Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Führung und Verpflegung der Millionenheere

Dies ist jedoch nur die eine Seite der Frage, die rein technische. Die
andere betrifft die Führung selbst. Napoleon behielt die Führung der einzelnen,
ihm direkt unterstellten Truppeneinheiten möglichst lange in seiner Hand, damit
sie genau nach seinen Absichten und Plänen handelten, und beschränkte dadurch
die Selbständigkeit seiner Generale. Er schloß dadurch in gewissen Grenzen
allerdings die Zufälligkeiten aus, die durch seiner Führerabsicht entgegen¬
stehenden Maßnahmen der Unterführer verursacht werden konnten. Aber er
erzog auf diese Weise keine eigentlichen Führer. Seine Generale waren nur
gewohnt, unmittelbar auf seine Befehle hin zu handeln. Wo sie selbständig auf¬
treten sollten, haben sie in der Regel versagt. Ein solches Verfahren ließ sich
nur bei räumlich beschränkten Verhältnissen durchführen. Als diese durch das
Anwachsen der Heere größer wurden, mußten die Unterführer notwendigerweise
eine größere Freiheit und Selbständigkeit erhalten, für die sie nicht ausgebildet
und erzogen waren. Diese mußte sogar in vielen Fällen noch größer sein
als jetzt, weil die Nachrichtenmittel fehlten, über die wir jetzt verfügen. Das
Versagen der französischen Generale beruhte auf einen Fehler der Ausbildung.
Es ist das große Verdienst von Moltke, dies richtig erkannt und die gewonnene
Kenntnis für Preußen-Deutschland nutzbar gemacht zu haben.

Sein Bestreben war in erster Linie auf die Heranbildung selbständig
denkender und handelnder Führer gerichtet, denen er in der Führung
große Freiheit ließ. Er gab keine detaillierten Befehle Tag für Tag, sondern
Direktiven für einen größeren Zeitraum, die nur die allgemeine Aufgabe
für den betreffenden Heeresteil enthielten, die Art und Weise der Ausführung
im übrigen dem Führer überließen. Schließt auch die große Freiheit und
Selbständigkeit der Armeeführer gewisse Gefahren in sich -- wir denken an
Steinmetz --, so hielt sie Moltke aber schließlich für geringer als die Nachteile,
die aus Unselbständigkeit und aus Mangel an Initiative hervorgehen. Das
Mittel, um die Selbständigkeit der Unterführer in richtige Bahnen zu lenken,
liegt in ihrer richtigen Auswahl und Erziehung. Es ist notwendig, daß in
der ganzen Armee, namentlich aber unter den höheren Führern gleichartige
Ansichten herrschen über das Wesen des Krieges, über die Führung und über
die Mittel, eine gestellte Aufgabe zu erfüllen. Das ist die beste Gewähr, daß
die Unterführer stets nur im Sinne der höheren Führung handeln. Dies zu
erreichen, ist die Aufgabe des Generalstabes. So ist es wünschenswert -- wie
es auch geschieht --, daß die höheren Führer alle durch den Generalstab ge¬
gangen sind und daß dem Chef des Generalstabes bei Besetzung der höheren
Führerstellen auch schon im Frieden eine entscheidende Stimme eingeräumt wird.

Es ist ferner notwendig, daß unsere ganze Ausbildung auf die Verhältnisse
des "Großen Krieges" zugeschnitten wird und daß beizeiten jeder an seiner
Stelle die Erfordernisse und Schwierigkeiten -- wenigstens theoretisch -- kennen
lernt, die der Zukunftskrieg bietet. Deshalb muß sich schon der junge Offizier
mit den Fragen der größeren Kriegführung befassen und sich in dieser Hinficht


Führung und Verpflegung der Millionenheere

Dies ist jedoch nur die eine Seite der Frage, die rein technische. Die
andere betrifft die Führung selbst. Napoleon behielt die Führung der einzelnen,
ihm direkt unterstellten Truppeneinheiten möglichst lange in seiner Hand, damit
sie genau nach seinen Absichten und Plänen handelten, und beschränkte dadurch
die Selbständigkeit seiner Generale. Er schloß dadurch in gewissen Grenzen
allerdings die Zufälligkeiten aus, die durch seiner Führerabsicht entgegen¬
stehenden Maßnahmen der Unterführer verursacht werden konnten. Aber er
erzog auf diese Weise keine eigentlichen Führer. Seine Generale waren nur
gewohnt, unmittelbar auf seine Befehle hin zu handeln. Wo sie selbständig auf¬
treten sollten, haben sie in der Regel versagt. Ein solches Verfahren ließ sich
nur bei räumlich beschränkten Verhältnissen durchführen. Als diese durch das
Anwachsen der Heere größer wurden, mußten die Unterführer notwendigerweise
eine größere Freiheit und Selbständigkeit erhalten, für die sie nicht ausgebildet
und erzogen waren. Diese mußte sogar in vielen Fällen noch größer sein
als jetzt, weil die Nachrichtenmittel fehlten, über die wir jetzt verfügen. Das
Versagen der französischen Generale beruhte auf einen Fehler der Ausbildung.
Es ist das große Verdienst von Moltke, dies richtig erkannt und die gewonnene
Kenntnis für Preußen-Deutschland nutzbar gemacht zu haben.

Sein Bestreben war in erster Linie auf die Heranbildung selbständig
denkender und handelnder Führer gerichtet, denen er in der Führung
große Freiheit ließ. Er gab keine detaillierten Befehle Tag für Tag, sondern
Direktiven für einen größeren Zeitraum, die nur die allgemeine Aufgabe
für den betreffenden Heeresteil enthielten, die Art und Weise der Ausführung
im übrigen dem Führer überließen. Schließt auch die große Freiheit und
Selbständigkeit der Armeeführer gewisse Gefahren in sich — wir denken an
Steinmetz —, so hielt sie Moltke aber schließlich für geringer als die Nachteile,
die aus Unselbständigkeit und aus Mangel an Initiative hervorgehen. Das
Mittel, um die Selbständigkeit der Unterführer in richtige Bahnen zu lenken,
liegt in ihrer richtigen Auswahl und Erziehung. Es ist notwendig, daß in
der ganzen Armee, namentlich aber unter den höheren Führern gleichartige
Ansichten herrschen über das Wesen des Krieges, über die Führung und über
die Mittel, eine gestellte Aufgabe zu erfüllen. Das ist die beste Gewähr, daß
die Unterführer stets nur im Sinne der höheren Führung handeln. Dies zu
erreichen, ist die Aufgabe des Generalstabes. So ist es wünschenswert — wie
es auch geschieht —, daß die höheren Führer alle durch den Generalstab ge¬
gangen sind und daß dem Chef des Generalstabes bei Besetzung der höheren
Führerstellen auch schon im Frieden eine entscheidende Stimme eingeräumt wird.

Es ist ferner notwendig, daß unsere ganze Ausbildung auf die Verhältnisse
des „Großen Krieges" zugeschnitten wird und daß beizeiten jeder an seiner
Stelle die Erfordernisse und Schwierigkeiten — wenigstens theoretisch — kennen
lernt, die der Zukunftskrieg bietet. Deshalb muß sich schon der junge Offizier
mit den Fragen der größeren Kriegführung befassen und sich in dieser Hinficht


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0555" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326075"/>
          <fw type="header" place="top"> Führung und Verpflegung der Millionenheere</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2572"> Dies ist jedoch nur die eine Seite der Frage, die rein technische. Die<lb/>
andere betrifft die Führung selbst. Napoleon behielt die Führung der einzelnen,<lb/>
ihm direkt unterstellten Truppeneinheiten möglichst lange in seiner Hand, damit<lb/>
sie genau nach seinen Absichten und Plänen handelten, und beschränkte dadurch<lb/>
die Selbständigkeit seiner Generale. Er schloß dadurch in gewissen Grenzen<lb/>
allerdings die Zufälligkeiten aus, die durch seiner Führerabsicht entgegen¬<lb/>
stehenden Maßnahmen der Unterführer verursacht werden konnten. Aber er<lb/>
erzog auf diese Weise keine eigentlichen Führer. Seine Generale waren nur<lb/>
gewohnt, unmittelbar auf seine Befehle hin zu handeln. Wo sie selbständig auf¬<lb/>
treten sollten, haben sie in der Regel versagt. Ein solches Verfahren ließ sich<lb/>
nur bei räumlich beschränkten Verhältnissen durchführen. Als diese durch das<lb/>
Anwachsen der Heere größer wurden, mußten die Unterführer notwendigerweise<lb/>
eine größere Freiheit und Selbständigkeit erhalten, für die sie nicht ausgebildet<lb/>
und erzogen waren. Diese mußte sogar in vielen Fällen noch größer sein<lb/>
als jetzt, weil die Nachrichtenmittel fehlten, über die wir jetzt verfügen. Das<lb/>
Versagen der französischen Generale beruhte auf einen Fehler der Ausbildung.<lb/>
Es ist das große Verdienst von Moltke, dies richtig erkannt und die gewonnene<lb/>
Kenntnis für Preußen-Deutschland nutzbar gemacht zu haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2573"> Sein Bestreben war in erster Linie auf die Heranbildung selbständig<lb/>
denkender und handelnder Führer gerichtet, denen er in der Führung<lb/>
große Freiheit ließ. Er gab keine detaillierten Befehle Tag für Tag, sondern<lb/>
Direktiven für einen größeren Zeitraum, die nur die allgemeine Aufgabe<lb/>
für den betreffenden Heeresteil enthielten, die Art und Weise der Ausführung<lb/>
im übrigen dem Führer überließen. Schließt auch die große Freiheit und<lb/>
Selbständigkeit der Armeeführer gewisse Gefahren in sich &#x2014; wir denken an<lb/>
Steinmetz &#x2014;, so hielt sie Moltke aber schließlich für geringer als die Nachteile,<lb/>
die aus Unselbständigkeit und aus Mangel an Initiative hervorgehen. Das<lb/>
Mittel, um die Selbständigkeit der Unterführer in richtige Bahnen zu lenken,<lb/>
liegt in ihrer richtigen Auswahl und Erziehung. Es ist notwendig, daß in<lb/>
der ganzen Armee, namentlich aber unter den höheren Führern gleichartige<lb/>
Ansichten herrschen über das Wesen des Krieges, über die Führung und über<lb/>
die Mittel, eine gestellte Aufgabe zu erfüllen. Das ist die beste Gewähr, daß<lb/>
die Unterführer stets nur im Sinne der höheren Führung handeln. Dies zu<lb/>
erreichen, ist die Aufgabe des Generalstabes. So ist es wünschenswert &#x2014; wie<lb/>
es auch geschieht &#x2014;, daß die höheren Führer alle durch den Generalstab ge¬<lb/>
gangen sind und daß dem Chef des Generalstabes bei Besetzung der höheren<lb/>
Führerstellen auch schon im Frieden eine entscheidende Stimme eingeräumt wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2574" next="#ID_2575"> Es ist ferner notwendig, daß unsere ganze Ausbildung auf die Verhältnisse<lb/>
des &#x201E;Großen Krieges" zugeschnitten wird und daß beizeiten jeder an seiner<lb/>
Stelle die Erfordernisse und Schwierigkeiten &#x2014; wenigstens theoretisch &#x2014; kennen<lb/>
lernt, die der Zukunftskrieg bietet. Deshalb muß sich schon der junge Offizier<lb/>
mit den Fragen der größeren Kriegführung befassen und sich in dieser Hinficht</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0555] Führung und Verpflegung der Millionenheere Dies ist jedoch nur die eine Seite der Frage, die rein technische. Die andere betrifft die Führung selbst. Napoleon behielt die Führung der einzelnen, ihm direkt unterstellten Truppeneinheiten möglichst lange in seiner Hand, damit sie genau nach seinen Absichten und Plänen handelten, und beschränkte dadurch die Selbständigkeit seiner Generale. Er schloß dadurch in gewissen Grenzen allerdings die Zufälligkeiten aus, die durch seiner Führerabsicht entgegen¬ stehenden Maßnahmen der Unterführer verursacht werden konnten. Aber er erzog auf diese Weise keine eigentlichen Führer. Seine Generale waren nur gewohnt, unmittelbar auf seine Befehle hin zu handeln. Wo sie selbständig auf¬ treten sollten, haben sie in der Regel versagt. Ein solches Verfahren ließ sich nur bei räumlich beschränkten Verhältnissen durchführen. Als diese durch das Anwachsen der Heere größer wurden, mußten die Unterführer notwendigerweise eine größere Freiheit und Selbständigkeit erhalten, für die sie nicht ausgebildet und erzogen waren. Diese mußte sogar in vielen Fällen noch größer sein als jetzt, weil die Nachrichtenmittel fehlten, über die wir jetzt verfügen. Das Versagen der französischen Generale beruhte auf einen Fehler der Ausbildung. Es ist das große Verdienst von Moltke, dies richtig erkannt und die gewonnene Kenntnis für Preußen-Deutschland nutzbar gemacht zu haben. Sein Bestreben war in erster Linie auf die Heranbildung selbständig denkender und handelnder Führer gerichtet, denen er in der Führung große Freiheit ließ. Er gab keine detaillierten Befehle Tag für Tag, sondern Direktiven für einen größeren Zeitraum, die nur die allgemeine Aufgabe für den betreffenden Heeresteil enthielten, die Art und Weise der Ausführung im übrigen dem Führer überließen. Schließt auch die große Freiheit und Selbständigkeit der Armeeführer gewisse Gefahren in sich — wir denken an Steinmetz —, so hielt sie Moltke aber schließlich für geringer als die Nachteile, die aus Unselbständigkeit und aus Mangel an Initiative hervorgehen. Das Mittel, um die Selbständigkeit der Unterführer in richtige Bahnen zu lenken, liegt in ihrer richtigen Auswahl und Erziehung. Es ist notwendig, daß in der ganzen Armee, namentlich aber unter den höheren Führern gleichartige Ansichten herrschen über das Wesen des Krieges, über die Führung und über die Mittel, eine gestellte Aufgabe zu erfüllen. Das ist die beste Gewähr, daß die Unterführer stets nur im Sinne der höheren Führung handeln. Dies zu erreichen, ist die Aufgabe des Generalstabes. So ist es wünschenswert — wie es auch geschieht —, daß die höheren Führer alle durch den Generalstab ge¬ gangen sind und daß dem Chef des Generalstabes bei Besetzung der höheren Führerstellen auch schon im Frieden eine entscheidende Stimme eingeräumt wird. Es ist ferner notwendig, daß unsere ganze Ausbildung auf die Verhältnisse des „Großen Krieges" zugeschnitten wird und daß beizeiten jeder an seiner Stelle die Erfordernisse und Schwierigkeiten — wenigstens theoretisch — kennen lernt, die der Zukunftskrieg bietet. Deshalb muß sich schon der junge Offizier mit den Fragen der größeren Kriegführung befassen und sich in dieser Hinficht

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/555
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/555>, abgerufen am 28.07.2024.