬
telligenz eine schamlose Rücksichtslosigkeit verbinden. Zumal die Ausbeutung
der unwissenden Landbevölkerung wurde von ihnen mit einer Hart¬
herzigkeit und Schamlosigkeit betrieben, wie sie in keinem zivilisierten Lande
erlaubt wäre. Kein Wunder, daß sich auch unter der toleranten und friedlichen
türkischen Landbevölkerung allmählich ein Zündstoff sammelte, der einmal ge¬
fährlich explodieren mußte. Immerhin hätte die Lage des armenischen Volkes
im ganzen eine relativ gute, jedenfalls erträgliche bleiben oder werden können,
wären nicht drei Umstände eingetreten, die das Verhältnis schnell trübten: das
Drängen der europäischen Mächte auf Reformen, (die aber anderen Völkern mehr
nottaten,) das Einsetzen der nationalistischen Propaganda und die dadurch
verursachte Verschlimmerung des Verhältnisses zu den Kurden.

Über dieses so vielgenannte, im Grunde aber noch immer recht wenig be¬
kannte Volk mögen hier einige Mitteilungen folgen.

Die Kurden sind ihrer Sprache nach der Überrest eines nordpersischen
Stammes, mit dem die Armenier schon im Altertum: in langen Kriegen gelegen
haben. Bei ihrem Auftreten in der Geschichte erscheinen sie auf das Hoch-
gebirgsland des heutigen Bostan nördlich von Mosul beschränkt. Obwohl sie
dort dank der Abgeschlossenheit ihrer Lage und ihrer eigenen Tapferkeit sich
zeitweise längere Zeit unabhängig behaupten konnten, so haben sie es doch nie
zu einem staatlichen Zusammenschluß gebracht. Dagegen ist es ihnen gelungen,
wahrscheinlich schon im frühen Mittelalter, sich nach Südosten (das eigentliche
Persien), wie nach Westen und Norden über die armenischen Länder aus¬
zubreiten, eine Expansion, die auch gegenwärtig noch nicht zum Stillstand
gekommen zu sein scheint. Während der Kreuzzüge sind sie wahrscheinlich unter
Saladin, der selbst Kurde war, auch bis nach Syrien gekommen; wenigstens
deutet der Name des Qöbel el akracl „Kurdengebirge" darauf. Freilich in
Berührung mit den Arabern haben sie hier wie in Nordmesopotamien ihre
Nationalität bald eingebüßt. Heute haben sie in Syrien nur noch eine geschlossene
Kolonie in Damaskus, wahrscheinlich seit Saladins Zeit. In Kleinasien
reichen sie nach Westen etwa bis zu einer Linie von Trapezunt bis Adana
(mit Ausnahme des unmittelbaren Hinterlandes von Trapezunt), in Mesopo¬
tamien bis an den Nordrand der großen Hochebene. Eine sehr starke Kolonie
befindet sich seit der türkischen Zeit in Konstantinopel.

Schon früh im Mittelalter, etwa im achten Jahrhundert, sind die Kurden
zum Islam übergetreten, und damit ist zu dem nationalen Gegensatz zu


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[0018] Die armenisch-kurdische Frage kommen sein, und zumal seit der Zeit der griechischen Freiheitskriege wurden die Armenier von der Regierung wegen ihrer Loyalität und politischen Gefahr¬ losigkeit als ein wichtiges staatserhaltendes Element geschätzt. Im türkischen Volke freilich wuchs die Erbitterung gegen sie vielleicht weniger aus Neid über ihren zunehmenden Wohlstand als über die Art, wie sie dazu kamen. Habgier ist eine bekannte Eigenschaft von allen orientalischen Völkern, aber bei keinem so ausgeprägt wie bei den Armeniern, die mit ihrer überlegenen In¬ telligenz eine schamlose Rücksichtslosigkeit verbinden. Zumal die Ausbeutung der unwissenden Landbevölkerung wurde von ihnen mit einer Hart¬ herzigkeit und Schamlosigkeit betrieben, wie sie in keinem zivilisierten Lande erlaubt wäre. Kein Wunder, daß sich auch unter der toleranten und friedlichen türkischen Landbevölkerung allmählich ein Zündstoff sammelte, der einmal ge¬ fährlich explodieren mußte. Immerhin hätte die Lage des armenischen Volkes im ganzen eine relativ gute, jedenfalls erträgliche bleiben oder werden können, wären nicht drei Umstände eingetreten, die das Verhältnis schnell trübten: das Drängen der europäischen Mächte auf Reformen, (die aber anderen Völkern mehr nottaten,) das Einsetzen der nationalistischen Propaganda und die dadurch verursachte Verschlimmerung des Verhältnisses zu den Kurden. Über dieses so vielgenannte, im Grunde aber noch immer recht wenig be¬ kannte Volk mögen hier einige Mitteilungen folgen. Die Kurden sind ihrer Sprache nach der Überrest eines nordpersischen Stammes, mit dem die Armenier schon im Altertum: in langen Kriegen gelegen haben. Bei ihrem Auftreten in der Geschichte erscheinen sie auf das Hoch- gebirgsland des heutigen Bostan nördlich von Mosul beschränkt. Obwohl sie dort dank der Abgeschlossenheit ihrer Lage und ihrer eigenen Tapferkeit sich zeitweise längere Zeit unabhängig behaupten konnten, so haben sie es doch nie zu einem staatlichen Zusammenschluß gebracht. Dagegen ist es ihnen gelungen, wahrscheinlich schon im frühen Mittelalter, sich nach Südosten (das eigentliche Persien), wie nach Westen und Norden über die armenischen Länder aus¬ zubreiten, eine Expansion, die auch gegenwärtig noch nicht zum Stillstand gekommen zu sein scheint. Während der Kreuzzüge sind sie wahrscheinlich unter Saladin, der selbst Kurde war, auch bis nach Syrien gekommen; wenigstens deutet der Name des Qöbel el akracl „Kurdengebirge" darauf. Freilich in Berührung mit den Arabern haben sie hier wie in Nordmesopotamien ihre Nationalität bald eingebüßt. Heute haben sie in Syrien nur noch eine geschlossene Kolonie in Damaskus, wahrscheinlich seit Saladins Zeit. In Kleinasien reichen sie nach Westen etwa bis zu einer Linie von Trapezunt bis Adana (mit Ausnahme des unmittelbaren Hinterlandes von Trapezunt), in Mesopo¬ tamien bis an den Nordrand der großen Hochebene. Eine sehr starke Kolonie befindet sich seit der türkischen Zeit in Konstantinopel. Schon früh im Mittelalter, etwa im achten Jahrhundert, sind die Kurden zum Islam übergetreten, und damit ist zu dem nationalen Gegensatz zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/18>, abgerufen am 27.12.2024.