Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] die Berufung in einem Bezirk ab, wird er Mitgegangen, angehangen. Es gibt ein Noch schwieriger gestalten sich die tatsäch¬ nicht, ist gar nicht mehr zu ermitteln, das Gewiß, es ist richtig, daß, wenn der Stein Mir scheint es deshalb erwägenswert, in Briefe BjörnstjerneBjörnson: Lricfc. Lehr-und Den starken Menschen Björnstjerne Björnson Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] die Berufung in einem Bezirk ab, wird er Mitgegangen, angehangen. Es gibt ein Noch schwieriger gestalten sich die tatsäch¬ nicht, ist gar nicht mehr zu ermitteln, das Gewiß, es ist richtig, daß, wenn der Stein Mir scheint es deshalb erwägenswert, in Briefe BjörnstjerneBjörnson: Lricfc. Lehr-und Den starken Menschen Björnstjerne Björnson <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0155" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326325"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_737" prev="#ID_736"> die Berufung in einem Bezirk ab, wird er<lb/> auf seinen Antrag entweder bei der nächsten<lb/> Vakanz einberufen oder dort gestrichen, während<lb/> er in den anderen Bezirken vornotiert bleibt.<lb/> So würde nicht nur der Zuzug zum Anwalts¬<lb/> berufe, sondern auch zur Richterlaufbahn und<lb/> zu den sonst in Betracht kommenden Berufen<lb/> wieder in geordnete Bahnen geleitet. Die<lb/> Wartezeit der Kandidaten könnte nutzbringend<lb/> durch weitere Studien, Praktische Betätigung<lb/> im Handel, in der Industrie oder durch Ab¬<lb/> leistung des einjährigen Dienstjahres oder in<lb/> sonstiger Weise ausgefüllt werden.</p> <note type="byline"> Rechtsanwalt Dr. vonschot</note> </div> <div n="3"> <head> Mitgegangen, angehangen. </head> <p xml:id="ID_738"> Es gibt ein<lb/> altes deutsches Rechtssprichwort: „Mitgegan¬<lb/> gen! — Mitgehangen I" Und früher mag Wohl<lb/> oft, insbesondere bei „landstürzenden Ver¬<lb/> brechen" nach diesem Worte gerichtet worden<lb/> sein. Solche summarische Justiz widerstrebt<lb/> unserem Rechtsempfinden. Wir verlangen mit<lb/> Fug, daß jedem einzelnen Angeklagten seine<lb/> Beteiligung an dem von mehreren begangenen<lb/> Verbrechen nachgewiesen wird. Wie schwer,<lb/> ja unmöglich ist dies aber leider oft bei der<lb/> von mehreren begangenen Körperverletzung<lb/> eines Dritten. Ist dieser Dritte am einsamen<lb/> Orte und womöglich im Dunkeln überfallen<lb/> worden, so weiß er meist nur, daß drei oder<lb/> vier Kerle über ihn kamen, ihn mit Knüppeln<lb/> und Messern bearbeiteten, aber welcher gerade<lb/> gestochen, welcher geschlagen hat, ob der eine<lb/> oder der andere ihn nur festgehalten oder sich<lb/> gar nicht beteiligt hat, das weiß er natürlich<lb/> nicht und Zeugen sind nicht dabei gewesen.<lb/> Sind die Angreifer nun schlau genug, sich nicht<lb/> gegenseitig zu bezichtigen, so fehlt jede Mög¬<lb/> lichkeit, eine zuverlässige Feststellung zu treffen,<lb/> welcher der vier Angeklagten die schwerste<lb/> Strafe für den einen festgestellten Messerstich<lb/> verdient, welcher noch wegen gefährlicher<lb/> Körperverletzung zu bestrafen ist, weil er sich<lb/> eines gefährlichen Werkzeugs bedient hat, und<lb/> wer eventuell frei auszugehen habe.</p> <p xml:id="ID_739" next="#ID_740"> Noch schwieriger gestalten sich die tatsäch¬<lb/> lichen Feststellungen, wenn die Körperver¬<lb/> letzungen dadurch verübt worden sind, daß<lb/> auf den Verletzten von mehreren Personen<lb/> aus der Ferne mit Steinen geworfen worden<lb/> ist. Wessen Stein getroffen hat und wessen</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_740" prev="#ID_739"> nicht, ist gar nicht mehr zu ermitteln, das<lb/> wissen die Werfenden meistenteils selbst nicht.<lb/> Es bleibt dann in der Regel nichts anderes<lb/> übrig, als diese Täter aus K 366 Ziffer 7<lb/> Se. G. B. wegen Werfens mit harten Körpern<lb/> zu bestrafen. Diese Tat wird mit Geldstrafe<lb/> bis zu 60 Mark und mit Haft bis zu vierzehn<lb/> Tagen geahndet. Es ist mir immer als eine<lb/> unbegreifliche Milde des Gesetzes vorgekom¬<lb/> men, daß das Werfen von Steinen nur eine<lb/> Übertretung sein soll, auf die als Höchststrafe<lb/> vierzehn Tage Haft stehen. Hatte der Gesetz¬<lb/> geber keine Erinnerung daran, daß im alten<lb/> Palästina das steinigen sogar eine Form der<lb/> Todesexekution war?</p> <p xml:id="ID_741"> Gewiß, es ist richtig, daß, wenn der Stein<lb/> den Getroffenen verletzt hat, die Paragraphen<lb/> über Körperverletzung und eventuell Tötung<lb/> eingreifen. Aber ihre Anwendbarkeit setzt<lb/> voraus, daß man den Täter kennt und das<lb/> ist eben, wenn aus einer Menge heraus¬<lb/> geworfen wird, so außerordentlich schwer.</p> <p xml:id="ID_742"> Mir scheint es deshalb erwägenswert, in<lb/> unser künftiges Strafgesetzbuch entweder das<lb/> alte deutsch-rechtliche „Mitgegangen! — Mit¬<lb/> gehangen I" für alle gemeinschaftlich verübten<lb/> Körperverletzungen dergestalt aufzunehmen,<lb/> daß jeder, welchem die Teilnahme an einem<lb/> Angriff nachgewiesen wird, der zu einer Körper¬<lb/> verletzung des Angegriffenen geführt hat, wegen<lb/> Körperverletzung (vielleicht nach dein milderen<lb/> Maßstabe des Versuches) bestraft wird, oder<lb/> daß wenigstens das Werfen mit Steinen dann<lb/> unter die Vergehen aufgenommen, also even¬<lb/> tuell mit Gefängnis geahndet wird, wenn<lb/> durch einen Wurf der Geworfene verletzt<lb/> worden ist.</p> <note type="byline"> Landrichter Dr. Sontag </note> </div> </div> <div n="2"> <head> Briefe</head> <p xml:id="ID_743"> BjörnstjerneBjörnson: Lricfc. Lehr-und<lb/> Wanderjahre. (Verlag S. Fischer, Berlin.)</p> <p xml:id="ID_744" next="#ID_745"> Den starken Menschen Björnstjerne Björnson<lb/> in seinen Briefen zu belauschen, ist ein ganz<lb/> erlesenes Vergnügen. Man wird unter den<lb/> zeitgenössischen Publikationen weit umhersuchen<lb/> müssen, ehe man einen Briefband findet, der<lb/> Persönlichkeitswerte und tiefen geistigen Gehalt<lb/> mit ähnlicher Grazie ineinander zu schlingen<lb/> weiß, wie diese Hinterlassenschaft des großen<lb/> Skandinaviers, der, bei aller nationalen Eigen-</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0155]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
die Berufung in einem Bezirk ab, wird er
auf seinen Antrag entweder bei der nächsten
Vakanz einberufen oder dort gestrichen, während
er in den anderen Bezirken vornotiert bleibt.
So würde nicht nur der Zuzug zum Anwalts¬
berufe, sondern auch zur Richterlaufbahn und
zu den sonst in Betracht kommenden Berufen
wieder in geordnete Bahnen geleitet. Die
Wartezeit der Kandidaten könnte nutzbringend
durch weitere Studien, Praktische Betätigung
im Handel, in der Industrie oder durch Ab¬
leistung des einjährigen Dienstjahres oder in
sonstiger Weise ausgefüllt werden.
Rechtsanwalt Dr. vonschot Mitgegangen, angehangen. Es gibt ein
altes deutsches Rechtssprichwort: „Mitgegan¬
gen! — Mitgehangen I" Und früher mag Wohl
oft, insbesondere bei „landstürzenden Ver¬
brechen" nach diesem Worte gerichtet worden
sein. Solche summarische Justiz widerstrebt
unserem Rechtsempfinden. Wir verlangen mit
Fug, daß jedem einzelnen Angeklagten seine
Beteiligung an dem von mehreren begangenen
Verbrechen nachgewiesen wird. Wie schwer,
ja unmöglich ist dies aber leider oft bei der
von mehreren begangenen Körperverletzung
eines Dritten. Ist dieser Dritte am einsamen
Orte und womöglich im Dunkeln überfallen
worden, so weiß er meist nur, daß drei oder
vier Kerle über ihn kamen, ihn mit Knüppeln
und Messern bearbeiteten, aber welcher gerade
gestochen, welcher geschlagen hat, ob der eine
oder der andere ihn nur festgehalten oder sich
gar nicht beteiligt hat, das weiß er natürlich
nicht und Zeugen sind nicht dabei gewesen.
Sind die Angreifer nun schlau genug, sich nicht
gegenseitig zu bezichtigen, so fehlt jede Mög¬
lichkeit, eine zuverlässige Feststellung zu treffen,
welcher der vier Angeklagten die schwerste
Strafe für den einen festgestellten Messerstich
verdient, welcher noch wegen gefährlicher
Körperverletzung zu bestrafen ist, weil er sich
eines gefährlichen Werkzeugs bedient hat, und
wer eventuell frei auszugehen habe.
Noch schwieriger gestalten sich die tatsäch¬
lichen Feststellungen, wenn die Körperver¬
letzungen dadurch verübt worden sind, daß
auf den Verletzten von mehreren Personen
aus der Ferne mit Steinen geworfen worden
ist. Wessen Stein getroffen hat und wessen
nicht, ist gar nicht mehr zu ermitteln, das
wissen die Werfenden meistenteils selbst nicht.
Es bleibt dann in der Regel nichts anderes
übrig, als diese Täter aus K 366 Ziffer 7
Se. G. B. wegen Werfens mit harten Körpern
zu bestrafen. Diese Tat wird mit Geldstrafe
bis zu 60 Mark und mit Haft bis zu vierzehn
Tagen geahndet. Es ist mir immer als eine
unbegreifliche Milde des Gesetzes vorgekom¬
men, daß das Werfen von Steinen nur eine
Übertretung sein soll, auf die als Höchststrafe
vierzehn Tage Haft stehen. Hatte der Gesetz¬
geber keine Erinnerung daran, daß im alten
Palästina das steinigen sogar eine Form der
Todesexekution war?
Gewiß, es ist richtig, daß, wenn der Stein
den Getroffenen verletzt hat, die Paragraphen
über Körperverletzung und eventuell Tötung
eingreifen. Aber ihre Anwendbarkeit setzt
voraus, daß man den Täter kennt und das
ist eben, wenn aus einer Menge heraus¬
geworfen wird, so außerordentlich schwer.
Mir scheint es deshalb erwägenswert, in
unser künftiges Strafgesetzbuch entweder das
alte deutsch-rechtliche „Mitgegangen! — Mit¬
gehangen I" für alle gemeinschaftlich verübten
Körperverletzungen dergestalt aufzunehmen,
daß jeder, welchem die Teilnahme an einem
Angriff nachgewiesen wird, der zu einer Körper¬
verletzung des Angegriffenen geführt hat, wegen
Körperverletzung (vielleicht nach dein milderen
Maßstabe des Versuches) bestraft wird, oder
daß wenigstens das Werfen mit Steinen dann
unter die Vergehen aufgenommen, also even¬
tuell mit Gefängnis geahndet wird, wenn
durch einen Wurf der Geworfene verletzt
worden ist.
Landrichter Dr. Sontag Briefe BjörnstjerneBjörnson: Lricfc. Lehr-und
Wanderjahre. (Verlag S. Fischer, Berlin.)
Den starken Menschen Björnstjerne Björnson
in seinen Briefen zu belauschen, ist ein ganz
erlesenes Vergnügen. Man wird unter den
zeitgenössischen Publikationen weit umhersuchen
müssen, ehe man einen Briefband findet, der
Persönlichkeitswerte und tiefen geistigen Gehalt
mit ähnlicher Grazie ineinander zu schlingen
weiß, wie diese Hinterlassenschaft des großen
Skandinaviers, der, bei aller nationalen Eigen-
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