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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung

Die deutschen Gewerkvereine, nach ihren Gründern (Dr. Max Hirsch und
Franz Duncker) auch Hirsch-Dunckersche Gewerkvereine genannt, sind im Jahre
1368 nach dem Muster der englischen Iracle Union8 ins Leben gerufen worden.
Nachdem bereits am 28. September 1863 in Berlin vor dem Rosentaler Tore
im "Universum" die Gründungskommisston einen Aufruf erlassen hatte, entstand
zu Berlin am 15. November 1868 der erste Ortsverein der deutschen Maschinen¬
bauer mit 1700 Mitgliedern. Zentralistert sind die Deutschen Gewerkvereine
in dem am 18. Mai 1869 errichteten "Verband Deutscher Gewerkvereine".

Zu der reingewerkschaftlichen Gruppe kann man dann ferner die Mitglieder
des "Arbeiterverbandes" in Schweden, der "Liberalen Vereine" in Belgien,
der "Unterstützungsvereinigungen" der Niederlande, der "Eisenbahnvereinigmigen"
der Schweiz und die "Konservativen Vereine" in Japan hinzuzählen. (Die
Anfänge einer Arbeiterbewegung in Japan gehen bis zum Jahre 1886 zurück.
Die bedeutendste Gewerkschaft ist die Buchdrucker-Union in Tokio, nach deren
Beispiel die meisten anderen Organisationen errichtet wurden.)

Die sozialistische Gruppe ist am stärksten verbreitet in Deutschland,
Österreich-Ungarn, den Balkanstaaten, den nordischen Königreichen und der
Schweiz.

In Deutschland selbst ist die Entwicklung der freien Gewerkschaften analog
der Entwicklung der deutschen Gewerkvereine gegangen. Im Jahre 1865 wurde
die Zigarrenarbeiterorganisation (die älteste gewerkschaftliche Zentralorganisation
in Deutschland) gegründet, 1866 folgte der Verband der Deutschen Buchdrucker,
1869 der Verband der Handschuhmacher usw. Alle diese Vereinigungen, an¬
fänglich auf Grund Lassalleischer Ideen und Marxistischer Anschauungen ins
Leben gerufen (eine Einigung der beiden Richtungen erfolgte bekanntlich im
Jahre 1875 zu Gotha), hatten in der Praxis keine nennenswerten Erfolge zu
verzeichnen, denn zur Zeit ihrer Auflösung durch das Sozialistengesetz im
Jahre 1878 zählten sie in 29 Verbänden und 1300 Zweigvereinen nur 58000
Mitglieder.

Einen Aufschwung nahm? die Bewegung erst, als man dazu überging,
Fachvereine zu errichten, welche sich immer weiter ausdehnten, miteinander in
Verbindung traten und sich schließlich zu großen, ganz Deuschland um¬
fassenden Zenträlverbänden zusammenschlossen. Auch die Anstellung besoldeter
Beamten als Verbands- und Verbandsfilialenleiter (bisher wurden diese Ämter
nur ehrenamtlich von Mitgliedern ausgeübt), hat auf die Ausdehnung
der freien Gewerkschaften besonders günstig eingewirkt. Es hatten besoldete
Beamte:

189819011904
1619
" Fabrikarbeiterverband. . . .2424
" Bauarbeiterverband . . . .31332
" Transportarbeitertierband , ,22543
" Mewllarbeiterverbnnd , . ,643133

Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung

Die deutschen Gewerkvereine, nach ihren Gründern (Dr. Max Hirsch und
Franz Duncker) auch Hirsch-Dunckersche Gewerkvereine genannt, sind im Jahre
1368 nach dem Muster der englischen Iracle Union8 ins Leben gerufen worden.
Nachdem bereits am 28. September 1863 in Berlin vor dem Rosentaler Tore
im „Universum" die Gründungskommisston einen Aufruf erlassen hatte, entstand
zu Berlin am 15. November 1868 der erste Ortsverein der deutschen Maschinen¬
bauer mit 1700 Mitgliedern. Zentralistert sind die Deutschen Gewerkvereine
in dem am 18. Mai 1869 errichteten „Verband Deutscher Gewerkvereine".

Zu der reingewerkschaftlichen Gruppe kann man dann ferner die Mitglieder
des „Arbeiterverbandes" in Schweden, der „Liberalen Vereine" in Belgien,
der „Unterstützungsvereinigungen" der Niederlande, der „Eisenbahnvereinigmigen"
der Schweiz und die „Konservativen Vereine" in Japan hinzuzählen. (Die
Anfänge einer Arbeiterbewegung in Japan gehen bis zum Jahre 1886 zurück.
Die bedeutendste Gewerkschaft ist die Buchdrucker-Union in Tokio, nach deren
Beispiel die meisten anderen Organisationen errichtet wurden.)

Die sozialistische Gruppe ist am stärksten verbreitet in Deutschland,
Österreich-Ungarn, den Balkanstaaten, den nordischen Königreichen und der
Schweiz.

In Deutschland selbst ist die Entwicklung der freien Gewerkschaften analog
der Entwicklung der deutschen Gewerkvereine gegangen. Im Jahre 1865 wurde
die Zigarrenarbeiterorganisation (die älteste gewerkschaftliche Zentralorganisation
in Deutschland) gegründet, 1866 folgte der Verband der Deutschen Buchdrucker,
1869 der Verband der Handschuhmacher usw. Alle diese Vereinigungen, an¬
fänglich auf Grund Lassalleischer Ideen und Marxistischer Anschauungen ins
Leben gerufen (eine Einigung der beiden Richtungen erfolgte bekanntlich im
Jahre 1875 zu Gotha), hatten in der Praxis keine nennenswerten Erfolge zu
verzeichnen, denn zur Zeit ihrer Auflösung durch das Sozialistengesetz im
Jahre 1878 zählten sie in 29 Verbänden und 1300 Zweigvereinen nur 58000
Mitglieder.

Einen Aufschwung nahm? die Bewegung erst, als man dazu überging,
Fachvereine zu errichten, welche sich immer weiter ausdehnten, miteinander in
Verbindung traten und sich schließlich zu großen, ganz Deuschland um¬
fassenden Zenträlverbänden zusammenschlossen. Auch die Anstellung besoldeter
Beamten als Verbands- und Verbandsfilialenleiter (bisher wurden diese Ämter
nur ehrenamtlich von Mitgliedern ausgeübt), hat auf die Ausdehnung
der freien Gewerkschaften besonders günstig eingewirkt. Es hatten besoldete
Beamte:

189819011904
1619
„ Fabrikarbeiterverband. . . .2424
„ Bauarbeiterverband . . . .31332
„ Transportarbeitertierband , ,22543
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[0608] Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung Die deutschen Gewerkvereine, nach ihren Gründern (Dr. Max Hirsch und Franz Duncker) auch Hirsch-Dunckersche Gewerkvereine genannt, sind im Jahre 1368 nach dem Muster der englischen Iracle Union8 ins Leben gerufen worden. Nachdem bereits am 28. September 1863 in Berlin vor dem Rosentaler Tore im „Universum" die Gründungskommisston einen Aufruf erlassen hatte, entstand zu Berlin am 15. November 1868 der erste Ortsverein der deutschen Maschinen¬ bauer mit 1700 Mitgliedern. Zentralistert sind die Deutschen Gewerkvereine in dem am 18. Mai 1869 errichteten „Verband Deutscher Gewerkvereine". Zu der reingewerkschaftlichen Gruppe kann man dann ferner die Mitglieder des „Arbeiterverbandes" in Schweden, der „Liberalen Vereine" in Belgien, der „Unterstützungsvereinigungen" der Niederlande, der „Eisenbahnvereinigmigen" der Schweiz und die „Konservativen Vereine" in Japan hinzuzählen. (Die Anfänge einer Arbeiterbewegung in Japan gehen bis zum Jahre 1886 zurück. Die bedeutendste Gewerkschaft ist die Buchdrucker-Union in Tokio, nach deren Beispiel die meisten anderen Organisationen errichtet wurden.) Die sozialistische Gruppe ist am stärksten verbreitet in Deutschland, Österreich-Ungarn, den Balkanstaaten, den nordischen Königreichen und der Schweiz. In Deutschland selbst ist die Entwicklung der freien Gewerkschaften analog der Entwicklung der deutschen Gewerkvereine gegangen. Im Jahre 1865 wurde die Zigarrenarbeiterorganisation (die älteste gewerkschaftliche Zentralorganisation in Deutschland) gegründet, 1866 folgte der Verband der Deutschen Buchdrucker, 1869 der Verband der Handschuhmacher usw. Alle diese Vereinigungen, an¬ fänglich auf Grund Lassalleischer Ideen und Marxistischer Anschauungen ins Leben gerufen (eine Einigung der beiden Richtungen erfolgte bekanntlich im Jahre 1875 zu Gotha), hatten in der Praxis keine nennenswerten Erfolge zu verzeichnen, denn zur Zeit ihrer Auflösung durch das Sozialistengesetz im Jahre 1878 zählten sie in 29 Verbänden und 1300 Zweigvereinen nur 58000 Mitglieder. Einen Aufschwung nahm? die Bewegung erst, als man dazu überging, Fachvereine zu errichten, welche sich immer weiter ausdehnten, miteinander in Verbindung traten und sich schließlich zu großen, ganz Deuschland um¬ fassenden Zenträlverbänden zusammenschlossen. Auch die Anstellung besoldeter Beamten als Verbands- und Verbandsfilialenleiter (bisher wurden diese Ämter nur ehrenamtlich von Mitgliedern ausgeübt), hat auf die Ausdehnung der freien Gewerkschaften besonders günstig eingewirkt. Es hatten besoldete Beamte: 189819011904 1619 „ Fabrikarbeiterverband. . . .2424 „ Bauarbeiterverband . . . .31332 „ Transportarbeitertierband , ,22543 „ Mewllarbeiterverbnnd , . ,643133

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/608>, abgerufen am 22.12.2024.