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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Mit dem Kaiser auf Reisen

sein Gefolge durch das berühmte Näröthal und über seine abschließende Fels¬
wand, den Stalheimskleven (Klippe), bis zur Paßhöhe fahren sollten. Se.
Majestät bediente sich wiederum des Karriols, das in Bergen beschafft worden
war und stets an Bord mitgenommen wurde; diese Vorsichtsmaßregel war
nötig, weil die kleinen norwegischen Gefährte zuweilen stark abgenutzt sind
und nicht immer absolute Garantie der Sicherheit bieten. Dem Karriol Sr.
Majestät, das an der Spitze der Wagenreihe fuhr, ging in angemessener Ent¬
fernung ein Karriol voraus, das gewissermaßen Eklaireursdienste zu leisten
hatte. Die häufigen Krümmungen des Weges lassen entgegenkommende Wagen
oft erst kurz vor einem drohenden Zusammenstoß sichtbar werden, und deshalb
wurde die Maßregel getroffen.

Der Weg durch das Närödal mit seinen vielen Krümmungen, Auf- und
Abfliegen erweckt namentlich bei der niederfährt Erinnerungen an eine Tivoli-
rutschbahn; die trefflichen norwegischen Ponies sind daran gewöhnt, im scharfen
Trabe hinunterzugehen und diese Gangart eine Zeitlang beizubehalten, wenn
die solgende Terrainwelle einen Aufstieg bedingt.

Die steilen Wände des Närödals sind die natürliche Fortsetzung der Ufer
des Näröfjords, offenbar hat einst das Wasser des Fjords über der Sohle des
heute trockenen Tales gestanden. Nur die Färbung des Felsens erfährt all¬
mählich eine Wandlung und wird lichter und lichter, je weiter man ins Tal
eindringt; trotz der Steilheit der Hänge fehlt die Vegetation nicht ganz; aber
von eigentlichen Waldbeständen kann durchaus nicht die Rede sein, nur von
Gebüschformationen, die den trümmerbedeckten Halden entsprießen. In keinem
Teile des Tales vermißt das Auge die Wasserfälle; denn in dieser Form suchen
die Schmelzwasser der Hochebenen (Fjelds) fast ausschließlich ihre Verbindung
mit der Talsohle.

Nach einer Fahrt von 9 Kilometer wurde der steile Hang erreicht, der das
Tal abschließt; nach einer Steigung von etwa 240 Metern erreicht der viel
gewundene Fahrweg die Paßhöhe (350 Meter), auf der sich Stalheims Hotel
erhebt, einer der bestgehaltenen Gasthöfe in Norwegen, mit allem notwendigen
Komfort versehen.

Schon aus der Ferne zeigte das Wehen der schwarz-weiß-roten Flagge
neben der norwegischen, daß Deutschlands Herrscher mit Freuden auch auf dem
Boden Norwegens begrüßt wird; auch eine große Zahl von Engländern und
Schotten, die des Weges kamen, ergingen sich in ungekünstelten Kundgebungen
der Verehrung, und ein graubärtiger Sohn Albions, der den Kaiser beim Vor¬
überfahren nicht erkannt hatte und sich belehren ließ, sah sich nach dem Kaiser
um und rief ihm mit kräftiger Stimme als Abschiedsgruß nach: I^oriA live
Vour Massiv!

Se. Majestät verweilten lange Zeit in der Veranda des Gasthofs, von wo
der Blick in die Tiefe des Tales taucht; wie von Mondschein Übergossen er¬
scheinen die weißlichen Felsen beider Schluchthänge. Se. Majestät ließen das


Mit dem Kaiser auf Reisen

sein Gefolge durch das berühmte Näröthal und über seine abschließende Fels¬
wand, den Stalheimskleven (Klippe), bis zur Paßhöhe fahren sollten. Se.
Majestät bediente sich wiederum des Karriols, das in Bergen beschafft worden
war und stets an Bord mitgenommen wurde; diese Vorsichtsmaßregel war
nötig, weil die kleinen norwegischen Gefährte zuweilen stark abgenutzt sind
und nicht immer absolute Garantie der Sicherheit bieten. Dem Karriol Sr.
Majestät, das an der Spitze der Wagenreihe fuhr, ging in angemessener Ent¬
fernung ein Karriol voraus, das gewissermaßen Eklaireursdienste zu leisten
hatte. Die häufigen Krümmungen des Weges lassen entgegenkommende Wagen
oft erst kurz vor einem drohenden Zusammenstoß sichtbar werden, und deshalb
wurde die Maßregel getroffen.

Der Weg durch das Närödal mit seinen vielen Krümmungen, Auf- und
Abfliegen erweckt namentlich bei der niederfährt Erinnerungen an eine Tivoli-
rutschbahn; die trefflichen norwegischen Ponies sind daran gewöhnt, im scharfen
Trabe hinunterzugehen und diese Gangart eine Zeitlang beizubehalten, wenn
die solgende Terrainwelle einen Aufstieg bedingt.

Die steilen Wände des Närödals sind die natürliche Fortsetzung der Ufer
des Näröfjords, offenbar hat einst das Wasser des Fjords über der Sohle des
heute trockenen Tales gestanden. Nur die Färbung des Felsens erfährt all¬
mählich eine Wandlung und wird lichter und lichter, je weiter man ins Tal
eindringt; trotz der Steilheit der Hänge fehlt die Vegetation nicht ganz; aber
von eigentlichen Waldbeständen kann durchaus nicht die Rede sein, nur von
Gebüschformationen, die den trümmerbedeckten Halden entsprießen. In keinem
Teile des Tales vermißt das Auge die Wasserfälle; denn in dieser Form suchen
die Schmelzwasser der Hochebenen (Fjelds) fast ausschließlich ihre Verbindung
mit der Talsohle.

Nach einer Fahrt von 9 Kilometer wurde der steile Hang erreicht, der das
Tal abschließt; nach einer Steigung von etwa 240 Metern erreicht der viel
gewundene Fahrweg die Paßhöhe (350 Meter), auf der sich Stalheims Hotel
erhebt, einer der bestgehaltenen Gasthöfe in Norwegen, mit allem notwendigen
Komfort versehen.

Schon aus der Ferne zeigte das Wehen der schwarz-weiß-roten Flagge
neben der norwegischen, daß Deutschlands Herrscher mit Freuden auch auf dem
Boden Norwegens begrüßt wird; auch eine große Zahl von Engländern und
Schotten, die des Weges kamen, ergingen sich in ungekünstelten Kundgebungen
der Verehrung, und ein graubärtiger Sohn Albions, der den Kaiser beim Vor¬
überfahren nicht erkannt hatte und sich belehren ließ, sah sich nach dem Kaiser
um und rief ihm mit kräftiger Stimme als Abschiedsgruß nach: I^oriA live
Vour Massiv!

Se. Majestät verweilten lange Zeit in der Veranda des Gasthofs, von wo
der Blick in die Tiefe des Tales taucht; wie von Mondschein Übergossen er¬
scheinen die weißlichen Felsen beider Schluchthänge. Se. Majestät ließen das


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[0577] Mit dem Kaiser auf Reisen sein Gefolge durch das berühmte Näröthal und über seine abschließende Fels¬ wand, den Stalheimskleven (Klippe), bis zur Paßhöhe fahren sollten. Se. Majestät bediente sich wiederum des Karriols, das in Bergen beschafft worden war und stets an Bord mitgenommen wurde; diese Vorsichtsmaßregel war nötig, weil die kleinen norwegischen Gefährte zuweilen stark abgenutzt sind und nicht immer absolute Garantie der Sicherheit bieten. Dem Karriol Sr. Majestät, das an der Spitze der Wagenreihe fuhr, ging in angemessener Ent¬ fernung ein Karriol voraus, das gewissermaßen Eklaireursdienste zu leisten hatte. Die häufigen Krümmungen des Weges lassen entgegenkommende Wagen oft erst kurz vor einem drohenden Zusammenstoß sichtbar werden, und deshalb wurde die Maßregel getroffen. Der Weg durch das Närödal mit seinen vielen Krümmungen, Auf- und Abfliegen erweckt namentlich bei der niederfährt Erinnerungen an eine Tivoli- rutschbahn; die trefflichen norwegischen Ponies sind daran gewöhnt, im scharfen Trabe hinunterzugehen und diese Gangart eine Zeitlang beizubehalten, wenn die solgende Terrainwelle einen Aufstieg bedingt. Die steilen Wände des Närödals sind die natürliche Fortsetzung der Ufer des Näröfjords, offenbar hat einst das Wasser des Fjords über der Sohle des heute trockenen Tales gestanden. Nur die Färbung des Felsens erfährt all¬ mählich eine Wandlung und wird lichter und lichter, je weiter man ins Tal eindringt; trotz der Steilheit der Hänge fehlt die Vegetation nicht ganz; aber von eigentlichen Waldbeständen kann durchaus nicht die Rede sein, nur von Gebüschformationen, die den trümmerbedeckten Halden entsprießen. In keinem Teile des Tales vermißt das Auge die Wasserfälle; denn in dieser Form suchen die Schmelzwasser der Hochebenen (Fjelds) fast ausschließlich ihre Verbindung mit der Talsohle. Nach einer Fahrt von 9 Kilometer wurde der steile Hang erreicht, der das Tal abschließt; nach einer Steigung von etwa 240 Metern erreicht der viel gewundene Fahrweg die Paßhöhe (350 Meter), auf der sich Stalheims Hotel erhebt, einer der bestgehaltenen Gasthöfe in Norwegen, mit allem notwendigen Komfort versehen. Schon aus der Ferne zeigte das Wehen der schwarz-weiß-roten Flagge neben der norwegischen, daß Deutschlands Herrscher mit Freuden auch auf dem Boden Norwegens begrüßt wird; auch eine große Zahl von Engländern und Schotten, die des Weges kamen, ergingen sich in ungekünstelten Kundgebungen der Verehrung, und ein graubärtiger Sohn Albions, der den Kaiser beim Vor¬ überfahren nicht erkannt hatte und sich belehren ließ, sah sich nach dem Kaiser um und rief ihm mit kräftiger Stimme als Abschiedsgruß nach: I^oriA live Vour Massiv! Se. Majestät verweilten lange Zeit in der Veranda des Gasthofs, von wo der Blick in die Tiefe des Tales taucht; wie von Mondschein Übergossen er¬ scheinen die weißlichen Felsen beider Schluchthänge. Se. Majestät ließen das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/577>, abgerufen am 27.07.2024.