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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Flamen und Wallonen in Belgien

anders gearteten Muttersprache den verführerischen französischen Schlagworten
und Ideen weit weniger ausgesetzt. Einem anderen politischen Einfluß vom
Ausland her sind sie nicht unterworfen; der deutsche erstreckt sich kaum über
Wissenschaft und Literatur hinaus und ist auf wenige Gebildete beschränkt; und
die eingewanderten, in den größeren Städten ansässigen Deutschen halten es --
man mag das vom deutschen Standpunkt bedauern, aber es ist Tatsache -- mit
dem französischen Teile der Belgier. Und mit den Holländern ist es ähnlich.
Die leichten, gewandten Umgangsformen des Wallonen sichern ihm den Vorrang
vor dem schweren, verschlossenen, oft unhöflichen Flamländer.

Für diesen gibt es nur eine feste Brücke, die ihn mit seinen Mitmenschen
dauernd verbindet: die religiöse Kultusgemeinschaft. Wie es die katholische
Kirche verstanden hat, dies Band der Gemeinschaft immer mehr zu befestigen
und jede andere, freiere Art des Fühlens von Mensch zu Mensch dem einzelnen
zu erschweren -- das würde ein besonderes Kapitel füllen. Hier mag die
Abhängigkeit vom Klerus noch einmal erwähnt werden als einer der Faktoren,
die auf das Resultat des Sprachenkampfes einwirken, und zwar zu ungunsten
des germanischen Elements.

Die Flamen sind gegen die Wallonen ohnehin im Nachteil, nicht der Zahl
nach, aber durch ihre Eigenschaften: denn es steht der weltgewandte Wallone
gegen den weltabgewandten Flamen; die Beweglichkeit gegen die Starrheit, die
Initiative gegen die Indolenz, das Aktive gegen das Passive, das wallonisch¬
französische Kulturbewußtsein gegen die flämische Ahnungslostgkeit, die wallonische
Einigkeit gegen die flämische Vielköpfigkeit und Eigenbrödelei; und vor allem
die leicht zu handhabende, geschliffene, bestechende französische Sprache, die in
der ganzen Welt verstanden wird, gegen die eckige, schwer verständliche Eigenart
des Flämischen.

Und -- hinter den Wallonen steht das ganze Franzosentum mit seinen
vierzig Millionen! Gab doch im französischen Parlament noch kürzlich ein
Minister, als er wegen Beschickung der Genter Ausstellung zur Rede gestellt
wurde, die Antwort, Gent sei durch seine Universität ein Vorposten der fran¬
zösischen Kultur, und Frankreich erachte es daher für seine Pflicht, sich von
Staats wegen an dieser Ausstellung zu beteiligen. Dabei sprechen in Gent
höchstens 4 Prozent der Bevölkerung das Französische als Muttersprache; es ist
eine flämische Stadt, in der man seit achtzig Jahren dafür kämpft, daß die
Hochschule flämisch werde!

Aber hinter den Flamen stehen -- nicht einmal die sechs Millionen Holländer,
die mit ihnen Sprache und Volkstum gemeinsam haben, nicht einmal die Ge¬
samtheit der Vlaamen selbst. Gibt es doch zahlreiche "Fransquillons" unter
ihnen, Flamen, die ihre Muttersprache verleugnen, weil sie die französische
"Kultursprache" für überlegen, für schöner, für "feiner" halten -- eine echt
deutsche Michelei! -- und darum ihre Kinder nicht mehr flämisch lehren. Gibt
es doch Schriftsteller vom Ruhm eines Maeterlinck und Politiker von der


Flamen und Wallonen in Belgien

anders gearteten Muttersprache den verführerischen französischen Schlagworten
und Ideen weit weniger ausgesetzt. Einem anderen politischen Einfluß vom
Ausland her sind sie nicht unterworfen; der deutsche erstreckt sich kaum über
Wissenschaft und Literatur hinaus und ist auf wenige Gebildete beschränkt; und
die eingewanderten, in den größeren Städten ansässigen Deutschen halten es —
man mag das vom deutschen Standpunkt bedauern, aber es ist Tatsache — mit
dem französischen Teile der Belgier. Und mit den Holländern ist es ähnlich.
Die leichten, gewandten Umgangsformen des Wallonen sichern ihm den Vorrang
vor dem schweren, verschlossenen, oft unhöflichen Flamländer.

Für diesen gibt es nur eine feste Brücke, die ihn mit seinen Mitmenschen
dauernd verbindet: die religiöse Kultusgemeinschaft. Wie es die katholische
Kirche verstanden hat, dies Band der Gemeinschaft immer mehr zu befestigen
und jede andere, freiere Art des Fühlens von Mensch zu Mensch dem einzelnen
zu erschweren — das würde ein besonderes Kapitel füllen. Hier mag die
Abhängigkeit vom Klerus noch einmal erwähnt werden als einer der Faktoren,
die auf das Resultat des Sprachenkampfes einwirken, und zwar zu ungunsten
des germanischen Elements.

Die Flamen sind gegen die Wallonen ohnehin im Nachteil, nicht der Zahl
nach, aber durch ihre Eigenschaften: denn es steht der weltgewandte Wallone
gegen den weltabgewandten Flamen; die Beweglichkeit gegen die Starrheit, die
Initiative gegen die Indolenz, das Aktive gegen das Passive, das wallonisch¬
französische Kulturbewußtsein gegen die flämische Ahnungslostgkeit, die wallonische
Einigkeit gegen die flämische Vielköpfigkeit und Eigenbrödelei; und vor allem
die leicht zu handhabende, geschliffene, bestechende französische Sprache, die in
der ganzen Welt verstanden wird, gegen die eckige, schwer verständliche Eigenart
des Flämischen.

Und — hinter den Wallonen steht das ganze Franzosentum mit seinen
vierzig Millionen! Gab doch im französischen Parlament noch kürzlich ein
Minister, als er wegen Beschickung der Genter Ausstellung zur Rede gestellt
wurde, die Antwort, Gent sei durch seine Universität ein Vorposten der fran¬
zösischen Kultur, und Frankreich erachte es daher für seine Pflicht, sich von
Staats wegen an dieser Ausstellung zu beteiligen. Dabei sprechen in Gent
höchstens 4 Prozent der Bevölkerung das Französische als Muttersprache; es ist
eine flämische Stadt, in der man seit achtzig Jahren dafür kämpft, daß die
Hochschule flämisch werde!

Aber hinter den Flamen stehen — nicht einmal die sechs Millionen Holländer,
die mit ihnen Sprache und Volkstum gemeinsam haben, nicht einmal die Ge¬
samtheit der Vlaamen selbst. Gibt es doch zahlreiche „Fransquillons" unter
ihnen, Flamen, die ihre Muttersprache verleugnen, weil sie die französische
„Kultursprache" für überlegen, für schöner, für „feiner" halten — eine echt
deutsche Michelei! — und darum ihre Kinder nicht mehr flämisch lehren. Gibt
es doch Schriftsteller vom Ruhm eines Maeterlinck und Politiker von der


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[0566] Flamen und Wallonen in Belgien anders gearteten Muttersprache den verführerischen französischen Schlagworten und Ideen weit weniger ausgesetzt. Einem anderen politischen Einfluß vom Ausland her sind sie nicht unterworfen; der deutsche erstreckt sich kaum über Wissenschaft und Literatur hinaus und ist auf wenige Gebildete beschränkt; und die eingewanderten, in den größeren Städten ansässigen Deutschen halten es — man mag das vom deutschen Standpunkt bedauern, aber es ist Tatsache — mit dem französischen Teile der Belgier. Und mit den Holländern ist es ähnlich. Die leichten, gewandten Umgangsformen des Wallonen sichern ihm den Vorrang vor dem schweren, verschlossenen, oft unhöflichen Flamländer. Für diesen gibt es nur eine feste Brücke, die ihn mit seinen Mitmenschen dauernd verbindet: die religiöse Kultusgemeinschaft. Wie es die katholische Kirche verstanden hat, dies Band der Gemeinschaft immer mehr zu befestigen und jede andere, freiere Art des Fühlens von Mensch zu Mensch dem einzelnen zu erschweren — das würde ein besonderes Kapitel füllen. Hier mag die Abhängigkeit vom Klerus noch einmal erwähnt werden als einer der Faktoren, die auf das Resultat des Sprachenkampfes einwirken, und zwar zu ungunsten des germanischen Elements. Die Flamen sind gegen die Wallonen ohnehin im Nachteil, nicht der Zahl nach, aber durch ihre Eigenschaften: denn es steht der weltgewandte Wallone gegen den weltabgewandten Flamen; die Beweglichkeit gegen die Starrheit, die Initiative gegen die Indolenz, das Aktive gegen das Passive, das wallonisch¬ französische Kulturbewußtsein gegen die flämische Ahnungslostgkeit, die wallonische Einigkeit gegen die flämische Vielköpfigkeit und Eigenbrödelei; und vor allem die leicht zu handhabende, geschliffene, bestechende französische Sprache, die in der ganzen Welt verstanden wird, gegen die eckige, schwer verständliche Eigenart des Flämischen. Und — hinter den Wallonen steht das ganze Franzosentum mit seinen vierzig Millionen! Gab doch im französischen Parlament noch kürzlich ein Minister, als er wegen Beschickung der Genter Ausstellung zur Rede gestellt wurde, die Antwort, Gent sei durch seine Universität ein Vorposten der fran¬ zösischen Kultur, und Frankreich erachte es daher für seine Pflicht, sich von Staats wegen an dieser Ausstellung zu beteiligen. Dabei sprechen in Gent höchstens 4 Prozent der Bevölkerung das Französische als Muttersprache; es ist eine flämische Stadt, in der man seit achtzig Jahren dafür kämpft, daß die Hochschule flämisch werde! Aber hinter den Flamen stehen — nicht einmal die sechs Millionen Holländer, die mit ihnen Sprache und Volkstum gemeinsam haben, nicht einmal die Ge¬ samtheit der Vlaamen selbst. Gibt es doch zahlreiche „Fransquillons" unter ihnen, Flamen, die ihre Muttersprache verleugnen, weil sie die französische „Kultursprache" für überlegen, für schöner, für „feiner" halten — eine echt deutsche Michelei! — und darum ihre Kinder nicht mehr flämisch lehren. Gibt es doch Schriftsteller vom Ruhm eines Maeterlinck und Politiker von der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/566>, abgerufen am 28.07.2024.