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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Blut und haben es nicht nötig, als auf¬
geputzte und innerlich tote Dogmenträger
durch die Welt zu laufen. Nirgends wird
der religiöse Zweck, der dem Verfasser Wohl
ein wesentlicher Bestandteil war, aufdringlich
hervorgekehrt. Die Konflikte erscheinen mit
bemerkenswerter Kunst ins allgemein Mensch¬
liche gewandt und strahlen denn auch jene
Leuchtkraft aus, die eben nur das allgemein
Menschliche herzugeben vermag. Der Dichter
ist im Kampfe mit dem Gelehrten, mit dem
gläubigen Katholiken Herr geblieben, und
eben deshalb steht dieser Franz von Assisi
unserem Herzen hundertmal näher als die
dürren polemischen Dialoge, von denen oben
die Rede war.

Natürlich gibt es, jenseits von Problem
und Tendenz, auch eine ganze Reihe von
Dramen, die, aus einer vermeintlichen oder
wirklichen Poetischen Welt erwachsen, nichts
anderes sein wollen als dramatische Dich¬
tungen im besten und höchsten Sinne. Unter
den Bänden, die mir vorliegen, scheint mir
da "Lioba", ein Drama der Treue von
Frederic van Jeden (Concordia, Deutsche
Verlagsanstalt, Berlin) weitaus am schwersten
zu wiegen. Der holländische Dichter, zu
dessen Ruhme nichts Neues gesagt zu werden
braucht, hat hier die halbmythische Geschichte
einer Liebe in die zartesten Poetischen Farben
gehüllt. Ein prunkvoller Mantel erlesener
Verse schmiegt sich in stolzem Faltenwurf um
die herben und keuschen Begebenheiten dieser
Bilder. Weiche, verwesende Stimmungen
flattern auf und führen, wie selbstverständlich,
den hold süßen Duft einer leisen Romantik,
einer längst verklungenen Vergangenheit mit
sich. Und wenn auch schließlich van Jedens
beste Kraft im Lyrischen und Balladesken
wurzelt -- jede Seite seines Dramas läßt
uns lebendig spüren, daß nur ein begnadeter
Dichter diese Melodie, diesen Rhythmus und
diese unendlich zauberhafte Farbe zu finden
imstande war. Wenn irgendeine ausländische
Theaterarbeit befugt ist, Heimatsrechte auf
der deutschen Bühne zu verlangen, dann ist
es dies Drama der Treue. Der Himmel
gebe, daß unsere Theaterdirektoren sich auf
ihre Pflicht besinnen.

In einigem Abstände von "Lioba", aber
immerhin voller Wärme und Achtung, darf

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dann "Inge", das Drama einer Liebe von
Johannes Tralow (Osterheld u. Co., Berlin)
genannt werden. Auch hier findet jemand,
der in keiner Minute mit dilettantischen Hilfs¬
mitteln liebäugelt, ein Paar mannhafte und
konzentrierte Klänge, die aufhorchen machen
und im Ohre zurückbleiben. Im Gegensatz
zu van Jeden ist bei Tralow alles auf dra¬
matische Bewegtheit, auf Vorwärtsdrängen
und auf Kampf gestellt. Das ist ein unver¬
kennbarer Vorzug. Aber daneben steht eine
gewisse Unfertigkeit in der Kunst plastischer
Gestaltung, eine gewisse Unsicherheit, wenn es
gilt, die einzelnen Szenen nun auch in ihrem
menschlich poetischen Gehalt auszuschöpfen.
Man hält am letzten Ende ein Paar aus¬
einander gebrochene erlesene Stücke in der
Hand, die sich nicht recht zum ganzen Orga¬
nismus fügen wollen. Und man spürt, daß
hier ein noch nicht ganz fertiges Talent eine
Probe abgelegt hat, die, bei gehöriger Schu¬
lung und straffer Selbstdisziplin, für die Zu¬
kunft nur Gutes und Wertvolles verheißt.

Weiter darf in diesem Zusammenhange
auf zwei Nachdichtungen berühmter klassischer
Motive verwiesen werden. Die erste ist
Friedrich Lienhards dramatische Dichtung
"Odysseus" (Stuttgart 1911), die aus der
Heimkehr des homerischen Helden ein außer¬
ordentlich respektables, in einfachen sinnfälligen
Linien gehaltenes, durch und durch unsenti¬
mentales und gerade deshalb wirksames
Theaterstück gezimmert hat. Die andere ist
eine Arbeit von Martin Langen, die den Mut
zeigt, mit dem tragischen Konflikt "Julius
Cäsar und seine Mörder" (Albert Langen,
München) in den Schatten des großen
Shakespeare zu treten. Auch Langen hat,
ähnlich wie Lienhard in seiner Art, mit glück¬
lichem Takte so ziemlich alle Klippen ver¬
mieden, die ihm gefährlich werden konnten.
Seine Tragödie, die im Gegensatz zu Sha¬
kespeare die Motive für die Ermordung
Cäsars hauptsächlich in dem Nachegelüst der
verschmähten Kleopatra sucht, ist durch und
durch ehrlich und verschmäht die Schönheits-
mittelchen des üblichen Oberlehrerdramas.
Freilich ist nicht zu verkennen, daß gerade
die Gestalt des Helden etwas farblos,
etwas schablonenhaft bleibt. Aber die frischen
Farben, die anderen Figuren, so besonders

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Blut und haben es nicht nötig, als auf¬
geputzte und innerlich tote Dogmenträger
durch die Welt zu laufen. Nirgends wird
der religiöse Zweck, der dem Verfasser Wohl
ein wesentlicher Bestandteil war, aufdringlich
hervorgekehrt. Die Konflikte erscheinen mit
bemerkenswerter Kunst ins allgemein Mensch¬
liche gewandt und strahlen denn auch jene
Leuchtkraft aus, die eben nur das allgemein
Menschliche herzugeben vermag. Der Dichter
ist im Kampfe mit dem Gelehrten, mit dem
gläubigen Katholiken Herr geblieben, und
eben deshalb steht dieser Franz von Assisi
unserem Herzen hundertmal näher als die
dürren polemischen Dialoge, von denen oben
die Rede war.

Natürlich gibt es, jenseits von Problem
und Tendenz, auch eine ganze Reihe von
Dramen, die, aus einer vermeintlichen oder
wirklichen Poetischen Welt erwachsen, nichts
anderes sein wollen als dramatische Dich¬
tungen im besten und höchsten Sinne. Unter
den Bänden, die mir vorliegen, scheint mir
da „Lioba", ein Drama der Treue von
Frederic van Jeden (Concordia, Deutsche
Verlagsanstalt, Berlin) weitaus am schwersten
zu wiegen. Der holländische Dichter, zu
dessen Ruhme nichts Neues gesagt zu werden
braucht, hat hier die halbmythische Geschichte
einer Liebe in die zartesten Poetischen Farben
gehüllt. Ein prunkvoller Mantel erlesener
Verse schmiegt sich in stolzem Faltenwurf um
die herben und keuschen Begebenheiten dieser
Bilder. Weiche, verwesende Stimmungen
flattern auf und führen, wie selbstverständlich,
den hold süßen Duft einer leisen Romantik,
einer längst verklungenen Vergangenheit mit
sich. Und wenn auch schließlich van Jedens
beste Kraft im Lyrischen und Balladesken
wurzelt — jede Seite seines Dramas läßt
uns lebendig spüren, daß nur ein begnadeter
Dichter diese Melodie, diesen Rhythmus und
diese unendlich zauberhafte Farbe zu finden
imstande war. Wenn irgendeine ausländische
Theaterarbeit befugt ist, Heimatsrechte auf
der deutschen Bühne zu verlangen, dann ist
es dies Drama der Treue. Der Himmel
gebe, daß unsere Theaterdirektoren sich auf
ihre Pflicht besinnen.

In einigem Abstände von „Lioba", aber
immerhin voller Wärme und Achtung, darf

[Spaltenumbruch]

dann „Inge", das Drama einer Liebe von
Johannes Tralow (Osterheld u. Co., Berlin)
genannt werden. Auch hier findet jemand,
der in keiner Minute mit dilettantischen Hilfs¬
mitteln liebäugelt, ein Paar mannhafte und
konzentrierte Klänge, die aufhorchen machen
und im Ohre zurückbleiben. Im Gegensatz
zu van Jeden ist bei Tralow alles auf dra¬
matische Bewegtheit, auf Vorwärtsdrängen
und auf Kampf gestellt. Das ist ein unver¬
kennbarer Vorzug. Aber daneben steht eine
gewisse Unfertigkeit in der Kunst plastischer
Gestaltung, eine gewisse Unsicherheit, wenn es
gilt, die einzelnen Szenen nun auch in ihrem
menschlich poetischen Gehalt auszuschöpfen.
Man hält am letzten Ende ein Paar aus¬
einander gebrochene erlesene Stücke in der
Hand, die sich nicht recht zum ganzen Orga¬
nismus fügen wollen. Und man spürt, daß
hier ein noch nicht ganz fertiges Talent eine
Probe abgelegt hat, die, bei gehöriger Schu¬
lung und straffer Selbstdisziplin, für die Zu¬
kunft nur Gutes und Wertvolles verheißt.

Weiter darf in diesem Zusammenhange
auf zwei Nachdichtungen berühmter klassischer
Motive verwiesen werden. Die erste ist
Friedrich Lienhards dramatische Dichtung
„Odysseus" (Stuttgart 1911), die aus der
Heimkehr des homerischen Helden ein außer¬
ordentlich respektables, in einfachen sinnfälligen
Linien gehaltenes, durch und durch unsenti¬
mentales und gerade deshalb wirksames
Theaterstück gezimmert hat. Die andere ist
eine Arbeit von Martin Langen, die den Mut
zeigt, mit dem tragischen Konflikt „Julius
Cäsar und seine Mörder" (Albert Langen,
München) in den Schatten des großen
Shakespeare zu treten. Auch Langen hat,
ähnlich wie Lienhard in seiner Art, mit glück¬
lichem Takte so ziemlich alle Klippen ver¬
mieden, die ihm gefährlich werden konnten.
Seine Tragödie, die im Gegensatz zu Sha¬
kespeare die Motive für die Ermordung
Cäsars hauptsächlich in dem Nachegelüst der
verschmähten Kleopatra sucht, ist durch und
durch ehrlich und verschmäht die Schönheits-
mittelchen des üblichen Oberlehrerdramas.
Freilich ist nicht zu verkennen, daß gerade
die Gestalt des Helden etwas farblos,
etwas schablonenhaft bleibt. Aber die frischen
Farben, die anderen Figuren, so besonders

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/106>, abgerufen am 19.10.2024.