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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Adolf Matthias und das höhere Schulwesen

ist der Gymnasialstreit der achtziger und neunziger Jahre, von dem es an
einer anderen Stelle heißt, daß er "mit seinen Übeln Begleiterscheinungen und
seinen Übertreibungen und gegenseitigen UnHöflichkeiten -- doch auch sein
Gutes hatte. Vor allem erschütterte er die behagliche Ruhe aller Schul¬
philister intra et extra muro8, und er rechtfertigte eine Änderung veralteter
Formeln und Vorrechte und eine Neugestaltung und Neubelebung der höheren
Schulen".

Der letzte Grund für diese Freude an freiheitlicher Kraftentfaltung ist der
freudige Optimismus, der in der innersten Natur des Pädagogen begründet liegt.
Vielleicht daß ihm das frohmütige Vertrauen, das er der Welt und den Menschen
entgegenbringt, bisweilen den Blick für das einzelne trübt und das Urteil beirrt.
Im ganzen ist es doch die beste Quelle seiner persönlichen Kraft und Wirk¬
samkeit. Gerade das, was auch der aufgeklärten Bureaukratie gemeiniglich
sehlt, die ruhige Zuversicht in den natürlichen Gang der menschlichen Dinge,
in die Vernunft, die sich auch ohne Zwang und gewaltsame Lenkung allmählich
durchsetzt, besitzt Matthias im ausgesprochensten Maße.

So ist es denn kein Wunder, daß dieser Verkünder optimistischer Weisheit
in einem innerlichen Gegensatz zur Bureaukratie steht und tatsächlich wohl auch
während seiner Amtszeit gestanden hat. Auch in Althoff, so virtuos er den
amtlichen Apparat zu handhaben verstand, lag ein Gegensatz gegen die büreau¬
kratische Routine, und dieser bildete im persönlichen Verkehr nicht selten einen
ernsten oder humoristischen Kontrast zu dem Machtbewußtsein des höheren
Beamten, das ihn denn doch erfüllte. Bei Matthias aber darf man geradezu
von Antibureaukratismus sprechen: ihm eignet ein natürlicher Widerwille gegen
Schema und Schablone, gegen Gleichmacherei und Bindung, gegen den Mangel
an Persönlichkeit, der auch bei sachlicher Tüchtigkeit die Schwäche des Beamten¬
tums ausmacht. "Frisches Leben in die Akten und in die geheimrätlichen Hüter
dieser Schätze!" Diese Tendenz beherrscht alles, was er über unsere Schul¬
verwaltung sagt. Mit Ironie wird die Stellung des Verwaltungsbeamten
gegenüber der unmittelbar erzieherischen Tätigkeit des praktischen Schulmanns
^geschätzt: "Ich habe die Erfahrung gemacht, daß unter hundert Schulmännern,
die in die Verwaltung in .den Staat an sich' eintraten, neunzig nicht klüger
und interessanter wurden, sondern langweiliger, und ich selbst habe die Empfindung
gehabt, daß auch ich zu den neunzig lange Zeit gehört habe." Die Herbheit
des ersten Urteils wird durch die liebenswürdige Selbstironie des Zusatzes in
charakteristischer Weise gemildert, wie denn überhaupt alles, was nach Bitterkeit
und Verärgerung schmeckt, dem glücklichen Temperamente dieses Mannes fern¬
liegt. Ein echter und überlegener Humor, der mit seinem Optimismus aufs
engste zusammenhängt, ist die Grundstimmung seines Wesens und seines Schrift¬
tums, und derselbe tritt in seinem jüngsten Werke ebenso unverfälscht und unauf¬
dringlich hervor, wie in feinen früheren Schriften, denen er so viel Anziehungs¬
kraft verliehen und soviel Freunde erworben hat.


Adolf Matthias und das höhere Schulwesen

ist der Gymnasialstreit der achtziger und neunziger Jahre, von dem es an
einer anderen Stelle heißt, daß er „mit seinen Übeln Begleiterscheinungen und
seinen Übertreibungen und gegenseitigen UnHöflichkeiten — doch auch sein
Gutes hatte. Vor allem erschütterte er die behagliche Ruhe aller Schul¬
philister intra et extra muro8, und er rechtfertigte eine Änderung veralteter
Formeln und Vorrechte und eine Neugestaltung und Neubelebung der höheren
Schulen".

Der letzte Grund für diese Freude an freiheitlicher Kraftentfaltung ist der
freudige Optimismus, der in der innersten Natur des Pädagogen begründet liegt.
Vielleicht daß ihm das frohmütige Vertrauen, das er der Welt und den Menschen
entgegenbringt, bisweilen den Blick für das einzelne trübt und das Urteil beirrt.
Im ganzen ist es doch die beste Quelle seiner persönlichen Kraft und Wirk¬
samkeit. Gerade das, was auch der aufgeklärten Bureaukratie gemeiniglich
sehlt, die ruhige Zuversicht in den natürlichen Gang der menschlichen Dinge,
in die Vernunft, die sich auch ohne Zwang und gewaltsame Lenkung allmählich
durchsetzt, besitzt Matthias im ausgesprochensten Maße.

So ist es denn kein Wunder, daß dieser Verkünder optimistischer Weisheit
in einem innerlichen Gegensatz zur Bureaukratie steht und tatsächlich wohl auch
während seiner Amtszeit gestanden hat. Auch in Althoff, so virtuos er den
amtlichen Apparat zu handhaben verstand, lag ein Gegensatz gegen die büreau¬
kratische Routine, und dieser bildete im persönlichen Verkehr nicht selten einen
ernsten oder humoristischen Kontrast zu dem Machtbewußtsein des höheren
Beamten, das ihn denn doch erfüllte. Bei Matthias aber darf man geradezu
von Antibureaukratismus sprechen: ihm eignet ein natürlicher Widerwille gegen
Schema und Schablone, gegen Gleichmacherei und Bindung, gegen den Mangel
an Persönlichkeit, der auch bei sachlicher Tüchtigkeit die Schwäche des Beamten¬
tums ausmacht. „Frisches Leben in die Akten und in die geheimrätlichen Hüter
dieser Schätze!" Diese Tendenz beherrscht alles, was er über unsere Schul¬
verwaltung sagt. Mit Ironie wird die Stellung des Verwaltungsbeamten
gegenüber der unmittelbar erzieherischen Tätigkeit des praktischen Schulmanns
^geschätzt: „Ich habe die Erfahrung gemacht, daß unter hundert Schulmännern,
die in die Verwaltung in .den Staat an sich' eintraten, neunzig nicht klüger
und interessanter wurden, sondern langweiliger, und ich selbst habe die Empfindung
gehabt, daß auch ich zu den neunzig lange Zeit gehört habe." Die Herbheit
des ersten Urteils wird durch die liebenswürdige Selbstironie des Zusatzes in
charakteristischer Weise gemildert, wie denn überhaupt alles, was nach Bitterkeit
und Verärgerung schmeckt, dem glücklichen Temperamente dieses Mannes fern¬
liegt. Ein echter und überlegener Humor, der mit seinem Optimismus aufs
engste zusammenhängt, ist die Grundstimmung seines Wesens und seines Schrift¬
tums, und derselbe tritt in seinem jüngsten Werke ebenso unverfälscht und unauf¬
dringlich hervor, wie in feinen früheren Schriften, denen er so viel Anziehungs¬
kraft verliehen und soviel Freunde erworben hat.


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[0515] Adolf Matthias und das höhere Schulwesen ist der Gymnasialstreit der achtziger und neunziger Jahre, von dem es an einer anderen Stelle heißt, daß er „mit seinen Übeln Begleiterscheinungen und seinen Übertreibungen und gegenseitigen UnHöflichkeiten — doch auch sein Gutes hatte. Vor allem erschütterte er die behagliche Ruhe aller Schul¬ philister intra et extra muro8, und er rechtfertigte eine Änderung veralteter Formeln und Vorrechte und eine Neugestaltung und Neubelebung der höheren Schulen". Der letzte Grund für diese Freude an freiheitlicher Kraftentfaltung ist der freudige Optimismus, der in der innersten Natur des Pädagogen begründet liegt. Vielleicht daß ihm das frohmütige Vertrauen, das er der Welt und den Menschen entgegenbringt, bisweilen den Blick für das einzelne trübt und das Urteil beirrt. Im ganzen ist es doch die beste Quelle seiner persönlichen Kraft und Wirk¬ samkeit. Gerade das, was auch der aufgeklärten Bureaukratie gemeiniglich sehlt, die ruhige Zuversicht in den natürlichen Gang der menschlichen Dinge, in die Vernunft, die sich auch ohne Zwang und gewaltsame Lenkung allmählich durchsetzt, besitzt Matthias im ausgesprochensten Maße. So ist es denn kein Wunder, daß dieser Verkünder optimistischer Weisheit in einem innerlichen Gegensatz zur Bureaukratie steht und tatsächlich wohl auch während seiner Amtszeit gestanden hat. Auch in Althoff, so virtuos er den amtlichen Apparat zu handhaben verstand, lag ein Gegensatz gegen die büreau¬ kratische Routine, und dieser bildete im persönlichen Verkehr nicht selten einen ernsten oder humoristischen Kontrast zu dem Machtbewußtsein des höheren Beamten, das ihn denn doch erfüllte. Bei Matthias aber darf man geradezu von Antibureaukratismus sprechen: ihm eignet ein natürlicher Widerwille gegen Schema und Schablone, gegen Gleichmacherei und Bindung, gegen den Mangel an Persönlichkeit, der auch bei sachlicher Tüchtigkeit die Schwäche des Beamten¬ tums ausmacht. „Frisches Leben in die Akten und in die geheimrätlichen Hüter dieser Schätze!" Diese Tendenz beherrscht alles, was er über unsere Schul¬ verwaltung sagt. Mit Ironie wird die Stellung des Verwaltungsbeamten gegenüber der unmittelbar erzieherischen Tätigkeit des praktischen Schulmanns ^geschätzt: „Ich habe die Erfahrung gemacht, daß unter hundert Schulmännern, die in die Verwaltung in .den Staat an sich' eintraten, neunzig nicht klüger und interessanter wurden, sondern langweiliger, und ich selbst habe die Empfindung gehabt, daß auch ich zu den neunzig lange Zeit gehört habe." Die Herbheit des ersten Urteils wird durch die liebenswürdige Selbstironie des Zusatzes in charakteristischer Weise gemildert, wie denn überhaupt alles, was nach Bitterkeit und Verärgerung schmeckt, dem glücklichen Temperamente dieses Mannes fern¬ liegt. Ein echter und überlegener Humor, der mit seinem Optimismus aufs engste zusammenhängt, ist die Grundstimmung seines Wesens und seines Schrift¬ tums, und derselbe tritt in seinem jüngsten Werke ebenso unverfälscht und unauf¬ dringlich hervor, wie in feinen früheren Schriften, denen er so viel Anziehungs¬ kraft verliehen und soviel Freunde erworben hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/515>, abgerufen am 28.07.2024.