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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Kämpfe unserer Lehrerschaft

Volksschullehrern und Oberlehrern, von Volksschule und höherer Schule reden --
auch wenn das Wort Gelehrtenschule den Gegensatz nicht klar und vollständig
zum Ausdruck bringt. Auch wenn man zugibt, daß beide Schulen erziehen, so
ist damit keine Wesenseinheit festgestellt, sondern im Gegenteil, es sind dann
zwei grundverschiedene Dinge mit einem Worte bezeichnet, es ist dann ein tiefes,
schweres Problem und eine hohe Aufgabe des Menschen infolge dieser Begriffs¬
verwirrung übersehen. Die Volksschule unterrichtet und "erzieht" für einen
ganz bestimmten, praktischen, sozialen Zweck -- die höhere Schule für einen
Menschheitszweck, für ein ideales, überindividuelles Ziel. Jene erzieht rein
psychologisch -- diese im wesentlichen durch Wirkung von Persönlichkeit zu
Persönlichkeit, transzendental im Sinne der Philosophie des deutschen Idea¬
lismus. Sie bereitet daher auch nicht auf einen bestimmten praktischen Beruf,
auf das Leben im Sinne der Gewinnung des Lebensbedarfes, wohl auf das
Leben im Sinne eines guten, schönen und religiösen Lebens vor. Das ist ihre
wesentliche Ausgabe. Daß sie daneben, wo es ohne Schädigung dieses Zieles
geschehen kann, verschiedene Wege einschlägt und auch Bedürfnisse des Lebens
im ersteren Sinne, Bedürfnisse des Alltags, berücksichtigen soll, ist ganz unbe¬
stritten. Das tut sie auch, sie erzieht ja auch mit gutem Erfolge im Sinne
der Volksschule, wie ich oben schon ausführte, das tat sie immer, und daß sie
es heute systematischer als früher und mit bewußter Absicht tut, soll man nicht
dahin auslegen, daß sie nur mehr diese eine Aufgabe habe und wolle. Diese
Verkennung sollte allerdings auch für die höhere Schule eine Warnung sein,
ihren wahren Zweck nicht zu verhüllen. Daß die pädagogische Ausbildung der
Philologen daneben nicht vernachlässigt wird, dafür sorgen doch wohl zur
Genüge die Vorlesungen und Übungen auf der Universität -- mit denen viel¬
leicht in noch höherem Maße als bisher praktische Schulmänner betraut werden
sollten --, ferner die in neuester Zeit mit besonderer Sorgfalt und Strenge
durchgeführten, rein der Praxis gewidmeten beiden Vorbereitungsjahre. Daß
die Schulaufsichtsbehörde die Erlangung der Anstellungsfähigkeit erschwert hat
und sie nur bei wirklich erfolgreicher Ablegung der Vorbereitungszeit erteilt,
daß in Zukunft die Kandidaten möglichst wenig zu für sie nur schädlichen
Vertretungsstunden herangezogen zu werden brauchen, das hat die Oberlehrerschaft
als große Fortschritte begrüßt. Nach all dem kann doch der Hinweis des
Herrn Dr. Raub auf die im Ganzen kürzere und sicher nicht tiefere pädagogische
Vorbereitung der "Seminariker" nur als eine Verkennung der Wirklichkeit
erscheinen.

Meine Ausführungen dürften aufs neue gezeigt haben, daß unsere höhere
Schule ein spezifisch deutsch-nationales Gebilde ist, an dem festzuhalten wir
allen Grund haben, sie dürften auch bewiesen haben, wie falsch es ist. der
jedem Gegensatz, statt idealer, sachlicher Gründe, als letzte Motive nur Standes¬
vorurteile und persönliche Ursachen zu vermuten.


Oberlehrer Dr. P. bauet
11
Kämpfe unserer Lehrerschaft

Volksschullehrern und Oberlehrern, von Volksschule und höherer Schule reden —
auch wenn das Wort Gelehrtenschule den Gegensatz nicht klar und vollständig
zum Ausdruck bringt. Auch wenn man zugibt, daß beide Schulen erziehen, so
ist damit keine Wesenseinheit festgestellt, sondern im Gegenteil, es sind dann
zwei grundverschiedene Dinge mit einem Worte bezeichnet, es ist dann ein tiefes,
schweres Problem und eine hohe Aufgabe des Menschen infolge dieser Begriffs¬
verwirrung übersehen. Die Volksschule unterrichtet und „erzieht" für einen
ganz bestimmten, praktischen, sozialen Zweck — die höhere Schule für einen
Menschheitszweck, für ein ideales, überindividuelles Ziel. Jene erzieht rein
psychologisch — diese im wesentlichen durch Wirkung von Persönlichkeit zu
Persönlichkeit, transzendental im Sinne der Philosophie des deutschen Idea¬
lismus. Sie bereitet daher auch nicht auf einen bestimmten praktischen Beruf,
auf das Leben im Sinne der Gewinnung des Lebensbedarfes, wohl auf das
Leben im Sinne eines guten, schönen und religiösen Lebens vor. Das ist ihre
wesentliche Ausgabe. Daß sie daneben, wo es ohne Schädigung dieses Zieles
geschehen kann, verschiedene Wege einschlägt und auch Bedürfnisse des Lebens
im ersteren Sinne, Bedürfnisse des Alltags, berücksichtigen soll, ist ganz unbe¬
stritten. Das tut sie auch, sie erzieht ja auch mit gutem Erfolge im Sinne
der Volksschule, wie ich oben schon ausführte, das tat sie immer, und daß sie
es heute systematischer als früher und mit bewußter Absicht tut, soll man nicht
dahin auslegen, daß sie nur mehr diese eine Aufgabe habe und wolle. Diese
Verkennung sollte allerdings auch für die höhere Schule eine Warnung sein,
ihren wahren Zweck nicht zu verhüllen. Daß die pädagogische Ausbildung der
Philologen daneben nicht vernachlässigt wird, dafür sorgen doch wohl zur
Genüge die Vorlesungen und Übungen auf der Universität — mit denen viel¬
leicht in noch höherem Maße als bisher praktische Schulmänner betraut werden
sollten —, ferner die in neuester Zeit mit besonderer Sorgfalt und Strenge
durchgeführten, rein der Praxis gewidmeten beiden Vorbereitungsjahre. Daß
die Schulaufsichtsbehörde die Erlangung der Anstellungsfähigkeit erschwert hat
und sie nur bei wirklich erfolgreicher Ablegung der Vorbereitungszeit erteilt,
daß in Zukunft die Kandidaten möglichst wenig zu für sie nur schädlichen
Vertretungsstunden herangezogen zu werden brauchen, das hat die Oberlehrerschaft
als große Fortschritte begrüßt. Nach all dem kann doch der Hinweis des
Herrn Dr. Raub auf die im Ganzen kürzere und sicher nicht tiefere pädagogische
Vorbereitung der „Seminariker" nur als eine Verkennung der Wirklichkeit
erscheinen.

Meine Ausführungen dürften aufs neue gezeigt haben, daß unsere höhere
Schule ein spezifisch deutsch-nationales Gebilde ist, an dem festzuhalten wir
allen Grund haben, sie dürften auch bewiesen haben, wie falsch es ist. der
jedem Gegensatz, statt idealer, sachlicher Gründe, als letzte Motive nur Standes¬
vorurteile und persönliche Ursachen zu vermuten.


Oberlehrer Dr. P. bauet
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[0175] Kämpfe unserer Lehrerschaft Volksschullehrern und Oberlehrern, von Volksschule und höherer Schule reden — auch wenn das Wort Gelehrtenschule den Gegensatz nicht klar und vollständig zum Ausdruck bringt. Auch wenn man zugibt, daß beide Schulen erziehen, so ist damit keine Wesenseinheit festgestellt, sondern im Gegenteil, es sind dann zwei grundverschiedene Dinge mit einem Worte bezeichnet, es ist dann ein tiefes, schweres Problem und eine hohe Aufgabe des Menschen infolge dieser Begriffs¬ verwirrung übersehen. Die Volksschule unterrichtet und „erzieht" für einen ganz bestimmten, praktischen, sozialen Zweck — die höhere Schule für einen Menschheitszweck, für ein ideales, überindividuelles Ziel. Jene erzieht rein psychologisch — diese im wesentlichen durch Wirkung von Persönlichkeit zu Persönlichkeit, transzendental im Sinne der Philosophie des deutschen Idea¬ lismus. Sie bereitet daher auch nicht auf einen bestimmten praktischen Beruf, auf das Leben im Sinne der Gewinnung des Lebensbedarfes, wohl auf das Leben im Sinne eines guten, schönen und religiösen Lebens vor. Das ist ihre wesentliche Ausgabe. Daß sie daneben, wo es ohne Schädigung dieses Zieles geschehen kann, verschiedene Wege einschlägt und auch Bedürfnisse des Lebens im ersteren Sinne, Bedürfnisse des Alltags, berücksichtigen soll, ist ganz unbe¬ stritten. Das tut sie auch, sie erzieht ja auch mit gutem Erfolge im Sinne der Volksschule, wie ich oben schon ausführte, das tat sie immer, und daß sie es heute systematischer als früher und mit bewußter Absicht tut, soll man nicht dahin auslegen, daß sie nur mehr diese eine Aufgabe habe und wolle. Diese Verkennung sollte allerdings auch für die höhere Schule eine Warnung sein, ihren wahren Zweck nicht zu verhüllen. Daß die pädagogische Ausbildung der Philologen daneben nicht vernachlässigt wird, dafür sorgen doch wohl zur Genüge die Vorlesungen und Übungen auf der Universität — mit denen viel¬ leicht in noch höherem Maße als bisher praktische Schulmänner betraut werden sollten —, ferner die in neuester Zeit mit besonderer Sorgfalt und Strenge durchgeführten, rein der Praxis gewidmeten beiden Vorbereitungsjahre. Daß die Schulaufsichtsbehörde die Erlangung der Anstellungsfähigkeit erschwert hat und sie nur bei wirklich erfolgreicher Ablegung der Vorbereitungszeit erteilt, daß in Zukunft die Kandidaten möglichst wenig zu für sie nur schädlichen Vertretungsstunden herangezogen zu werden brauchen, das hat die Oberlehrerschaft als große Fortschritte begrüßt. Nach all dem kann doch der Hinweis des Herrn Dr. Raub auf die im Ganzen kürzere und sicher nicht tiefere pädagogische Vorbereitung der „Seminariker" nur als eine Verkennung der Wirklichkeit erscheinen. Meine Ausführungen dürften aufs neue gezeigt haben, daß unsere höhere Schule ein spezifisch deutsch-nationales Gebilde ist, an dem festzuhalten wir allen Grund haben, sie dürften auch bewiesen haben, wie falsch es ist. der jedem Gegensatz, statt idealer, sachlicher Gründe, als letzte Motive nur Standes¬ vorurteile und persönliche Ursachen zu vermuten. Oberlehrer Dr. P. bauet 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/175>, abgerufen am 19.10.2024.