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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

besserer Lebenshaltung (1873 pro Kopf
7SVi° Pfund, 1907 pro Kopf 92"/lo Pfund).

Wenn in normalen Zeiten ausreichend --
um diesen Zustand zu sichern, ist das beste
Mittel die kräftige Förderung der inneren
Kolonisation --, aber in der Regel doch nicht
Überfluß an Fleisch vorhanden ist, so ist es
natürlich, daß im Gefolge von Fehlernten
Knappheit an Fleisch und anziehende Preise
eintreten, solange wir eine gesunde Land¬
wirtschaft und deren Schutz vor Seuchenein-
schleppung für das Vaterland für nützlich
halten.

Nach der letzten an Heu, Stroh und Hack¬
frucht schlechten Ernte im Jahre 1911 hat
aber die Fleischknappheit und Teuerung we¬
sentlich länger angehalten, als die Futter¬
knappheit; ja wir haben heute noch Preise,
die im Verhältnis zu den im letzten Jahre ge-
ernteten Futtervorräton hoch erscheinen müssen.
Woran liegt das?

Schlechte Futterernten und besonders
schlechte Hackfruchternten sind nicht von glei¬
chem Einfluß auf die Rindviehhaltung, wie
auf die Schaf- und die Schweinehaltung.
Verhältnismäßig am wenigsten werden davon
die Schafbestände berührt. Die werden meist
auf großen Gütern gehalten; und nur aus¬
nahmsweise kann die Futtersnot vereinzelt so
groß sein, daß es nicht möglich ist, die Herde
der nötigenfalls sehr genügsamen Tiere
durchzuhalten.

Wesentlich stärker wirkt mangelhafte Futter-
ernte auf die Haltung des Rindviehs. Immer¬
hin sind dessen Produzenten noch zu sehr hohen:
Prozentsatz die größeren Wirtschaften, die selten
so stark Vieh halten, daß das Stroh dabei
knapp wird, und die ihre Rinderbestände,
wenn nicht mästen, so doch mit Raub- und
Kraftfutter erhalten können. Und auch der
kleinere Landwirt vermindert die Zahl seiner
Rinder erst, wenn er unbedingt muß. Den¬
noch tritt natürlich vorübergehend verstärkte
Zufuhr zu den Schlachtviehmärkten ein --
vorzeitiges Abstoßen eigentlich zum Mästen
bestimmter Tiere -- und darauf Knappheit --
Uberhalten bis zur neuen Futterernte.

Daß nach der Futtermißernte 1911 auch
das Rindfleisch andauernd derer blieb, ist auf
das Zusamentreffen der schlechten Ernte mit
den üblen Folgen der Maul- und Klauen¬

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seuche und in der Hauptsache auf die Knapp¬
heit an Schweinefleisch zurückzuführen.

Viel eingreifender als auf Schaf- und
Rinderhaltung wirkt eine schlechte Futterernte
auf die Schweinehaltung. Die liegt zumeist
in den Händen der kleineren und kleinsten
landwirtschaftlichen Betriebe, in denen der
Kleinbauern, der Büdner, der Kätner, der
Dcputanten, der Jnstleute und sonstiger aus
dem Lande lebender Arbeiter. Und diese
kleinsten Betriebe besonders sind zumeist ganz
auf die Schweinehaltung und den Gewinn
daraus zugeschnitten. Etwas Brotkorn, etwas
Rauhfutter für die Ziege. Das Sommertorn,
die Kartoffeln besonders -- sei es, daß sie
als Lohn, sei es, daß sie auf dem kleinen
Besitz oder Pachtacker geerntet -- sind in der
Hauptsache für die Schweine bestimmt. Kar¬
toffeln sind für diese mit die Hauptnahrung.
Schlägt die Ernte darin fehl, so müssen die
genannten kleinsten Landwirte die Schweine¬
haltung aufgeben, die etwas größeren sie
stark einschränken; und auch die mittleren
Wirte finden dann oft größeren Nutzen im
Verkauf teuerer Eßkartoffeln als in der
Schweinemästung.

Dann kommen, wie im Winter 1911/12,
unreife Schweine in Massen an den Markt
und im Sommer darauf fängt die Knappheit
an. Damit müssen wir uns abfinden: Mi߬
ernte bringt Teuerung.

Wie aber die Schweinehaltung überhaupt,
so liegt auch die der Muttertiere zu sehr er¬
heblichem Teile in den Händen der kleinen
Betriebe. Gerade mit Ferkelzucht und Ver¬
kauf befassen sich -- besonders im Osten --
gerne landwirtschaftliche Arbeiter, deren Ein¬
kommen oft nur insofern noch in Naturalien
besteht, als ihnen ein Stück Land zum Be¬
pflanzen mit Kartoffeln und zu deren Ab¬
erntung überwiesen wird. Von diesen Leuten
und von kleinen selbständigen Wirten im Osten,
für die der Grund zur Ferkelzucht zumeist in
der Schwierigkeit liegt, die Milch anders an¬
gemessen zu verwerten, bezieht der Zwischen¬
handel in großen Mengen Ferkel und Läufer¬
schweine, die in großen Wirtschaften dann ge¬
mästet werden.

Geräten nun die Kartoffeln schlecht-- so
schlecht wie 1911 -- so ist für solch einen
Arbeiter die Möglichkeit, Schweine zu füttern,

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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besserer Lebenshaltung (1873 pro Kopf
7SVi° Pfund, 1907 pro Kopf 92«/lo Pfund).

Wenn in normalen Zeiten ausreichend —
um diesen Zustand zu sichern, ist das beste
Mittel die kräftige Förderung der inneren
Kolonisation —, aber in der Regel doch nicht
Überfluß an Fleisch vorhanden ist, so ist es
natürlich, daß im Gefolge von Fehlernten
Knappheit an Fleisch und anziehende Preise
eintreten, solange wir eine gesunde Land¬
wirtschaft und deren Schutz vor Seuchenein-
schleppung für das Vaterland für nützlich
halten.

Nach der letzten an Heu, Stroh und Hack¬
frucht schlechten Ernte im Jahre 1911 hat
aber die Fleischknappheit und Teuerung we¬
sentlich länger angehalten, als die Futter¬
knappheit; ja wir haben heute noch Preise,
die im Verhältnis zu den im letzten Jahre ge-
ernteten Futtervorräton hoch erscheinen müssen.
Woran liegt das?

Schlechte Futterernten und besonders
schlechte Hackfruchternten sind nicht von glei¬
chem Einfluß auf die Rindviehhaltung, wie
auf die Schaf- und die Schweinehaltung.
Verhältnismäßig am wenigsten werden davon
die Schafbestände berührt. Die werden meist
auf großen Gütern gehalten; und nur aus¬
nahmsweise kann die Futtersnot vereinzelt so
groß sein, daß es nicht möglich ist, die Herde
der nötigenfalls sehr genügsamen Tiere
durchzuhalten.

Wesentlich stärker wirkt mangelhafte Futter-
ernte auf die Haltung des Rindviehs. Immer¬
hin sind dessen Produzenten noch zu sehr hohen:
Prozentsatz die größeren Wirtschaften, die selten
so stark Vieh halten, daß das Stroh dabei
knapp wird, und die ihre Rinderbestände,
wenn nicht mästen, so doch mit Raub- und
Kraftfutter erhalten können. Und auch der
kleinere Landwirt vermindert die Zahl seiner
Rinder erst, wenn er unbedingt muß. Den¬
noch tritt natürlich vorübergehend verstärkte
Zufuhr zu den Schlachtviehmärkten ein —
vorzeitiges Abstoßen eigentlich zum Mästen
bestimmter Tiere — und darauf Knappheit —
Uberhalten bis zur neuen Futterernte.

Daß nach der Futtermißernte 1911 auch
das Rindfleisch andauernd derer blieb, ist auf
das Zusamentreffen der schlechten Ernte mit
den üblen Folgen der Maul- und Klauen¬

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seuche und in der Hauptsache auf die Knapp¬
heit an Schweinefleisch zurückzuführen.

Viel eingreifender als auf Schaf- und
Rinderhaltung wirkt eine schlechte Futterernte
auf die Schweinehaltung. Die liegt zumeist
in den Händen der kleineren und kleinsten
landwirtschaftlichen Betriebe, in denen der
Kleinbauern, der Büdner, der Kätner, der
Dcputanten, der Jnstleute und sonstiger aus
dem Lande lebender Arbeiter. Und diese
kleinsten Betriebe besonders sind zumeist ganz
auf die Schweinehaltung und den Gewinn
daraus zugeschnitten. Etwas Brotkorn, etwas
Rauhfutter für die Ziege. Das Sommertorn,
die Kartoffeln besonders — sei es, daß sie
als Lohn, sei es, daß sie auf dem kleinen
Besitz oder Pachtacker geerntet — sind in der
Hauptsache für die Schweine bestimmt. Kar¬
toffeln sind für diese mit die Hauptnahrung.
Schlägt die Ernte darin fehl, so müssen die
genannten kleinsten Landwirte die Schweine¬
haltung aufgeben, die etwas größeren sie
stark einschränken; und auch die mittleren
Wirte finden dann oft größeren Nutzen im
Verkauf teuerer Eßkartoffeln als in der
Schweinemästung.

Dann kommen, wie im Winter 1911/12,
unreife Schweine in Massen an den Markt
und im Sommer darauf fängt die Knappheit
an. Damit müssen wir uns abfinden: Mi߬
ernte bringt Teuerung.

Wie aber die Schweinehaltung überhaupt,
so liegt auch die der Muttertiere zu sehr er¬
heblichem Teile in den Händen der kleinen
Betriebe. Gerade mit Ferkelzucht und Ver¬
kauf befassen sich — besonders im Osten —
gerne landwirtschaftliche Arbeiter, deren Ein¬
kommen oft nur insofern noch in Naturalien
besteht, als ihnen ein Stück Land zum Be¬
pflanzen mit Kartoffeln und zu deren Ab¬
erntung überwiesen wird. Von diesen Leuten
und von kleinen selbständigen Wirten im Osten,
für die der Grund zur Ferkelzucht zumeist in
der Schwierigkeit liegt, die Milch anders an¬
gemessen zu verwerten, bezieht der Zwischen¬
handel in großen Mengen Ferkel und Läufer¬
schweine, die in großen Wirtschaften dann ge¬
mästet werden.

Geräten nun die Kartoffeln schlecht— so
schlecht wie 1911 — so ist für solch einen
Arbeiter die Möglichkeit, Schweine zu füttern,

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[0638] Maßgebliches und Unmaßgebliches besserer Lebenshaltung (1873 pro Kopf 7SVi° Pfund, 1907 pro Kopf 92«/lo Pfund). Wenn in normalen Zeiten ausreichend — um diesen Zustand zu sichern, ist das beste Mittel die kräftige Förderung der inneren Kolonisation —, aber in der Regel doch nicht Überfluß an Fleisch vorhanden ist, so ist es natürlich, daß im Gefolge von Fehlernten Knappheit an Fleisch und anziehende Preise eintreten, solange wir eine gesunde Land¬ wirtschaft und deren Schutz vor Seuchenein- schleppung für das Vaterland für nützlich halten. Nach der letzten an Heu, Stroh und Hack¬ frucht schlechten Ernte im Jahre 1911 hat aber die Fleischknappheit und Teuerung we¬ sentlich länger angehalten, als die Futter¬ knappheit; ja wir haben heute noch Preise, die im Verhältnis zu den im letzten Jahre ge- ernteten Futtervorräton hoch erscheinen müssen. Woran liegt das? Schlechte Futterernten und besonders schlechte Hackfruchternten sind nicht von glei¬ chem Einfluß auf die Rindviehhaltung, wie auf die Schaf- und die Schweinehaltung. Verhältnismäßig am wenigsten werden davon die Schafbestände berührt. Die werden meist auf großen Gütern gehalten; und nur aus¬ nahmsweise kann die Futtersnot vereinzelt so groß sein, daß es nicht möglich ist, die Herde der nötigenfalls sehr genügsamen Tiere durchzuhalten. Wesentlich stärker wirkt mangelhafte Futter- ernte auf die Haltung des Rindviehs. Immer¬ hin sind dessen Produzenten noch zu sehr hohen: Prozentsatz die größeren Wirtschaften, die selten so stark Vieh halten, daß das Stroh dabei knapp wird, und die ihre Rinderbestände, wenn nicht mästen, so doch mit Raub- und Kraftfutter erhalten können. Und auch der kleinere Landwirt vermindert die Zahl seiner Rinder erst, wenn er unbedingt muß. Den¬ noch tritt natürlich vorübergehend verstärkte Zufuhr zu den Schlachtviehmärkten ein — vorzeitiges Abstoßen eigentlich zum Mästen bestimmter Tiere — und darauf Knappheit — Uberhalten bis zur neuen Futterernte. Daß nach der Futtermißernte 1911 auch das Rindfleisch andauernd derer blieb, ist auf das Zusamentreffen der schlechten Ernte mit den üblen Folgen der Maul- und Klauen¬ seuche und in der Hauptsache auf die Knapp¬ heit an Schweinefleisch zurückzuführen. Viel eingreifender als auf Schaf- und Rinderhaltung wirkt eine schlechte Futterernte auf die Schweinehaltung. Die liegt zumeist in den Händen der kleineren und kleinsten landwirtschaftlichen Betriebe, in denen der Kleinbauern, der Büdner, der Kätner, der Dcputanten, der Jnstleute und sonstiger aus dem Lande lebender Arbeiter. Und diese kleinsten Betriebe besonders sind zumeist ganz auf die Schweinehaltung und den Gewinn daraus zugeschnitten. Etwas Brotkorn, etwas Rauhfutter für die Ziege. Das Sommertorn, die Kartoffeln besonders — sei es, daß sie als Lohn, sei es, daß sie auf dem kleinen Besitz oder Pachtacker geerntet — sind in der Hauptsache für die Schweine bestimmt. Kar¬ toffeln sind für diese mit die Hauptnahrung. Schlägt die Ernte darin fehl, so müssen die genannten kleinsten Landwirte die Schweine¬ haltung aufgeben, die etwas größeren sie stark einschränken; und auch die mittleren Wirte finden dann oft größeren Nutzen im Verkauf teuerer Eßkartoffeln als in der Schweinemästung. Dann kommen, wie im Winter 1911/12, unreife Schweine in Massen an den Markt und im Sommer darauf fängt die Knappheit an. Damit müssen wir uns abfinden: Mi߬ ernte bringt Teuerung. Wie aber die Schweinehaltung überhaupt, so liegt auch die der Muttertiere zu sehr er¬ heblichem Teile in den Händen der kleinen Betriebe. Gerade mit Ferkelzucht und Ver¬ kauf befassen sich — besonders im Osten — gerne landwirtschaftliche Arbeiter, deren Ein¬ kommen oft nur insofern noch in Naturalien besteht, als ihnen ein Stück Land zum Be¬ pflanzen mit Kartoffeln und zu deren Ab¬ erntung überwiesen wird. Von diesen Leuten und von kleinen selbständigen Wirten im Osten, für die der Grund zur Ferkelzucht zumeist in der Schwierigkeit liegt, die Milch anders an¬ gemessen zu verwerten, bezieht der Zwischen¬ handel in großen Mengen Ferkel und Läufer¬ schweine, die in großen Wirtschaften dann ge¬ mästet werden. Geräten nun die Kartoffeln schlecht— so schlecht wie 1911 — so ist für solch einen Arbeiter die Möglichkeit, Schweine zu füttern,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/638>, abgerufen am 21.12.2024.