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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Das werdende Albanien

Fall. Während auf der einen Seite das ausgeprägte Nationalbewußtsein alle
religiösen Interessen weit in den Hintergrund schob, blieb auf der andern
Seite das Interesse an einer politischen Einigung der Stämme so gering, daß
die Verschiedenheit der Bekenntnisse gar keine Gelegenheit fand, irgendeine
Wirkung auszuüben. Sie konnte Leute nicht trennen, die ohnehin ihren eigenen
Weg gingen. Ihre Hauptbedeutung erhielten die konfessionellen Verhältnisse
erst dadurch, daß die Habsburgische Monarchie seit 1642 auf Grund eines be¬
sonderen Vertrages das Protektorat über die albanischen Katholiken beanspruchte,
während Rußland sich als politische Vormacht zum Schutz der orthodoxen
Christen betrachtete. Aber beides blieb lange Zeit hindurch gänzlich ohne
politische Folgen, weil keine der albanesischen Glaubensgemeinschaften das Be¬
dürfnis eines Glaubensprotektorates empfand.

Hiernach wird man sich bereits vorstellen können, wie sich das Verhältnis
zwischen den Albanesen und der Hohen Pforte im Laufe der Jahrhunderte ge¬
staltete. Der Mangel jedes politisch gefärbten Freiheitsgefühls bei den Alba¬
nesen machte der Pforte den Verzicht auf fühlbare Eingriffe in die Selbst¬
bestimmung des Landes leicht und legte dafür den Gedanken nahe, die politisch
so leicht zu lenkende, in ihrem Wesen aber unaustilgbare Sonderart dieser
Volksstämme gegen die dem Osmanenreich viel gefährlicheren slawischen Natio¬
nalitäten auszuspielen. Dabei konnte es allerdings geschehen, daß in Zeiten
der Schwäche des osmanischen Thrones eine ehrgeizige und mächtige Persön¬
lichkeit die Herrschaft über das albanische Volk vorübergehend der Pforte aus
der Hand nahm, ohne daß sich dieses Volk bei seiner politischen Indolenz dagegen
gewehrt hätte. Das hat seinerzeit der berühmte Ali Pascha von Janina
vermocht, dessen von wilder Romantik erfülltes Leben gewissermaßen das Vor¬
spiel des griechischen Freiheitskampfes bildete. Ali Pascha war selbst ein
mohammedanischer Toske (Südalbaner), aber man würde vollständig fehlgehen,
wenn man seine Herrschaft etwa als den ersten Versuch eines albanischen
Nationalstaats ansahe.

Niemand aber hat es besser verstanden, die Albanesen an die Interessen
des osmanischen Reiches zu fesseln, als Sultan Abdul Hamid der Zweite,
der den Wert des zähen albanischen Sondergeistes in seiner völlig isolierten
Stellung zwischen Griechen und Slawen ebenso richtig erkannte wie ihre poli¬
tische Harmlosigkeit. Der absoluten Ehrlichkeit und Eidestreue dieser schlicht
denkenden und fühlenden Menschen gewiß, gewann es der mißtrauischste aller
modernen Despoten über sich, den Schutz seiner Person in erster Linie einer
Albanesengarde anzuvertrauen, und kein Volksstamm, kein Gebietsteil des weiten
Reiches hat sich so außerordentlicher Gunst- und Vertrauensbeweise erfreut wie
Albanien. Gerade daß dieses Verhältnis ein rein persönliches war, machte
seine Stärke aus. Es beruhte auf einem vollständigen Mißverständnis, wenn
man in Europa glaubte, die Albanesen seien fanatische Mohammedaner und
Freunde des Alttttrkentums. Das waren sie nicht. Sie waren dem Mann


Das werdende Albanien

Fall. Während auf der einen Seite das ausgeprägte Nationalbewußtsein alle
religiösen Interessen weit in den Hintergrund schob, blieb auf der andern
Seite das Interesse an einer politischen Einigung der Stämme so gering, daß
die Verschiedenheit der Bekenntnisse gar keine Gelegenheit fand, irgendeine
Wirkung auszuüben. Sie konnte Leute nicht trennen, die ohnehin ihren eigenen
Weg gingen. Ihre Hauptbedeutung erhielten die konfessionellen Verhältnisse
erst dadurch, daß die Habsburgische Monarchie seit 1642 auf Grund eines be¬
sonderen Vertrages das Protektorat über die albanischen Katholiken beanspruchte,
während Rußland sich als politische Vormacht zum Schutz der orthodoxen
Christen betrachtete. Aber beides blieb lange Zeit hindurch gänzlich ohne
politische Folgen, weil keine der albanesischen Glaubensgemeinschaften das Be¬
dürfnis eines Glaubensprotektorates empfand.

Hiernach wird man sich bereits vorstellen können, wie sich das Verhältnis
zwischen den Albanesen und der Hohen Pforte im Laufe der Jahrhunderte ge¬
staltete. Der Mangel jedes politisch gefärbten Freiheitsgefühls bei den Alba¬
nesen machte der Pforte den Verzicht auf fühlbare Eingriffe in die Selbst¬
bestimmung des Landes leicht und legte dafür den Gedanken nahe, die politisch
so leicht zu lenkende, in ihrem Wesen aber unaustilgbare Sonderart dieser
Volksstämme gegen die dem Osmanenreich viel gefährlicheren slawischen Natio¬
nalitäten auszuspielen. Dabei konnte es allerdings geschehen, daß in Zeiten
der Schwäche des osmanischen Thrones eine ehrgeizige und mächtige Persön¬
lichkeit die Herrschaft über das albanische Volk vorübergehend der Pforte aus
der Hand nahm, ohne daß sich dieses Volk bei seiner politischen Indolenz dagegen
gewehrt hätte. Das hat seinerzeit der berühmte Ali Pascha von Janina
vermocht, dessen von wilder Romantik erfülltes Leben gewissermaßen das Vor¬
spiel des griechischen Freiheitskampfes bildete. Ali Pascha war selbst ein
mohammedanischer Toske (Südalbaner), aber man würde vollständig fehlgehen,
wenn man seine Herrschaft etwa als den ersten Versuch eines albanischen
Nationalstaats ansahe.

Niemand aber hat es besser verstanden, die Albanesen an die Interessen
des osmanischen Reiches zu fesseln, als Sultan Abdul Hamid der Zweite,
der den Wert des zähen albanischen Sondergeistes in seiner völlig isolierten
Stellung zwischen Griechen und Slawen ebenso richtig erkannte wie ihre poli¬
tische Harmlosigkeit. Der absoluten Ehrlichkeit und Eidestreue dieser schlicht
denkenden und fühlenden Menschen gewiß, gewann es der mißtrauischste aller
modernen Despoten über sich, den Schutz seiner Person in erster Linie einer
Albanesengarde anzuvertrauen, und kein Volksstamm, kein Gebietsteil des weiten
Reiches hat sich so außerordentlicher Gunst- und Vertrauensbeweise erfreut wie
Albanien. Gerade daß dieses Verhältnis ein rein persönliches war, machte
seine Stärke aus. Es beruhte auf einem vollständigen Mißverständnis, wenn
man in Europa glaubte, die Albanesen seien fanatische Mohammedaner und
Freunde des Alttttrkentums. Das waren sie nicht. Sie waren dem Mann


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[0068] Das werdende Albanien Fall. Während auf der einen Seite das ausgeprägte Nationalbewußtsein alle religiösen Interessen weit in den Hintergrund schob, blieb auf der andern Seite das Interesse an einer politischen Einigung der Stämme so gering, daß die Verschiedenheit der Bekenntnisse gar keine Gelegenheit fand, irgendeine Wirkung auszuüben. Sie konnte Leute nicht trennen, die ohnehin ihren eigenen Weg gingen. Ihre Hauptbedeutung erhielten die konfessionellen Verhältnisse erst dadurch, daß die Habsburgische Monarchie seit 1642 auf Grund eines be¬ sonderen Vertrages das Protektorat über die albanischen Katholiken beanspruchte, während Rußland sich als politische Vormacht zum Schutz der orthodoxen Christen betrachtete. Aber beides blieb lange Zeit hindurch gänzlich ohne politische Folgen, weil keine der albanesischen Glaubensgemeinschaften das Be¬ dürfnis eines Glaubensprotektorates empfand. Hiernach wird man sich bereits vorstellen können, wie sich das Verhältnis zwischen den Albanesen und der Hohen Pforte im Laufe der Jahrhunderte ge¬ staltete. Der Mangel jedes politisch gefärbten Freiheitsgefühls bei den Alba¬ nesen machte der Pforte den Verzicht auf fühlbare Eingriffe in die Selbst¬ bestimmung des Landes leicht und legte dafür den Gedanken nahe, die politisch so leicht zu lenkende, in ihrem Wesen aber unaustilgbare Sonderart dieser Volksstämme gegen die dem Osmanenreich viel gefährlicheren slawischen Natio¬ nalitäten auszuspielen. Dabei konnte es allerdings geschehen, daß in Zeiten der Schwäche des osmanischen Thrones eine ehrgeizige und mächtige Persön¬ lichkeit die Herrschaft über das albanische Volk vorübergehend der Pforte aus der Hand nahm, ohne daß sich dieses Volk bei seiner politischen Indolenz dagegen gewehrt hätte. Das hat seinerzeit der berühmte Ali Pascha von Janina vermocht, dessen von wilder Romantik erfülltes Leben gewissermaßen das Vor¬ spiel des griechischen Freiheitskampfes bildete. Ali Pascha war selbst ein mohammedanischer Toske (Südalbaner), aber man würde vollständig fehlgehen, wenn man seine Herrschaft etwa als den ersten Versuch eines albanischen Nationalstaats ansahe. Niemand aber hat es besser verstanden, die Albanesen an die Interessen des osmanischen Reiches zu fesseln, als Sultan Abdul Hamid der Zweite, der den Wert des zähen albanischen Sondergeistes in seiner völlig isolierten Stellung zwischen Griechen und Slawen ebenso richtig erkannte wie ihre poli¬ tische Harmlosigkeit. Der absoluten Ehrlichkeit und Eidestreue dieser schlicht denkenden und fühlenden Menschen gewiß, gewann es der mißtrauischste aller modernen Despoten über sich, den Schutz seiner Person in erster Linie einer Albanesengarde anzuvertrauen, und kein Volksstamm, kein Gebietsteil des weiten Reiches hat sich so außerordentlicher Gunst- und Vertrauensbeweise erfreut wie Albanien. Gerade daß dieses Verhältnis ein rein persönliches war, machte seine Stärke aus. Es beruhte auf einem vollständigen Mißverständnis, wenn man in Europa glaubte, die Albanesen seien fanatische Mohammedaner und Freunde des Alttttrkentums. Das waren sie nicht. Sie waren dem Mann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/68>, abgerufen am 27.07.2024.