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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

färbung, doch ein Europäer gewesen ist im
besten und schönsten Sinne. Es liegt ein
Leuchten über diesem Buche; jenes Leuchten,
das die wikingerhafte Reckengestalt Björnsons
auch in ihren schwächsten Stunden umwittert;
jener mitreißende Persönlichkeitszauber, der
dem Leser auf jeder Seite zu sagen scheint:
hier ersteht das Bild eines Mannes, der aus¬
erwählt ward unter Tausenden. Schon um
den jungen, mit Prachtvollem Ungestüm an
sich arbeitenden und vorwärtsstürmenden
Björnson schwingt dieser mächtige Reiz. Schon
hier bildet sich die Silhouette des Mannes,
der später der ungekrönte König seines Landes
wurde. Denn das ist unter allem Erstaun¬
lichen Wohl das Erstaunlichste an der Björn-
sonschen Gesamterscheinung: dieser norwegische
Poet und Volksmann ist einer der ganz we¬
nigen, die dem Fluche unserer Zeit, dem
Fluche der Zersplitterung und Spezialisierung,
mit einem Worte -- dem Fluche des Fach¬
menschentums niemals erlegen sind. Der
Dichter Björnstjerne Björnson ist ein rüstiger
Tatmensch geblieben vom ersten bis zum letzten
Tage, ein Ethiker, den Politische und soziale
Probleme genau so fest im Banne hielten
wie die Alltagsdinge des ästhetischen Hand¬
werks, eine auf Kampf gestellte Persönlichkeit,
die dem Leben nicht auswich, sondern ihm
mit hungrigen Sinnen und mit ständig neuer
Begeisterung auf den Leib rückte, ein wahr¬
haft umfassender Geist, dem die Poesie nur
einen winzigen Teil seines unendlich weit
gereckten Gesichtsfeldes ausmachte.

Das gibt seiner Physiognomie jenen Zug
unerschütterlich kampsfroher Aufrichtigkeit, der
bei jeder neuen Begegnung fesselt, und das
gibt gleichzeitig seinem Lebenswerke jene be¬
glückende Zuverlässigkeit und Solidität und
harmonische Geklärtheit, die auch seine neben¬
sächlichsten Arbeiten bestrahlt und adelt. Man
wird sich daran gewöhnen müssen, in
den Björnsonschen Gedichten und Dramen
und Novellen immer und immer wieder den

[Spaltenumbruch]

Abglanz einer unendlich reichen Menschlichkeit
zu suchen. Denn nur aus dem gesamten
Lebenswerke dieses Mannes wird man ver¬
stehen und begreifen lernen, daß unserem
Zeitalter in Björnstjerne Björnson der, neben
Tolstoi, vielleicht stärkste künstlerische Ethiker
erstanden ist. Ich weiß, man soll mit dem
Beiwort "goethisch" so sparsam wie möglich
umgehen. Aber vor dem unendlichen Reich¬
tum, dem ethischen Adel, der beglückenden
Harmonie, der milde leuchtenden Klarheit und
Ruhe dieser schier alles unispannenden Per¬
sönlichkeit drängt sich mir gerade dies eine
Wort immer wieder auf die Lippen.

Die Briefe, die der Verlag herausgibt,
sind in diesem Sinne vielleicht die beste
Illustration des Mannes und seines Werkes.
Sie werfen nachdenklich und ernst stimmende
Schlaglichter auf die Arbeit des weidenden
Björnson, auf die unerhörte Intensität und
Energie, mit der er den Kampf um seine Ideale
führt, auf seine grandiose Unbestechlichkeit im
Verhältnis zu sich und zu anderen, und auf den
ganzen herrlichen Adel seiner zur männlichen
Reife und Lebensfülle heranwachsenden Natur.
Jubeln und frohlocken kann dieser Mann wie
ein selig berauschter Knabe. Aber machtvoller
wird er, wenn er hassen darf, wenn sein
Wikingerzorn losdonnert über Gerechte und
Ungerechte. Den Fernerstehenden werden die
Briefe am meisten fesseln, die Björnsons
Verhältnis zu Ibsen und Andersen beleuchten.
Und in der Tat gibt es da manchen reiz¬
vollen und pikanten Zug, der uns eine halb
verblaßte Literaturepoche belebt und farbig
erhellt. Für die Björnsonsche Charakteristik
scheinen mir aber bedeutsamer die intimen
Briefe an seinen Freund Petersen und an
seine Frau Karoline. Besonders die letzteren
lassen uns einen Blick tun in sein großes,
gütiges Menschenherz, das mit ehrfürchtiger
Liebe zu allem Lebendigen erfüllt war bis
zum Zerspringen.

[Ende Spaltensatz]
Dr. Arthur westphal


Nachdruck sämtlicher Aufsätze nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlags gestattet,
verantwortlich: der Herausgeber Georg" Cletnow in Berlin - Schönebirg. -- Manuflriptsendungen und Blies"
werden erbeten unter der Adresse:
U" de" Herausgeber der Grenzbote" i" Berlin-Friede""", Hrdwigstr. 1".
Fernsprecher der Schriftleitimg: Amt Uhland SKM, de" Verlags: Amt Lüzow 6610.
Verlag: Verlag der Brenzboten ". in. b. H. in Berlin SV. 11.
Druck: ."er Reichtbot"' ". ". >. H. i" Berlin SV. 11. Dessau-r Ser-b" SS/S7.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

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färbung, doch ein Europäer gewesen ist im
besten und schönsten Sinne. Es liegt ein
Leuchten über diesem Buche; jenes Leuchten,
das die wikingerhafte Reckengestalt Björnsons
auch in ihren schwächsten Stunden umwittert;
jener mitreißende Persönlichkeitszauber, der
dem Leser auf jeder Seite zu sagen scheint:
hier ersteht das Bild eines Mannes, der aus¬
erwählt ward unter Tausenden. Schon um
den jungen, mit Prachtvollem Ungestüm an
sich arbeitenden und vorwärtsstürmenden
Björnson schwingt dieser mächtige Reiz. Schon
hier bildet sich die Silhouette des Mannes,
der später der ungekrönte König seines Landes
wurde. Denn das ist unter allem Erstaun¬
lichen Wohl das Erstaunlichste an der Björn-
sonschen Gesamterscheinung: dieser norwegische
Poet und Volksmann ist einer der ganz we¬
nigen, die dem Fluche unserer Zeit, dem
Fluche der Zersplitterung und Spezialisierung,
mit einem Worte — dem Fluche des Fach¬
menschentums niemals erlegen sind. Der
Dichter Björnstjerne Björnson ist ein rüstiger
Tatmensch geblieben vom ersten bis zum letzten
Tage, ein Ethiker, den Politische und soziale
Probleme genau so fest im Banne hielten
wie die Alltagsdinge des ästhetischen Hand¬
werks, eine auf Kampf gestellte Persönlichkeit,
die dem Leben nicht auswich, sondern ihm
mit hungrigen Sinnen und mit ständig neuer
Begeisterung auf den Leib rückte, ein wahr¬
haft umfassender Geist, dem die Poesie nur
einen winzigen Teil seines unendlich weit
gereckten Gesichtsfeldes ausmachte.

Das gibt seiner Physiognomie jenen Zug
unerschütterlich kampsfroher Aufrichtigkeit, der
bei jeder neuen Begegnung fesselt, und das
gibt gleichzeitig seinem Lebenswerke jene be¬
glückende Zuverlässigkeit und Solidität und
harmonische Geklärtheit, die auch seine neben¬
sächlichsten Arbeiten bestrahlt und adelt. Man
wird sich daran gewöhnen müssen, in
den Björnsonschen Gedichten und Dramen
und Novellen immer und immer wieder den

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Abglanz einer unendlich reichen Menschlichkeit
zu suchen. Denn nur aus dem gesamten
Lebenswerke dieses Mannes wird man ver¬
stehen und begreifen lernen, daß unserem
Zeitalter in Björnstjerne Björnson der, neben
Tolstoi, vielleicht stärkste künstlerische Ethiker
erstanden ist. Ich weiß, man soll mit dem
Beiwort „goethisch" so sparsam wie möglich
umgehen. Aber vor dem unendlichen Reich¬
tum, dem ethischen Adel, der beglückenden
Harmonie, der milde leuchtenden Klarheit und
Ruhe dieser schier alles unispannenden Per¬
sönlichkeit drängt sich mir gerade dies eine
Wort immer wieder auf die Lippen.

Die Briefe, die der Verlag herausgibt,
sind in diesem Sinne vielleicht die beste
Illustration des Mannes und seines Werkes.
Sie werfen nachdenklich und ernst stimmende
Schlaglichter auf die Arbeit des weidenden
Björnson, auf die unerhörte Intensität und
Energie, mit der er den Kampf um seine Ideale
führt, auf seine grandiose Unbestechlichkeit im
Verhältnis zu sich und zu anderen, und auf den
ganzen herrlichen Adel seiner zur männlichen
Reife und Lebensfülle heranwachsenden Natur.
Jubeln und frohlocken kann dieser Mann wie
ein selig berauschter Knabe. Aber machtvoller
wird er, wenn er hassen darf, wenn sein
Wikingerzorn losdonnert über Gerechte und
Ungerechte. Den Fernerstehenden werden die
Briefe am meisten fesseln, die Björnsons
Verhältnis zu Ibsen und Andersen beleuchten.
Und in der Tat gibt es da manchen reiz¬
vollen und pikanten Zug, der uns eine halb
verblaßte Literaturepoche belebt und farbig
erhellt. Für die Björnsonsche Charakteristik
scheinen mir aber bedeutsamer die intimen
Briefe an seinen Freund Petersen und an
seine Frau Karoline. Besonders die letzteren
lassen uns einen Blick tun in sein großes,
gütiges Menschenherz, das mit ehrfürchtiger
Liebe zu allem Lebendigen erfüllt war bis
zum Zerspringen.

[Ende Spaltensatz]
Dr. Arthur westphal


Nachdruck sämtlicher Aufsätze nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlags gestattet,
verantwortlich: der Herausgeber Georg« Cletnow in Berlin - Schönebirg. — Manuflriptsendungen und Blies«
werden erbeten unter der Adresse:
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Verlag: Verlag der Brenzboten «. in. b. H. in Berlin SV. 11.
Druck: .»er Reichtbot«' «. «. >. H. i» Berlin SV. 11. Dessau-r Ser-b« SS/S7.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/156>, abgerufen am 19.10.2024.