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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Sturm

Ich fürchte. Papas Ansichten fanden den allgemeinen Beifall nicht. Ich
sah manche alte Tante ihre spitze Nase rümpfen. Schledehausen dagegen ent¬
fesselte einen wahren Sturm der Begeisterung. Er appellierte an die Solidarität
des Deutschtums und erinnerte an die historische Führerschaft des baltischen Adels.

Aber Sie wollen jetzt sicher auch etwas über Borküll hören. Und da will
ich mit unserer Meinung nicht hinter dem Berge halten: es ist dort nicht alles
wie es sein sollte. Verwalter Kirsch macht wieder einmal von sich reden. Er
hat sich zum Septembertermin tolle Sachen geleistet. Natürlich war er, wie
immer wenn er in der Stadt ist, betrunken und soll sich im Estnischen Klub
zu wüsten Brandreden gegen die Deutschen verstiegen haben. Nach einer
Schlägerei wurde er verwundet ins Hospital geschafft. Dort liegt er seit drei
Tagen, und Papa sorgt sich um euer Borküll, das nun ganz ohne Aufsicht ist.
Der alte Maddis. Ihr bewährtes Faktotum, hat doch nicht Übersicht genug,
um alles in Ordnung abzuwickeln. Und die Baronin und Ihre Schwester Mara
find zu wenig orientiert in dem komplizierten Betrieb, auch leben beide dank
ihren Neigungen zu wenig in der Wirklichkeit. Mara namentlich ist immer
mehr ein Bücherwurm geworden, und ihre hypermoderne Weltanschauung hat
ihr allen praktischen Sinn genommen. Gräfin Emerenzia Schildberg aber, Ihre
würdige Tante, bringt mit ihren Gebetstunden und ihrer Bekehrungswut das
ganze Tagewerk auf dem Hof in Unordnung. Unser guter Pastor Tannebaum
ist nicht sehr erbaut von dieser Seelenfischerei, die seine Herde nachgerade
konfus zu machen beginnt. Kurzum: die Anwesenheit des Herrn ist dringend
nötig. In diesem Sinne wollte Papa auch schon an Ihren Vater schreiben.
Aber wenn er jetzt wieder in Monte Carlo ist, können Sie ja selbst rin ihm
reden. schlimmstenfalls müßte eben Wolff Joachim Urlaub nehmen. Übrigens
fehlte er diesmal beim Septembertermin. Er ist sehr vermißt worden.

Edda hat ihre alte Not mit Evi. Fräulein Schneider, die Gouvernante,
konnte mit dem Kinde nicht mehr fertig werden. So haben wir sie gehen
lassen und hoffen, daß das Mädel im nächsten Jahre in der Schweizer Pension
etwas Schliff bekommt. Sie ist noch gräßlich ruppig. Den geschlagenen Tag
strolcht sie mit Förster Sandberg im Wald herum. Seitdem er ihr ein weißes
Eichhörnchen gebracht hat, besitzt er vollends ihr ganzes Herz. Das Tierchen
wird allgemein wie eine Art Wunder angestaunt. Sternburgs Glück nennens
die Leute. Und merkwürdigerweise war unsere Ernte die beste der letzten
zehn Jahre. Aber jetzt Schluß! Gerade eben höre ich die neue Dreschmaschine
heranwalzeu. Ich muß auf den Hof, lieber Doktor, und sicher warten auch auf
Sie irgend welche sonderbare Lebewesen, die Sie unter Ihre Lupe nehmen wollen.

Leben Sie wohl, und hoffen Sie mit uns, daß sich alle Wolken von
unserem baltischen Himmel verziehen mögen.


Ihre Edles Wenkendorff.

(Fortsetzung folgt)




Sturm

Ich fürchte. Papas Ansichten fanden den allgemeinen Beifall nicht. Ich
sah manche alte Tante ihre spitze Nase rümpfen. Schledehausen dagegen ent¬
fesselte einen wahren Sturm der Begeisterung. Er appellierte an die Solidarität
des Deutschtums und erinnerte an die historische Führerschaft des baltischen Adels.

Aber Sie wollen jetzt sicher auch etwas über Borküll hören. Und da will
ich mit unserer Meinung nicht hinter dem Berge halten: es ist dort nicht alles
wie es sein sollte. Verwalter Kirsch macht wieder einmal von sich reden. Er
hat sich zum Septembertermin tolle Sachen geleistet. Natürlich war er, wie
immer wenn er in der Stadt ist, betrunken und soll sich im Estnischen Klub
zu wüsten Brandreden gegen die Deutschen verstiegen haben. Nach einer
Schlägerei wurde er verwundet ins Hospital geschafft. Dort liegt er seit drei
Tagen, und Papa sorgt sich um euer Borküll, das nun ganz ohne Aufsicht ist.
Der alte Maddis. Ihr bewährtes Faktotum, hat doch nicht Übersicht genug,
um alles in Ordnung abzuwickeln. Und die Baronin und Ihre Schwester Mara
find zu wenig orientiert in dem komplizierten Betrieb, auch leben beide dank
ihren Neigungen zu wenig in der Wirklichkeit. Mara namentlich ist immer
mehr ein Bücherwurm geworden, und ihre hypermoderne Weltanschauung hat
ihr allen praktischen Sinn genommen. Gräfin Emerenzia Schildberg aber, Ihre
würdige Tante, bringt mit ihren Gebetstunden und ihrer Bekehrungswut das
ganze Tagewerk auf dem Hof in Unordnung. Unser guter Pastor Tannebaum
ist nicht sehr erbaut von dieser Seelenfischerei, die seine Herde nachgerade
konfus zu machen beginnt. Kurzum: die Anwesenheit des Herrn ist dringend
nötig. In diesem Sinne wollte Papa auch schon an Ihren Vater schreiben.
Aber wenn er jetzt wieder in Monte Carlo ist, können Sie ja selbst rin ihm
reden. schlimmstenfalls müßte eben Wolff Joachim Urlaub nehmen. Übrigens
fehlte er diesmal beim Septembertermin. Er ist sehr vermißt worden.

Edda hat ihre alte Not mit Evi. Fräulein Schneider, die Gouvernante,
konnte mit dem Kinde nicht mehr fertig werden. So haben wir sie gehen
lassen und hoffen, daß das Mädel im nächsten Jahre in der Schweizer Pension
etwas Schliff bekommt. Sie ist noch gräßlich ruppig. Den geschlagenen Tag
strolcht sie mit Förster Sandberg im Wald herum. Seitdem er ihr ein weißes
Eichhörnchen gebracht hat, besitzt er vollends ihr ganzes Herz. Das Tierchen
wird allgemein wie eine Art Wunder angestaunt. Sternburgs Glück nennens
die Leute. Und merkwürdigerweise war unsere Ernte die beste der letzten
zehn Jahre. Aber jetzt Schluß! Gerade eben höre ich die neue Dreschmaschine
heranwalzeu. Ich muß auf den Hof, lieber Doktor, und sicher warten auch auf
Sie irgend welche sonderbare Lebewesen, die Sie unter Ihre Lupe nehmen wollen.

Leben Sie wohl, und hoffen Sie mit uns, daß sich alle Wolken von
unserem baltischen Himmel verziehen mögen.


Ihre Edles Wenkendorff.

(Fortsetzung folgt)




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[0494] Sturm Ich fürchte. Papas Ansichten fanden den allgemeinen Beifall nicht. Ich sah manche alte Tante ihre spitze Nase rümpfen. Schledehausen dagegen ent¬ fesselte einen wahren Sturm der Begeisterung. Er appellierte an die Solidarität des Deutschtums und erinnerte an die historische Führerschaft des baltischen Adels. Aber Sie wollen jetzt sicher auch etwas über Borküll hören. Und da will ich mit unserer Meinung nicht hinter dem Berge halten: es ist dort nicht alles wie es sein sollte. Verwalter Kirsch macht wieder einmal von sich reden. Er hat sich zum Septembertermin tolle Sachen geleistet. Natürlich war er, wie immer wenn er in der Stadt ist, betrunken und soll sich im Estnischen Klub zu wüsten Brandreden gegen die Deutschen verstiegen haben. Nach einer Schlägerei wurde er verwundet ins Hospital geschafft. Dort liegt er seit drei Tagen, und Papa sorgt sich um euer Borküll, das nun ganz ohne Aufsicht ist. Der alte Maddis. Ihr bewährtes Faktotum, hat doch nicht Übersicht genug, um alles in Ordnung abzuwickeln. Und die Baronin und Ihre Schwester Mara find zu wenig orientiert in dem komplizierten Betrieb, auch leben beide dank ihren Neigungen zu wenig in der Wirklichkeit. Mara namentlich ist immer mehr ein Bücherwurm geworden, und ihre hypermoderne Weltanschauung hat ihr allen praktischen Sinn genommen. Gräfin Emerenzia Schildberg aber, Ihre würdige Tante, bringt mit ihren Gebetstunden und ihrer Bekehrungswut das ganze Tagewerk auf dem Hof in Unordnung. Unser guter Pastor Tannebaum ist nicht sehr erbaut von dieser Seelenfischerei, die seine Herde nachgerade konfus zu machen beginnt. Kurzum: die Anwesenheit des Herrn ist dringend nötig. In diesem Sinne wollte Papa auch schon an Ihren Vater schreiben. Aber wenn er jetzt wieder in Monte Carlo ist, können Sie ja selbst rin ihm reden. schlimmstenfalls müßte eben Wolff Joachim Urlaub nehmen. Übrigens fehlte er diesmal beim Septembertermin. Er ist sehr vermißt worden. Edda hat ihre alte Not mit Evi. Fräulein Schneider, die Gouvernante, konnte mit dem Kinde nicht mehr fertig werden. So haben wir sie gehen lassen und hoffen, daß das Mädel im nächsten Jahre in der Schweizer Pension etwas Schliff bekommt. Sie ist noch gräßlich ruppig. Den geschlagenen Tag strolcht sie mit Förster Sandberg im Wald herum. Seitdem er ihr ein weißes Eichhörnchen gebracht hat, besitzt er vollends ihr ganzes Herz. Das Tierchen wird allgemein wie eine Art Wunder angestaunt. Sternburgs Glück nennens die Leute. Und merkwürdigerweise war unsere Ernte die beste der letzten zehn Jahre. Aber jetzt Schluß! Gerade eben höre ich die neue Dreschmaschine heranwalzeu. Ich muß auf den Hof, lieber Doktor, und sicher warten auch auf Sie irgend welche sonderbare Lebewesen, die Sie unter Ihre Lupe nehmen wollen. Leben Sie wohl, und hoffen Sie mit uns, daß sich alle Wolken von unserem baltischen Himmel verziehen mögen. Ihre Edles Wenkendorff. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/494>, abgerufen am 30.12.2024.