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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Verdeutschen und Verdeutschungen

zwischen zwei Menschen verschiedener Rasse auch ganz unmöglich. Wie der
Dichter sich in mehrere Persönlichkeiten spalten kann, so wird man in noch
höherem Maße beim Übersetzer seelische Wandelbarkeit voraussetzen können.

Neben der halb unbewußten Einfühlung in die Persönlichkeit des Dichters
geht die bewußte Technik, die auf dem normalen generellen Zustand der Sprache
fußt. Hierbei kann uns die Grammatik ebenso wenig helfen wie vorher das
Wörterbuch; sie diert nur dazu sprachliche Gebilde zu zerlegen, sie hilft uns
aber nicht künstlerische Werte zu bestimmen.

Im folgenden will ich versuchen einige dieser allgemeinen sehnt- und
traditionsmäßigen Werte abzugrenzen und an ihnen einige Beispiele zu messen.

Das Substantiv drückt das Ding an sich aus. Es ist die unpersönlichste
aller Wortgattungen und gibt uns nichts als den nackten Gegenstand; es ist
am leichtesten zu erfassen und wiederzugeben.

Das Adjektiv gibt den Gegenständen Umrisse und Farbe. Begegnen wir
einer Häufung von Adjektiven, so können wir annehmen, daß dem Verfasser
das Bild klar vorgeschwebt hat, daß er alle Formen und Seiten deutlich her¬
vorheben möchte; geringes Auftreten von Adjektiven deutet dagegen auf ver¬
schwimmende Bilder. So zeigt der Lyriker Paul Fort sehr wenig Neigung
für das Adjektiv; seine Sprache weist nur schattenhafte oder neutrale Farben¬
adjektive auf, er ist der Dichter der zarten, verschleierten Konturen: "Bei Bullier
glänze ich, Großmeister der Gefühle. Meinen Rembrandthut nehme ich mit
und meine schwarze Foulardkravatte; eines Kaisers Kopf blinkt darin, von dem
die Seide sich abhebt; und meinen Rock, wie ein Berlioz oder ein Delacroix,
wie ein Hamlet von 1830, der seinen Weltschmerz nach La Courtille führt;
und meine Bitterkeit, die sich lässig nach der fliehenden Manon umsieht; denn
wenn ich. schwarz, in den Saal bei Bullier hinabsteige, gleitet mein Schatten
auf der Treppe hinter mir her wie der Mantel Mounet-Sullys." Man ver¬
gleiche mit dieser Stelle die plastische Farbigkeit Verhaerens in dem Gedicht
"Die Mühle":


(Übersetzt von E. L, Schellenberg)

Das Verb ist das logische Elenient, es stellt zwischen den einzelnen Satz¬
teilen und Sätzen eine logische Verbindung her, ohne die zwingende Ver-
knüpfungskraft der Präposition zu besitzen. Es wird bevorzugt bei logisch-
wissenschaMchen Verfahren, während alle Reproduktionen sinnlicher Vorgänge
seinen Gebrauch einschränken und nur koloristische und akustische Verden zulassen.
Das Verb ist auch im Gegensatz zum Adjektiv das Element, welches die Be¬
wegung ausdrückt, und wird überall zurücktreten, wo der Eindruck des Bild¬
haften hervorgerufen werden soll. Zwei Beispiele:


Verdeutschen und Verdeutschungen

zwischen zwei Menschen verschiedener Rasse auch ganz unmöglich. Wie der
Dichter sich in mehrere Persönlichkeiten spalten kann, so wird man in noch
höherem Maße beim Übersetzer seelische Wandelbarkeit voraussetzen können.

Neben der halb unbewußten Einfühlung in die Persönlichkeit des Dichters
geht die bewußte Technik, die auf dem normalen generellen Zustand der Sprache
fußt. Hierbei kann uns die Grammatik ebenso wenig helfen wie vorher das
Wörterbuch; sie diert nur dazu sprachliche Gebilde zu zerlegen, sie hilft uns
aber nicht künstlerische Werte zu bestimmen.

Im folgenden will ich versuchen einige dieser allgemeinen sehnt- und
traditionsmäßigen Werte abzugrenzen und an ihnen einige Beispiele zu messen.

Das Substantiv drückt das Ding an sich aus. Es ist die unpersönlichste
aller Wortgattungen und gibt uns nichts als den nackten Gegenstand; es ist
am leichtesten zu erfassen und wiederzugeben.

Das Adjektiv gibt den Gegenständen Umrisse und Farbe. Begegnen wir
einer Häufung von Adjektiven, so können wir annehmen, daß dem Verfasser
das Bild klar vorgeschwebt hat, daß er alle Formen und Seiten deutlich her¬
vorheben möchte; geringes Auftreten von Adjektiven deutet dagegen auf ver¬
schwimmende Bilder. So zeigt der Lyriker Paul Fort sehr wenig Neigung
für das Adjektiv; seine Sprache weist nur schattenhafte oder neutrale Farben¬
adjektive auf, er ist der Dichter der zarten, verschleierten Konturen: „Bei Bullier
glänze ich, Großmeister der Gefühle. Meinen Rembrandthut nehme ich mit
und meine schwarze Foulardkravatte; eines Kaisers Kopf blinkt darin, von dem
die Seide sich abhebt; und meinen Rock, wie ein Berlioz oder ein Delacroix,
wie ein Hamlet von 1830, der seinen Weltschmerz nach La Courtille führt;
und meine Bitterkeit, die sich lässig nach der fliehenden Manon umsieht; denn
wenn ich. schwarz, in den Saal bei Bullier hinabsteige, gleitet mein Schatten
auf der Treppe hinter mir her wie der Mantel Mounet-Sullys." Man ver¬
gleiche mit dieser Stelle die plastische Farbigkeit Verhaerens in dem Gedicht
„Die Mühle":


(Übersetzt von E. L, Schellenberg)

Das Verb ist das logische Elenient, es stellt zwischen den einzelnen Satz¬
teilen und Sätzen eine logische Verbindung her, ohne die zwingende Ver-
knüpfungskraft der Präposition zu besitzen. Es wird bevorzugt bei logisch-
wissenschaMchen Verfahren, während alle Reproduktionen sinnlicher Vorgänge
seinen Gebrauch einschränken und nur koloristische und akustische Verden zulassen.
Das Verb ist auch im Gegensatz zum Adjektiv das Element, welches die Be¬
wegung ausdrückt, und wird überall zurücktreten, wo der Eindruck des Bild¬
haften hervorgerufen werden soll. Zwei Beispiele:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/148>, abgerufen am 19.10.2024.