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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Icchrcsansstellung des Deutschen Rünstlerbmidos

ftändnis moderner Kunst hingeleitet und den Willen zu einer kräftigen Anteil¬
nahme am Kunstleben der Gegenwart in ihr wachgerufen haben. Solchem
Verlangen gibt denn auch die Ausstellung reiche Nahrung. Dank einer sorg¬
samen, weitblickend gerechten Wahl gewährt sie eine sehr aufschlußreiche Gesamt¬
anschauung von den schaffenden Kräften, die heute in der deutschen Kunst am
Werke sind, von beruhigter, geklärter Meisterschaft und von ungestümem und
ungebärdigen Suchen nach neuen Zielen.

An Jugend fehlt es nicht in der Ausstellung, an unbekümmerten Drauf¬
loswagen auch nicht. Und gerade das ganz Unausgegorene nimmt hier wie
immer besonders gern die machtvolle Gebärde gelassener Selbstsicherheit an.
So sind denn auch der Selbstbildnisse nicht wenige, und sie zeigen meist ein
noch recht in der Entwicklung begriffenes Antlitz.

Der Wille zum Neuen in den Bildern der Jüngsten ist nicht unbeträchtlich,
und er entbehrt nicht einer gewissen Einheitlichkeit der Richtung. Was auch
die einzelnen Gruppen an eindrucksvoller Schlagworten auf ihre Fahnen schreiben
mögen, sie alle trachten doch schließlich nach einer neuen Eindringlichkeit des
Sehens und Gestaltens. Das brauchte an sich ja auch nicht mehr zu bedeuten
als ein neues artistisches Feldgeschrei. Und wer nicht gerade dem Wellengang
der Jahresnoten oder Jahrzehntmoden der "Augenkultur" mit hochklopfendem
Herzen folgt, dem könnte es sehr gleichgültig sein, wie man just des letzten Herbstes
Äpfel gemalt hat. Daß man ihnen nun wieder derbe Umrißlinien gibt, ihnen
die Bestimmtheit ihrer Form beläßt, ja sie ins Wuchtige steigert und von ihrer Farbe
nur eine einheitlich starke Gesamtvorstellung zu wecken sucht -- das ist eine Ab¬
straktion, so gut wie es einst die Auflösung aller gegenständlichen Begrenztheit
im Wogen der Atmosphäre und im Weben des Lichtes war. Selbst wenn
diese neue Errungenschaft wirklich etwas so ganz Unerhörtes wäre, könnte man
sie als eine neue Weise künstlerischer Abkürzung ohne Erregung hinnehmen.
Aber da und dort klingen die stammelnden Laute der neuen Sprache doch so,
als wollten sie Erlebnissen von neuartiger Einfachheit und Geschlossenheit ihren
notwendigen Ausdruck erringen. Erscheinungen der Alltagswirklichkeit treten vor
das Auge in neuer Eindrucksmacht, leibhaftig hingestellt und doch zu einer
höheren, allgemeineren Gültigkeit erhoben.

Freilich, die Wahl des Gegenstandes und seine Ausgestaltung zum Bilde
bestimmt oft so ausschließlich der Augenreiz, daß dem Nacherleben nur eine
kümmerlich einseitige oder gründlich grobe Nahrung bleibt. Ist es für den
Beschauer wirklich der Mühe wert, um eines Bewegungsmotivs oder eines
Farbeneffektes willen sich wieder und wieder die aufgeputzte und herausgeschminkte
Widerlichkeit von "Dancinggirls" und "Panamagirls" zuzumuten? Und soll
ihm der grelle koloristische Akkord eines goldgelben Vorhangs und eines Menschen¬
körpers ein halbtierisches Scheusal von liegendem Weib schmackhaft machen?
An allen besonderen kubistischen und globistischen oder rotistischen Starrheiten
kann man ruhig vorübergehen: die mögen sich austollen. Aber auch außerhalb


Die Icchrcsansstellung des Deutschen Rünstlerbmidos

ftändnis moderner Kunst hingeleitet und den Willen zu einer kräftigen Anteil¬
nahme am Kunstleben der Gegenwart in ihr wachgerufen haben. Solchem
Verlangen gibt denn auch die Ausstellung reiche Nahrung. Dank einer sorg¬
samen, weitblickend gerechten Wahl gewährt sie eine sehr aufschlußreiche Gesamt¬
anschauung von den schaffenden Kräften, die heute in der deutschen Kunst am
Werke sind, von beruhigter, geklärter Meisterschaft und von ungestümem und
ungebärdigen Suchen nach neuen Zielen.

An Jugend fehlt es nicht in der Ausstellung, an unbekümmerten Drauf¬
loswagen auch nicht. Und gerade das ganz Unausgegorene nimmt hier wie
immer besonders gern die machtvolle Gebärde gelassener Selbstsicherheit an.
So sind denn auch der Selbstbildnisse nicht wenige, und sie zeigen meist ein
noch recht in der Entwicklung begriffenes Antlitz.

Der Wille zum Neuen in den Bildern der Jüngsten ist nicht unbeträchtlich,
und er entbehrt nicht einer gewissen Einheitlichkeit der Richtung. Was auch
die einzelnen Gruppen an eindrucksvoller Schlagworten auf ihre Fahnen schreiben
mögen, sie alle trachten doch schließlich nach einer neuen Eindringlichkeit des
Sehens und Gestaltens. Das brauchte an sich ja auch nicht mehr zu bedeuten
als ein neues artistisches Feldgeschrei. Und wer nicht gerade dem Wellengang
der Jahresnoten oder Jahrzehntmoden der „Augenkultur" mit hochklopfendem
Herzen folgt, dem könnte es sehr gleichgültig sein, wie man just des letzten Herbstes
Äpfel gemalt hat. Daß man ihnen nun wieder derbe Umrißlinien gibt, ihnen
die Bestimmtheit ihrer Form beläßt, ja sie ins Wuchtige steigert und von ihrer Farbe
nur eine einheitlich starke Gesamtvorstellung zu wecken sucht — das ist eine Ab¬
straktion, so gut wie es einst die Auflösung aller gegenständlichen Begrenztheit
im Wogen der Atmosphäre und im Weben des Lichtes war. Selbst wenn
diese neue Errungenschaft wirklich etwas so ganz Unerhörtes wäre, könnte man
sie als eine neue Weise künstlerischer Abkürzung ohne Erregung hinnehmen.
Aber da und dort klingen die stammelnden Laute der neuen Sprache doch so,
als wollten sie Erlebnissen von neuartiger Einfachheit und Geschlossenheit ihren
notwendigen Ausdruck erringen. Erscheinungen der Alltagswirklichkeit treten vor
das Auge in neuer Eindrucksmacht, leibhaftig hingestellt und doch zu einer
höheren, allgemeineren Gültigkeit erhoben.

Freilich, die Wahl des Gegenstandes und seine Ausgestaltung zum Bilde
bestimmt oft so ausschließlich der Augenreiz, daß dem Nacherleben nur eine
kümmerlich einseitige oder gründlich grobe Nahrung bleibt. Ist es für den
Beschauer wirklich der Mühe wert, um eines Bewegungsmotivs oder eines
Farbeneffektes willen sich wieder und wieder die aufgeputzte und herausgeschminkte
Widerlichkeit von „Dancinggirls" und „Panamagirls" zuzumuten? Und soll
ihm der grelle koloristische Akkord eines goldgelben Vorhangs und eines Menschen¬
körpers ein halbtierisches Scheusal von liegendem Weib schmackhaft machen?
An allen besonderen kubistischen und globistischen oder rotistischen Starrheiten
kann man ruhig vorübergehen: die mögen sich austollen. Aber auch außerhalb


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[0632] Die Icchrcsansstellung des Deutschen Rünstlerbmidos ftändnis moderner Kunst hingeleitet und den Willen zu einer kräftigen Anteil¬ nahme am Kunstleben der Gegenwart in ihr wachgerufen haben. Solchem Verlangen gibt denn auch die Ausstellung reiche Nahrung. Dank einer sorg¬ samen, weitblickend gerechten Wahl gewährt sie eine sehr aufschlußreiche Gesamt¬ anschauung von den schaffenden Kräften, die heute in der deutschen Kunst am Werke sind, von beruhigter, geklärter Meisterschaft und von ungestümem und ungebärdigen Suchen nach neuen Zielen. An Jugend fehlt es nicht in der Ausstellung, an unbekümmerten Drauf¬ loswagen auch nicht. Und gerade das ganz Unausgegorene nimmt hier wie immer besonders gern die machtvolle Gebärde gelassener Selbstsicherheit an. So sind denn auch der Selbstbildnisse nicht wenige, und sie zeigen meist ein noch recht in der Entwicklung begriffenes Antlitz. Der Wille zum Neuen in den Bildern der Jüngsten ist nicht unbeträchtlich, und er entbehrt nicht einer gewissen Einheitlichkeit der Richtung. Was auch die einzelnen Gruppen an eindrucksvoller Schlagworten auf ihre Fahnen schreiben mögen, sie alle trachten doch schließlich nach einer neuen Eindringlichkeit des Sehens und Gestaltens. Das brauchte an sich ja auch nicht mehr zu bedeuten als ein neues artistisches Feldgeschrei. Und wer nicht gerade dem Wellengang der Jahresnoten oder Jahrzehntmoden der „Augenkultur" mit hochklopfendem Herzen folgt, dem könnte es sehr gleichgültig sein, wie man just des letzten Herbstes Äpfel gemalt hat. Daß man ihnen nun wieder derbe Umrißlinien gibt, ihnen die Bestimmtheit ihrer Form beläßt, ja sie ins Wuchtige steigert und von ihrer Farbe nur eine einheitlich starke Gesamtvorstellung zu wecken sucht — das ist eine Ab¬ straktion, so gut wie es einst die Auflösung aller gegenständlichen Begrenztheit im Wogen der Atmosphäre und im Weben des Lichtes war. Selbst wenn diese neue Errungenschaft wirklich etwas so ganz Unerhörtes wäre, könnte man sie als eine neue Weise künstlerischer Abkürzung ohne Erregung hinnehmen. Aber da und dort klingen die stammelnden Laute der neuen Sprache doch so, als wollten sie Erlebnissen von neuartiger Einfachheit und Geschlossenheit ihren notwendigen Ausdruck erringen. Erscheinungen der Alltagswirklichkeit treten vor das Auge in neuer Eindrucksmacht, leibhaftig hingestellt und doch zu einer höheren, allgemeineren Gültigkeit erhoben. Freilich, die Wahl des Gegenstandes und seine Ausgestaltung zum Bilde bestimmt oft so ausschließlich der Augenreiz, daß dem Nacherleben nur eine kümmerlich einseitige oder gründlich grobe Nahrung bleibt. Ist es für den Beschauer wirklich der Mühe wert, um eines Bewegungsmotivs oder eines Farbeneffektes willen sich wieder und wieder die aufgeputzte und herausgeschminkte Widerlichkeit von „Dancinggirls" und „Panamagirls" zuzumuten? Und soll ihm der grelle koloristische Akkord eines goldgelben Vorhangs und eines Menschen¬ körpers ein halbtierisches Scheusal von liegendem Weib schmackhaft machen? An allen besonderen kubistischen und globistischen oder rotistischen Starrheiten kann man ruhig vorübergehen: die mögen sich austollen. Aber auch außerhalb

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/632>, abgerufen am 21.12.2024.