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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Adolf Matthias und das höhere Schulwesen

schützt ihn sowohl der historische Sinn des wissenschaftlich gebildeten Mannes
wie das natürliche Gefühl für die Kontinuität der geistigen Entwicklung, das
dem Unterrichtsbeamten, auch wenn er kein Bureaukrat ist, eignet.

Hiermit sind wir nun schon mitten in den sachlichen Inhalt des Buches
hineingelange. Er umfaßt, wie schon gesagt, den ganzen Umkreis des höheren
Schulwesens: Verwaltung und Organisation, Schulerziehung und Unterricht.
Alle pädagogischen Fragen, welche in den letzten Jahrzehnten auf diesem weiten
Gebiete aufgetreten sind, werden in dem gleichen, freiheitlichen und zuversicht¬
lichen, und doch maßvollen und gerechten Sinne behandelt. Wir können dem
Autor nicht in die Einzelheiten folgen. Wer jene Fragen kennt, wer die Ent¬
wicklung unseres höheren Schulwesens in ihren Hauptzügen verfolgt hat, der
wird nach der obigen Charakteristik nirgends überrascht durch die Stellung, die
Matthias wie früher praktisch, so jetzt literarisch im ganzen und einzelnen
nimmt. Wohl aber wird er erfreut sehen, wie aus der Frische der Persön¬
lichkeit und dem Reichtum praktischer Erfahrung Leben und Eigenart in die
Diskussion kommen. Nur eine Gruppe von Gedanken soll hier als veranschau¬
lichendes Beispiel herausgegriffen werden, weil sie einerseits unserem Autor be¬
sonders eigen, anderseits für die Praxis von hervorragender Bedeutung ist.

Mit besonderer Betonung und an verschiedenen Stellen des Buches fordert
Matthias, daß der Schulverwaltung eine sachlich beratende und begutachtende
Kommission zur Seite treten solle. Eine ähnliche Forderung hat vor kurzem
ein anderer ehemaliger Ministerialrat, K. Brandt, in den Preußischen Jahr¬
büchern erhoben. Er verlangt eine Teilung der einzelnen Schulbehörden oder
vielmehr eine Erweiterung, nach welcher ein Teil derselben ausschließlich
die sachliche und inhaltliche Entwicklung des Unterrichtswesens leiten soll,
während die eigentlichen Verwaltungsorgane die finanziellen, persönlichen und
lokalen Verhältnisse zu überwachen und zu regeln haben. Matthias jedoch will
keine Behörde, sondern eine freie wissenschaftliche, oder vielmehr pädagogische
"Deputation", wie sie einst W. von Humboldt, leider für zu kurze Dauer,
ins Leben gerufen hat. Sie soll zusammengesetzt sein aus den "tüchtigsten
Pädagogen, die unter den Direktoren und Lehrern der höheren Schulen, unter
den Universitätslehrern, auch in der Geistlichkeit, sofern ihr Horizont nicht
beengt ist, sich finden". Auch hervorragende Kommunalbeamte und Parlamen¬
tarier gehören hinein, aber, fügt Matthias charakteristisch hinzu, "sie müssen
phrasenrein sein". Ihre Aufgabe bestände wesentlich darin, durch gutachtliche
Anregungen und Ratschläge den Zusammenhang zwischen dem wissenschaftlichen
wie dem allgemeinen geistigen Leben mit der Entwicklung unseres Unterrichts¬
wesens lebendig zu erhalten. Dieser Vorschlag hat vor demjenigen Brandis
den Vorzug der leichteren Durchführbarkeit, auch bildet die freiere Organisation
und das Fehlen amtlicher Autorität eine bessere Gewähr dafür, daß die Ein¬
richtung den Zweck, "dem rein bureaukratischen Geist der Geschäftsmänner ent¬
gegenzuwirken," auch wirklich erfüllt.


Grenzboten II 1913 33
Adolf Matthias und das höhere Schulwesen

schützt ihn sowohl der historische Sinn des wissenschaftlich gebildeten Mannes
wie das natürliche Gefühl für die Kontinuität der geistigen Entwicklung, das
dem Unterrichtsbeamten, auch wenn er kein Bureaukrat ist, eignet.

Hiermit sind wir nun schon mitten in den sachlichen Inhalt des Buches
hineingelange. Er umfaßt, wie schon gesagt, den ganzen Umkreis des höheren
Schulwesens: Verwaltung und Organisation, Schulerziehung und Unterricht.
Alle pädagogischen Fragen, welche in den letzten Jahrzehnten auf diesem weiten
Gebiete aufgetreten sind, werden in dem gleichen, freiheitlichen und zuversicht¬
lichen, und doch maßvollen und gerechten Sinne behandelt. Wir können dem
Autor nicht in die Einzelheiten folgen. Wer jene Fragen kennt, wer die Ent¬
wicklung unseres höheren Schulwesens in ihren Hauptzügen verfolgt hat, der
wird nach der obigen Charakteristik nirgends überrascht durch die Stellung, die
Matthias wie früher praktisch, so jetzt literarisch im ganzen und einzelnen
nimmt. Wohl aber wird er erfreut sehen, wie aus der Frische der Persön¬
lichkeit und dem Reichtum praktischer Erfahrung Leben und Eigenart in die
Diskussion kommen. Nur eine Gruppe von Gedanken soll hier als veranschau¬
lichendes Beispiel herausgegriffen werden, weil sie einerseits unserem Autor be¬
sonders eigen, anderseits für die Praxis von hervorragender Bedeutung ist.

Mit besonderer Betonung und an verschiedenen Stellen des Buches fordert
Matthias, daß der Schulverwaltung eine sachlich beratende und begutachtende
Kommission zur Seite treten solle. Eine ähnliche Forderung hat vor kurzem
ein anderer ehemaliger Ministerialrat, K. Brandt, in den Preußischen Jahr¬
büchern erhoben. Er verlangt eine Teilung der einzelnen Schulbehörden oder
vielmehr eine Erweiterung, nach welcher ein Teil derselben ausschließlich
die sachliche und inhaltliche Entwicklung des Unterrichtswesens leiten soll,
während die eigentlichen Verwaltungsorgane die finanziellen, persönlichen und
lokalen Verhältnisse zu überwachen und zu regeln haben. Matthias jedoch will
keine Behörde, sondern eine freie wissenschaftliche, oder vielmehr pädagogische
„Deputation", wie sie einst W. von Humboldt, leider für zu kurze Dauer,
ins Leben gerufen hat. Sie soll zusammengesetzt sein aus den „tüchtigsten
Pädagogen, die unter den Direktoren und Lehrern der höheren Schulen, unter
den Universitätslehrern, auch in der Geistlichkeit, sofern ihr Horizont nicht
beengt ist, sich finden". Auch hervorragende Kommunalbeamte und Parlamen¬
tarier gehören hinein, aber, fügt Matthias charakteristisch hinzu, „sie müssen
phrasenrein sein". Ihre Aufgabe bestände wesentlich darin, durch gutachtliche
Anregungen und Ratschläge den Zusammenhang zwischen dem wissenschaftlichen
wie dem allgemeinen geistigen Leben mit der Entwicklung unseres Unterrichts¬
wesens lebendig zu erhalten. Dieser Vorschlag hat vor demjenigen Brandis
den Vorzug der leichteren Durchführbarkeit, auch bildet die freiere Organisation
und das Fehlen amtlicher Autorität eine bessere Gewähr dafür, daß die Ein¬
richtung den Zweck, „dem rein bureaukratischen Geist der Geschäftsmänner ent¬
gegenzuwirken," auch wirklich erfüllt.


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[0517] Adolf Matthias und das höhere Schulwesen schützt ihn sowohl der historische Sinn des wissenschaftlich gebildeten Mannes wie das natürliche Gefühl für die Kontinuität der geistigen Entwicklung, das dem Unterrichtsbeamten, auch wenn er kein Bureaukrat ist, eignet. Hiermit sind wir nun schon mitten in den sachlichen Inhalt des Buches hineingelange. Er umfaßt, wie schon gesagt, den ganzen Umkreis des höheren Schulwesens: Verwaltung und Organisation, Schulerziehung und Unterricht. Alle pädagogischen Fragen, welche in den letzten Jahrzehnten auf diesem weiten Gebiete aufgetreten sind, werden in dem gleichen, freiheitlichen und zuversicht¬ lichen, und doch maßvollen und gerechten Sinne behandelt. Wir können dem Autor nicht in die Einzelheiten folgen. Wer jene Fragen kennt, wer die Ent¬ wicklung unseres höheren Schulwesens in ihren Hauptzügen verfolgt hat, der wird nach der obigen Charakteristik nirgends überrascht durch die Stellung, die Matthias wie früher praktisch, so jetzt literarisch im ganzen und einzelnen nimmt. Wohl aber wird er erfreut sehen, wie aus der Frische der Persön¬ lichkeit und dem Reichtum praktischer Erfahrung Leben und Eigenart in die Diskussion kommen. Nur eine Gruppe von Gedanken soll hier als veranschau¬ lichendes Beispiel herausgegriffen werden, weil sie einerseits unserem Autor be¬ sonders eigen, anderseits für die Praxis von hervorragender Bedeutung ist. Mit besonderer Betonung und an verschiedenen Stellen des Buches fordert Matthias, daß der Schulverwaltung eine sachlich beratende und begutachtende Kommission zur Seite treten solle. Eine ähnliche Forderung hat vor kurzem ein anderer ehemaliger Ministerialrat, K. Brandt, in den Preußischen Jahr¬ büchern erhoben. Er verlangt eine Teilung der einzelnen Schulbehörden oder vielmehr eine Erweiterung, nach welcher ein Teil derselben ausschließlich die sachliche und inhaltliche Entwicklung des Unterrichtswesens leiten soll, während die eigentlichen Verwaltungsorgane die finanziellen, persönlichen und lokalen Verhältnisse zu überwachen und zu regeln haben. Matthias jedoch will keine Behörde, sondern eine freie wissenschaftliche, oder vielmehr pädagogische „Deputation", wie sie einst W. von Humboldt, leider für zu kurze Dauer, ins Leben gerufen hat. Sie soll zusammengesetzt sein aus den „tüchtigsten Pädagogen, die unter den Direktoren und Lehrern der höheren Schulen, unter den Universitätslehrern, auch in der Geistlichkeit, sofern ihr Horizont nicht beengt ist, sich finden". Auch hervorragende Kommunalbeamte und Parlamen¬ tarier gehören hinein, aber, fügt Matthias charakteristisch hinzu, „sie müssen phrasenrein sein". Ihre Aufgabe bestände wesentlich darin, durch gutachtliche Anregungen und Ratschläge den Zusammenhang zwischen dem wissenschaftlichen wie dem allgemeinen geistigen Leben mit der Entwicklung unseres Unterrichts¬ wesens lebendig zu erhalten. Dieser Vorschlag hat vor demjenigen Brandis den Vorzug der leichteren Durchführbarkeit, auch bildet die freiere Organisation und das Fehlen amtlicher Autorität eine bessere Gewähr dafür, daß die Ein¬ richtung den Zweck, „dem rein bureaukratischen Geist der Geschäftsmänner ent¬ gegenzuwirken," auch wirklich erfüllt. Grenzboten II 1913 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/517>, abgerufen am 27.07.2024.