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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Giovanni Boccaccio

allem, dessen erstes vollständig erhaltenes Manuskript er auf seine Kosten nach
Florenz kommen ließ, und später Dante. Er wurde der erste Kommentator der
göttlichen Komödie und der erste Dantebiograph. Sein Werk ist allerdings
reicher an rhetorischen Beiwerk als an tatsächlichen Angaben. 1373 berief ihn
der florentinische Magistrat auf den neugegründeten Lehrstuhl zur Erklärung der
commeäia alpina. Zwischendurch hatte er auch im Dienste der Stadt häufiger
Gesandtschaften übernommen und sein feiner Kopf, seine spitze sprühende Bered-
samkeit sollen seiner Heimat manchen Erfolg errungen haben. Mit Petrarca, dem
Dichter der Laura- Sonette, verband Boccaccio eine innige Freundschaft. Aus
dessen Testament, worin er Boccaccio fünfzig Goldgulden zu einem warmen Winter-
kleid vermacht, und auch aus anderen Umständen hat man vielfach den Schluß
gezogen, daß es Bocacccio am Schlüsse seines Lebens recht schlecht ergangen sei.
Neuere Forschungen bestätigen das nicht. Aber der immer zurückhaltender
gewordene, fast pietistische Sechziger begann zu kränkeln. Seine Commedia-
Vorlesungen mußte er nach der sechzigsten Lektion im siebzehnten Gesang der
Hölle abbrechen, dann zog er sich nach Certaldo. dem Geburtsort seines Vaters.
Zurück, wo er, zweiundsechzig Jahre alt. am 21. Dezember 1375 gestorben ist.

Der Verfasser des "Dekamerone" war recht fromm geworden zum Schlüsse
seines Lebens. Einem Florentiner Kloster vermacht er in seinem Testament
"alle heiligen Reliquien, die er mit großer Mühe in langer Zeit aus allen
Teilen der Welt gesammelt hatte", seinem Beichtvater seine große, wertvolle
Bibliothek, der Kirche San Jacopo e Filippo in Certaldo viele Kirchengeräte.
'

Dort setzte man ihn auch bei, und verständnisvoller Sinn gab ihm die
Grabschrift:


Hier ruhen Giovannis Gebeine und Asche.
Sein Geist ruht in Gott, bekränzt mit dem Ruhme
Seines Wirkens. Boccaccio war sein Vater,
Certaldo seine Heimat, seine Kunst die hohe Dichtung.

Boccaccios Einfluß auf seine Zeit war groß: er und Petrarca sind die
eigentlichen Väter der italienischen Renaissance. Und während die Laura-Sonette
trotz ihres unnachahmlichen Wohllauts, trotz ihrer entzückend feinen Form doch in
ihren ewigen Variationen des gleichen Themas den Leser vor langsamer Ermüdung
nicht bewahren, hat des jungen Boccaccio Hauptwerk seine lebendige Frische bis in
unsere Zeit bewahrt. Friedrich Schlegel hat den Unterschied in die klugen, wenn auch
etwas boshaften Worte gefaßt: "Boccaccio liebte es mehr, alle reizenden Frauen
M trösten, als eine zu vergöttern"").

Wie reizend ist allein der Rahmen, die Einkleidung für die hundert Ge¬
schichten des "Dekamerone" gewählt. Im Jahre 1348. als in Florenz die Pest
wütete -- deren Schilderung bei Boccaccio häufig mit der Pestschilderung in



*) Über die Poesie: Epochen der Dichtkunst. Im Athenäum. (Neudruck von Baader,
Berlin 1906, Seite 1ö9.)
Grenzboten II 1913 34
Giovanni Boccaccio

allem, dessen erstes vollständig erhaltenes Manuskript er auf seine Kosten nach
Florenz kommen ließ, und später Dante. Er wurde der erste Kommentator der
göttlichen Komödie und der erste Dantebiograph. Sein Werk ist allerdings
reicher an rhetorischen Beiwerk als an tatsächlichen Angaben. 1373 berief ihn
der florentinische Magistrat auf den neugegründeten Lehrstuhl zur Erklärung der
commeäia alpina. Zwischendurch hatte er auch im Dienste der Stadt häufiger
Gesandtschaften übernommen und sein feiner Kopf, seine spitze sprühende Bered-
samkeit sollen seiner Heimat manchen Erfolg errungen haben. Mit Petrarca, dem
Dichter der Laura- Sonette, verband Boccaccio eine innige Freundschaft. Aus
dessen Testament, worin er Boccaccio fünfzig Goldgulden zu einem warmen Winter-
kleid vermacht, und auch aus anderen Umständen hat man vielfach den Schluß
gezogen, daß es Bocacccio am Schlüsse seines Lebens recht schlecht ergangen sei.
Neuere Forschungen bestätigen das nicht. Aber der immer zurückhaltender
gewordene, fast pietistische Sechziger begann zu kränkeln. Seine Commedia-
Vorlesungen mußte er nach der sechzigsten Lektion im siebzehnten Gesang der
Hölle abbrechen, dann zog er sich nach Certaldo. dem Geburtsort seines Vaters.
Zurück, wo er, zweiundsechzig Jahre alt. am 21. Dezember 1375 gestorben ist.

Der Verfasser des „Dekamerone" war recht fromm geworden zum Schlüsse
seines Lebens. Einem Florentiner Kloster vermacht er in seinem Testament
»alle heiligen Reliquien, die er mit großer Mühe in langer Zeit aus allen
Teilen der Welt gesammelt hatte", seinem Beichtvater seine große, wertvolle
Bibliothek, der Kirche San Jacopo e Filippo in Certaldo viele Kirchengeräte.
'

Dort setzte man ihn auch bei, und verständnisvoller Sinn gab ihm die
Grabschrift:


Hier ruhen Giovannis Gebeine und Asche.
Sein Geist ruht in Gott, bekränzt mit dem Ruhme
Seines Wirkens. Boccaccio war sein Vater,
Certaldo seine Heimat, seine Kunst die hohe Dichtung.

Boccaccios Einfluß auf seine Zeit war groß: er und Petrarca sind die
eigentlichen Väter der italienischen Renaissance. Und während die Laura-Sonette
trotz ihres unnachahmlichen Wohllauts, trotz ihrer entzückend feinen Form doch in
ihren ewigen Variationen des gleichen Themas den Leser vor langsamer Ermüdung
nicht bewahren, hat des jungen Boccaccio Hauptwerk seine lebendige Frische bis in
unsere Zeit bewahrt. Friedrich Schlegel hat den Unterschied in die klugen, wenn auch
etwas boshaften Worte gefaßt: „Boccaccio liebte es mehr, alle reizenden Frauen
M trösten, als eine zu vergöttern"").

Wie reizend ist allein der Rahmen, die Einkleidung für die hundert Ge¬
schichten des „Dekamerone" gewählt. Im Jahre 1348. als in Florenz die Pest
wütete — deren Schilderung bei Boccaccio häufig mit der Pestschilderung in



*) Über die Poesie: Epochen der Dichtkunst. Im Athenäum. (Neudruck von Baader,
Berlin 1906, Seite 1ö9.)
Grenzboten II 1913 34
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[0533] Giovanni Boccaccio allem, dessen erstes vollständig erhaltenes Manuskript er auf seine Kosten nach Florenz kommen ließ, und später Dante. Er wurde der erste Kommentator der göttlichen Komödie und der erste Dantebiograph. Sein Werk ist allerdings reicher an rhetorischen Beiwerk als an tatsächlichen Angaben. 1373 berief ihn der florentinische Magistrat auf den neugegründeten Lehrstuhl zur Erklärung der commeäia alpina. Zwischendurch hatte er auch im Dienste der Stadt häufiger Gesandtschaften übernommen und sein feiner Kopf, seine spitze sprühende Bered- samkeit sollen seiner Heimat manchen Erfolg errungen haben. Mit Petrarca, dem Dichter der Laura- Sonette, verband Boccaccio eine innige Freundschaft. Aus dessen Testament, worin er Boccaccio fünfzig Goldgulden zu einem warmen Winter- kleid vermacht, und auch aus anderen Umständen hat man vielfach den Schluß gezogen, daß es Bocacccio am Schlüsse seines Lebens recht schlecht ergangen sei. Neuere Forschungen bestätigen das nicht. Aber der immer zurückhaltender gewordene, fast pietistische Sechziger begann zu kränkeln. Seine Commedia- Vorlesungen mußte er nach der sechzigsten Lektion im siebzehnten Gesang der Hölle abbrechen, dann zog er sich nach Certaldo. dem Geburtsort seines Vaters. Zurück, wo er, zweiundsechzig Jahre alt. am 21. Dezember 1375 gestorben ist. Der Verfasser des „Dekamerone" war recht fromm geworden zum Schlüsse seines Lebens. Einem Florentiner Kloster vermacht er in seinem Testament »alle heiligen Reliquien, die er mit großer Mühe in langer Zeit aus allen Teilen der Welt gesammelt hatte", seinem Beichtvater seine große, wertvolle Bibliothek, der Kirche San Jacopo e Filippo in Certaldo viele Kirchengeräte. ' Dort setzte man ihn auch bei, und verständnisvoller Sinn gab ihm die Grabschrift: Hier ruhen Giovannis Gebeine und Asche. Sein Geist ruht in Gott, bekränzt mit dem Ruhme Seines Wirkens. Boccaccio war sein Vater, Certaldo seine Heimat, seine Kunst die hohe Dichtung. Boccaccios Einfluß auf seine Zeit war groß: er und Petrarca sind die eigentlichen Väter der italienischen Renaissance. Und während die Laura-Sonette trotz ihres unnachahmlichen Wohllauts, trotz ihrer entzückend feinen Form doch in ihren ewigen Variationen des gleichen Themas den Leser vor langsamer Ermüdung nicht bewahren, hat des jungen Boccaccio Hauptwerk seine lebendige Frische bis in unsere Zeit bewahrt. Friedrich Schlegel hat den Unterschied in die klugen, wenn auch etwas boshaften Worte gefaßt: „Boccaccio liebte es mehr, alle reizenden Frauen M trösten, als eine zu vergöttern""). Wie reizend ist allein der Rahmen, die Einkleidung für die hundert Ge¬ schichten des „Dekamerone" gewählt. Im Jahre 1348. als in Florenz die Pest wütete — deren Schilderung bei Boccaccio häufig mit der Pestschilderung in *) Über die Poesie: Epochen der Dichtkunst. Im Athenäum. (Neudruck von Baader, Berlin 1906, Seite 1ö9.) Grenzboten II 1913 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/533>, abgerufen am 22.12.2024.