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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Sturm

Auf einmal fiel ihr das Eichhörnchen ein. Sie ließ Sandbergs Arm los
und blieb stehen, während ihr die Tränen in die Augen schössen.

"Du weißt es ja noch gar nicht. . ." sagte sie tonlos.

"Daß Peterchen tot ist? Tio hat ihn gebracht. Aber -- wenn ich den
Hund kriege, der ihn erschossen hat, durchpeitschen will ich ihn!"

"Schlag mich -- penses mich!" schluchzte Evi und barg ihren Kopf ander
Schulter des Försters. "Ich habe es nicht gewollt. Es war nur mein Zorn!
Weil es mich gekratzt hat!"

Eine ganze Weile standen die beiden jungen Leute so nebeneinander, und
nichts war zu hören in der Stille des Waldgrundes als Evis leises Weinen.
Der Arm des jungen Mannes legte sich tröstend um die von immer neuem
Schluchzen geschüttelte Gestalt:

"Weine doch nicht, kleine Evi -- ich bring dir ein neues! Hab schon im
Ellernholz wieder eins gesehen. Das ist doch nicht so schlimm! Es war ja
nur ein Eichkätzchen."

Evi blickte zu ihrem Tröster auf, schon wieder den Schalk im Auge:
"Aber nun ist doch das Glück von Sternburg in Gefahr?" Der Förster ant¬
wortete vorwurfsvoll: "Ja, wenn es sich nicht vorsieht und tollkühn auf alle
Bäume klettert!"

Da schlangen sich zwei Arme um seinen Hals und herzhafte Küsse preßten
sich auf seinen Mund:

"Nun bin ich dir wieder ganz gut!" hauchte ihm das Mädchen ins Ohr.
"Aber du hast mir das Klettern ja erst beigebracht. Weißt du noch -- oben
in den Nüssen?"

Puterrot und ganz verwirrt rückte sich Sandberg die Mütze wieder zurecht,
die ihm bei dem stürmischen Überfall in den Nacken gerutscht war.

"Wir müssen rennen!" sagte er verlegen. "Zu Hause wird man Angst
haben. ..."

"Also DauerlaufI"

Einträchtig liefen die beiden die Waldschneise entlang, die geradenwegs
auf den Sternburger Park zuführte.

Dabei kam Evi das Lied ins Ohr, das sie vorhin gehört hatte. Sie gab
der Melodie den Takt ihres Laufschritts und pfiff sie mit spitzen Lippen vor
sich hin.

Am Gatter des Parks hielt Sandberg sie zurück.

"Das Lied wird deinen Vater ärgern! Pfeife es lieber nicht."

(Fortsetzung folgt)




Sturm

Auf einmal fiel ihr das Eichhörnchen ein. Sie ließ Sandbergs Arm los
und blieb stehen, während ihr die Tränen in die Augen schössen.

„Du weißt es ja noch gar nicht. . ." sagte sie tonlos.

„Daß Peterchen tot ist? Tio hat ihn gebracht. Aber — wenn ich den
Hund kriege, der ihn erschossen hat, durchpeitschen will ich ihn!"

„Schlag mich — penses mich!" schluchzte Evi und barg ihren Kopf ander
Schulter des Försters. „Ich habe es nicht gewollt. Es war nur mein Zorn!
Weil es mich gekratzt hat!"

Eine ganze Weile standen die beiden jungen Leute so nebeneinander, und
nichts war zu hören in der Stille des Waldgrundes als Evis leises Weinen.
Der Arm des jungen Mannes legte sich tröstend um die von immer neuem
Schluchzen geschüttelte Gestalt:

„Weine doch nicht, kleine Evi — ich bring dir ein neues! Hab schon im
Ellernholz wieder eins gesehen. Das ist doch nicht so schlimm! Es war ja
nur ein Eichkätzchen."

Evi blickte zu ihrem Tröster auf, schon wieder den Schalk im Auge:
„Aber nun ist doch das Glück von Sternburg in Gefahr?" Der Förster ant¬
wortete vorwurfsvoll: „Ja, wenn es sich nicht vorsieht und tollkühn auf alle
Bäume klettert!"

Da schlangen sich zwei Arme um seinen Hals und herzhafte Küsse preßten
sich auf seinen Mund:

„Nun bin ich dir wieder ganz gut!" hauchte ihm das Mädchen ins Ohr.
„Aber du hast mir das Klettern ja erst beigebracht. Weißt du noch — oben
in den Nüssen?"

Puterrot und ganz verwirrt rückte sich Sandberg die Mütze wieder zurecht,
die ihm bei dem stürmischen Überfall in den Nacken gerutscht war.

„Wir müssen rennen!" sagte er verlegen. „Zu Hause wird man Angst
haben. ..."

„Also DauerlaufI"

Einträchtig liefen die beiden die Waldschneise entlang, die geradenwegs
auf den Sternburger Park zuführte.

Dabei kam Evi das Lied ins Ohr, das sie vorhin gehört hatte. Sie gab
der Melodie den Takt ihres Laufschritts und pfiff sie mit spitzen Lippen vor
sich hin.

Am Gatter des Parks hielt Sandberg sie zurück.

„Das Lied wird deinen Vater ärgern! Pfeife es lieber nicht."

(Fortsetzung folgt)




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[0587] Sturm Auf einmal fiel ihr das Eichhörnchen ein. Sie ließ Sandbergs Arm los und blieb stehen, während ihr die Tränen in die Augen schössen. „Du weißt es ja noch gar nicht. . ." sagte sie tonlos. „Daß Peterchen tot ist? Tio hat ihn gebracht. Aber — wenn ich den Hund kriege, der ihn erschossen hat, durchpeitschen will ich ihn!" „Schlag mich — penses mich!" schluchzte Evi und barg ihren Kopf ander Schulter des Försters. „Ich habe es nicht gewollt. Es war nur mein Zorn! Weil es mich gekratzt hat!" Eine ganze Weile standen die beiden jungen Leute so nebeneinander, und nichts war zu hören in der Stille des Waldgrundes als Evis leises Weinen. Der Arm des jungen Mannes legte sich tröstend um die von immer neuem Schluchzen geschüttelte Gestalt: „Weine doch nicht, kleine Evi — ich bring dir ein neues! Hab schon im Ellernholz wieder eins gesehen. Das ist doch nicht so schlimm! Es war ja nur ein Eichkätzchen." Evi blickte zu ihrem Tröster auf, schon wieder den Schalk im Auge: „Aber nun ist doch das Glück von Sternburg in Gefahr?" Der Förster ant¬ wortete vorwurfsvoll: „Ja, wenn es sich nicht vorsieht und tollkühn auf alle Bäume klettert!" Da schlangen sich zwei Arme um seinen Hals und herzhafte Küsse preßten sich auf seinen Mund: „Nun bin ich dir wieder ganz gut!" hauchte ihm das Mädchen ins Ohr. „Aber du hast mir das Klettern ja erst beigebracht. Weißt du noch — oben in den Nüssen?" Puterrot und ganz verwirrt rückte sich Sandberg die Mütze wieder zurecht, die ihm bei dem stürmischen Überfall in den Nacken gerutscht war. „Wir müssen rennen!" sagte er verlegen. „Zu Hause wird man Angst haben. ..." „Also DauerlaufI" Einträchtig liefen die beiden die Waldschneise entlang, die geradenwegs auf den Sternburger Park zuführte. Dabei kam Evi das Lied ins Ohr, das sie vorhin gehört hatte. Sie gab der Melodie den Takt ihres Laufschritts und pfiff sie mit spitzen Lippen vor sich hin. Am Gatter des Parks hielt Sandberg sie zurück. „Das Lied wird deinen Vater ärgern! Pfeife es lieber nicht." (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/587>, abgerufen am 27.07.2024.