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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Richard ZVagner contra Linn Ludwig

Hahnenschrei am Ende des Totentanzes). Wo in dieser Weise nur photo¬
graphiert wird, stirbt die Kunst.

Nur verschwindend wenige Motive Wagners geben in Rhythmus und
Tonfolge bestimmte Vorstellungen und Vorgänge getreu wieder: im Ring nur
das Schmiede- und das Arbeitmotiv. Ich wüßte auch nicht, wie man etwa
den Gedanken an die Götterdämmerung oder an Siegfried tonmalerisch so
zwingend wiedergeben sollte, wie Richard Strauß in dem erwähnten Falle das
Kindergeschrei. Ludwig freilich behauptet, daß die meisten Motive Wagners in
dieser Weise auf eine bestimmte Vorstellung hinleiteten. Er mag mir außer
den erwähnten beiden im Ring auch nur drei nennen, die es tun.

Zweitens: Wagner hat die Motive selbst "offiziell" benannt. Im Ring
tragen über achtzig bestimmte Namen. Aber für Sehende ist dieser scheinbare
Einwand nur ein Zug, der sich trefflich einfügt in das Bild, wie ich es von
ihm entworfen habe: der große Theatermeister bereitet die Ausführung seiner
Werke vor. Durch die Partituren gleitet der Stift. Natur-, Götterdämmerungs-,
Walhall-, Erdamotiv usw. Wegweiser sür Sänger und Dirigenten, die an
Werke dieses Umfanges damals noch nicht gewöhnt waren und dieses Weg¬
weisers bedurften. Vielleicht hat er auch daran gedacht, ein paar Jüngern das
Verstehen zu erleichtern. Er blieb eben auch hier der treffliche Vorkämpfer
der eigenen Sache.

Die Phantasie der Hörer in Fesseln schlagen, sie in bestimmte Bahnen
zwingen, das konnte er mit diesen Motiven nicht. Selbst wenn er es gewollt
hätte. Wer sich gezwungen fühlt, bei den beiden Tönen der Dezime an Hagen
zu denken, kann sich mit einiger Aussicht auf Erfolg als musikalisches Wunder
sehen lassen.

Was konnte Wagner mit dem Namengeber anders wollen, als dem Ver¬
ständnis einen geringen Boden zu weisen, auf dem die schaffende Phantasie
weiterbauen konnte! Phantasie setzte er voraus, als er das Siegfriedmotiv schuf,
nicht einen gelehrigen Schulbubenverstand, der flink die eingebläute Antwort
auf die Frage nach der Bedeutung zu nennen weiß.

Aber auch hier hat man die eine Motivbedeutung, wie im anderen Falle
die Philosophie und die dramatische Lehre zum einzigen wahren Glauben er¬
hoben, auf dem sie beide fußen Wagnerianer und Wagnergegner. Daß die
Gegner bei aller Feinfühligkeit nicht diese Gemeinschaft bemerkt haben, daß sie,
die trefflichen Kritiker, nicht Wagner den Künstler und Wagner den Lehrer zu
unterscheiden vermochten, ist die Tragikomödie dieser neuen Bewegung die
Ludwig um sich sammeln will.

Uns -- wen ich damit meine weiß man wohl -- kann es nicht ändern. Uns
war er stets ein Größter, nie der bisher ungeborene Allumfasser. Wir wußten,
daß ihm. wie jedem Künstler Grenzen gezogen sind. Um des Jammers und
der Lust seines Spiels und seiner Töne lieben wir ihn, nicht um seiner
Philosophie.


Grenzboten II 1913 3t
Richard ZVagner contra Linn Ludwig

Hahnenschrei am Ende des Totentanzes). Wo in dieser Weise nur photo¬
graphiert wird, stirbt die Kunst.

Nur verschwindend wenige Motive Wagners geben in Rhythmus und
Tonfolge bestimmte Vorstellungen und Vorgänge getreu wieder: im Ring nur
das Schmiede- und das Arbeitmotiv. Ich wüßte auch nicht, wie man etwa
den Gedanken an die Götterdämmerung oder an Siegfried tonmalerisch so
zwingend wiedergeben sollte, wie Richard Strauß in dem erwähnten Falle das
Kindergeschrei. Ludwig freilich behauptet, daß die meisten Motive Wagners in
dieser Weise auf eine bestimmte Vorstellung hinleiteten. Er mag mir außer
den erwähnten beiden im Ring auch nur drei nennen, die es tun.

Zweitens: Wagner hat die Motive selbst „offiziell" benannt. Im Ring
tragen über achtzig bestimmte Namen. Aber für Sehende ist dieser scheinbare
Einwand nur ein Zug, der sich trefflich einfügt in das Bild, wie ich es von
ihm entworfen habe: der große Theatermeister bereitet die Ausführung seiner
Werke vor. Durch die Partituren gleitet der Stift. Natur-, Götterdämmerungs-,
Walhall-, Erdamotiv usw. Wegweiser sür Sänger und Dirigenten, die an
Werke dieses Umfanges damals noch nicht gewöhnt waren und dieses Weg¬
weisers bedurften. Vielleicht hat er auch daran gedacht, ein paar Jüngern das
Verstehen zu erleichtern. Er blieb eben auch hier der treffliche Vorkämpfer
der eigenen Sache.

Die Phantasie der Hörer in Fesseln schlagen, sie in bestimmte Bahnen
zwingen, das konnte er mit diesen Motiven nicht. Selbst wenn er es gewollt
hätte. Wer sich gezwungen fühlt, bei den beiden Tönen der Dezime an Hagen
zu denken, kann sich mit einiger Aussicht auf Erfolg als musikalisches Wunder
sehen lassen.

Was konnte Wagner mit dem Namengeber anders wollen, als dem Ver¬
ständnis einen geringen Boden zu weisen, auf dem die schaffende Phantasie
weiterbauen konnte! Phantasie setzte er voraus, als er das Siegfriedmotiv schuf,
nicht einen gelehrigen Schulbubenverstand, der flink die eingebläute Antwort
auf die Frage nach der Bedeutung zu nennen weiß.

Aber auch hier hat man die eine Motivbedeutung, wie im anderen Falle
die Philosophie und die dramatische Lehre zum einzigen wahren Glauben er¬
hoben, auf dem sie beide fußen Wagnerianer und Wagnergegner. Daß die
Gegner bei aller Feinfühligkeit nicht diese Gemeinschaft bemerkt haben, daß sie,
die trefflichen Kritiker, nicht Wagner den Künstler und Wagner den Lehrer zu
unterscheiden vermochten, ist die Tragikomödie dieser neuen Bewegung die
Ludwig um sich sammeln will.

Uns — wen ich damit meine weiß man wohl — kann es nicht ändern. Uns
war er stets ein Größter, nie der bisher ungeborene Allumfasser. Wir wußten,
daß ihm. wie jedem Künstler Grenzen gezogen sind. Um des Jammers und
der Lust seines Spiels und seiner Töne lieben wir ihn, nicht um seiner
Philosophie.


Grenzboten II 1913 3t
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[0485] Richard ZVagner contra Linn Ludwig Hahnenschrei am Ende des Totentanzes). Wo in dieser Weise nur photo¬ graphiert wird, stirbt die Kunst. Nur verschwindend wenige Motive Wagners geben in Rhythmus und Tonfolge bestimmte Vorstellungen und Vorgänge getreu wieder: im Ring nur das Schmiede- und das Arbeitmotiv. Ich wüßte auch nicht, wie man etwa den Gedanken an die Götterdämmerung oder an Siegfried tonmalerisch so zwingend wiedergeben sollte, wie Richard Strauß in dem erwähnten Falle das Kindergeschrei. Ludwig freilich behauptet, daß die meisten Motive Wagners in dieser Weise auf eine bestimmte Vorstellung hinleiteten. Er mag mir außer den erwähnten beiden im Ring auch nur drei nennen, die es tun. Zweitens: Wagner hat die Motive selbst „offiziell" benannt. Im Ring tragen über achtzig bestimmte Namen. Aber für Sehende ist dieser scheinbare Einwand nur ein Zug, der sich trefflich einfügt in das Bild, wie ich es von ihm entworfen habe: der große Theatermeister bereitet die Ausführung seiner Werke vor. Durch die Partituren gleitet der Stift. Natur-, Götterdämmerungs-, Walhall-, Erdamotiv usw. Wegweiser sür Sänger und Dirigenten, die an Werke dieses Umfanges damals noch nicht gewöhnt waren und dieses Weg¬ weisers bedurften. Vielleicht hat er auch daran gedacht, ein paar Jüngern das Verstehen zu erleichtern. Er blieb eben auch hier der treffliche Vorkämpfer der eigenen Sache. Die Phantasie der Hörer in Fesseln schlagen, sie in bestimmte Bahnen zwingen, das konnte er mit diesen Motiven nicht. Selbst wenn er es gewollt hätte. Wer sich gezwungen fühlt, bei den beiden Tönen der Dezime an Hagen zu denken, kann sich mit einiger Aussicht auf Erfolg als musikalisches Wunder sehen lassen. Was konnte Wagner mit dem Namengeber anders wollen, als dem Ver¬ ständnis einen geringen Boden zu weisen, auf dem die schaffende Phantasie weiterbauen konnte! Phantasie setzte er voraus, als er das Siegfriedmotiv schuf, nicht einen gelehrigen Schulbubenverstand, der flink die eingebläute Antwort auf die Frage nach der Bedeutung zu nennen weiß. Aber auch hier hat man die eine Motivbedeutung, wie im anderen Falle die Philosophie und die dramatische Lehre zum einzigen wahren Glauben er¬ hoben, auf dem sie beide fußen Wagnerianer und Wagnergegner. Daß die Gegner bei aller Feinfühligkeit nicht diese Gemeinschaft bemerkt haben, daß sie, die trefflichen Kritiker, nicht Wagner den Künstler und Wagner den Lehrer zu unterscheiden vermochten, ist die Tragikomödie dieser neuen Bewegung die Ludwig um sich sammeln will. Uns — wen ich damit meine weiß man wohl — kann es nicht ändern. Uns war er stets ein Größter, nie der bisher ungeborene Allumfasser. Wir wußten, daß ihm. wie jedem Künstler Grenzen gezogen sind. Um des Jammers und der Lust seines Spiels und seiner Töne lieben wir ihn, nicht um seiner Philosophie. Grenzboten II 1913 3t

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/485>, abgerufen am 21.12.2024.