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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Mit dem Kaiser auf Reisen

Streng ist der Kaiser in der Handhabung der Dienstgeschäfte und in der
Beaufsichtigung der den einzelnen Personen des Gefolges übertragenen Ob¬
liegenheiten, wobei er das Bestreben, in alle Details einzudringen, mit großer
Umsicht in der Zeitausnutzung verbindet, aber doch nicht ohne Dringlichkeit! An
den einzelnen stellt er recht erhebliche Anforderungen. Kiderlen, dem die Bericht¬
erstattung an die Presse übertragen ist, stöhnt auch gelegentlich, als er in einem
Briefe an seine Schwester, Exzellenz von Lattre, "wegen der Details der Reise
ganz auf die Kölnische Zeitung, die seine Berichte bringen wird oder wenigstens
soll", verweist. "An der Länge derselben," fährt er fort, "könnt Ihr sehen,
was es mir für Mühe macht. Aber der Kaiser drängelt immer danach, ich
muß sie ihm vorlesen, er gibt dann auch noch seine Wünsche dazu und dann
gehen Abschriften an die Kaiserin. Die Gegendbeschreibungen finde ich besonders
langweilig, aber auf die hält gerade der Kaiser viel. Momentan schwelgt er
in Frithjofssage und Fischen, deren er heute fünf gefangen."

Dreimal am Tage vereinigt der Kaiser seine Gäste, nebst den Komman¬
danten und zwei Offizieren des Stabes, zu gemeinsamer Mahlzeit um sich: des
Morgens um neun Uhr, des Mittags um eins und des Abends um acht Uhr.
Man versammelt sich auf dem Achterdeck, nahe dem Eingang zum Speisesaal,
und erwartet die Ankunft Seiner Majestät. Bei der Tafel ist das durch die
Hofrangordnung vorgeschriebene Placement aufgehoben, man darf seinen Platz
nach eigenem Ermessen wählen; ausgenommen sind nur die Plätze rechts und
links von Seiner Majestät; über diese bestimmt der Hausmarschall, der stets
dem Kaiser gegenübersitzt und dafür sorgt, daß jedem Gast in wechselnder Folge
die Auszeichnung zuteil wird, das Mahl an der Seite Seiner Majestät ein¬
nehmen zu dürfen. Die Tafel erscheint lieblich und prunkvoll zugleich: lieblich
durch den nie fehlenden Blumenschmuck, der häufig von norwegischen Händen
dargebracht wird, prunkvoll durch die silbernen und goldenen Pokale, die der
Kaiser auf seinen Regatten errungen hat. Die Unterhaltung bei Tisch ist von
der angenehmsten Art. Zuweilen werden auch Kontroversen lebhaft diskutiert,
mit einem Hin und Her von Offenheit, in der sich jahrelange, freundschaftliche
Beziehungen widerspiegeln. Es herrschen dann nicht immer der leise Flüsterton
und die Gemessenheit in Haltung und Gebärde, die für die kaiserliche Hoftafel
im Berliner Schloß sich von selbst verstehen. Der Kaiser bekundet herzliche
Freude, wenn gelegentlich "die Geister aufeinander platzen", wenn die Kon¬
versation das akustisch erlaubte Maß überschreitet, wenn lautes Lachen an einem
unbotmäßigen Flügel erschallt, wenn Rede und Gegenrede über die Breite des
Tisches hinweg gewechselt wird.

"Kaiser Wilhelm der Zweite sieht in der Musik die Spenderin von Freuden
und inneren Erhebungen, die keine andere Kunst zu geben vermag. Deshalb
führt er eine Kapelle mit sich an Bord; sie ist gegenwärtig etwa achtunddreißig
Köpfe stark und verfügt über ein Repertoire von erstaunlicher Mannigfaltigkeit.
Das Orchester spielt regelmäßig bei der Mittag- und bei der Abendtafel. Nach


Mit dem Kaiser auf Reisen

Streng ist der Kaiser in der Handhabung der Dienstgeschäfte und in der
Beaufsichtigung der den einzelnen Personen des Gefolges übertragenen Ob¬
liegenheiten, wobei er das Bestreben, in alle Details einzudringen, mit großer
Umsicht in der Zeitausnutzung verbindet, aber doch nicht ohne Dringlichkeit! An
den einzelnen stellt er recht erhebliche Anforderungen. Kiderlen, dem die Bericht¬
erstattung an die Presse übertragen ist, stöhnt auch gelegentlich, als er in einem
Briefe an seine Schwester, Exzellenz von Lattre, „wegen der Details der Reise
ganz auf die Kölnische Zeitung, die seine Berichte bringen wird oder wenigstens
soll", verweist. „An der Länge derselben," fährt er fort, „könnt Ihr sehen,
was es mir für Mühe macht. Aber der Kaiser drängelt immer danach, ich
muß sie ihm vorlesen, er gibt dann auch noch seine Wünsche dazu und dann
gehen Abschriften an die Kaiserin. Die Gegendbeschreibungen finde ich besonders
langweilig, aber auf die hält gerade der Kaiser viel. Momentan schwelgt er
in Frithjofssage und Fischen, deren er heute fünf gefangen."

Dreimal am Tage vereinigt der Kaiser seine Gäste, nebst den Komman¬
danten und zwei Offizieren des Stabes, zu gemeinsamer Mahlzeit um sich: des
Morgens um neun Uhr, des Mittags um eins und des Abends um acht Uhr.
Man versammelt sich auf dem Achterdeck, nahe dem Eingang zum Speisesaal,
und erwartet die Ankunft Seiner Majestät. Bei der Tafel ist das durch die
Hofrangordnung vorgeschriebene Placement aufgehoben, man darf seinen Platz
nach eigenem Ermessen wählen; ausgenommen sind nur die Plätze rechts und
links von Seiner Majestät; über diese bestimmt der Hausmarschall, der stets
dem Kaiser gegenübersitzt und dafür sorgt, daß jedem Gast in wechselnder Folge
die Auszeichnung zuteil wird, das Mahl an der Seite Seiner Majestät ein¬
nehmen zu dürfen. Die Tafel erscheint lieblich und prunkvoll zugleich: lieblich
durch den nie fehlenden Blumenschmuck, der häufig von norwegischen Händen
dargebracht wird, prunkvoll durch die silbernen und goldenen Pokale, die der
Kaiser auf seinen Regatten errungen hat. Die Unterhaltung bei Tisch ist von
der angenehmsten Art. Zuweilen werden auch Kontroversen lebhaft diskutiert,
mit einem Hin und Her von Offenheit, in der sich jahrelange, freundschaftliche
Beziehungen widerspiegeln. Es herrschen dann nicht immer der leise Flüsterton
und die Gemessenheit in Haltung und Gebärde, die für die kaiserliche Hoftafel
im Berliner Schloß sich von selbst verstehen. Der Kaiser bekundet herzliche
Freude, wenn gelegentlich „die Geister aufeinander platzen", wenn die Kon¬
versation das akustisch erlaubte Maß überschreitet, wenn lautes Lachen an einem
unbotmäßigen Flügel erschallt, wenn Rede und Gegenrede über die Breite des
Tisches hinweg gewechselt wird.

„Kaiser Wilhelm der Zweite sieht in der Musik die Spenderin von Freuden
und inneren Erhebungen, die keine andere Kunst zu geben vermag. Deshalb
führt er eine Kapelle mit sich an Bord; sie ist gegenwärtig etwa achtunddreißig
Köpfe stark und verfügt über ein Repertoire von erstaunlicher Mannigfaltigkeit.
Das Orchester spielt regelmäßig bei der Mittag- und bei der Abendtafel. Nach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/510>, abgerufen am 01.09.2024.