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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

Die anderen Edelleute, die das gleiche Schicksal getroffen hatte, litten schwerer
darunter. Auf vielen Höfen war die gesamte Ernte niedergebrannt, Herrensitze
waren geplündert und zerstört worden. Kostbare, alte Familienschätze waren
zertrümmert. Bewaffnete Banden zogen von Hof zu Hof und bedrohten die
schutzlosen Insassen. Was alles mochte erst dort geschehen sein, wo die tele¬
phonische Verbindung unterbrochen und die Wege gesperrt waren! Gegen die
Kirche und ihre Vertreter wütete das aufgesetzte Volk mit besonderer Grau¬
samkeit. Geistliche waren im Talar von der Kanzel gezerrt und zum Spott
durchs Dorf geschleift worden. Man hatte sie gezwungen, den Banden die rote
Fahne voranzutragen, und Widerstrebende wurden mißhandelt, ja sogar nieder¬
geschossen. Fürchterliche Einzelheiten wurden berichtet und schürten den Zorn
der Männer zur Siedehitze. Der Schrei nach Rache gellte durch die Räume.

Da wurde die Jugend in den großen Saal gerufen, wo die älteren Herren
als Generalstab für die Schutzwehr zusammengetreten waren. Der Nitterschafts-
hauptmann führte den Vorsitz. Seine breitschultrige Hünengestalt und der tief¬
ernste Ausdruck seines durch buschige schwarze Brauen gezeichneten Gesichts
zwangen die Brauseköpfe zum Schweigen, sobald er sich erhoben hatte.

Ohne Einleitung und Umschweife teilte er mit, was im Rate der Alten
beschlossen war.

"Wir haben keine Zeit zur Trauer. Erst wenn sich der Sturm gelegt
haben wird, werden wir den Schaden überblicken können. Jetzt gilt es, zu
retten, was zu retten ist. Wir sind der Meinung, daß die Herren der ein¬
geäscherten Güter sich vorläufig der gemeinsamen Aufgabe zur Verfügung halten
sollen. Ich wende mich besonders an die Jugend. Sie sei sich bewußt, daß
wir im Kriegszustand leben. Die eigenen Interessen müssen hinter der Rücksicht
auf das Wohl des Landes zurücktreten. Wir verlangen von Ihnen Gehorsam.
Ohne Disziplin bleibt der Selbstschutz zur Ohnmacht verdammt.

"Zurzeit ist Gut Sternburg der äußerste Vorposten gegen den Anmarsch
der Banden. Wenn uns auch militärische Hilfe versprochen ist. so finden die
Mordbrenner doch zuviel Eintrittspforten in die bisher noch ruhigen Landes¬
teile, als daß die Selbsthilfe überflüssig wäre. Auch haben wir ja leider die
Erfahrung machen müssen, daß wir in der Stunde der Gefahr oft allein
standen. Zunächst müssen wir also nach Sternburg Hilfstruppen schicken. Wir
haben eine Liste der Herren aufgestellt, die nach den bisher vorliegenden Nach¬
richten auf ihren Gütern entbehrlich sind. Sei es, daß dort in absehbarer Zeit
keine Gefahr droht, sei es. daß -- wie in meinem eigenen Falle -- es nichts
mehr zu schützen gibt..."

Eine tiefe Bewegung ging durch die Versammluch bei den letzten Worten
des Redners. Wrangelsburg, das uralte herrliche Schloß mit seinen unschätz¬
baren Kunstwerken, war von den Revolutionären dem Erdboden gleichgemacht
worden. Der Redner aber fuhr fort, ohne daß ein Zug seines eisernen Ge¬
sichtes zuckte:


Grenzboten III 191" ^
Sturm

Die anderen Edelleute, die das gleiche Schicksal getroffen hatte, litten schwerer
darunter. Auf vielen Höfen war die gesamte Ernte niedergebrannt, Herrensitze
waren geplündert und zerstört worden. Kostbare, alte Familienschätze waren
zertrümmert. Bewaffnete Banden zogen von Hof zu Hof und bedrohten die
schutzlosen Insassen. Was alles mochte erst dort geschehen sein, wo die tele¬
phonische Verbindung unterbrochen und die Wege gesperrt waren! Gegen die
Kirche und ihre Vertreter wütete das aufgesetzte Volk mit besonderer Grau¬
samkeit. Geistliche waren im Talar von der Kanzel gezerrt und zum Spott
durchs Dorf geschleift worden. Man hatte sie gezwungen, den Banden die rote
Fahne voranzutragen, und Widerstrebende wurden mißhandelt, ja sogar nieder¬
geschossen. Fürchterliche Einzelheiten wurden berichtet und schürten den Zorn
der Männer zur Siedehitze. Der Schrei nach Rache gellte durch die Räume.

Da wurde die Jugend in den großen Saal gerufen, wo die älteren Herren
als Generalstab für die Schutzwehr zusammengetreten waren. Der Nitterschafts-
hauptmann führte den Vorsitz. Seine breitschultrige Hünengestalt und der tief¬
ernste Ausdruck seines durch buschige schwarze Brauen gezeichneten Gesichts
zwangen die Brauseköpfe zum Schweigen, sobald er sich erhoben hatte.

Ohne Einleitung und Umschweife teilte er mit, was im Rate der Alten
beschlossen war.

„Wir haben keine Zeit zur Trauer. Erst wenn sich der Sturm gelegt
haben wird, werden wir den Schaden überblicken können. Jetzt gilt es, zu
retten, was zu retten ist. Wir sind der Meinung, daß die Herren der ein¬
geäscherten Güter sich vorläufig der gemeinsamen Aufgabe zur Verfügung halten
sollen. Ich wende mich besonders an die Jugend. Sie sei sich bewußt, daß
wir im Kriegszustand leben. Die eigenen Interessen müssen hinter der Rücksicht
auf das Wohl des Landes zurücktreten. Wir verlangen von Ihnen Gehorsam.
Ohne Disziplin bleibt der Selbstschutz zur Ohnmacht verdammt.

„Zurzeit ist Gut Sternburg der äußerste Vorposten gegen den Anmarsch
der Banden. Wenn uns auch militärische Hilfe versprochen ist. so finden die
Mordbrenner doch zuviel Eintrittspforten in die bisher noch ruhigen Landes¬
teile, als daß die Selbsthilfe überflüssig wäre. Auch haben wir ja leider die
Erfahrung machen müssen, daß wir in der Stunde der Gefahr oft allein
standen. Zunächst müssen wir also nach Sternburg Hilfstruppen schicken. Wir
haben eine Liste der Herren aufgestellt, die nach den bisher vorliegenden Nach¬
richten auf ihren Gütern entbehrlich sind. Sei es, daß dort in absehbarer Zeit
keine Gefahr droht, sei es. daß — wie in meinem eigenen Falle — es nichts
mehr zu schützen gibt..."

Eine tiefe Bewegung ging durch die Versammluch bei den letzten Worten
des Redners. Wrangelsburg, das uralte herrliche Schloß mit seinen unschätz¬
baren Kunstwerken, war von den Revolutionären dem Erdboden gleichgemacht
worden. Der Redner aber fuhr fort, ohne daß ein Zug seines eisernen Ge¬
sichtes zuckte:


Grenzboten III 191» ^
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[0141] Sturm Die anderen Edelleute, die das gleiche Schicksal getroffen hatte, litten schwerer darunter. Auf vielen Höfen war die gesamte Ernte niedergebrannt, Herrensitze waren geplündert und zerstört worden. Kostbare, alte Familienschätze waren zertrümmert. Bewaffnete Banden zogen von Hof zu Hof und bedrohten die schutzlosen Insassen. Was alles mochte erst dort geschehen sein, wo die tele¬ phonische Verbindung unterbrochen und die Wege gesperrt waren! Gegen die Kirche und ihre Vertreter wütete das aufgesetzte Volk mit besonderer Grau¬ samkeit. Geistliche waren im Talar von der Kanzel gezerrt und zum Spott durchs Dorf geschleift worden. Man hatte sie gezwungen, den Banden die rote Fahne voranzutragen, und Widerstrebende wurden mißhandelt, ja sogar nieder¬ geschossen. Fürchterliche Einzelheiten wurden berichtet und schürten den Zorn der Männer zur Siedehitze. Der Schrei nach Rache gellte durch die Räume. Da wurde die Jugend in den großen Saal gerufen, wo die älteren Herren als Generalstab für die Schutzwehr zusammengetreten waren. Der Nitterschafts- hauptmann führte den Vorsitz. Seine breitschultrige Hünengestalt und der tief¬ ernste Ausdruck seines durch buschige schwarze Brauen gezeichneten Gesichts zwangen die Brauseköpfe zum Schweigen, sobald er sich erhoben hatte. Ohne Einleitung und Umschweife teilte er mit, was im Rate der Alten beschlossen war. „Wir haben keine Zeit zur Trauer. Erst wenn sich der Sturm gelegt haben wird, werden wir den Schaden überblicken können. Jetzt gilt es, zu retten, was zu retten ist. Wir sind der Meinung, daß die Herren der ein¬ geäscherten Güter sich vorläufig der gemeinsamen Aufgabe zur Verfügung halten sollen. Ich wende mich besonders an die Jugend. Sie sei sich bewußt, daß wir im Kriegszustand leben. Die eigenen Interessen müssen hinter der Rücksicht auf das Wohl des Landes zurücktreten. Wir verlangen von Ihnen Gehorsam. Ohne Disziplin bleibt der Selbstschutz zur Ohnmacht verdammt. „Zurzeit ist Gut Sternburg der äußerste Vorposten gegen den Anmarsch der Banden. Wenn uns auch militärische Hilfe versprochen ist. so finden die Mordbrenner doch zuviel Eintrittspforten in die bisher noch ruhigen Landes¬ teile, als daß die Selbsthilfe überflüssig wäre. Auch haben wir ja leider die Erfahrung machen müssen, daß wir in der Stunde der Gefahr oft allein standen. Zunächst müssen wir also nach Sternburg Hilfstruppen schicken. Wir haben eine Liste der Herren aufgestellt, die nach den bisher vorliegenden Nach¬ richten auf ihren Gütern entbehrlich sind. Sei es, daß dort in absehbarer Zeit keine Gefahr droht, sei es. daß — wie in meinem eigenen Falle — es nichts mehr zu schützen gibt..." Eine tiefe Bewegung ging durch die Versammluch bei den letzten Worten des Redners. Wrangelsburg, das uralte herrliche Schloß mit seinen unschätz¬ baren Kunstwerken, war von den Revolutionären dem Erdboden gleichgemacht worden. Der Redner aber fuhr fort, ohne daß ein Zug seines eisernen Ge¬ sichtes zuckte: Grenzboten III 191» ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/141>, abgerufen am 27.12.2024.