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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Sturm

"Wie soll ich das raten?"

"spätestens in drei Tagen kommt jemand an."

"Paul?"

"Ach, der ist weit! Außerdem habe ich nicht an mich gedacht. Na --
wenn Du es jetzt nicht weißt?"

Ihre Augen flogen neckisch zu Edda hinüber.

Die aber stampfte heftig mit dem Fuße auf: "Ich mag ihn nicht sehen!
Ob er auf Borküll ist, oder sonstwo auf der Welt -- mir ist es gleich, und
wenn er tot ist -- ich weine ihm keine Träne nach!"

"Mädel, Mädel! Du weinst ja schon jetzt!" Edles nahm die Schwester
in den Arm und redete mit lieben Worten auf sie ein. Während die Tränen
ihr aus den Augen perlten, nestelte Edda an ihrer Bluse und holte einen
Brief hervor.

"Lies!"

Edles sah zuerst nach Datum und Unterschrift: "Aha! Aus Petersburg!
Von Margot Schledehausen."

Sie las den Brief mit halblauter Stimme und machte ihre Bemer¬
kung dazu:

"Unglücklich ist sie, enttäuscht -- das konnte man sich denken. Eine Schlede¬
hausen und so ein Rüpel von Mann! Wie war sie in ihn verliebt! Na ja --
die alte Geschichte!

Nun will sie Dich warnen? Ich verstehe den Satz nicht recht. Was hat
ihre Ehe mit Dir zu tun? Ach so, der Zeitungsausschnitt!"

Dem Brief war ein Bericht aus einer russischen Zeitung beigefügt, den
sich Edles übersetzte:

"Gerade vom Adel verlangt man in dieser Zeit des Klassenhasses das
Vorbild sittlicher Lebensführung.. Aber gerade der Adel vernachlässigt häufig
seine Pflicht. Das beweist wieder ein Vorkommnis aus der letzten Zeit, von
dem in der Residenz allgemein die Rede ist. Ein Gardeoffizier von altem
baltischen Adel hatte ein Verhältnis mit der Frau eines Kaufmanns angeknüpft,
das von dem Betrogenen entdeckt wurde. Er überraschte das Paar in einem
separe; aber nicht genug, daß ihm der Offizier das Lebensglück zerstört hatte,
trat er auch noch die Ehre des Ärmsten mit Füßen, indem er seinen begreif¬
licherweise erregten Vorwürfen mit der Reitpeitsche begegnete und den Ehemann
zum allgemeinen Gelächter der Gäste die Treppe hinunterwarf. Dann beendigte
er das begonnene Tete-Z,-töte in aller Gemütsruhe bei vielen Flaschen Cham¬
pagner und geleitete die Dame in seinem offenen Wagen nach Hause."

Soweit der Bericht. Am Rande hatte die Absenderin bemerkt, daß sie
den Namen des Offiziers nicht nennen wolle. Seine Handlungsweise sei nicht
schlechter, als die manches anderen Mannes, der von seinen Standesgenossen
hoch geachtet wird. Aber eine glückliche Ehe sei bei solch einem Charakter aus¬
geschlossen.


Sturm

„Wie soll ich das raten?"

„spätestens in drei Tagen kommt jemand an."

„Paul?"

„Ach, der ist weit! Außerdem habe ich nicht an mich gedacht. Na —
wenn Du es jetzt nicht weißt?"

Ihre Augen flogen neckisch zu Edda hinüber.

Die aber stampfte heftig mit dem Fuße auf: „Ich mag ihn nicht sehen!
Ob er auf Borküll ist, oder sonstwo auf der Welt — mir ist es gleich, und
wenn er tot ist — ich weine ihm keine Träne nach!"

„Mädel, Mädel! Du weinst ja schon jetzt!" Edles nahm die Schwester
in den Arm und redete mit lieben Worten auf sie ein. Während die Tränen
ihr aus den Augen perlten, nestelte Edda an ihrer Bluse und holte einen
Brief hervor.

„Lies!"

Edles sah zuerst nach Datum und Unterschrift: „Aha! Aus Petersburg!
Von Margot Schledehausen."

Sie las den Brief mit halblauter Stimme und machte ihre Bemer¬
kung dazu:

„Unglücklich ist sie, enttäuscht — das konnte man sich denken. Eine Schlede¬
hausen und so ein Rüpel von Mann! Wie war sie in ihn verliebt! Na ja —
die alte Geschichte!

Nun will sie Dich warnen? Ich verstehe den Satz nicht recht. Was hat
ihre Ehe mit Dir zu tun? Ach so, der Zeitungsausschnitt!"

Dem Brief war ein Bericht aus einer russischen Zeitung beigefügt, den
sich Edles übersetzte:

„Gerade vom Adel verlangt man in dieser Zeit des Klassenhasses das
Vorbild sittlicher Lebensführung.. Aber gerade der Adel vernachlässigt häufig
seine Pflicht. Das beweist wieder ein Vorkommnis aus der letzten Zeit, von
dem in der Residenz allgemein die Rede ist. Ein Gardeoffizier von altem
baltischen Adel hatte ein Verhältnis mit der Frau eines Kaufmanns angeknüpft,
das von dem Betrogenen entdeckt wurde. Er überraschte das Paar in einem
separe; aber nicht genug, daß ihm der Offizier das Lebensglück zerstört hatte,
trat er auch noch die Ehre des Ärmsten mit Füßen, indem er seinen begreif¬
licherweise erregten Vorwürfen mit der Reitpeitsche begegnete und den Ehemann
zum allgemeinen Gelächter der Gäste die Treppe hinunterwarf. Dann beendigte
er das begonnene Tete-Z,-töte in aller Gemütsruhe bei vielen Flaschen Cham¬
pagner und geleitete die Dame in seinem offenen Wagen nach Hause."

Soweit der Bericht. Am Rande hatte die Absenderin bemerkt, daß sie
den Namen des Offiziers nicht nennen wolle. Seine Handlungsweise sei nicht
schlechter, als die manches anderen Mannes, der von seinen Standesgenossen
hoch geachtet wird. Aber eine glückliche Ehe sei bei solch einem Charakter aus¬
geschlossen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/580>, abgerufen am 30.12.2024.