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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Das werdende Albanien

Alle diese Gefahren, unter denen die europäischen Interessen allgemein leiden
würden, können nur vermieden werden, wenn das hauptsächlich von Albanesen
bewohnte Gebiet den Bestrebungen der Balkankönigreiche überhaupt entzogen,
also zu einem unabhängigen Staat gemacht wird.




Wie soll nun dieses Albanien, das zunächst noch keinen geschichtlichen Rechts¬
titel für sich auszuweisen hat, vielmehr vorerst nur ein geographischer oder viel¬
mehr ethnographischer Begriff ist, abgegrenzt werden? Der schwierigste Teil
dieser Frage ist der Absteckung der Nordgrenze, weil hier Montenegros einzige
Hoffnung auf einen Lohn für die übernommenen Kriegsopfer und Serbiens
Lieblingstraum von der Wiedergewinnung der alten Kernlande seiner mittel¬
alterlichen Größe zerstört werden muß. Beide Königreiche richten ihre Blicke
hoffnungsvoll nach Rußland, wo der Lärm der Panslawisten ihnen eine ähnliche
Lage vortäuscht wie 1877, als Alexander der Zweite, von dem gleichen Lärm
eingeschüchtert, für die Balkanslawen das Schwert zog. Aber die Lage ist doch
in Wahrheit eine andere, und Rußland hat Gründe genug, die gewiß nicht
aus Sentimentalität so fürsorglich hergestellte Einigkeit der Großmächte nicht zu
stören. So ist denn auch die Verständigung mit Österreich-Ungarn herbeigeführt
worden, das, ebenso wie Italien und vor allem auch England, ein bestimmtes
Interesse daran hat, daß der in Aussicht genommene neue Staat Albanien auch
lebensfähig wird. Dazu gehört aber, daß er in seinem nördlichen Teil, wo
der Kulturzustand der Malissoren ohnehin als erschwerendes Moment mitwirkt,
nicht die notwendigen Stützpunkte einer städtischen Kultur, eines auswärtigen
Handels und einer geordneten, entwicklungsfähigen Landwirtschaft verliert.
Darum bestand namentlich Österreich mit vollem Recht darauf, daß das neue
Albanien Skutari und Djakova erhalten sollte. Montenegro sollte durch Jpek,
Serbien durch andere eroberte Gebietsteile entschädigt werden. Dieser Lösung
aber wollte Rußland im Interesse der slawischen Königreiche nicht zustimmen,
bis man sich nach weiteren Verhandlungen einigte. Österreich erklärte sich damit
einverstanden, daß Djakova noch an Serbien fallen sollte, wofür Rußland zu¬
gestand, daß Skutari bei Albanien bleiben sollte. Die Bestimmung der Süd¬
grenze wird voraussichtlich nicht so viele Schwierigkeiten machen, wenn auch die
Abgrenzung Griechenland vielleicht einige Schmerzen und Enttäuschungen
verursachen wird. Da die Westgrenze Albaniens die adriatische Küste ist. so
bleibt dann nur noch die Ostgrenze zu bestimmen, wo es leichter sein wird, den
Wünschen Serbiens und Bulgariens entgegenzukommen. Schon jetzt steht fest,
daß die Einigkeit der Mächte durch die albanische Frage nicht gestört wird.
Früher bestand die Gefahr, daß Albanien zum Zankapfel zwischen Österreich-
Ungarn und Italien werden könnte. Diese Gefahr ist beseitigt, seit Italien
durch die Verstärkung seiner Stellung im Mittelmeer seit dem Tripoliskriege
die ängstliche Sorge um seine Stellung im Adriatischen Meer hat fallen lassen.


Das werdende Albanien

Alle diese Gefahren, unter denen die europäischen Interessen allgemein leiden
würden, können nur vermieden werden, wenn das hauptsächlich von Albanesen
bewohnte Gebiet den Bestrebungen der Balkankönigreiche überhaupt entzogen,
also zu einem unabhängigen Staat gemacht wird.




Wie soll nun dieses Albanien, das zunächst noch keinen geschichtlichen Rechts¬
titel für sich auszuweisen hat, vielmehr vorerst nur ein geographischer oder viel¬
mehr ethnographischer Begriff ist, abgegrenzt werden? Der schwierigste Teil
dieser Frage ist der Absteckung der Nordgrenze, weil hier Montenegros einzige
Hoffnung auf einen Lohn für die übernommenen Kriegsopfer und Serbiens
Lieblingstraum von der Wiedergewinnung der alten Kernlande seiner mittel¬
alterlichen Größe zerstört werden muß. Beide Königreiche richten ihre Blicke
hoffnungsvoll nach Rußland, wo der Lärm der Panslawisten ihnen eine ähnliche
Lage vortäuscht wie 1877, als Alexander der Zweite, von dem gleichen Lärm
eingeschüchtert, für die Balkanslawen das Schwert zog. Aber die Lage ist doch
in Wahrheit eine andere, und Rußland hat Gründe genug, die gewiß nicht
aus Sentimentalität so fürsorglich hergestellte Einigkeit der Großmächte nicht zu
stören. So ist denn auch die Verständigung mit Österreich-Ungarn herbeigeführt
worden, das, ebenso wie Italien und vor allem auch England, ein bestimmtes
Interesse daran hat, daß der in Aussicht genommene neue Staat Albanien auch
lebensfähig wird. Dazu gehört aber, daß er in seinem nördlichen Teil, wo
der Kulturzustand der Malissoren ohnehin als erschwerendes Moment mitwirkt,
nicht die notwendigen Stützpunkte einer städtischen Kultur, eines auswärtigen
Handels und einer geordneten, entwicklungsfähigen Landwirtschaft verliert.
Darum bestand namentlich Österreich mit vollem Recht darauf, daß das neue
Albanien Skutari und Djakova erhalten sollte. Montenegro sollte durch Jpek,
Serbien durch andere eroberte Gebietsteile entschädigt werden. Dieser Lösung
aber wollte Rußland im Interesse der slawischen Königreiche nicht zustimmen,
bis man sich nach weiteren Verhandlungen einigte. Österreich erklärte sich damit
einverstanden, daß Djakova noch an Serbien fallen sollte, wofür Rußland zu¬
gestand, daß Skutari bei Albanien bleiben sollte. Die Bestimmung der Süd¬
grenze wird voraussichtlich nicht so viele Schwierigkeiten machen, wenn auch die
Abgrenzung Griechenland vielleicht einige Schmerzen und Enttäuschungen
verursachen wird. Da die Westgrenze Albaniens die adriatische Küste ist. so
bleibt dann nur noch die Ostgrenze zu bestimmen, wo es leichter sein wird, den
Wünschen Serbiens und Bulgariens entgegenzukommen. Schon jetzt steht fest,
daß die Einigkeit der Mächte durch die albanische Frage nicht gestört wird.
Früher bestand die Gefahr, daß Albanien zum Zankapfel zwischen Österreich-
Ungarn und Italien werden könnte. Diese Gefahr ist beseitigt, seit Italien
durch die Verstärkung seiner Stellung im Mittelmeer seit dem Tripoliskriege
die ängstliche Sorge um seine Stellung im Adriatischen Meer hat fallen lassen.


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[0071] Das werdende Albanien Alle diese Gefahren, unter denen die europäischen Interessen allgemein leiden würden, können nur vermieden werden, wenn das hauptsächlich von Albanesen bewohnte Gebiet den Bestrebungen der Balkankönigreiche überhaupt entzogen, also zu einem unabhängigen Staat gemacht wird. Wie soll nun dieses Albanien, das zunächst noch keinen geschichtlichen Rechts¬ titel für sich auszuweisen hat, vielmehr vorerst nur ein geographischer oder viel¬ mehr ethnographischer Begriff ist, abgegrenzt werden? Der schwierigste Teil dieser Frage ist der Absteckung der Nordgrenze, weil hier Montenegros einzige Hoffnung auf einen Lohn für die übernommenen Kriegsopfer und Serbiens Lieblingstraum von der Wiedergewinnung der alten Kernlande seiner mittel¬ alterlichen Größe zerstört werden muß. Beide Königreiche richten ihre Blicke hoffnungsvoll nach Rußland, wo der Lärm der Panslawisten ihnen eine ähnliche Lage vortäuscht wie 1877, als Alexander der Zweite, von dem gleichen Lärm eingeschüchtert, für die Balkanslawen das Schwert zog. Aber die Lage ist doch in Wahrheit eine andere, und Rußland hat Gründe genug, die gewiß nicht aus Sentimentalität so fürsorglich hergestellte Einigkeit der Großmächte nicht zu stören. So ist denn auch die Verständigung mit Österreich-Ungarn herbeigeführt worden, das, ebenso wie Italien und vor allem auch England, ein bestimmtes Interesse daran hat, daß der in Aussicht genommene neue Staat Albanien auch lebensfähig wird. Dazu gehört aber, daß er in seinem nördlichen Teil, wo der Kulturzustand der Malissoren ohnehin als erschwerendes Moment mitwirkt, nicht die notwendigen Stützpunkte einer städtischen Kultur, eines auswärtigen Handels und einer geordneten, entwicklungsfähigen Landwirtschaft verliert. Darum bestand namentlich Österreich mit vollem Recht darauf, daß das neue Albanien Skutari und Djakova erhalten sollte. Montenegro sollte durch Jpek, Serbien durch andere eroberte Gebietsteile entschädigt werden. Dieser Lösung aber wollte Rußland im Interesse der slawischen Königreiche nicht zustimmen, bis man sich nach weiteren Verhandlungen einigte. Österreich erklärte sich damit einverstanden, daß Djakova noch an Serbien fallen sollte, wofür Rußland zu¬ gestand, daß Skutari bei Albanien bleiben sollte. Die Bestimmung der Süd¬ grenze wird voraussichtlich nicht so viele Schwierigkeiten machen, wenn auch die Abgrenzung Griechenland vielleicht einige Schmerzen und Enttäuschungen verursachen wird. Da die Westgrenze Albaniens die adriatische Küste ist. so bleibt dann nur noch die Ostgrenze zu bestimmen, wo es leichter sein wird, den Wünschen Serbiens und Bulgariens entgegenzukommen. Schon jetzt steht fest, daß die Einigkeit der Mächte durch die albanische Frage nicht gestört wird. Früher bestand die Gefahr, daß Albanien zum Zankapfel zwischen Österreich- Ungarn und Italien werden könnte. Diese Gefahr ist beseitigt, seit Italien durch die Verstärkung seiner Stellung im Mittelmeer seit dem Tripoliskriege die ängstliche Sorge um seine Stellung im Adriatischen Meer hat fallen lassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/71>, abgerufen am 27.07.2024.